Eingelangt am 10.11.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie
Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für
europäische und internationale Angelegenheiten
betreffend Stand des
Migrationsabkommens zwischen der EU und Tunesien
Am 16. Juli 2023 unterzeichneten die EU und Tunesien ein
Memorandum of Understanding, welches u.a. eine verstärkte Kooperation im
Migrationsbereich vorsieht. Der Absichtserklärung waren wochenlange
Gespräche vorausgegangen, Tunesien mit insgesamt einer Milliarde Euro zu
unterstützen. Die Auszahlungen sollten größtenteils an
wirtschaftliche Reformen geknüpft werden. Zur Unterstützung der
tunesischen Küstenwache und des Grenzschutzes einigte man sich auf eine
Soforthilfe in Höhe von 105 Mio. EUR. Darüber hinaus wurden in der
Vereinbarung 900 Mio. EUR an makroökonomischer Unterstützung
vorgeschlagen - an der Bedingung geknüpft, dass Tunesien ein
Finanzierungsprogramm mit dem Internationalen Währungsfonds unterzeichnet
- sowie 150 Mio. EUR an direkter Budgethilfe.
Die EU und Tunesien einigten sich der
Absichtserklärung zufolge insbesondere auf:
- Eine
Verbesserung der Koordinierung von Such- und Rettungseinsätzen auf
See und die Durchführung wirksamer Maßnahmen zur
Bekämpfung der Schleusung von Migrant:innen und des Menschenhandels
sowie die Reduzierung der Überfahrten über das Mittelmeer;
- Unterstützung
der EU für Tunesien im Bereich des Grenzmanagements (insb. durch
finanzielle Unterstützung und Bereitstellung von Ausrüstung,
Ausbildungsmaßnahmen usw.);
- Eine
Verbesserung der Rückführungen und Rückübernahmen von
tunesischen Staatsangehörigen aus der EU;
- Eine
Unterstützung der Rückkehr irregulärer Migrant:innen aus
Tunesien in ihre Herkunftsländer;
- Die
Förderung von legalen Wegen der Migration, z.B. durch saisonale
Beschäftigungsmöglichkeiten oder Erleichterungen der
Visaerteilung.
Die Absichtserklärung an sich war von Anfang an sehr
umstritten: Erstens ist an der Spitze Tunesiens eine autoritäre Regierung
und steht Korruption an der Tagesordnung. Das Land hat kein funktionierendes
Asylsystem und steht seit Jahren aufgrund seines gewalttätigen Umgangs mit
Schutzsuchenden und Migrant:innen in der Kritik. Zweitens stieg seit Juli 2023
die Anzahl an Überfahrten und reisten in den letzten Woche tausende
Migrant:innen und Asylsuchende von Sfax nach Lampedusa. Allein im Juli 2023 kamen
ähnlich viele Menschen in Italien an wie im Juli 2015, rund 22.000
Personen (2). Drittens ist der Deal wenig konkret, es heißt, viele Punkte
der Kooperation müssen noch verhandelt werden. Schlussendlich kam es in
letzter Zeit zu einigen Eklats zwischen Tunesien und der EU: So wurde der
Besuch einer Delegation der Europäischen Kommission verschoben, die die
Details des Migrationsabkommens erörtern sollte. Weiters lehnte der
tunesische Präsident Kais Anfang Oktober EU-Gelder in Höhe von 127
Mio. EUR ab - seinen Angaben nach würde sich die EU nicht an die
Einigungen des Abkommens halten. Zeitgleich betonte der tunesische
Innenminister, Tunesien könne unter keinen Umständen als Grenzschutz
für andere Länder dienen (3, 4). Aufgrund der Spannungen zahlte
Tunesien der EU 60 Millionen Euro Haushaltshilfe zurück, man nehme
"nichts an, was Gnaden oder Almosen ähnelt", so der tunesische
Präsident Kais Saied (5).
Es bleibt daher sehr unklar, was die konkreten
Rahmenbedingungen des Deals zwischen der EU und Tunesien sind. Weiters ist
stark zu bezweifeln, dass Tunesien angesichts der Vorkommnisse vergangener
Wochen ein verlässlicher Partner ist. Nicht zuletzt stellen sich auch
menschenrechtliche Fragen hinsichtlich des Umgangs Tunesiens mit Asylsuchenden
und Migrant:innen.
- https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_3887
- https://orf.at/stories/3329160/
- https://www.derstandard.at/story/3000000187105/europas-br252chiger-deal-mit-tunesien
- https://orf.at/stories/3333324/
- https://www.tagesschau.de/ausland/europa/tunesien-eu-migrationspakt-rueckzahlung-100.html
Die unterfertigten Abgeordneten
stellen daher folgende
Anfrage:
- Welche Position vertraten Sie jeweils
wann und vertreten Sie nun hinsichtlich des - bis dato offensichtlich
nicht funktionierenden - Migrationsabkommens zwischen der EU und Tunesien?
- Mit welcher Begründung?
