16421/J XXVII. GP

Eingelangt am 04.10.2023
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Folgeanfrage III: Pushbacks an der österreichischen Südgrenze

 

Das Recht, Asyl zu beantragen, ist in der Genfer Flüchtlingskonvention sowie in Artikel 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert. Das Non-Refoulement Gebot besagt, dass Menschen nicht in Länder zurückgeschickt werden dürfen, in denen ihnen Gefahr von Folter oder einer anderen schweren Menschenrechtsverletzung droht. Asylsuchende haben daher das Recht auf eine individuelle und faire Überprüfung ihres Antrags auf internationalen Schutz. Pushbacks, also sofortige Zurückweisungen von Personen an der Grenze, ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen, sind ein Verstoß gegen das in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Folterverbot und daher absolut unzulässig. 

Am 28. September 2020 wurde Ayoub N. mit weiteren sechs Personen von österreichischen Polizisten in der Südsteiermark aufgegriffen und trotz eines Asylansuchens innerhalb von nur 48 Stunden über Slowenien und Kroatien nach Bosnien gebracht. Daraufhin ergingen seitens Ayoub N. eine Richtlinienbeschwerde im Rahmen welcher das LVwG Steiermark feststellte, dass Ayoub N. bei der Amtshandlung am 28. September 2020 in seinem Recht auf Achtung der Menschenwürde (§ 5 Abs 1 Richtlinien-Verordnung – RLV) und dem Recht auf ausreichende Dokumentation (§ 10 RLV) verletzt wurde (GZ LVwG 22.3-2726/2020). Weiters stellte das Landesverwaltungsgericht Steiermark im Rahmen einer Entscheidung über eine Maßnahmenbeschwerde Anfang Juli 2021 fest, dass der Asylantrag des Schutzsuchenden „überhört“ und dieser illegal nach Slowenien zurückgewiesen worden war: „Aus dem geschilderten Verfahrensablauf (...) kommt das Gericht zum Schluss, dass Pushbacks in Österreich teilweise methodisch Anwendung finden" (GZ LVwG 20.3-2725/2020). Das Innenministerium dementierte einen Rechtsbruch weiterhin. Die Landespolizeidirektion Steiermark brachte eine Revision ein, welche vom Verwaltungsgerichtshof (VwGH) im Juni 2022 zurückgewiesen wurde - somit liegt die höchstgerichtliche Bestätigung der Entscheidung des LVwG Steiermark vor.1

Die Initiative Push-Back Alarm Austria hat einen weiteren Fall eines Pushbacks an der österreichischen Südgrenze dokumentiert: Am 25. Juli 2021 hat der minderjährige Somali Amin N. gemeinsam mit fünf anderen in Bad Radkersburg Asyl beantragt. Anstatt sie zu einer Erstaufnahmestellte zu bringen, wurden sie von der österreichischen Polizei nach Slowenien überstellt. Im Fall der Rückweisung von Amin N. vom Grenzübergang Sicheldorf nach Slowenien stellte das mit einer Maßnahmenbeschwerde angerufene LVwG Steiermark im Februar 2022 fest, dass dies rechtswidrig war, u.a. da die Rückweisung Art. 3 EMRK verletzt hat.2 Das Gericht begründete dies unter anderem damit, dass der Beschwerdeführer mehrmals das Wort „Asyl“ in englischer Sprache verwendete und dies während der Amtshandlung ignoriert wurde - dem Beschwerdeführer wurde „ein fundamentales Recht auf Einleitung eines Asylverfahrens und damit eines Abschiebeschutzes genommen“ (GZ LVwG 20.3-2621/2021-49). 

In vergangenen Beantwortungen zu NEOS Anfragen blieben aufgrund des damals noch anhängigen Revisionsverfahren einige Fragen zu diesen beiden Vorfällen offen.3 Darüber hinaus ist auch von Interesse, welche Maßnahmen das Innenministerium aus diesen Fällen abgeleitet hat, sowohl in Bezug auf die Fälle von Amin N. und Ayoub N. - insbesondere was die Wiedergutmachung für die Betroffenen betrifft und die Konsequenzen für die verantwortlichen Beamten - als auch generell zur Verbesserung des Menschenrechtsschutz an der Grenze. 

