17410/J XXVII. GP

Eingelangt am 20.12.2023
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Anfrage

der Abgeordneten Mag. Yannick Shetty, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend Kultureller Imperialismus in chinesischen Zwangsinternaten in Tibet

 

Als die neu gegründete Volksrepublik China in den Jahren 1950-51 das zu jener Zeit unabhängige Tibet annektierte, glaubte die kommunistische Diktatur, die Menschen in Tibet würden sich schnell an die Lebensweise der Han-Chinesen anpassen. Dieses hegemonistische Denken wurde jedoch von Minderheiten quer durch das nun kommunistische China Lügen gestraft. Tibeter:innen aber auch Uiguren, Kasachen et al. verteidigten standhaft ihre Sprache, Religion, Lebensart – ihre Kultur.

Hatte Peking Tibet zuerst noch ein Maß an Autonomie gewährt, wurde über die Jahre die "Überzeugungsarbeit" des Regimes immer repressiver und brutaler. International haben vor allem die Unterdrückung der Uiguren und der Tibeter dank des friedlichen Widerstandes in Ost-Turkestan und Tibet, sowie der unermüdlichen Arbeit von Aktivist:innen, akademischen Forscher:innen, Medien und NGOs traurige Berühmtheit erlangt. Umerziehungslager, Zwangsarbeit, das Verbot der Sprache und der Ausübung der Religion, bis hin zu Sterilisation lassen internationale Expert:innen bereits von einem Genozid Chinas im besetzten Tibet sowie gegen seine Minderheiten sprechen.

Während die Uiguren in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit erlangten, auch weil europäische Firmen von der chinesischen Regierung gedrängt wurden, in Xinjiang zu investieren und dadurch auch potentiell Zwangsarbeiter:innen beschäftigten, erhielt Tibet wenig internationaler Aufmerksamkeit. In China jedoch geht die Zwangsassimilierung der Tibeter:innen ungebrochen weiter. Die Regierung in Peking mischt sich in die Auswahl des nächsten Dalai Lama, des religiösen Oberhaupts Tibets, ein und verweigert den religiösen tibetischen Organisationen ihre eigenen Entscheidung. Bereits 1995 ließ die chinesische Regierung den zweithöchsten Würdenträger im tibetischen Buddhismus verschwinden und installierte ihren eigenen “Panchen Lama.” Damit soll Religion politisiert und in den Dienst der Zwangsassimilierung gestellt werden. Auch wird Tibet in China kaum mehr bei seinem angestammten Namen, sondern nur mehr bei der sinisierten Form "Xizang" genannt.

Besonders repressiv geht das Regime aber in der Erziehung von tibetischen Kindern vor. Mehr als eine Million junge Tibeter:innen sollen laut den Berichten von Menschenrechtsorganisationen bereits in Zwangsinternaten zu regimetreuen Han-Chines:innen erzogen worden sein. Der Geschäftsführer der International Campaign for Tibet Deutschland, Kai Müller, etwa erklärte dem ZDF: "Wir fürchten, dass die tibetische Kultur im Ergebnis ausgelöscht wird." Was von Tibet bleiben wird ist "eine Art Disneyland von schön aussehenden Tempeln, von Kunst. Aber die Kultur wird nicht mehr gelebt. Das wäre sehr tragisch." (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/un-china-tibet-tibetische-kinder-zwangsinternate-100.html)

Der Exil-Tibeter und Soziologe Gyal Lo schreibt in der New York Times (https://www.nytimes.com/2023/09/15/opinion/china-tibet-boarding-school.html) dass seine beiden jungen Großnichten im Alter von vier und fünf Jahren nach kurzer Zeit im Zwangsinternat bereits völlig von ihren Familien entfremdet sind, kein Tibetisch mehr sprechen und ihren Eltern bei Besuchen zu Hause aus dem Weg gehen. Schulbildung, so Gyan Lo, wurde von den chinesischen Herrschern zum Schlachtfeld um politische Kontrolle gemacht.

Da die chinesische Regierung bereits 2012 damit begonnen hat, lokale Schulen zu schließen (und das private Unterrichten der tibetischen Sprache zu verbieten), bleibt das Internat oft die einzige Schule und ist bereits im Vorschulalter zwingend. Eltern sehen ihre Kinder manchmal nur alle sechs Monate. Die Verwendung der tibetischen Sprache ist verboten, alle Schulbücher sind Einheitsware aus dem kommunistischen Bildungsministerium.

