Eingelangt am 20.09.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und
Kollegen
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend BVwG-Spitze unbesetzt: Wie lange noch? Warum?
Cui bono?
Das größte Gericht Österreichs ist seit der
Pensionierung des ehemaligen Präsidenten Ende November 2022 nun seit fast
300 Tagen ohne ordnungsgemäße Leitung. Die Besetzung des Postens
der/des Präsident:in des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) steht seit Ende
letzten Jahres in der Öffentlichkeit unter besonderer Beobachtung.
Grund dafür ist der öffentlich gewordene “Sideletter” der
Türkis-Grünen Koalition zum Regierungsprogramm, in dem das
Nominierungsrecht für den Posten der ÖVP zugeschrieben wurde –
obwohl § 2 Abs 3 BVwGG ein klar geregeltes Auswahlverfahren und die
Übermittlung von Vorschlägen durch eine hochkarätig besetzte
Kommission vorsieht: „Die Kommission hat der Bundesregierung mindestens
drei Bewerber zur Vorschlagserstattung zu empfehlen.“ Nach Abschluss
dieses klar geregelten Verfahrens gerieten die Dinge ins Stocken, die
Regierungsparteien begannen von nötiger "politischer Abstimmung"
zu reden (https://orf.at/stories/3327166/).
Für die Nachfolge von Harald Perl bewarben sich
zwölf Personen. Alle wurden zum Hearing vor der im Gesetz vorgesehenen
Kommission eingeladen, woraufhin die Kommission der Bundesregierung eine Liste
der bestgereihten Kandidat:innen vorlegte. Die drei von der Kommission
vorgeschlagenen Kandidat:innen sind Sabine Matejka, derzeit Vorsteherin des
Wiener Bezirksgerichts Floridsdorf, als bestgereihte, gefolgt von Chef der
BVwG-Außenstelle Linz, Mathias Kopf, und schließlich der einstige
Vorsitzende der Kammer für Fremdenwesen und Asyl des BVwG und nunmehriger
Gruppenleiter im Innenministerium, Christian Filzwieser. Ernannt wird die neue
Präsidentin oder der neue Präsident des BVwG letztlich vom
Bundespräsidenten auf Vorschlag der Regierung - die Kommission
übermittelte ihre Empfehlungen am 13. Februar 2023, doch der Vorschlag ist
noch immer ausständig.
Am 1. Dezember 2022 ist der Präsident des
Bundesverwaltungsgerichts, Harald Perl, in den Ruhestand getreten. Seitdem
führt der ÖVP-nahe frühere Kabinettschef von Wolfgang
Schüssel und Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts, Michael
Sachs, das Gericht bis zur Neubesetzung des Amtes des/der Präsident:in
weiter. Die Qualifikation von Michael Sachs ist stark umstritten:
Trotz seiner Vizepräsidententätigkeit wurde er
von der Kommission für den Dreiervorschlag als Präsident für als
nicht ausreichend qualifiziert erachtet. Dennoch gilt er nach wie vor nicht nur
als Kandidat für den Generaldirektorposten bei der
Bundeswettbewerbsbehörde, sondern es obliegt ihm unverändert die
Leitung des größten Gerichts Österreichs. Nähere
Betrachtung zeigt auf, dass er dafür denkbar ungeeignet ist:
Dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts obliegt
die Dienstaufsicht. Im Rahmen dieser Dienstaufsicht ist es seine Aufgabe,
Gespräche mit Richter:innen, die eine unverhältnismäßige
hohe Anzahl an Behebungen durch Höchstberichte aufweisen, zu führen.
Wie auch der Rechnungshof unter Punkt 21.2. bestätigend ausführt:
"Festgestellten Problemen im Einzelfall – z.B.
nicht tolerable abweichende Rechtsmeinungen, Verdacht auf fehlende
Objektivität, überdurchschnittliche Verfahrensdauer, Mängel in
der Führung der Gerichtsabteilung sowie der Verfahren oder unverhältnismäßig
hohe Anzahl an Behebungen durch Höchstgerichte – war im Rahmen
der Dienstaufsicht des Präsidenten und der Kammervorsitzenden zu
begegnen, etwa durch Gespräche oder gegebenenfalls disziplinäre
Maßnahmen. Der RH verwies dazu auf seine Ausführungen in TZ 17 bis
TZ 20" (https://rechnungshof.gv.at/rh/home/home/2023_5_Bundesverwaltungsgericht.pdf).
Bei Betrachtung sämtlicher Entscheidungen des BVwG aus
dem Jahr 2020 zeigt sich, dass in absoluten Zahlen von keinem Richter des BVwG
mehr Entscheidungen durch Höchstgerichte als rechtswidrig aufgehoben
wurden als von Richter Michael Sachs. Auch in relativen Zahlen ist der Senat
W195 von Richter Sachs unter den Senaten mit der höchsten Aufhebungsquote:
von 133 Erkenntnissen wurden 16 aufgehoben, vom Senat W242 wurden von 71 Erkenntnissen
10 aufgehoben.
