16202/J XXVII. GP
Eingelangt am 20.09.2023
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ANFRAGE
der Abgeordneten Rosa Ecker, MBA
an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft
Betreffend Handhabe von Karenzleistungen bei Selbstständigen
Zu Leistungen der Sozialversicherung für Selbstständige im Versicherungsfall der Mutterschaft gelten folgende gesetzliche Regelungen:
Versicherungsfall der Mutterschaft
Im Falle der Schwangerschaft selbstständig erwerbstätiger Frauen werden von der Sozialversicherung Leistungen aus dem "Versicherungsfall der Mutterschaft" erbracht. Dieser Versicherungsfall umfasst die Schwangerschaft, Entbindung und die sich daraus ergebenden Folgen.
Der Versicherungsfall der Mutterschaft tritt mit dem Beginn der achten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung ein. Erfolgt die Entbindung schon vor diesem Zeitpunkt, tritt der Versicherungsfall mit der Entbindung ein.
Aus diesem Versicherungsfall werden Sachleistungen (ärztliche Hilfe, Hebammenbeistand, Beistand durch diplomierte Kinderkranken- und Säuglingsschwestern, Heilmittel und Heilbehelfe) gewährt. Außerdem besteht anlässlich der Entbindung Anspruch auf kostenfreie Pflege in einer Krankenanstalt (längstens bis zu einer Dauer von zehn Tagen).
Betriebshilfe
Für selbstständig erwerbstätige Frauen (Gewerbetreibende, neue Selbständige und Bäuerinnen) ist als Leistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft grundsätzlich Betriebshilfe vorgesehen. Betriebshilfe bedeutet, dass eine Betriebshelferin/ein Betriebshelfer die unaufschiebbaren Arbeiten der Wöchnerin außerhalb des Haushalts übernimmt. Der Betrieb kann somit ohne Unterbrechung weiterlaufen.
Anspruch auf Betriebshilfe besteht grundsätzlich für die Dauer der letzten acht Wochen vor der Geburt, den Entbindungstag selbst sowie für den Zeitraum von acht Wochen nach der Geburt. Wäre durch die Weiterausübung der Tätigkeit eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit gegeben oder wären Leben oder Gesundheit des Kindes gefährdet, besteht Anspruch auf Betriebshilfe schon vor diesem Zeitraum, wenn diese Umstände durch ärztliches Zeugnis nachgewiesen werden.
Nach einer Früh- oder Mehrlingsgeburt oder nach einem Kaiserschnitt verlängert sich die Anspruchsdauer auf bis zu zwölf Wochen nach der Geburt. Kommt das Kind früher als erwartet auf die Welt, so verlängert sich die Anspruchsdauer um die Anzahl jener Tage, um die das Kind früher geboren wurde. Der Anspruch besteht maximal für eine Dauer von 16 Wochen.
Die Betriebshilfe wird grundsätzlich durch den Versicherungsträger (bzw. durch dessen Vertragspartnerin/Vertragspartner) je nach Maßgabe der Verfügbarkeit entsprechend geeigneter Personen bereitgestellt.
· Kann keine geeignete Betriebshilfe durch den Versicherungsträger (bzw. durch dessen Vertragspartnerin/Vertragspartner) bereitgestellt werden, kann die Versicherte im Anspruchszeitraum eine betriebsfremde - steht eine solche nicht zur Verfügung, eine nicht betriebsfremde - Hilfe einsetzen. In diesem Fall gebührt unter bestimmten Voraussetzungen Wochengeld.
· Kommt Betriebshilfe aus bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Gründen nicht in Betracht, etwa weil aufgrund der örtlichen Lage des Betriebes keine geeignete Arbeitskraft vermittelt werden konnte oder weil sich die selbständig Erwerbstätige nicht durch eine andere Person vertreten lassen kann (z.B. Künstlerinnen, Psychotherapeutinnen), besteht Anspruch auf Wochengeld. [1]
[…]
Eine weitere Möglichkeit für selbstständig erwerbstätige Frauen, die ein Kind erwarten, ist, das Gewerbe ruhend zu stellen. Diese Möglichkeit bietet sich z.B. für Webdesignerinnen, Masseurinnen etc. an, d.h. für Unternehmerinnen, deren Gewerbe ausschließlich auf ihrer eigenen Arbeitskraft beruht.[2]
Dazu gibt es Zuverdienstgrenzen:
· Beim einkommensabhängigen Modell liegt die Zuverdienstgrenze bei 7.800 Euro pro Kalenderjahr. Dies entspricht der Geringfügigkeitsgrenze von 500,91 Euro (2023) pro Anspruchsmonat.
· Während Sie Kinderbetreuungsgeld als Konto beziehen, dürfen Sie 18.000 Euro im Kalenderjahr dazuverdienen. Dies entspricht bei unselbstständiger Tätigkeit einem Bruttolohn bzw. -gehalt von 1.372 Euro pro Monat (2023).
Zudem gibt es auch eine individuelle Zuverdienstgrenze für jene, die vor Geburt des Kindes über ein höheres Einkommen verfügt haben. Mit der individuellen Zuverdienstgrenze können Sie 60 % der Einkünfte aus dem Kalenderjahr vor der Geburt des Kindes, in dem kein KBG bezogen wurde, dazuverdienen (max. drittvorletztes Jahr).[3]
Das bedeutet in der Realität, dass eine Mutter durch die Geburt ihres Kindes - aufgrund ihrer Selbstständigkeit z.B. als selbstständige Friseurmeisterin (EPU) - in ihrer Existenz nicht nur bedroht, sondern de facto ruiniert ist. Entweder sie meldet ihr Gewerbe als ruhend oder sie unterbricht ihre selbstständige Erwerbstätigkeit. Dies hat aber zur Folge, dass der Kundenstamm wegfällt.