 

  1. https://orf.at/stories/3270233/
  2. https://kurier.at/mehr-platz/gericht-bestaetigt-illegaler-pushback-von-minderjaehrigen-somali/401910400
  3. 9375/AB: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/9375/imfname_1434325.pdf und 10867/AB: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/10867/imfname_1463203.pdf

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

 

  1. Hat Ihr Ministerium seit der höchstgerichtlichen Bestätigung des Pushbacks Maßnahmen zur Wiedergutmachung vis-à-vis von Ayoub N. gesetzt? 
    1. Wenn ja, welche? 
    2. Wenn nein, warum nicht?
    3. Wenn nein, sind Maßnahmen zur Wiedergutmachung geplant? 
    4. Hat Ihr Ministerium Maßnahmen zur Wiedergutmachung vis-à-vis den sechs weiteren Personen, die im September 2020 mit Ayoub N. zurückgewiesen wurden, gesetzt? 
  1. Hat Ihr Ministerium seit des Erkenntnisses des LVwG Steiermark im Fall Amin N. Maßnahmen zur Wiedergutmachung gesetzt? 
    1. Wenn ja, welche? 
    2. Wenn nein, warum nicht?
    3. Wenn nein, sind Maßnahmen zur Wiedergutmachung geplant? 
    4. Hat Ihr Ministerium Maßnahmen zur Wiedergutmachung vis-à-vis den fünf weiteren Personen, die im Juli 2021 mit Amin N. zurückgewiesen wurden, gesetzt? 
  1. Wurde im Fall Ayoub N. ein Antrag auf Wiedereinreise gestellt? 
    1. Wenn ja, wurde dieser bewilligt? 

                                          i.    Wenn nein, warum nicht? 

  1. Wurde im Fall Amin N. ein Antrag auf Wiedereinreise gestellt? 
    1. Wenn ja, wurde dieser bewilligt? 

                                          i.    Wenn nein, warum nicht? 

  1. In der Beantwortungen 9375/AB und 10867/AB hieß es hinsichtlich der internen Evaluierungen bzgl. der Pushbacks respektive: "Nach interner Prüfung der Vorfälle konnte kein Fehlverhalten der einschreitenden Bediensteten festgestellt werden" und "Die Beachtung der Grund- und Menschenrechte ist ein zentraler Aspekt im täglichen Handeln von Polizeibediensteten." Bezogen sich diese Aussagen auf die beiden Fälle? 
    1. Können Sie bitte das konkrete Ergebnis der internen Evaluierung im Fall Ayoub N. und im Fall Amin N gesondert darstellen? 
    2. Welche Schlüsse ziehen Sie hinsichtlich der Wirksamkeit der internen Evaluierung - aufgrund der sehr auseinandergehenden Feststellungen durch Ihr Ressort einerseits und durch die Gerichte andererseits? 

                                          i.    Welche Maßnahmen wurden jeweils wann gesetzt, um interne Evaluierungen von Vorfällen, die Menschenrechtsverletzungen an der Grenze betreffen, zu verbessern? 

    1. Gab es, wie seitens des Innenministeriums in 10867/AB in Betracht gezogen, nachfolgende Evaluierungen

                                          i.    im Fall Ayoub N.? 

1.    Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis? 

2.    Wenn nein, warum nicht?

                                        ii.    im Fall Amin N.? 

1.    Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis? 

2.    Wenn nein, warum nicht?

  1. In 10867/AB hieß es "Besteht der Verdacht eines straf-, verwaltungs- oder disziplinarrechtlichen Fehlverhaltens einer Beamtin oder eines Beamten ist eine entsprechende Einzelfallprüfung durchzuführen und knüpfen allfällige Sanktionen an das Ergebnis der Prüfung an": Wann wurden Einzelfallprüfungen gegen wie viele Beamt:innen jeweils durchgeführt
    1. im Fall Ayoub N.? 
    2. im Fall Amin N.? 
  1. Welche konkreten Ergebnisse brachten diese Einzelfallprüfungen jeweils
    1. im Fall Ayoub N.? 
    2. im Fall Amin N.? 
  1. In 9375/AB hieß es betreffend des Falles von Ayoub N.: "Ob sich die Notwendigkeit ergibt gegen Beamtinnen und Beamte disziplinarrechtliche Schritte einzuleiten kann erst nach Abschluss des anhängigen Revisionsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof beurteilt werden": Wurden nun disziplinarrechtliche Schritte gegen die Exekutivbeamt:innen gesetzt, die an dem Pushback von Ayoub N. beteiligt waren - jetzt wo der VwGH die Revision zurückwies und somit die Entscheidung des LVwG Steiermark bestätigte? 
    1. Wenn ja, wann und welche? Bitte um detaillierte Darstellung des Verfahrens. 
    2. Wenn ja, betreffend wie viele Beamt:innen? 
    3. Wenn nein, warum nicht? 
    4. Wenn nein, sind Schritte geplant?
  1. Wurden disziplinarrechtliche Schritte gegen die Exekutivbeamten gesetzt, die an dem Pushback von Amin N. beteiligt waren? 
    1. Wenn ja, wann und welche? Bitte um detaillierte Darstellung des Verfahrens. 
    2. Wenn ja, betreffend wie viele Beamt:innen? 
    3. Wenn nein, warum nicht? 
    4. Wenn nein, sind Schritte geplant?
  1. Gab es konkrete Sanktionen gegen die an den Pushbacks beteiligten Beamt:innen
    1. im Fall Ayoub N.? 

