Eingelangt am 04.10.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie
Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für
Inneres
betreffend Folgeanfrage III:
Pushbacks an der österreichischen Südgrenze
Das Recht, Asyl zu beantragen, ist in der Genfer
Flüchtlingskonvention sowie in Artikel 18 der Charta der Grundrechte
der Europäischen Union verankert. Das Non-Refoulement Gebot
besagt, dass Menschen nicht in Länder zurückgeschickt werden
dürfen, in denen ihnen Gefahr von Folter oder einer anderen schweren
Menschenrechtsverletzung droht. Asylsuchende haben daher das Recht auf eine
individuelle und faire Überprüfung ihres Antrags auf internationalen
Schutz. Pushbacks, also sofortige Zurückweisungen von Personen an der
Grenze, ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen, sind ein
Verstoß gegen das in Artikel 3 der Europäischen
Menschenrechtskonvention verankerte Folterverbot und daher absolut
unzulässig.
Am 28. September 2020 wurde Ayoub N. mit weiteren sechs
Personen von österreichischen Polizisten in der Südsteiermark
aufgegriffen und trotz eines Asylansuchens innerhalb von nur 48 Stunden
über Slowenien und Kroatien nach Bosnien gebracht. Daraufhin ergingen
seitens Ayoub N. eine Richtlinienbeschwerde im Rahmen welcher das LVwG
Steiermark feststellte, dass Ayoub N. bei der Amtshandlung am 28. September
2020 in seinem Recht auf Achtung der Menschenwürde (§ 5 Abs 1
Richtlinien-Verordnung – RLV) und dem Recht auf ausreichende
Dokumentation (§ 10 RLV) verletzt wurde (GZ LVwG 22.3-2726/2020).
Weiters stellte das Landesverwaltungsgericht Steiermark im Rahmen einer
Entscheidung über eine Maßnahmenbeschwerde Anfang Juli 2021 fest,
dass der Asylantrag des Schutzsuchenden „überhört“ und
dieser illegal nach Slowenien zurückgewiesen worden war: „Aus dem
geschilderten Verfahrensablauf (...) kommt das Gericht zum Schluss, dass
Pushbacks in Österreich teilweise methodisch Anwendung finden" (GZ
LVwG 20.3-2725/2020). Das Innenministerium dementierte einen Rechtsbruch
weiterhin. Die Landespolizeidirektion Steiermark brachte eine Revision ein,
welche vom Verwaltungsgerichtshof (VwGH) im Juni 2022 zurückgewiesen wurde
- somit liegt die höchstgerichtliche Bestätigung der Entscheidung des
LVwG Steiermark vor.1
Die Initiative Push-Back Alarm Austria hat einen weiteren
Fall eines Pushbacks an der österreichischen Südgrenze dokumentiert:
Am 25. Juli 2021 hat der minderjährige Somali Amin N. gemeinsam mit
fünf anderen in Bad Radkersburg Asyl beantragt. Anstatt sie zu einer
Erstaufnahmestellte zu bringen, wurden sie von der österreichischen
Polizei nach Slowenien überstellt. Im Fall der Rückweisung von
Amin N. vom Grenzübergang Sicheldorf nach Slowenien stellte das mit einer
Maßnahmenbeschwerde angerufene LVwG Steiermark im Februar 2022 fest, dass
dies rechtswidrig war, u.a. da die Rückweisung Art. 3 EMRK verletzt hat.2
Das Gericht begründete dies unter anderem damit, dass der
Beschwerdeführer mehrmals das Wort „Asyl“ in englischer
Sprache verwendete und dies während der Amtshandlung ignoriert wurde - dem
Beschwerdeführer wurde „ein fundamentales Recht auf Einleitung eines
Asylverfahrens und damit eines Abschiebeschutzes genommen“ (GZ LVwG
20.3-2621/2021-49).
In vergangenen Beantwortungen zu NEOS Anfragen blieben
aufgrund des damals noch anhängigen Revisionsverfahren einige Fragen zu
diesen beiden Vorfällen offen.3 Darüber hinaus ist auch
von Interesse, welche Maßnahmen das Innenministerium aus diesen
Fällen abgeleitet hat, sowohl in Bezug auf die Fälle von Amin N. und
Ayoub N. - insbesondere was die Wiedergutmachung für die Betroffenen
betrifft und die Konsequenzen für die verantwortlichen Beamten - als auch
generell zur Verbesserung des Menschenrechtsschutz an der Grenze.
