17418/J XXVII. GP

Eingelangt am 21.12.2023
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Christian Oxonitsch,

Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung

betreffend „Sonderpädagogischer Förderbedarf (SPF) in den Finanzausgleichsverhandlungen"

Im Bereich des sonderpädagogischen Förderbedarfs zeigen sich in Österreich erhebliche regionale Unterschiede und strukturelle Defizite, die während der kürzlich abgeschlossenen Verhandlungen zum neuen Finanzausgleich ab 2024 dringend einer umfassenden Überarbeitung bedurft hätten, jedoch nur wenig beachtet wurden. Eine vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Auftrag gegebene Studie wurde einen Tag nach Abschluss der Verhandlungen am 22.11.2023 veröffentlicht. Die Ergebnisse dieser Studie hätten dazu beitragen können, die spezifischen Missstände im Bereich des sonderpädagogischen Förderbedarfs genauer zu benennen und entsprechende Gegenmaßnahmen zu verhandeln.

Die genannte Studie verdeutlicht erneut erhebliche Unterschiede in der Vergabepraxis des sonderpädagogischen Förderbedarfs. Beispielsweise wird in Salzburg 6,7 % der Pflichtschüler*innen SPF zugesprochen, wohingegen es in Tirol nur 2,4 % sind. Die Studie zeigt, dass Tirol möglichst wenig Kindern SPF attestieren will und möglichst inklusive Strategien verfolgt. Bei mehr als 12,8 % der Schüler*innen wurde im Untersuchungszeitraum der Studie eine Verhaltensauffälligkeit dokumentiert, die jedoch beispielsweise in Wien nicht zu einem sonderpädagogischen Förderbedarf führt. Somit gibt es auch hier unterschiedliche Vorgehensweisen. Ebenso sind geschlechtsspezifische Unterschiede erkennbar. Buben werden um fast 2 % häufiger mit SPF eingestuft als Mädchen. Wie bereits vom Rechnungshof 2019 aufgezeigt wurde[1], zeigt auch diese Studie erneut den hohen Anteil an Kindern in der Gruppe des SPF die Deutsch nicht als Umgangssprache verwenden. Es sind fast 2 % mehr. Diese Überrepräsentation deutet möglicherweise darauf hin, dass aufgrund von Sprachbarrieren eine zu schnelle Einstufung als sonderpädagogisch förderbedürftig erfolgt.

Abgesehen von der fehlenden bundesweit einheitlichen Strategie und klaren Vorgaben für die Vergabe von sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) leidet dieser Bereich seit Jahren an Unterfinanzierung. Die bereits bestehenden Herausforderungen im Bereich der Inklusion im österreichischen Schulsystem werden durch anhaltende Unterfinanzierung zusätzlich erschwert. Die derzeitige Ressourcenzuteilung des Bundes für den Unterricht von Kindern mit SPF basiert auf einer Regelung, die 31 Jahre alt ist. Gemäß dem Finanzausgleich von 1992 stellt der Bund Ressourcen für maximal 2,7% der Pflichtschülerinnen bereit, die aufgrund körperlicher oder psychischer Einschränkungen spezielle Unterstützung benötigen. Die jüngsten Studienergebnisse verdeutlichen jedoch erneut, dass diese Grundlage unzureichend ist. Der tatsächliche Anteil der Pflichtschülerinnen mit SPF liegt bei 4,5 %. Laut Statistik Austria ist dieser Anteil sogar noch höher, nämlich bei 5,1 %. Die Verhandlungen zum Finanzausgleich 2024 hätten eine Gelegenheit darstellen können, hier dringend benötigte Verbesserungen zu erzielen.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE

1.       Welche Aspekte/Problemlagen/Themenfelder im Bereich des sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF) wurden in den Finanzausgleichsverhandlungen verhandelt und welche Veränderungen/Verbesserungen/Reformen erwarten Sie sich durch die zustande gekommenen Beschlüsse?