                                          i.    Wenn ja, wann und welche? 

                                        ii.    Wenn ja, betreffend wie viele Beamt:innen? 

                                       iii.    Wenn nein, warum nicht? 

                                       iv.    Wenn nein, sind Sanktionen geplant?

    1. im Fall Amin N.? 

                                          i.    Wenn ja, wann und welche? 

                                        ii.    Wenn ja, betreffend wie viele Beamt:innen? 

                                       iii.    Wenn nein, warum nicht? 

                                       iv.    Wenn nein, sind Sanktionen geplant?

  1. Wurde vonseiten Ihres Ressorts eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft bezüglich des Verdachts des Amtsmissbrauchs übermittelt, um den Sachverhalt aufzuklären
    1. im Fall Ayoub N.? 

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?

    1. im Fall Amin N.? 

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Ist Ihrem Kenntnisstand zufolge ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Beamt:innen der LPD Steiermark bezüglich des Pushbacks bei einer Staatsanwaltschaft anhängig
    1. im Fall Ayoub N.? 
    2. im Fall Amin N.? 
  1. Wurde seitens der LPD Steiermark gegen das Erkenntnis des LVwG Steiermark des 16.2.2022 betreffend Amin N. außerordentliche Revision erhoben? 
  2. Nach der Zurückweisung der Revision durch den VwGH hieß es Medienberichten zufolge, das Innenministerium wurde den Beschluss "zur Kenntnis" nehmen, ob aus ihm auch Konsequenzen gezogen werden, werde noch geprüft (siehe: https://www.derstandard.at/story/2000136405274/verwaltungsgerichtshofbestaetigt-pushback-nach-slowenien-war-rechtswidrig): Wurde geprüft, ob Konsequenzen aus dem VwGH Beschluss gezogen werden sollen? 
    1. Wenn ja, inwiefern, wann und durch wen? 
    2. Wenn ja, mit welchem Ergebnis? 

                                          i.    Welche Konsequenzen hat Ihr Ministerium konkret gezogen und welche Maßnahmen wurden gesetzt? 

    1. Wenn nein, warum nicht? 
  1. Wie lauten die aktuellen Handlungsanweisungen für Beamt:innen, die im Grenzkontrollbereich arbeiten?
    1. Wurden diese seit VwGH-Beschluss geändert bzw. ergänzt? 

                                          i.    Wenn ja, inwiefern? 

  1. Gibt es Erlasse betreffend Zurückweisungen bzw. Zurückschiebungen? 
    1. Wenn ja, welchen Inhalts? 
  1. Wie werden Exekutivbeamt:innen auf den Umgang mit Asylsuchenden geschult? 
    1. Wurden die Schulungen seit den Fällen von Ayoub N. und Amin N. weiterentwickelt?

                                          i.    Wenn ja, inwiefern? 

  1. Wurden dem Innenministerium seitens der LPDs weitere Verdachte der unrechtmäßigen Zurückweisung informiert? 
    1. Wenn ja, wie viele (seit 2022) und seitens welcher LPDs? 
    2. Wenn ja, wie wurde in der Folge verfahren? 
  1. Wie viele Personen wurden in den Jahren 2022 und 2023 an den österreichischen Grenzen aufgegriffen? Bitte um Aufschlüsselung nach Grenze und Nationalität.
  2. Wie hoch ist die Schutzquote von Asylsuchenden, die über die Balkanroute nach Österreich einreisen (seit 2022, exkl. sonstige Entscheidungen)? 
  3. Medienberichten und NGOs zufolge soll es hunderte Zurückweisungen von Asylsuchenden von Deutschland nach Österreich geben: Sind Sie davon in Kenntnis? 
    1. Haben Sie Daten zu der Anzahl an von Deutschland nach Österreich zurückgewiesenen Asylsuchenden für die Jahre 2022 und 2023? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr, Nationalität, Alter (bei Minderjährigen begleitet/unbegleitet). 
    2. Wurden Ihnen Fälle von unrechtmäßigen Zurückweisungen mitgeteilt?

