16178/J XXVII. GP
Eingelangt am 20.09.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an den Vizekanzler und Bundesminister für Kunst‚ Kultur‚ öffentlichen Dienst und Sport
betreffend BVwG-Spitze unbesetzt: Wie lange noch? Warum? Cui bono?
Das größte Gericht Österreichs ist seit der Pensionierung des ehemaligen Präsidenten Ende November 2022 nun seit fast 300 Tagen ohne ordnungsgemäße Leitung. Die Besetzung des Postens der/des Präsident:in des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) steht seit Ende letzten Jahres in der Öffentlichkeit unter besonderer Beobachtung. Grund dafür ist der öffentlich gewordene “Sideletter” der Türkis-Grünen Koalition zum Regierungsprogramm, in dem das Nominierungsrecht für den Posten der ÖVP zugeschrieben wurde – obwohl § 2 Abs 3 BVwGG ein klar geregeltes Auswahlverfahren und die Übermittlung von Vorschlägen durch eine hochkarätig besetzte Kommission vorsieht: „Die Kommission hat der Bundesregierung mindestens drei Bewerber zur Vorschlagserstattung zu empfehlen.“ Nach Abschluss dieses klar geregelten Verfahrens gerieten die Dinge ins Stocken, die Regierungsparteien begannen von nötiger "politischer Abstimmung" zu reden (https://orf.at/stories/3327166/).
Für die Nachfolge von Harald Perl bewarben sich zwölf Personen. Alle wurden zum Hearing vor der im Gesetz vorgesehenen Kommission eingeladen, woraufhin die Kommission der Bundesregierung eine Liste der bestgereihten Kandidat:innen vorlegte. Die drei von der Kommission vorgeschlagenen Kandidat:innen sind Sabine Matejka, derzeit Vorsteherin des Wiener Bezirksgerichts Floridsdorf, als bestgereihte, gefolgt von Chef der BVwG-Außenstelle Linz, Mathias Kopf, und schließlich der einstige Vorsitzende der Kammer für Fremdenwesen und Asyl des BVwG und nunmehriger Gruppenleiter im Innenministerium, Christian Filzwieser. Ernannt wird die neue Präsidentin oder der neue Präsident des BVwG letztlich vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Regierung - die Kommission übermittelte ihre Empfehlungen am 13. Februar 2023, doch der Vorschlag ist noch immer ausständig.
Am 1. Dezember 2022 ist der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Harald Perl, in den Ruhestand getreten. Seitdem führt der ÖVP-nahe frühere Kabinettschef von Wolfgang Schüssel und Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts, Michael Sachs, das Gericht bis zur Neubesetzung des Amtes des/der Präsident:in weiter. Die Qualifikation von Michael Sachs ist stark umstritten:
Trotz seiner Vizepräsidententätigkeit wurde er von der Kommission für den Dreiervorschlag als Präsident für als nicht ausreichend qualifiziert erachtet. Dennoch gilt er nach wie vor nicht nur als Kandidat für den Generaldirektorposten bei der Bundeswettbewerbsbehörde, sondern es obliegt ihm unverändert die Leitung des größten Gerichts Österreichs. Nähere Betrachtung zeigt auf, dass er dafür denkbar ungeeignet ist:
Dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts obliegt die Dienstaufsicht. Im Rahmen dieser Dienstaufsicht ist es seine Aufgabe, Gespräche mit Richter:innen, die eine unverhältnismäßige hohe Anzahl an Behebungen durch Höchstberichte aufweisen, zu führen. Wie auch der Rechnungshof unter Punkt 21.2. bestätigend ausführt:
"Festgestellten Problemen im Einzelfall – z.B. nicht tolerable abweichende Rechtsmeinungen, Verdacht auf fehlende Objektivität, überdurchschnittliche Verfahrensdauer, Mängel in der Führung der Gerichtsabteilung sowie der Verfahren oder unverhältnismäßig hohe Anzahl an Behebungen durch Höchstgerichte – war im Rahmen der Dienstaufsicht des Präsidenten und der Kammervorsitzenden zu begegnen, etwa durch Gespräche oder gegebenenfalls disziplinäre Maßnahmen. Der RH verwies dazu auf seine Ausführungen in TZ 17 bis TZ 20" (https://rechnungshof.gv.at/rh/home/home/2023_5_Bundesverwaltungsgericht.pdf).
Bei Betrachtung sämtlicher Entscheidungen des BVwG aus dem Jahr 2020 zeigt sich, dass in absoluten Zahlen von keinem Richter des BVwG mehr Entscheidungen durch Höchstgerichte als rechtswidrig aufgehoben wurden als von Richter Michael Sachs. Auch in relativen Zahlen ist der Senat W195 von Richter Sachs unter den Senaten mit der höchsten Aufhebungsquote: von 133 Erkenntnissen wurden 16 aufgehoben, vom Senat W242 wurden von 71 Erkenntnissen 10 aufgehoben.
Zusammengefasst kommt also nun ausgerechnet jenem Richter, von dem die meisten Entscheidungen von Höchstgerichten korrigiert werden mussten, die Aufgabe zu, in Gesprächen andere Richter:innen dazu zu motivieren, höchstgerichtliche Rechtsprechung zu akzeptieren und anzuwenden. Es bedarf keinen weiteren Ausführungen, dass es hier offenkundig ein massives Glaubwürdigkeitsproblem gibt, unter dem die gesamte Justiz leidet.
Damit aber nicht genug: In seinen Entscheidungen vertritt der Vizepräsident sogar vollkommen unvertretbare Rechtsansichten, die zu einem finanziellen Schaden der Republik geführt haben. Aufgrund dessen wurden einem Wiener Rechtsanwalt zufolge sogar schon finanzielle Regressansprüche gegen den Richter Sachs geltend gemacht (https://www.derstandard.at/story/2000137349439/lotterie-am-asylgericht-wie-sich-strukturelle-probleme-auf-entscheide-auswirken).
Dass der Präsident:innenposten des BVwG so lange unbesetzt bleibt schwächt das Vertrauen der Bürger:innen in die öffentlichen Institutionen, schadet dem Rechtsstaat und ist zugleich eine Verhöhnung der Bestgereihten. Worauf wartet die Bundesregierung?
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
i. Wenn ja, wann und wessen Inhalts?
ii. Wenn ja, welcher zeitlicher Horizont wird zur Übermittlung des Vorschlags in Aussicht gestellt?
iii. Wenn nein, warum nicht?
i. Gegenüber wem und wann jeweils?
i. Wenn ja, welcher?