17072/J XXVII. GP
Eingelangt am 05.12.2023
Dieser Text ist elektronisch
textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Christian Oxonitsch, Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Push-Backs unter ÖVP-Innenministern an der Tagesordnung?
Das Non-Refoulement-Gebot ist fest im internationalen Recht verankert und soll Menschen vor Rückweisungen in Länder schützen, in denen diese mit ernsthaften Risiken und Gefahren konfrontiert sind. Zurückweisungen bzw. Abschiebungen von schutzsuchenden Personen, bevor diese die Möglichkeit erhalten haben einen Asylantrag zu stellen, widersprechen diesem Gebot. Sogenannte „Push-Backs" stellen also eine klare Verletzung der Menschenrechte dar und sind unzulässig. Trotzdem stehen illegale Zurückweisungen an der europäischen Außengrenze auf der Tagesordnung: Das „Black Book of Push-Backs“ dokumentierte für die Jahre 2021 und 2022 über 15.000 entsprechender Fälle.
Am 21.11.2023 implizierte eine ÖVP Nationalratsabgeordnete in ihrer Rede, dass unter Innenminister Karner illegale Push-Backs angeordnet würden[1]: Während unter Innenminister Kickl kein einziger Push-Back angeordnet wurde, treibe die Volkspartei die Dinge voran, so die Abgeordnete. Nachdem medial auf die Rechtswidrigkeit dieser Zurückweisungen hingewiesen wurde, distanzierte sie sich in Form einer „Richtigstellung“[2] von ihren eigenen Aussagen und stellte klar, entsprechende Push-Backs nicht zu befürworten. Es geht aber weniger um die Einschätzung der Abgeordneten, als vielmehr um den Umstand, dass sie insinuierte, dass es hinsichtlich der rechtswidrigen Praxis von Push-Backs eine gängige Praxis gäbe, die weiter reichen würde als unter der FPÖ. Ein Umstand, der unabhängig von der „Richtigstellung“, so nicht zur Kenntnis genommen werden kann.
Tatsächlich stellen illegale Push-Backs unter ÖVP-Innenministern aber alles andere als eine Ausnahme dar. Ein im Juli 2022 höchstgerichtlich bestätigtes Urteil des LVG Steiermark stellt fest, dass Push-Backs in Österreich „teilweise methodische Anwendung finden“, Innenminister Karner hat seine Unwissenheit im Bereich von Zurückweisungen bei mehreren Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht. So sagte er etwa am 31.7.2023, dass Push-Backs nur dann illegal seien, wenn diese unter Gewaltanwendung erfolgen. Dass es sich dabei um eine völlig falsche Wiedergabe der Rechtslage handelt, wurde von der Fachwelt unmittelbar richtiggestellt.[3] Einige Monate zuvor forderte Karner eine neue EU-Richtlinie, die Zurückweisungen von Schutzsuchenden ohne Asylverfahren ermögliche.[4] Dass die „Legalisierung“ entsprechender Push-Backs die Kündigung der Genfer Flüchtlingskonvention voraussetzt, scheint man im BMI in Kauf zu nehmen.
Die kürzlich getätigten Aussagen der ÖVP-Abgeordneten reihen sich jedenfalls in einen mehr als fragwürdigen Zugang der Volkspartei zu illegalen Push Backs ein. Der Innenminister ist aufgefordert, die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention durch die österreichische Exekutive sicherzustellen und sich umfassend zur europäischen Menschenrechtskonvention zu bekennen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1. Haben Sie, wie von der ÖVP-Abgeordneten am 21.11.23 impliziert, seit Ihrer Angelobung am 6.12.2021 die Zurückweisung von in Österreich ankommenden Personen angeordnet?
a. Wurden entsprechende Weisungen erteilt?
b. Wurden entsprechende Anordnungen/Weisungen innerhalb der neun Landespolizeidirektionen erteilt?
c. Wo wurden diese Personen konkret zurückgewiesen? Geben Sie bitte die konkrete Stelle, die Anzahl der Personen und die Umstände, unter denen die Zurückweisungen durchgesetzt wurden, an.