Zusammengefasst kommt also nun ausgerechnet jenem Richter,
von dem die meisten Entscheidungen von Höchstgerichten korrigiert werden
mussten, die Aufgabe zu, in Gesprächen andere Richter:innen dazu zu
motivieren, höchstgerichtliche Rechtsprechung zu akzeptieren und
anzuwenden. Es bedarf keinen weiteren Ausführungen, dass es hier
offenkundig ein massives Glaubwürdigkeitsproblem gibt, unter dem die
gesamte Justiz leidet.
Damit aber nicht genug: In seinen Entscheidungen vertritt
der Vizepräsident sogar vollkommen unvertretbare Rechtsansichten, die zu
einem finanziellen Schaden der Republik geführt haben. Aufgrund dessen
wurden einem Wiener Rechtsanwalt zufolge sogar schon finanzielle
Regressansprüche gegen den Richter Sachs geltend gemacht (https://www.derstandard.at/story/2000137349439/lotterie-am-asylgericht-wie-sich-strukturelle-probleme-auf-entscheide-auswirken).
Dass der Präsident:innenposten des BVwG so lange
unbesetzt bleibt schwächt das Vertrauen der Bürger:innen in die öffentlichen
Institutionen, schadet dem Rechtsstaat und ist zugleich eine Verhöhnung
der Bestgereihten. Worauf wartet die Bundesregierung?
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Welche Maßnahmen haben Sie bzw. Ihr Ressort jeweils
wann getroffen, damit es zu einer raschen Nachbesetzung der Spitze des
BVwG kommt?
- Wann und mit welchem Ergebnis?
- Im Oktober 2022 gegenüber
sagten Sie dem „Standard“, es sei klar, „dass der oder
die Erstgereihte nominiert werden soll“: Vertreten Sie diese
Position nach wie vor?
- Wenn ja, inwiefern vertraten
Sie bzw. Ihr Ministerium diese Position gegenüber (Vertreter:innen)
anderer Ministerien?
i. Gegenüber wem und wann jeweils?
- Wenn nein, aus welchen
Gründen nicht?
- Seit wann ist Ihrem Ministerium das Ergebnis des
Auswahlprozesses bekannt?
- Wurden die Kandidat:innen kontaktiert und über den
Ausgang des Verfahrens informiert?
- Wenn ja, wann?
- Wenn ja, welche Informationen wurden mitgeteilt?
- Wurde den drei Erstgereihten ein Zeithorizont genannt, in
welchem sie mit der Ernennung bzw. Informationen über die Ernennung
rechnen können?
i. Wenn
ja, welcher?
- Besteht zwischen Ihnen und/oder Vertreter:innen Ihres
Ressorts ein Austausch mit Sabine Matejka?
- Wenn ja, wann, zu welchen Inhalten bzw. in welchen
zeitlichen Abständen?
- Wenn nein, warum nicht?
- Besteht zwischen Ihnen und/oder Vertreter:innen Ihres
Ressorts ein Austausch mit Mathias Kopf?
- Wenn ja, wann, zu welchen Inhalten bzw. in welchen
zeitlichen Abständen?
- Wenn nein, warum nicht?
- Besteht zwischen Ihnen und/oder
Vertreter:innen Ihres Ressorts ein Austausch mit Christian Filzwieser?
- Wenn ja, wann, zu welchen Inhalten bzw. in welchen
zeitlichen Abständen?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wurden bzw. werden die drei bestgereihten Kandidat:innen
wenigstens informiert, dass es zu immer länger werdenden
Verzögerungen im Bestellungsprozess kommt?
- Wenn ja, wann?
- Wenn nein, warum nicht?
- Sollte die von der Kommission etablierte Reihenfolge nicht
beachtet bzw. die Erstgereihte nicht nominiert worden sein: Aus welchen
konkreten Gründen?
- Welche Position vertritt Ihr Ministerium
diesbezüglich?
- Sollte es zum Zeitpunkt der Beantwortung noch immer nicht
zur Neubesetzung gekommen sein: Wann ist spätestens mit einem
Amtsantritt zu rechnen?
- Entspricht es den Tatsachen, dass der Vizepräsident
Sachs sich um die Stelle des Präsidenten beworben hat?
- Ist es korrekt, dass der Vizepräsident Sachs nicht
unter den drei bestqualifizierten Kandidat:innen ist?
- Wie ist die Entlohnung von Vizepräsident Sachs
während seiner interimistischen Leitungsphase?