Die neoimperialistische Praxis der Zwangsassimilierung von Kindern in Internaten ist international letztendlich ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Im Sommer dieses Jahres erklärte der U.S. Außenminister Antony Blinken, man werde Chines:innen, die an der Zwangsassimilierung von tibetischen Kindern beteiligt sind, keine Visa mehr in die USA gewähren. Auch in Österreich sollte diese Vorgehensweise nicht mehr unbekannt sein. Die Kronen Zeitung (https://www.krone.at/2923312) berichtete darüber im Februar dieses Jahres.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Sind dem Außenministerium die Berichte über Zwangsinternate, oder „coercive residential schools,“ für tibetische Schüler:innen bekannt?
    1. Wenn ja seit wann?
    2. Wie schätzt das BMEIA diese Berichte ein? Gibt es Nachforschungen vor Ort durch die Bundesregierung oder die österreichische Vertretung in China zu diesen Berichten?
  1. In der Einschätzung des BMEIA, würden derartige Schulen
    1. eine Verletzung des international anerkannten Selbstbestimmungsrechts des tibetischen Volkes darstellen?
    2. eine Verletzung der U.N. Kinderrechtskonvention darstellen?
    3. eine Verletzung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte darstellen?
    4. eine Verletzung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung darstellen?
    5. andere Formen von Verletzungen internationalen Rechts darstellen?
  1. Der Außen- und Europapolitische Bericht 2022 ist aufgrund von Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Koalitionspartnern heuer noch immer nicht dem Nationalrat zur Debatte vorgelegt worden. Ist davon auszugehen, dass aufgrund der prekären und sich deutlich verschlechternden Menschenrechtssituation in Tibet und anderen von Minderheiten bewohnten Regionen Chinas die 2018 begründete „freundschaftliche strategische Partnerschaft“ mit China nicht länger das Leitbild der österreichisch-chinesischen Beziehungen darstellt?
  2. Hat das BMEIA die Frage von Zwangsinternaten zur unfreiwilligen kulturellen Assimilation von Kindern einer ethnischen Minderheit bereits auf bilateraler Ebene mit China oder auf multilateraler Ebene, z.B. im Rahmen der Vereinten Nationen, besprochen?
    1. Wurde spezifisch Tibet als besetztes Gebiet angesprochen? Wenn ja, was war die Reaktion?
  1. Fließen die Berichte über diese Schulen und verwandte Verletzungen kultureller Rechte des tibetischen Volkes in die österreichische Chinapolitik ein?
    1. Wenn ja, wie?
  1. Hat Österreich die Berichte über diese Schulen und verwandte Verletzungen kultureller Rechte der tibetischen Volksgruppe in der Europäischen Union, z.B. bei der Erstellung der europäischen Chinapolitik, thematisiert?
    1. Wenn ja, wann und in welcher Weise?
    2. Hat Österreich eine Debatte über derartige Schulen im Rahmen des EU-China Gipfel eingefordert? Wenn ja, mit welchem Resultat?
  1. Ist dem Bundesministerium die Resolution des Wiener Gemeinderates „Tibet nicht vergessen – Unterstützung für die Rechte des tibetischen Volkes und Bewahrung ihrer kulturellen Identität“ (29.11.2023 ) bekannt? Gab es dazu Reaktionen der chinesischen Regierung bzw. der Vertretung in Wien?
    1. Wenn ja, wann und welche?
  1. Andere Staaten und die Vereinten Nationen haben die Zwangsinternate bereits verurteilt. Wird die österreichische Bundesregierung dies ebenfalls tun?
  2. Welche Schritte plant das BMEIA, um der Aufforderung des Europäischen Parlaments in der Entschließung “Entführung tibetischer Kinder und Praktiken der Zwangsassimilation in chinesischen Internatsschulen in Tibet" (https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2023-0510_DE.html) an die Mitgliedstaaten nachzukommen, Visabeschränkungen gegen chinesische Amtsträger zu verhängen, die mit dem System der Internatsschulen in Tibet in Verbindung stehen?
  3. Welche Schritte plant das BMEIA, um der Aufforderung des Europäischen Parlaments an die Mitgliedstaaten in der in der obengenannten Entschließung nachzukommen, von der chinesischen Regierung zu verlangen, "europäischen Diplomaten Visa auszustellen, damit sie in ganz Tibet Internatsschulen besuchen können, sowie unabhängigen Journalisten und internationalen Beobachtern die Einreise in die Region zu gestatten und von der Verbreitung von Falschmeldungen abzusehen"?
  4. Ist es vorgesehen, dass sich die Bundesregierung den Empfehlungen des UN-Ausschusses für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (CESCR) und des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW), in denen die Volksrepublik China aufgefordert wird, diese Zwangsinternate in Tibet unverzüglich abzuschaffen anschließt?
  5. Ist es vorgesehen, dass sich Österreich bei der bevorstehenden allgemeinen regelmäßigen Überprüfung Chinas im Januar 2024 für die unverzüglich Abschaffung einsetzen wird, sowie vorab an die chinesische Regierung die Frage zu stellen, ob die Volksrepublik China beabsichtigt, die Empfehlungen der jüngsten UN-Überprüfungen von
    CESCR und CEDAW umzusetzen und diese Schulen unverzüglich abzuschaffen?
  6. Wird die österreichische Bundesregierung ihre Besorgnis über Zwangsinternate in Tibet in einer Erklärung vor dem Menschenrechtsrat zum Ausdruck bringen?
  7. Welche weiteren Schritte plant die Bundesregierung, um Menschenrechtsverletzungen in China, und insbesondere die kulturelle Assimilierung in Zwangsinternaten zu thematisieren?