2. Aus der Anfragebeantwortung 9375/AB ergibt sich, dass im BMI offenbar Aufzeichnungen zu erfolgten Zurückweisungen angefertigt werden (Frage 9). Wie viele Aufgriffe und wie viele Zurückweisungen von in Österreich ankommenden Personen wurden in den Jahren 2022 und 2023 durchgeführt? (Bitte um Aufschlüsselung nach Monat, Landespolizeidirektion und Herkunftsland der zurückgewiesenen Personen)
a. Wie viele der aufgegriffenen und wie viele der zurückgewiesenen Personen waren minderjährig?
b. Wie viele der aufgegriffenen Personen haben im Anschluss einen Asylantrag gestellt?
3. Im Jänner 2023 forderte Innenminister Karner im Rahmen eines Bulgarien Besuchs eine Anpassung der europäischen Rechtslage, die das Zurückweisen von in Österreich ankommenden Personen ohne Asylverfahren ermöglicht. Expert:innen sind sich einig, dass entsprechende Zurückweisungen weder mit der europäischen Menschenrechtskonvention noch mit der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar sind.[5] Wie gedenken Sie Ihre Forderung mit der widerstrebenden Rechtslage in Einklang zu bringen?
a. Gibt es Ihrerseits Bestrebungen, die europäische Menschenrechtskonvention abzuändern?
b. Gibt es Ihrerseits Bestrebungen, die darauf abzielen, dass sich Österreich als Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention zurückzieht bzw. das Abkommen gem. Artikel 44 kündigt?
c. Stehen Sie dahingehend in Kontakt mit der Verfassungsministerin, dem Bundeskanzler bzw. dem Koalitionspartner?
4. Im vom Verwaltungsgerichtshof im Juli 2022 bestätigten Urteil des LVG Steiermark[6] wird festgestellt, dass „Push-Backs in Österreich teilweise methodische Anwendung finden“.
a. Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um die teilweise methodische Anwendungen von illegalen Push-Backs in Ihrem Ressort zu unterbinden?
5. Am 28. September 2020 waren mehrere Beamte der LPD Steiermark am rechtswidrigen Push-Back des Marokkaners Ayub N. beteiligt. Wenige Monate später führten dieselben Beamten eine weitere rechtswidrige Zurückweisung des Somaliers Amin N. durch.
ln der Anfragebeantwortung 9375/AB[7] wurde angegeben, dass die Notwendigkeit von disziplinarrechtlichen Schritten gegen die beteiligten Beamten erst nach Abschluss des Revisionsverfahrens beurteilt werden kann. Das Revisionsverfahren ist mittlerweile abgeschlossen und bestätigte die Rechtwidrigkeit der Zurückweisungen.
a. Wurden nach Abschluss des Revisionsverfahrens disziplinarrechtliche Schritte gegen die beteiligten Beamten eingeleitet?
i. Falls ja: Welche?
ii. Falls nein: Warum nicht?
b. Wurden die an den Zurückweisungen beteiligten Beamten über die Rechtswidrigkeit ihrer Handlungen aufgeklärt?
c. Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um die wiederholte Durchführung illegaler Push-Backs in der LPD Steiermark zu unterbinden.
d. Werden die an den Zurückweisungen beteiligten Beamten weiterhin zu Zwecken der Grenzsicherung eingesetzt?
6. Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um die von rechtswidrigen Push-Backs betroffenen Personen Ayub N. und Amin N. zu entschädigen?
a. Haben Sie sich im Namen der österreichischen Polizei für das rechtswidrige Fehlverhalten entschuldigt?
