1639/J XXVII. GP

Eingelangt am 22.04.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

des Abgeordneten Hannes Amesbauer

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Verhältnismäßigkeit der Strafenflut hinsichtlich Corona-Maßnahmen

 

„[…] ‚Wenn wir einerseits die vielen Österreicher, die sich jetzt alle vorbildlich an die nötigen Vorgaben halten, richtigerweise als Lebensretter sehen, dann müssen wir jene als Lebensgefährder bezeichnen, die gegen die Regeln verstoßen‘, bestätigt Innenminister Karl Nehammer, dass die Polizei hart bei Verstößen gegen die Verhaltensmaßregeln vorgehen soll. […]“, werden Sie auf oe24.at am 24.3.2020 zitiert.

(Quelle: https://www.oe24.at/coronavirus/Bis-zu-30-000-Euro-Der-Strafkatalog-der-Corona-Suender/423344007)

 

Bereits wenige Tage später, am 30.3.2020, titelt die Kronen Zeitung: „Mehr als 10.000 Anzeigen wegen Maßnahmenverstößen“

(Quelle: https://www.krone.at/2126996)

 

Die Bevölkerung ist verunsichert! Nicht nur das neuartige Virus, welches zweifelsohne eine gesundheitspolitische Krisensituation darstellt, ist dabei ein maßgeblicher Faktor. Insbesondere die Krisenkommunikation durch Sie und Ihre Regierungskollegen – Stichwort „Oster-Erlass“ – treibt die Verunsicherung weiter voran. Zudem setzen Sie, wie unter anderem aus dem Eingangszitat abzuleiten ist, auf eine martialische Rhetorik gegenüber der österreichischen Bevölkerung. Von Anfang an haben Sie keinen Zweifel daran gelassen, dass die Bevölkerung hinsichtlich der verordneten Ausgangsbeschränkungen und Verhaltensregeln mit entsprechenden Repressalien zu rechnen hat, wenn sie sich vermeintlich „falsch“ verhält. Eine Unzahl von Medienberichten bestätigen dabei die gestiftete Unsicherheit und Verwirrung hinsichtlich des behördlichen Umgangs mit den von der Bundesregierung initiierten Strafmaßnahmen.

 

Die Kontrolle von Einkaufstaschen in der Obersteiermark oder Berichte über horrende Geldbußen für Fahrgemeinschaften die zur Arbeit pendeln sind hier nur Beispiele:

(Quellen: https://www.kleinezeitung.at/steiermark/murtal/5790554/CoronaVerordnung_Kundin-geschockt_Polizist-hat-meinen-Einkauf und

https://www.krone.at/2131740)

 

Besonders bizarr erscheint hier auch ein Artikel, wonach eine Frau aufgrund eines Spazierganges mit einer Freundin – unter Einhaltung des 1-Meter-Abstandes wird berichtet – mit einer Strafe von 600 Euro belegt worden sein soll. Bestätigt konnte dieser Fall von den Behörden nicht werden, ein Betrugsfall sei hier nicht ausgeschlossen.

(Quelle: https://www.oe24.at/coronavirus/Corona-Strafe-Frau-soll-600-Euro-wegen-Spazierengehens-bekommen-haben/425899892)

 

Ein weiteres fragwürdiges Beispiel bezieht sich auf einen Motorradfahrer, der angeblich mit 600 Euro für eine Spritztour bestraft wurde. Ein ÖAMTC-Jurist kommt im Bericht zu Wort: „[…] Die Strafe sei daher ‚möglicherweise tragfähig‘. Da es dazu noch keine Vorjudikatur gebe, sei der Ausgang aber ungewiss. ‚Es gibt dazu zu wenig Materialien, die sagen was genau erlaubt ist und was nicht‘, so der Jurist. Und so könne es sein, dass manches zwar ‚unerwünscht‘, deswegen aber nicht gleich strafbar sei. Klarheit würden im Einzelfall nur juristische Verfahren bringen.“

(Quelle: https://www.heute.at/s/600-euro-strafe-fur-biker-der-auf-und-abfuhr--43022653)

 