- https://orf.at/stories/3270233/
- https://kurier.at/mehr-platz/gericht-bestaetigt-illegaler-pushback-von-minderjaehrigen-somali/401910400
- 9375/AB: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/9375/imfname_1434325.pdf
und 10867/AB: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/10867/imfname_1463203.pdf.
Die unterfertigten Abgeordneten
stellen daher folgende
Anfrage:
- Hat Ihr Ministerium seit der höchstgerichtlichen
Bestätigung des Pushbacks Maßnahmen zur Wiedergutmachung
vis-à-vis von Ayoub N. gesetzt?
- Wenn ja, welche?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wenn nein, sind Maßnahmen zur
Wiedergutmachung geplant?
- Hat Ihr Ministerium Maßnahmen
zur Wiedergutmachung vis-à-vis den sechs weiteren Personen, die im
September 2020 mit Ayoub N. zurückgewiesen wurden, gesetzt?
- Hat Ihr Ministerium seit des
Erkenntnisses des LVwG Steiermark im Fall Amin N. Maßnahmen zur
Wiedergutmachung gesetzt?
- Wenn ja, welche?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wenn nein, sind Maßnahmen zur
Wiedergutmachung geplant?
- Hat Ihr Ministerium Maßnahmen
zur Wiedergutmachung vis-à-vis den fünf weiteren Personen,
die im Juli 2021 mit Amin N. zurückgewiesen wurden, gesetzt?
- Wurde im Fall Ayoub N. ein Antrag auf
Wiedereinreise gestellt?
- Wenn ja, wurde dieser
bewilligt?
i. Wenn nein, warum nicht?
- Wurde im Fall Amin N. ein Antrag auf
Wiedereinreise gestellt?
- Wenn ja, wurde dieser
bewilligt?
i. Wenn nein, warum nicht?
- In der Beantwortungen 9375/AB und
10867/AB hieß es hinsichtlich der internen Evaluierungen bzgl. der
Pushbacks respektive: "Nach interner Prüfung der Vorfälle
konnte kein Fehlverhalten der einschreitenden Bediensteten festgestellt
werden" und "Die Beachtung der Grund- und Menschenrechte ist ein
zentraler Aspekt im täglichen Handeln von Polizeibediensteten."
Bezogen sich diese Aussagen auf die beiden Fälle?
- Können Sie bitte das konkrete
Ergebnis der internen Evaluierung im Fall Ayoub N. und im Fall Amin N
gesondert darstellen?
- Welche Schlüsse ziehen Sie
hinsichtlich der Wirksamkeit der internen Evaluierung - aufgrund der sehr
auseinandergehenden Feststellungen durch Ihr Ressort einerseits und durch
die Gerichte andererseits?
i. Welche Maßnahmen wurden jeweils wann gesetzt, um
interne Evaluierungen von Vorfällen, die Menschenrechtsverletzungen an der
Grenze betreffen, zu verbessern?
- Gab es, wie seitens des
Innenministeriums in 10867/AB in Betracht gezogen, nachfolgende
Evaluierungen
i. im Fall Ayoub N.?
1.
Wenn ja, wann und mit welchem
Ergebnis?
2.
Wenn nein, warum nicht?
ii. im Fall Amin N.?
1.
Wenn ja, wann und mit welchem
Ergebnis?
2.
Wenn nein, warum nicht?
- In 10867/AB hieß es
"Besteht der Verdacht eines straf-, verwaltungs- oder
disziplinarrechtlichen Fehlverhaltens einer Beamtin oder eines Beamten ist
eine entsprechende Einzelfallprüfung durchzuführen und
knüpfen allfällige Sanktionen an das Ergebnis der Prüfung
an": Wann wurden Einzelfallprüfungen gegen wie viele Beamt:innen
jeweils durchgeführt
- im Fall Ayoub N.?
- im Fall Amin N.?
- Welche konkreten Ergebnisse brachten
diese Einzelfallprüfungen jeweils
- im Fall Ayoub N.?
- im Fall Amin N.?
- In 9375/AB hieß es betreffend
des Falles von Ayoub N.: "Ob sich die Notwendigkeit ergibt gegen
Beamtinnen und Beamte disziplinarrechtliche Schritte einzuleiten kann erst
nach Abschluss des anhängigen Revisionsverfahrens vor dem
Verwaltungsgerichtshof beurteilt werden": Wurden nun
disziplinarrechtliche Schritte gegen die Exekutivbeamt:innen gesetzt, die
an dem Pushback von Ayoub N. beteiligt waren - jetzt wo der VwGH die
Revision zurückwies und somit die Entscheidung des LVwG Steiermark
bestätigte?