Das hat zur Folge, dass schwangere Selbstständige bis unmittelbar vor der Geburt weiterarbeiten, entbinden und ehestmöglich wieder zu arbeiten beginnen.
Wenn aber die Mutter keinen Wochengeldanspruch geltend macht, um ihre selbstständige Existenz nicht zu verlieren, kann der Vater während dieser Zeit auch nicht Karenz/Kinderbetreuungsgeld beanspruchen.
Das bedeutet wiederum, dass diese 8 Wochen nach der Geburt – wenn der Vater die Betreuung übernimmt – mit Pflegeurlaub, Urlaub, „Papa-Monat“, unbezahltem Urlaub überbrückt werden muss, quasi so als ob die Frau in Mutterschutz wäre. Zusammengefasst:
- Wochengeld kann die Mutter nicht ablehnen, da der Vater ansonsten keinen Anspruch auf Karenz/Kinderbetreuungsgeld hat.
- Während der Zeitspanne des Mutterschutzes kann nur eine Person Leistungen beziehen.
- Karenzgeld/Kinderbetreuungsgeld ist bei selbstständig Erwerbstätigen abhängig von einem eventuellen Zuverdienst. Dieser Zuverdienst von max. 18.000 Euro (bzw. individuelle Zuverdienstgrenze) wird im Zeitrahmen des Kalenderjahres, in dem die Geburt stattfindet, berechnet.
- Findet die Geburt des Kindes z.B. im Juli statt, wird das Einkommen in diesem Jahr als Zuverdienst gewertet. Liegt dieser über 18.000 Euro brutto (oder der individuellen Zuverdienstgrenze), wird das Karenzgeld/Kinderbetreuungsgeld nach 5 Jahren rückwirkend zurückgefordert, wenn die Zuverdienstgrenze überschritten wurde.
- Mit der Zuverdienstgrenze von 18.000 Euro brutto ist das Leben in einem Jahr kaum zu bestreiten.
Diese Tatsache kann auch als „Wochengeld-Falle“ für selbstständige Mütter bezeichnet werden.
Minister Rauch stellt in Zusammenhang mit finanzieller Absicherung von Müttern aufgrund der „Wochengeldfalle“ in der Anfragebeantwortung 14716 vom 31. Juli 2023 fest:
… dass die finanzielle Absicherung von Müttern während des Beschäftigungsverbots in bestimmten Fällen angepasst werden muss. Es werden bereits intensive Gespräche mit Vertreter:innen der ebenso betroffenen Ressorts (Bundeskanzleramt – Frauen, Familie und Jugend, Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft) geführt. Dabei werden Lösungsmöglichkeiten erarbeitet, um eine richtlinien- und systemkonforme Regelung zu erreichen. Es wird angestrebt, bis Ende des Jahres entsprechende gesetzliche Bestimmungen zu schaffen.
Weiters haben auch die geplanten Änderungen beim Kinderbetreuungsgeldgesetz bei selbstständig erwerbstätigen Müttern zur Folge, dass der Vater de facto zwei Monate Karenz/Kinderbetreuungsgeld-Anspruch verliert, da die Mutter ihre Selbstständigkeit nicht für zwei Monate unterbrechen kann, ohne dass ihre Existenz gefährdet ist.
All diese Tatsachen haben enorme negative Auswirkungen auf Frauen, die sich für Selbstständigkeit und Mutterschaft entscheiden. Steht der Vater für die Kinderbetreuung – aus welchen Gründen auch immer – nicht zur Verfügung, verschärft das die Situation für junge selbstständige Mütter noch weiter.
In diesem Zusammenhang richtet die unterfertigte Abgeordnete an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft nachstehende
Anfrage
1. Wie viele Mütter, die vor der Geburt selbstständig erwerbstätig waren, haben in den Jahren 2019, 2020, 2021, 2022 und 2023 bis dato Anspruch auf Wochengeld/Betriebshilfe erhoben?
2. Wie viele Mütter, die vor der Geburt selbstständig erwerbstätig waren, haben Karenz/Kinderbetreuungsgeld in den Jahren 2019, 2020, 2021, 2022 und 2023 bis dato bezogen?
a. Welche Variante wurde dabei gewählt?
3. Wie viele Mütter, die vor der Geburt selbstständig erwerbstätig waren, mussten in weiterer Folge das Karenz/Kinderbetreuungsgeld zur Gänze bzw. in Teilbeträgen in den letzten fünf Jahren zurückbezahlen?
4. Wie hoch ist der durchschnittliche Zuverdienst selbstständiger Mütter, die Karenz/Kinderbetreuungsgeld in den letzten fünf Jahren bezogen haben?
5. Sind Änderungen geplant, dass zumindest der Vater ab der Geburt Kinderbetreuungsgeld beanspruchen kann, wenn die Mutter nicht Wochengeld beziehen kann bzw. möchte?
a. Wenn ja, welche Änderungen sind geplant?
6. Würden zusätzliche Kosten anfallen, wenn der Vater ab der Geburt Anspruch auf Karenz/Kinderbetreuungsgeld zuerkannt bekommen würde?
a. Ist diese Thematik in den Gesprächen, die laut Minister Rauchs AB angeführt werden, bekannt?
7. Wird es dafür im Rahmen der geplanten Reparatur der „Wochengeld-Falle“ eine Lösung geben?
a. Wann ist damit zu rechnen?
b. Wenn nein, warum nicht?