                                          i.    Wenn ja, wie viele?  

                                        ii.    Wenn ja, wie wurde mit den Betroffenen verfahren? 

    1. Wurde den Betroffenen ein Zugang zum Asylverfahren in Österreich gewährt? 
    2. Welche Maßnahmen haben Sie aufgrund dessen gesetzt?

                                          i.    Haben Sie diesbezüglich Gespräche mit Ihrer Amtskollegin geführt?

1.    Wenn ja, welchen Inhalts? 

    1. Wie viele Fremde wurden im Grenzbereich Deutschland und Österreich aus Deutschland rückübernommen?

                                          i.    Auf welcher Grundlage? Bitte um Auflistung nach Nationalität und Monat. 

  1. Wie viele Menschen wurden in den Jahren 2022 und 2023 von den österreichischen Behörden gemäß § 41 FPG zurückgewiesen? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr, Nationalität, Alter (bei Minderjährigen begleitet/unbegleitet), Zurückweisungsgrund und Grenze. 
    1. Wie viele Personen wurden an die slowenischen Behörden übergeben?
    2. Wie viele Personen wurden an die ungarischen Behörden übergeben?
    3. Wie viele Personen wurden an die slowakischen Behörden übergeben?
    4. Wie viele Zurückweisungen wurden dokumentiert? 
  1. Wie viele Rückübernahmen erfolgten im Jahr 2023 von einem Nachbarstaat bzw. EU Mitgliedsstaat in Anwendung eines Rückübernahmeabkommens nach Österreich formlos? Bitte um Auflistung nach Nationalität der Betroffenen und Nachbarstaat bzw. EU Mitgliedsstaat sowie Monat.
  2. Wie viele Rückübernahmen erfolgten im Jahr 2023 durch andere Nachbarstaaten bzw. EU Mitgliedsstaat in Anwendung eines Rückübernahmeabkommens von Österreich formlos? Bitte um Auflistung nach Nationalität der Betroffenen und Nachbarstaat bzw. EU Mitgliedsstaat sowie Monat.
  3. Wie viele Menschen wurden in den Jahren 2022 und 2023 von den österreichischen Behörden gemäß § 45 FPG zurückgeschoben? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr, Nationalität, Alter (bei Minderjährigen begleitet/unbegleitet) und Grenze. 
    1. Wie viele Personen wurden an die slowenischen Behörden übergeben?
    2. Wie viele Personen wurden an die ungarischen Behörden übergeben?
    3. Wie viele Personen wurden an die slowakischen Behörden übergeben?
    4. Wie viele Zurückschiebungen wurden dokumentiert? 
  1. Wie viele Zurückschiebungen erfolgten im Jahr 2023 durch andere Nachbarstaaten bzw. EU Mitgliedsstaat in Anwendung eines Rückübernahmeabkommens von Österreich? Bitte um Auflistung nach Nationalität der Betroffenen und Nachbarstaat bzw. EU Mitgliedsstaat sowie Monat.
  2. Wie viele Zurückschiebungen erfolgten im Jahr 2023 durch Österreich an andere Nachbarstaaten bzw. EU Mitgliedsstaat in Anwendung eines Rückübernahmeabkommens? Bitte um Auflistung nach Nationalität der Betroffenen und Nachbarstaat bzw. EU Mitgliedsstaat sowie Monat. 
  3. Gab es in den Jahren 2022 und 2023 seitens der slowenischen Behörden Mitteilungen über Aufgriffe von Personen, die angegeben haben, zuvor in Österreich internationalen Schutz beantragt zu haben?
    1. Wenn ja, wie viele? 
    2. Wenn ja, wie wurde in der Folge verfahren? 
  1. Gab es in den Jahren 2022 und 2023 seitens der ungarischen Behörden Mitteilungen über Aufgriffe von Personen, die angegeben haben, zuvor in Österreich internationalen Schutz beantragt zu haben?
    1. Wenn ja, wie viele? 
    2. Wenn ja, wie wurde in der Folge verfahren? 
  1. Gab es in den Jahren 2022 und 2023 seitens der slowakischen Behörden Mitteilungen über Aufgriffe von Personen, die angegeben haben, zuvor in Österreich internationalen Schutz beantragt zu haben?
    1. Wenn ja, wie viele? 
    2. Wenn ja, wie wurde in der Folge verfahren?