- Wenn ja, wann und welche? Bitte um
detaillierte Darstellung des Verfahrens.
- Wenn ja, betreffend wie
viele Beamt:innen?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wenn nein, sind Schritte geplant?
- Wurden disziplinarrechtliche Schritte
gegen die Exekutivbeamten gesetzt, die an dem Pushback von Amin N.
beteiligt waren?
- Wenn ja, wann und welche? Bitte um
detaillierte Darstellung des Verfahrens.
- Wenn ja, betreffend wie
viele Beamt:innen?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wenn nein, sind Schritte geplant?
- Gab es konkrete Sanktionen gegen die
an den Pushbacks beteiligten Beamt:innen
- im Fall Ayoub N.?
i. Wenn ja, wann und welche?
ii. Wenn ja, betreffend wie viele Beamt:innen?
iii. Wenn nein, warum nicht?
iv. Wenn nein, sind Sanktionen geplant?
- im Fall Amin N.?
i. Wenn ja, wann und welche?
ii. Wenn ja, betreffend wie viele Beamt:innen?
iii. Wenn nein, warum nicht?
iv. Wenn nein, sind Sanktionen geplant?
- Wurde vonseiten Ihres Ressorts eine
Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft bezüglich des
Verdachts des Amtsmissbrauchs übermittelt, um den Sachverhalt
aufzuklären
- im Fall Ayoub N.?
i. Wenn nein, warum nicht?
- im Fall Amin N.?
i. Wenn nein, warum nicht?
- Ist Ihrem Kenntnisstand zufolge ein
strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Beamt:innen der LPD Steiermark
bezüglich des Pushbacks bei einer Staatsanwaltschaft anhängig
- im Fall Ayoub N.?
- im Fall Amin N.?
- Wurde seitens der LPD Steiermark gegen
das Erkenntnis des LVwG Steiermark des 16.2.2022 betreffend Amin N.
außerordentliche Revision erhoben?
- Nach der Zurückweisung der
Revision durch den VwGH hieß es Medienberichten zufolge, das
Innenministerium wurde den Beschluss "zur Kenntnis" nehmen, ob
aus ihm auch Konsequenzen gezogen werden, werde noch geprüft (siehe: https://www.derstandard.at/story/2000136405274/verwaltungsgerichtshofbestaetigt-pushback-nach-slowenien-war-rechtswidrig):
Wurde geprüft, ob Konsequenzen aus dem VwGH Beschluss gezogen werden
sollen?
- Wenn ja, inwiefern, wann und durch
wen?
- Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
i. Welche Konsequenzen hat Ihr Ministerium konkret gezogen und
welche Maßnahmen wurden gesetzt?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wie lauten die aktuellen
Handlungsanweisungen für Beamt:innen, die im Grenzkontrollbereich
arbeiten?
- Wurden diese seit VwGH-Beschluss
geändert bzw. ergänzt?
i. Wenn ja, inwiefern?
- Gibt es Erlasse betreffend
Zurückweisungen bzw. Zurückschiebungen?
- Wenn ja, welchen Inhalts?
- Wie werden Exekutivbeamt:innen auf den
Umgang mit Asylsuchenden geschult?
- Wurden die Schulungen seit den
Fällen von Ayoub N. und Amin N. weiterentwickelt?
i. Wenn ja, inwiefern?
- Wurden dem Innenministerium seitens
der LPDs weitere Verdachte der unrechtmäßigen
Zurückweisung informiert?
- Wenn ja, wie viele (seit 2022) und
seitens welcher LPDs?
- Wenn ja, wie wurde in der Folge
verfahren?
- Wie viele Personen wurden in den
Jahren 2022 und 2023 an den österreichischen Grenzen aufgegriffen?
Bitte um Aufschlüsselung nach Grenze und Nationalität.
- Wie hoch ist die Schutzquote von
Asylsuchenden, die über die Balkanroute nach Österreich
einreisen (seit 2022, exkl. sonstige Entscheidungen)?
- Medienberichten und NGOs zufolge soll
es hunderte Zurückweisungen von Asylsuchenden von Deutschland nach
Österreich geben: Sind Sie davon in Kenntnis?
- Haben Sie Daten zu der Anzahl an von
Deutschland nach Österreich zurückgewiesenen Asylsuchenden
für die Jahre 2022 und 2023? Bitte um Aufschlüsselung nach
Jahr, Nationalität, Alter (bei Minderjährigen
begleitet/unbegleitet).