2.       Am 21. 11. 2023 Unterzeichneten die Verhandlungspartner*innen den Finanzausgleich 2024[2]. Einen Tag später wurden die Ergebnisse der Studie zur Vergabepraxis des sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF) veröffentlich[3], obwohl der Abschlussbericht selbst September 2023 als Abschlussdatum angibt[4].

a.       Was ist während der zwei Monate zwischen der Fertigstellung des Abschlussberichts und der Veröffentlichung der Studienergebnisse geschehen?

b.       Warum erfolgte die Veröffentlichung der Studie erst mehr als zwei Monate nach ihrer Fertigstellung?

c.        Auf welcher Wissensgrundlage haben Sie während der Verhandlungen über die Herausforderungen im Bereich des sonderpädagogischen Förderbedarfs beraten?

d.       Welche Position haben Sie zu den im SPF-Bereich identifizierten Problemlagen eingenommen?

3.       Inwiefern wurden die Unterschiede zwischen den Bundesländern in Bezug auf die Vergabepraxis des sonderpädagogischen Förderbedarfs in den Finanzausgleichsverhandlungen thematisiert?

a.     Wenn nein, warum wurde in den Verhandlungen nicht darauf eingegangen, wenn bereits 2019 der Rechnungshof[5] auf die Ungleichheiten im Vergabeprozess von SPF und allgemein die fehlende Inklusionsstrategie im österreichischen Schulsystem bemängelt hat?

4.       Große Unterschiede in der Anzahl von SPF-Vergaben hat die genannte Studie zwischen den einzelnen Bundesländern festgestellt: So wurde in Salzburg bei 6,7 % der Schüler*innen SPF vergeben, in Tirol hingegen nur bei 2,4 % der Schüler*innen.

a.       Wie erklären Sie diese Unterschiede?

b.       Welche Handlungen werden Sie setzen, um diesen Unterschieden entgegenzuwirken und möglichst einheitliche Kriterien für die Vergabe zu entwickeln?

5.       Zu Schulbeginn des Schuljahres 2022/23 wurde bei 3,4 % der Mädchen und 5,4 % der Jungen ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt. Wie beurteilen Sie dieses Ergebnis, und welche Maßnahmen planen Sie, um die Ursachen für diesen Unterschied zu untersuchen?

6.       Kindern mit nicht deutscher Umgangssprache wird fast 2% öfter sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) zugeschrieben als Kinder mit deutscher Umgangssprache. Wie bewerten Sie diese Differenz und haben Sie eine Erklärung für diesen Unterschied?

a.     Welche Maßnahmen werden Sie setzen, um diesem Unterschied entgegenzuwirken?

7.       Am 3. Oktober berichtete das Finanzministerium von 60 Sitzungen in Arbeitsgruppen mit Expert*innen[6]. Gab es in diesen Arbeitsgruppen Sitzungen, die dem Thema des sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF) gewidmet waren?

a.     Wenn ja, welche Expert*innen haben an den Sitzungen teilgenommen?

8.       Fragen zur Studie:

a.       Welche Faktoren haben dazu geführt, dass die Studie erst nach Abschluss der Verhandlungen zum Finanzausgleich 2024 veröffentlich wurden?

b.       Wann haben Sie oder Ihr Ministerium die Ergebnisse der Studie erhalten?

c.        Wurden Sie bzw. Ihr Ministerium über Zwischenergebnisse der Studie informiert?

i.       Wenn ja, wann?

ii.     Wenn ja, welche Informationen haben Sie vor der Veröffentlichung erhalten?

9.       In ihrer OTS vom 22. 11. 2023 kündigen Sie an den Unterschieden in Bezug auf die Verteilung von SPF in den Bundesländern, Geschlecht, Erstsprache und Behinderungsart nachzugehen. Darüber hinaus kündigen Sie an, bundesweit einheitliche Kriterien für die Vergabe von SPF zu schaffen sowie eine deutliche Verkürzung des Ablaufs zu erwirken. Welche konkreten Schritte setzten Sie, um diesen Zielen näher zu kommen?[7]

a.       Bitte um eine genaue Auflistung der Handlungen, die Sie gesetzt haben oder setzen werden, um die angesprochenen Problemlagen entgegenzuwirken.

b.       Welche Expert*innen/Organisationen/Institutionen wollen Sie in diesen Prozess einbeziehen?

c.        Welcher zeitliche Rahmen ist eingeplant, bis Verbesserungen/Reformen umgesetzt werden sollen?

