17391/J XXVII. GP
Eingelangt am 15.12.2023
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ANFRAGE
der Abgeordneten Petra Steger
an den Bundeskanzler
betreffend EU-Beitrittsperspektive für den Kosovo
Besonders skurril dabei ist, dass diese Linie auch von der österreichischen Bundesregierung mitgetragen und sogar unterstützt wird. Ein Vorstoß von Bundeskanzler Nehammer sticht dabei besonders heraus: Mitte Dezember 2022 betonte er die „klare EU-Beitrittsperspektive“ für den Kosovo. Weiters wird die Stabilität am Westbalkan als ureigenstes Interesse für Österreich bezeichnet.
Es erscheint jedoch mehr als fraglich, wie der EU-Beitritt eines Landes, dessen Unabhängigkeit völkerrechtlich völlig umstritten ist, zu mehr Stabilität am Westbalkan führen soll. Der Kosovo wird nämlich von mindestens 78 UN-Mitgliedstaaten nicht als eigenständig, sondern als serbische Provinz angesehen. Darunter befinden sich wichtige globale Player wie China, Russland, Indien und Brasilien sowie die fünf EU-Staaten Spanien, Griechenland, Rumänien, Slowakei und Zypern. Auch die Mehrheit der aktuellen EU-Beitrittskandidaten erkennt die Unabhängigkeit des Kosovos nicht an.
Des Weiteren muss erwähnt werden, dass von den 115 UN-Nationen, die den Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt haben, immer mehr Anerkennungen wieder zurückgezogen werden. So teilte etwa der serbische Außenminister Ivica Dačić im März 2020 mit, dass mittlerweile 18 Staaten ihre vormalige Anerkennung widerrufen hätten und damit weniger als die Hälfte der UN-Staaten das „Territorium“ des Kosovo als unabhängig betrachten würden. Um diesen rasanten Aberkennungstrend temporär zu stoppen, unterzeichneten im September 2020 Vertreter des Kosovos mit Vertretern Serbiens ein Abkommen, in dem Serbien sich verpflichtete, für ein Jahr seine Kampagne zur Aberkennung des Kosovos zu stoppen. Der Kosovo sicherte im Gegenzug dafür zu, ein Jahr lang keine Mitgliedschaft in internationalen Organisationen zu beantragen.
Diese Frist ist mittlerweile abgelaufen und gerade in den letzten Monaten ist eine zunehmende Spannung zwischen Serbien und dem Kosovo zu beobachten: Von Streitigkeiten um Autokennzeichen und Ausweispapieren bis hin zu Anschlägen und Ausschreitungen mit Schusswechseln. Zuletzt versetzte Serbien seine Armee in höchste Alarmbereitschaft und schloss den größten Grenzübergang zum Kosovo vorübergehend. Die gewalttätigen Ausschreitungen rund um die Kommunalwahlen im Kosovo veranlassten die NATO sogar dazu, die KFOR-Truppe um 700 Soldaten aufzustocken.
Vor diesem Hintergrund sind die beschriebenen Aussagen des Bundeskanzlers mehr als irritierend und alarmierend. Gerade in der jetzigen Situation ist eine EU-Beitrittsperspektive für den Kosovo völlig undenkbar und würde die Stabilität am Westbalkan im hohen Maße gefährden.
In diesem Zusammenhang stellt die unterfertigte Abgeordnete an den Bundeskanzler nachstehende
Anfrage
1. Sprechen Sie sich trotz der zunehmenden Spannungen nach wie vor für eine „klare Beitrittsperspektive“ für den von mindestens 78 UN-Mitgliedstaaten (darunter fünf EU-Staaten) nicht anerkannten Kosovo aus?
a. Wenn ja, für wie realistisch halten Sie diese „klare EU-Beitrittsperspektive“?
b. Wenn ja, wie kann sich die EU-Aufnahme eines völkerrechtlich umstrittenen Staates, auf den Serbien Anspruch erhebt, positiv auf die Stabilität am Westbalkan auswirken?
c. Wenn nein, wieso haben Sie Ihre Position diesbezüglich geändert?
d. Wenn nein, würden Sie Ihre Aussage, wonach es für den Kosovo eine „klare EU-Beitrittsperspektive“ geben müsse, als Fehler bezeichnen?
2. Wie ist es möglich, einen Staat in die EU aufzunehmen, dessen Unabhängigkeit von fünf EU-Mitgliedsstaaten nicht anerkannt wird?
a. Macht dieser Aberkennungstrend eine EU-Mitgliedschaft des Kosovos unwahrscheinlicher oder ist dies irrelevant?
4. Wie bewerten Sie die zunehmenden Spannungen im Kosovo, die sogar die Nato dazu veranlasst hat, die KFOR-Truppe um 700 Soldaten aufzustocken?
a. Inwiefern sind die 281 österreichischen Soldaten, die im Kosovo im Einsatz sind, von den Unruhen betroffen?
b. Ist es vorstellbar, dass bei einer weiteren Zunahme der Spannungen auch das österreichische Truppenkontingent im Kosovo aufgestockt wird?
c. Ist es vorstellbar, dass bei einer weiteren Zunahme der Spannungen die österreichischen Truppen im Kosovo abgezogen werden?
5. Haben Sie in den letzten Monaten Vermittlungsgespräche mit Vertretern anderen Staaten rund um den Kosovo geführt?
a. Wenn ja, wann haben Sie diese Gespräche geführt?
b. Wenn ja, mit wem haben Sie diese Gespräche geführt?
c. Wenn ja, welche Position haben Sie in den Gesprächen eingenommen?
d. Wenn ja, welches konkrete Ziel haben Sie in den Gesprächen verfolgt?
e. Wenn nein, wieso nicht?
f. Wenn nein, wurden von Ihnen Vermittlungsgespräche angeboten?
6. Gibt es weitere völkerrechtlich umstrittene Staaten bzw. Territorien, für die Sie eine „klare EU-Beitrittsperspektive“ sehen?
a. Wenn ja, um welche Staaten bzw. Territorien handelt es sich?