- Wurden Ihnen Fälle von
unrechtmäßigen Zurückweisungen mitgeteilt?
i. Wenn ja, wie viele?
ii. Wenn ja, wie wurde mit den Betroffenen verfahren?
- Wurde den Betroffenen ein Zugang zum
Asylverfahren in Österreich gewährt?
- Welche Maßnahmen haben Sie
aufgrund dessen gesetzt?
i. Haben Sie diesbezüglich Gespräche mit Ihrer Amtskollegin
geführt?
1.
Wenn ja, welchen Inhalts?
- Wie viele Fremde wurden im
Grenzbereich Deutschland und Österreich aus Deutschland
rückübernommen?
i. Auf welcher Grundlage? Bitte um Auflistung nach
Nationalität und Monat.
- Wie viele Menschen wurden in den Jahren
2022 und 2023 von den österreichischen Behörden gemäß
§ 41 FPG zurückgewiesen? Bitte um Aufschlüsselung nach
Jahr, Nationalität, Alter (bei Minderjährigen
begleitet/unbegleitet), Zurückweisungsgrund und Grenze.
- Wie viele Personen wurden an die slowenischen
Behörden übergeben?
- Wie viele Personen wurden an die
ungarischen Behörden übergeben?
- Wie viele Personen wurden an die
slowakischen Behörden übergeben?
- Wie viele Zurückweisungen wurden
dokumentiert?
- Wie viele Rückübernahmen
erfolgten im Jahr 2023 von einem Nachbarstaat bzw. EU Mitgliedsstaat in
Anwendung eines Rückübernahmeabkommens nach Österreich
formlos? Bitte um Auflistung nach Nationalität der Betroffenen und
Nachbarstaat bzw. EU Mitgliedsstaat sowie Monat.
- Wie viele Rückübernahmen
erfolgten im Jahr 2023 durch andere Nachbarstaaten bzw. EU Mitgliedsstaat
in Anwendung eines Rückübernahmeabkommens von Österreich
formlos? Bitte um Auflistung nach Nationalität der Betroffenen und
Nachbarstaat bzw. EU Mitgliedsstaat sowie Monat.
- Wie viele Menschen wurden in den
Jahren 2022 und 2023 von den österreichischen Behörden
gemäß § 45 FPG zurückgeschoben? Bitte um
Aufschlüsselung nach Jahr, Nationalität, Alter (bei
Minderjährigen begleitet/unbegleitet) und Grenze.
- Wie viele Personen wurden an die
slowenischen Behörden übergeben?
- Wie viele Personen wurden an die
ungarischen Behörden übergeben?
- Wie viele Personen wurden an die
slowakischen Behörden übergeben?
- Wie viele Zurückschiebungen
wurden dokumentiert?
- Wie viele Zurückschiebungen
erfolgten im Jahr 2023 durch andere Nachbarstaaten bzw. EU Mitgliedsstaat
in Anwendung eines Rückübernahmeabkommens von Österreich?
Bitte um Auflistung nach Nationalität der Betroffenen und
Nachbarstaat bzw. EU Mitgliedsstaat sowie Monat.
- Wie viele Zurückschiebungen
erfolgten im Jahr 2023 durch Österreich an andere Nachbarstaaten bzw.
EU Mitgliedsstaat in Anwendung eines Rückübernahmeabkommens?
Bitte um Auflistung nach Nationalität der Betroffenen und
Nachbarstaat bzw. EU Mitgliedsstaat sowie Monat.
- Gab es in den Jahren 2022 und 2023
seitens der slowenischen Behörden Mitteilungen über Aufgriffe
von Personen, die angegeben haben, zuvor in Österreich
internationalen Schutz beantragt zu haben?
- Wenn ja, wie viele?
- Wenn ja, wie wurde in der Folge
verfahren?
- Gab es in den Jahren 2022 und 2023
seitens der ungarischen Behörden Mitteilungen über Aufgriffe von
Personen, die angegeben haben, zuvor in Österreich internationalen
Schutz beantragt zu haben?
- Wenn ja, wie viele?
- Wenn ja, wie wurde in der Folge
verfahren?
- Gab es in den Jahren 2022 und 2023
seitens der slowakischen Behörden Mitteilungen über Aufgriffe
von Personen, die angegeben haben, zuvor in Österreich
internationalen Schutz beantragt zu haben?
- Wenn ja, wie viele?
- Wenn ja, wie wurde in der Folge
verfahren?