- Waren Sie bzw. Ihr Ressort in die
Ausarbeitung der Absichtserklärung bzw. des Migrationsabkommens
zwischen der EU und Tunesien oder in diesbezüglichen Verhandlungen,
Konsultationen und/oder Arbeitsgruppen auf EU-Ebene involviert?
- Wenn ja, wann?
- Wenn ja, inwiefern?
- Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
- Wenn ja, wofür haben Sie sich
eingesetzt?
- Haben Sie bzw. Ihr Ressort Einblicke
in den gegenwärtigen Status Quo des Migrationsabkommens zwischen der
EU und Tunesien?
- Wenn ja, wie ist der Status Quo?
- Welche Daten und Informationen stehen
Ihnen bzw. Ihrem Ressort hinsichtlich des Standes des Migrationsabkommens
zwischen der EU und Tunesien zur Verfügung?
- Inwiefern hat sich wer in Ihrem
Ressort um welche Schritte hinsichtlich der Absichtserklärung bzw.
des Migrationsabkommens zwischen der EU und Tunesien engagiert bzw.
eingebracht?
- Mit welchem Ergebnis?
- Wurden die konkreten Zielsetzungen und
die konkreten Bedingungen des Abkommens seit Juli 2023 konkretisiert?
- Wenn ja, inwiefern?
- Wie lauten die konkreten
Zielsetzungen und Bedingungen des Abkommens?
- Auf welcher Rechtsgrundlage basiert
das Migrationsabkommen zwischen der EU und Tunesien?
- Wer prüfte inwiefern die
Einhaltung der Menschenrechte durch Tunesien vor Abschluss der
Absichtserklärung bzw. des Migrationsabkommens zwischen der EU und
Tunesien?
- Ist die Einhaltung der Menschenrechte
(expliziter) Teil des Abkommens?
i. Was wurde hinsichtlich des Umgang Tunesiens mit
Migrant:innen und Schutzsuchenden ausgemacht?
- Wie wird die Einhaltung der
Menschenrechte im Rahmen des Deals sichergestellt?
- Ist im Rahmen des Abkommens ein
unabhängiger Monitoring-Mechanismus zur Überprüfung der
Einhaltung der Menschenrechte vorgesehen?
- Unter welchen Bedingungen käme es
zu einer Aufhebung bzw. Annullierung des Abkommens?
- Wie steht es zum Zeitpunkt der Anfrage
um die Umsetzung des Migrationsabkommens zwischen der EU und Tunesien?
- Welche Aspekte werden seitens welcher
Parteien eingehalten, welche nicht?
- Wie oft kam es zu einer Nichteinhaltung
der Absichtserklärung bzw. Migrationsabkommens zwischen der
EU und Tunesien
- durch Tunesien?
i. Wann?
ii. Was wurde nicht eingehalten?
iii. Mit welcher Konsequenz?
- durch die EU bzw. deren
Mitgliedstaaten?
i. Wann?
ii. Was wurde nicht eingehalten?
iii. Mit welcher Konsequenz?
- Inwiefern trug der
Absichtserklärung bzw. das Migrationsabkommen seit Juli 2023 dazu
bei:
- die Koordinierung von Such- und
Rettungseinsätzen auf See und die Durchführung wirksamer
Maßnahmen zur Bekämpfung der Schleusung von Migrant:innen und
des Menschenhandels zu verbessern?
i. Welche Daten stehen diesbezüglich zur Verfügung?
- die Anzahl an Überfahrten
über das Mittelmeer zu reduzieren?
i. Welche Daten stehen diesbezüglich zur Verfügung?
- Tunesien im Bereich des
Grenzmanagements zu unterstützen?
i. Welche Daten stehen diesbezüglich zur Verfügung?
- die Rückführungen und
Rückübernahmen von tunesischen Staatsangehörigen aus der
EU zu verbessern?
i. Welche Daten stehen diesbezüglich zur Verfügung?
- die Rückkehr irregulärer
Migrant:innen aus Tunesien in ihre Herkunftsländer zu
unterstützen?
i. Welche Daten stehen diesbezüglich zur Verfügung?
- legale Wegen der Migration, z.B.
durch saisonale Beschäftigungsmöglichkeiten oder
Erleichterungen der Visaerteilung zu fördern?
i. Welche Daten stehen diesbezüglich zur Verfügung?
- Erhielt Tunesien im Rahmen der
Absichtserklärung bzw. Migrationsabkommens bereits Finanzierungen?
- Wenn ja, in welcher Höhe?
- Wenn ja, über welche
Finanzinstrumente?
- Wenn ja, welchen Anteil der Kosten
trug Österreich?
- Waren Sie bzw. Vertreter:innen Ihres
Ressorts mit Ihrem tunesischen Amtskollege bzw. Vertreter:innen Tunesiens
im Austausch
- hinsichtlich der
Absichtserklärung bzw. des Migrationsabkommens zwischen der EU und
Tunesien?
- hinsichtlich der Asyl- und
Migrationspolitik?
- hinsichtlich der Behandlung von
Asylsuchenden und Migrant:innen durch Tunesien?
- Zu 11.a. bis 11.c.: Wenn ja, welche
Positionen vertraten bzw. vertreten Sie jeweils?