„[…] In Österreich ist neuerdings alles verboten, was nicht explizit erlaubt wurde. […]“, formuliert etwa Rosmarie Schwaiger vom Profil am 9.4.2020 und trifft damit wohl die Wahrnehmung vieler Österreicher auf den Punkt. Weiters: „[…] Die Zahl steigt und steigt – zwar nicht exponentiell, aber äußerst flott: Am 22. März gab es 2900 Fälle zu beklagen, acht Tage später bereits über 10.000. Allein am 5. April erhöhte sich der Wert um 1200 auf mehr als 16.000. Das kommende Osterwochenende wird wohl zu einer weiteren starken Zunahme führen; die Kombination aus schönem Wetter und viel Freizeit ist leider äußerst ungünstig. Neue, traurige Rekorde sind absehbar. Nein, es geht hier zum Glück nicht um die Zahl der mit SARSCoV-2 infizierten Österreicher. Dieser Wert lag zuletzt bei rund 13.000 positiv Getesteten. Einen Boom erleben dafür die Anzeigen wegen Verstößen gegen die neue Epidemiegesetzgebung. Mittlerweile haben deutlich mehr Menschen einen Strafzettel daheim als einen positiven Corona-Befund. […]“ Außerdem listet sie in dieser Publikation ebenfalls verschiedene öffentlich gewordene Fälle von fragwürdigen Amtshandlungen auf.

(Quelle: https://www.profil.at/oesterreich/polizeistaat-corona-strafen-bespitzeln-denunzieren-11439938)

 

In diesem gesamten Kontext sei betont, dass mit dieser Anfrage nicht Kritik an den Polizeibeamten geübt werden soll. Vielmehr sind die ausführenden Organe in diesem Zusammenhang ebenfalls Opfer der unklaren, verwirrenden und sich ständig verändernden Verordnungspolitik und Krisenkommunikation der Bundesregierung. Dies konnte beispielsweise auch die Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl in einem Falter-Interview nicht von der Hand weisen: „Die Gesetze entstanden im Minutentakt, da war keine Zeit für Begutachtung. Natürlich hat es das nicht einfacher gemacht, dass wir Verordnungen auf den Tisch bekamen, die sofort galten.“

(Quelle: https://www.falter.at/zeitung/20200408/nicht-wegen-jeder-kleinigkeit-anzeigen/_6d90882259)

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Inneres folgende

 

Anfrage

 

1.    Wie viele Anzeigen wurden seit Inkrafttreten der Corona-Beschränkungen – aufgelistet nach Bundesländern – insgesamt erstattet?

2.    Wie viele dieser Anzeigen wurden – aufgelistet nach Bundesländern und Paragrafen – gemäß der Corona-Bestimmungen erstattet?

3.    Wie hoch waren die ausgesprochenen Bußgelder – aufgelistet nach Bundesländern und Paragrafen – bei den jeweiligen Tatbeständen gemäß Corona-Bestimmungen?

4.    Wie viele dieser Bußgelder gemäß Corona-Bestimmungen wurden bereits bezahlt?

5.    Gegen wie viele dieser Anzeigen gemäß Corona-Bestimmungen wurde berufen?

6.    Wie viele Organmandate wurden durch die Polizei – aufgelistet nach Bundesländern – seit Karsamstag insgesamt ausgestellt?

7.    Wie viele dieser Organmandate wurden – aufgelistet nach Bundesländern und Paragrafen – gemäß der Corona-Bestimmungen erstattet?

8.    Wie hoch waren die ausgesprochenen Bußgelder – aufgelistet nach Bundesländern und Paragrafen – bei den jeweiligen Tatbeständen gemäß Corona-Bestimmungen?

9.    Werden von Ihnen alle Personen die angezeigt wurden oder gegen die ein Organmandat ausgestellt wurde als „Lebensgefährder“ erachtet?

10. Wenn nein, wen erachten Sie dann konkret per Definition als „Lebensgefährder“?

11. Welche Einsätze und Schwerpunktkontrollen wurden – abseits von Anzeigen und Organstrafmandaten – im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen noch durchgeführt?

12. Wie viele Einkaufstaschen wurden seit Inkrafttreten der Corona-Beschränkungen insgesamt kontrolliert?

13. Werden die Verordnungen und Erlässe im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen bundesweit einheitlich vollzogen?