10.    Im Abschlussbericht der Studie wird beschrieben, dass diese Studie nur als erster Schritt zur Verbesserung der Inklusionsförderung betrachtet werden kann. Welche weiteren Schritte planen Sie derzeit, um eine Verbesserung im Inklusionsbereich zu schaffen? Gibt es Pläne,

weitere Studien/Untersuchungen/Monitoringprozesse im Bereich Inklusion an Schulen durchzuführen?

11.    Die Studie zeigt abermals, dass die Bildungsdirektionen mit der Deckelung der Ressourcen bei 2,7 Prozent nicht zurechtkommen und der tatsächliche Bedarf bei 4,5% oder höher liegt.

a.     Planen Sie, diesen Deckel anzuheben?

i.       Wenn ja, welche Prozentzahlen streben sie an?

ii.      Wenn nein, warum nicht?

12.    Die Studie stellte wesentliche Limitationen in Bezug auf die Konzeption des Vergabeprozesses fest[8]. Planen Sie die Konzeption des Verfahrens auf SPF zu verändern?

a.     Wenn ja, inwiefern?

13.    Die aktuellsten verfügbaren amtlichen Daten für das Schuljahr 2021/22 zeigen eine 12,6 % höheren Anteil an Schüler*innen mit SPF als in der Studie erhoben werden konnte.[9]

a.       Welche Faktoren haben Ihrer Einschätzung nach zu dieser Differenz geführt?

b.       Haben Sie Maßnahmen ergriffen, um die Unterschiede von amtlichen Zahlen und tatsächlich betreffenden Schüler*innen entgegenzuwirken?

c.        Die größte Differenz besteht laut der Studie bei Schüler*innen, die eine Sonderschule besuchen. Wie erklären Sie sich diesen Zustand? Wie kommt es zu dieser Differenz und welche Maßnahmen wollen Sie setzen, um diese Differenz zu beseitigen.

14.    Welche Handlungen hat Ihr Ministerium seit Beginn der Gesetzgebungsperiode gesetzt, um Veränderungen/Verbesserungen/Reformen im Bereich des Sonderpädagogischen Förderbedarfs und der Inklusion von Schüler*innen mit Behinderung in allen Schulstufen und Schulformen zu erwirken?

15.    Gibt es Pläne, in Zusammenarbeit mit den Bundesländern zu erarbeiten, wie inklusionspädagogische Angebote besser genutzt werden können, damit sich Österreich im Bereiche der Inklusion im internationalen Vergleich verbessern kann?



[1] Rechnungshof drängt auf Umsetzung von inklusivem Unterricht (PK0288/21.03.2019) | Parlament Österreich

[2] Budgetdienst- Finanzausgleich 2024. S.3.

[3] BMBWF: Wahlfreiheit bei sonderpädagogischem Förderbedarf ist essentiell! | BM für Bildung, Wissenschaft und Forschung, 22.11.2023 (ots.at)

[4] Evaluierung der Vergabepraxis des sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF) in Österreich. Abschlussbericht. 2023.

[5] Bericht des Rechnungshofes Inklusiver Unterricht: Was leistet Österreichs Schulsystem? 2019

[6] Finanzausgleich: 2.4 Mrd. Euro mehr für Länder und Gemeinden (bmf.gv.at)

[7] BMBWF: Wahlfreiheit bei sonderpädagogischem Förderbedarf ist essentiell! | BM für Bildung, Wissenschaft und Forschung, 22.11.2023 (ots.at)

[8] Evaluierung der Vergabepraxis des sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF) in Österreich Abschlussbericht,

September (2023). S.6.

[9] So wird sonderpädagogischer Förderbedarf vergeben – Österreichischer Behindertenrat. 12.12.2023