7. Am 31.7.2023 irritierte Innenminister Karner mit der Aussage, Push-Backs seien nur dann rechtswidrig, wenn diese unter Gewaltanwendung erfolgen. Angesichts dessen, dass die oben erwähnte Zurückweisung des Somaliers Amin N, ohne Gewaltanwendung erfolgte und vom LVG Steiermark als rechtswidrig erkannt wurde, handelt es sich hierbei um eine völlig falsche Aussage, mit der Polizist:innen zur Wiederholung von rechtswidrigen Handlungen ermutigt werden.
a. Ist es nach Ihrer Ansicht legal, eine Person trotz gestelltem Asylantrag ohne Behandlung und Erledigung dieses Antrags in ein anderes Land zurückzuweisen, wenn diese Zurückweisung „ohne Gewaltanwendung" passiert?
b. Haben Sie eine ressortiere Klarstellung veranlasst, die österreichische Polizeibeamte darauf hinweist, dass Push-Backs auch ohne Gewaltanwendung rechtswidrig sein können?
8. Gemäß der Entscheidung des EuGH zu C-143/22 sind Zurückweisungen von Drittstaatsangehörigen an den EU-Binnengrenzen regelmäßig rechtswidrig. Die in der öffentlichen Diskussion immer als Haupteffekt von Binnengrenzkontrollen geschilderte Folge der geringeren Anzahl von Einreisen können also mit diesen Kontrollen nicht rechtmäßig erreicht werden.
a. Zu welchen Nachbarländern führt Österreich derzeit Binnengrenzkontrollen durch?
i. Was ist der Grund für diese Binnengrenzkontrollen?
b. Wie viele Drittstaatsangehörige wurden seit 2020 von Deutschland an Österreich zurückgewiesen? Wie viele wurden von Österreich aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens zurückgenommen? Bitte um Auflistung nach Herkunftsland, Monat und Grund der Rücknahme.
c. Wurde diese Praxis aufgrund des EuGH-Urteils geändert?
i. Wenn ja, wie? Gab es dazu Kontakt mit den deutschen Behörden und Ministerien? Wenn ja, mit welchem Ergebnis,
ii. Wenn nein, warum nicht?
9. Es sind österreichische Polizist:innen in Ungarn im Rahmen der Operation Fox tätig. Bislang gab es 29 Asylanträge in Ungarn, aber über 100.000 Aufgriffe. Dem BMI ist bekannt, dass es Rückführungen von Ungarn nach Serbien gibt.
a. Wie viele Rückführungen gibt es von Ungarn nach Serbien? Bitte um Aufschlüsselung pro Tag seit 01.01.2023, nach Herkunftsland
b. Sind österreichische Polizist:innen in diese Tätigkeit involviert? Wenn ja, in welcher Form? Gibt es hier Verpflichtungen zur Dokumentation?
c. Wie sind die Anforderungen an Österreichische Polizist:innen, wenn sie ein Asylgesuch auf ungarischen Boden hören? Welche Schritte sind daraufhin einzuleiten?
i. Wie läuft hier die Dokumentation?
d. Gibt es die Möglichkeit für die Betroffenen einen Antrag auf internationalen Schutz in Ungarn zu stellen? Wenn ja, wie?
e. Werden die österreichischen Beamt:innen geschult, wie auf die Stellung eines Asylantrags in Ungarn zu reagieren ist? Wenn ja, in welcher Form?
f. Gibt es Mitwirkung österreichischer Beamt:innen bei Rückführungen von Ungarn und Serbien?'
g. Was ist der Grund für den starken Rückgang der Rückführungen von Ungarn nach Serbien im Herbst 2023?
[1] https://www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/XXVII/NRSITZ/239?DEBATTE=4&DEBATTE_TEIL=1&TS=1700591616
[2] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20231123_OTS0182/richtigstellung-von-abg-scharzenberger-gegenueber-vorwuerfen-von-sos-balkanroute
[3] https://orf.at/stories/3325792
[4] https://www.profil.at/ausland/migration-zurueckweisen-aber-wie/402309776
[5] https://www.derstandard.at/story/2000142837834/karner-will-eu-richtlinie-um-ankommende-ohne-asylverfahren-zurueckzuweisen
[6] https://www.derstandard.at/story/2000136405274/verwaltungsgerichtshofbestaetigt-pushback-nach-slowenien-war-rechtswirdgig
[7] https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/9375/imfname_1434325.pdf