14. Wie können Sie gewährleisten, dass Verordnungen und Erlässe, die laut dem Wiener Polizeipräsidenten nicht begutachtet werden können und umgehend in Kraft treten, ordnungsgemäß und einheitlich exekutiert werden?

15. Können Sie, vor diesem Hintergrund ausschließen, dass unhaltbare Anzeigen, Organmandate und Strafen ausgesprochen wurden?

16. Gibt es seitens Ihres Ressorts neben den Erlässen auch weitere Handlungsanleitungen oder Leitfänden zur Handhabung der Corona-Verordnungen an die Behörden?

17. Wenn ja, wann wurden diese ausgesendet?

18. Wenn ja, was hatten diese zum Inhalt?

19. Gibt es statistische Erhebungen der Polizei, ob die Anzeigen und Hinweise seitens der Bevölkerung nach Inkrafttreten der Corona-Bestimmungen merkbar zugenommen haben?

20. Wenn ja, welche Ergebnisse liefern diese statistischen Erhebungen?

21. Kam es hinsichtlich irgendwelcher Amtshandlungen in Bezug auf die Corona-Maßnahmen zu Verhaftungen?

22. Wenn ja, wie viele Verhaftungen gab es in diesem Zusammenhang?

23. Wenn ja, nach welchen gesetzlichen Grundlagen/Paragrafen haben diese Verhaftungen jeweils stattgefunden?

24. Kam es hinsichtlich irgendwelcher Amtshandlungen in Bezug auf die Corona-Maßnahmen zu Verletzungen von Polizisten?

25. Wenn ja, wie viele verletzte Polizisten gab es in diesem Zusammenhang?

26. Gab es Drohnen- oder Hubschraubereinsätze seitens der Polizei, um die Ausgangsbeschränkungen zu überwachen?

27. Wenn ja, wie oft wurden diese Einsätze durchgeführt?

28. Wenn ja, wo wurden diese Einsätze durchgeführt?

29. Wenn ja, welche Erfolge bzw. Ergebnisse konnten durch diese Einsätze erzielt werden?

30. Wenn ja, wie hoch waren die Kosten für diese Einsätze?

31. Können Sie den Fall der Pendler-Fahrgemeinschaft im Mühlviertel gemäß Berichterstattung in der „Kronen Zeitung“ bestätigen?

32. Wenn ja, entsprechen diese Strafen dem Sinn der Verordnungen und Erlässe?

33. Würden Sie diese Pendler als „Lebensgefährder“ bezeichnen?

34. Können Sie den Fall des Motorradfahrers gemäß Berichterstattung in der „Heute“ bestätigen?

35. Wenn ja, entspricht diese Strafe dem Sinn der Verordnungen und Erlässe?

36. Würden Sie diesen Motorradfahrer als „Lebensgefährder“ bezeichnen?

37. Ist die Einschätzung des ÖAMTC-Juristen zulässig, dass es sich dabei zwar möglicherweise um ein unerwünschtes aber nicht unbedingt strafrelevantes Verhalten handelt?

38. Wenn ja, wie ist dann die hohe Geldstrafe zu rechtfertigen?

39. Ist die Einschätzung des ÖAMTC-Juristen korrekt, dass es zu wenig „Materialen“ gibt, die sagen was genau erlaubt ist und was nicht?

40. Wurden seitens der Polizeidirektionen, Personalvertretung der Polizei oder anderen Stellen aus der Polizei Probleme aus der praktischen Anwendung hinsichtlich Interpretation und Umsetzung der Corona-Maßnahmen an Sie herangetragen?

41. Wenn ja, wie viele derartiger Meldungen sind bei Ihnen eingegangen?

42. Wenn ja, welche Problemfelder wurden dabei aufgeworfen?

43. Wenn ja, wie wurde darauf reagiert?

44. Können Sie garantieren, dass sämtliche Erlässe und Verordnungen in Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen verfassungskonform sind?

45. Wenn ja, worauf stützen Sie diese Einschätzung?

46. Wenn nein, auf Basis welcher konkreten validen Daten und Expertenempfehlungen kann eine möglicherweise verfassungswidrige Vorgehensweise gerechtfertigt werden?