- Wurden die zwei neue Chef:innenposten, die aufgrund der
Teilung der großen Kammer für Fremdenwesen und Asyl entstanden,
bereits nachbesetzt?
- Wenn ja, wann?
- Wie und wann erfolgte die Interessent:innensuche und das
Bestellungsverfahren?
- Welche Meinung vertritt das Personalsenat bezüglich
der Auswahl der Kandidat:innen?
- Wurde der Posten der/des Vorsitzende:n der Kammer für
Soziales bereits nachbesetzt?
- Wenn ja, wann?
- Wie und wann erfolgte die Interessent:innensuche und das
Bestellungsverfahren?
- Welche Meinung vertritt das Personalsenat bezüglich
der Auswahl der Kandidat:innen?
- Falls die Stellen in Fragen 12 und 13 besetzt wurden: Ist
vorgesehen, dass diese Stellen, die unter Interimspräsidenten Michael
Sachs neu besetzt wurden, lediglich interimistisch besetzt werden?
- Wenn ja, wie wird sichergestellt, dass diese Besetzungen
nur interimistisch sind bzw. sein werden?
i. Welcher
zeitlicher Horizont ist hier nachgedacht?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wie viele Richter:innen wurden unter der Leitung des
Personalsenats durch Interimspräsidenten Michael Sachs neu bestellt?
- Wie viele Sitzungen des Personalsenats gab es 2023?
- Welche Mitglieder nahmen an diesen Sitzungen teil?
- Wer nahm als Mitglied kraft Amtes jeweils teil und wie
erfolgte die Auswahl?
- Im Rechnungshofsbericht ist unter Punkt 21.1.
angeführt: "Festgestellten Problemen im Einzelfall – z.B.
nicht tolerable abweichende Rechtsmeinungen, Verdacht auf fehlende
Objektivität, überdurchschnittliche Verfahrensdauer, Mängel
in der Führung der Gerichtsabteilung sowie der Verfahren oder
unverhältnismäßig hohe Anzahl an Behebungen durch
Höchstgerichte – war im Rahmen der Dienstaufsicht des
Präsidenten und der Kammervorsitzenden zu begegnen, etwa durch Gespräche
oder gegebenenfalls disziplinäre Maßnahmen. Der RH verwies dazu
auf seine Ausführungen in TZ 17 bis TZ 20." Siehe: https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/2023_5_Bundesverwaltungsgericht.pdf.
Werden Aufzeichnungen geführt, zu wie viele Behebungen durch
Höchstgerichte es pro Senat gekommen ist?
- Wenn ja, bitte um Auflistung der TOP 10 Senate mit den
meisten Behebungen in absoluten Zahlen pro Jahr seit 2014?
- Zu wie vielen Behebungen durch Höchstgerichte von
Entscheidungen des Interimspräsidenten Sachs (W195) ist es pro Jahr
seit 2014 gekommen?
- Ist Ihnen bekannt, dass der Senat W195 mit 16 Behebungen
die meisten Behebungen (in absoluten Zahlen)
von Entscheidungen des BVwG im Jahr 2020 durch Höchstgerichte
erfahren hat?
- Inwiefern ist es zielführend, dass der
Interimspräsident als jener Richter, der die meisten
höchstgerichtlichen Behebungen seiner Entscheidungen bekommen hat,
andere Richter im Rahmen der Dienstaufsicht des Präsidenten
Gespräche und gegebenenfalls disziplinäre Maßnahmen
ergreifen muss?
- Wie wurde nach den gravierenden Fällen mit Michael
Sachs verfahren (siehe z.B. https://www.derstandard.at/story/2000137349439/lotterie-am-asylgericht-wie-sich-strukturelle-probleme-auf-entscheide-auswirken)?
- Gab es etwa Verfahren von der Finanzprokuratur ihn
betreffend?
i. Wenn
ja, mit welchem Ergebnis?
ii. Gab
es Regressforderungen an Michael Sachs?
- Welcher Schaden ist der Republik durch die
Fehlentscheidungen des Richters Michael Sachs entstanden?
- Ist Ihnen bekannt, ob die Finanzprokurator gegen
Richter:innen des BVwG seit 2014 Regressforderungen außergerichtlich
oder gerichtlich geltend gemacht hat?
- Wenn ja, gegen wie viele und wegen welcher Schadenssumme?
- Wurden gegen den nunmehrigen Interimspräsidenten
Regressforderungen von der Finanzprokuratur geltend gemacht?
- Wenn ja, in welcher Höhe? Wurde der Schaden
gerichtlich oder außergerichtlich geltend gemacht? Gab es eine
rechtskräftige Entscheidung oder eine vergleichsweise Bereinigung
und wenn ja mit welchem Ergebnis? Was ist der Stand der oder des Verfahrens?