17498/J XXVII. GP
Eingelangt am 18.01.2024
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Katharina Kucharowits, Ing. Reinhold Einwallner,
Genossinnen und Genossen,
an den Bundesminister für Inneres,
betreffend 26-Jähriger in Niederösterreich während eigener Trauung festgenommen
Nach wie vor müssen Menschenrechtsverteidiger:innen, Journalist:innen, Oppositionspolitiker:innen; Kurd:innen und andere Personen mit unbegründeten Ermittlungen und (strafrechtlicher) Verfolgung in der Türkei rechnen. Freie Meinungsäußerung und gar Kritik an Recep Tayyip Erdoğan werden bestraft. Gerade für oppositionell organisierte Kurd:innen ist die Situation im autoritären Regime Erdoğans noch prekärer und gefährlicher – sie werden mit Repression, Verfolgung, Folter und Mord bedroht. Dabei ist die Verfolgung aus ethnischen, religiösen und politischen Gründen sowie aufgrund des Geschlechts laut Genfer Füchtlingskonvention als Fluchtgrund anerkannt, eine Abschiebung von Menschen, die aus diesen Gründen verfolgt werden, ist schlichtweg ein Menschenrechtsbruch.
In einer Beantwortung einer mündlichen Anfrage im Rahmen einer Fragestunde des Nationalrates am 14.12.2023 habe ich Sie zur Thematik der Abschiebung von Kurd:innen, nachdem Sie in der Beantwortung meiner schriftlichen Anfrage 16535/J nicht antworten konnten bzw. auf verschlüsselte und somit nicht einsehbare Daten hingewiesen haben, folgendes gefragt: „Herr Bundesminister! Sie haben mir diese Woche eine parlamentarische Anfrage zum Thema „Abschiebungen von Kurd:innen in die Türkei“ beantwortet. Darin sagen Sie, es gäbe keine genauen Statistiken zu Abschiebungen von Kurd:innen in die Türkei. Gleichzeitig behaupten Sie aber in derselben Beantwortung, dass jede Abschiebung einer Einzelfallprüfung unterzogen werden würde. Wie erklären Sie dann, dass Sie angeblich keine Statistiken führen?“
Ihre Antwort darauf war: „Also ich denke, dass das Innenministerium sehr viele, sehr umfangreiche Statistiken führt, und Sie haben natürlich völlig recht, dass jedes Asylverfahren auch im Einzelfall geprüft werden muss. Das ist ja der große Unterschied beispielsweise zur Vertriebenenrichtlinie, die auf europäischer Ebene aufgrund des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine eingeführt wurde, bei der es keine Einzelfallprüfung gibt.
In diesen Fällen gibt es eben klarerweise die Einzelfallprüfungen, und klarerweise gibt es auch sehr viele umfangreiche Statistiken, die auch auf der Homepage des Innenministeriums einsehbar sind. Ich habe jetzt auch Teile dieser Statistik – mit den Rückflügen, mit den Außerlandesbringungen – präsentiert. Auch über die Nationalitäten gibt es umfangreichste Statistiken, aber aus Schutz für den Einzelnen wird natürlich nicht auf den Einzelfall – und ich gehe davon aus, dass Sie das meinen –, aus Schutz für den Einzelnen kann in dieser Befragung nicht auf den einzelnen Fall eingegangen werden; ich nehme an, dass Sie diesen Fall meinen.“
Sie haben sich zu einem Fall, der bereits medial besprochen worden war, weder in der schriftlichen Beantwortung noch in der mündlichen Beantwortung in der Lage gesehen, Fragen zu beantworten, mit Verweis, dass es aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich sei, diese zu beantworten. Zugleich sind sie aber nicht in der Lage, allgemeine Fragen zu der Thematik zu beantworten, obwohl Sie bzw. Ihr Haus Einzelfallprüfungen vornehmen – wie Sie ja mehrfach betont haben.
Vor kurzem sorgte das Schicksal des 26-jährigen türkischen Kurden für Aufregung, der während seiner standesamtlichen Trauung in Schubhaft genommen wurde. Er hatte einige Tage zuvor einen negativen Asylbescheid erhalten. Der verhinderte Bräutigam sitzt nun in Wien in Schubhaft. Seine Verlobte, eine 40-jährige in der Bundeshauptstadt lebende Deutsche, reagierte schockiert auf den Vorfall.[1]
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage
1. Ist Ihnen der Fall des 26-jährigen türkischen Staatsbürgers, der während seiner standesamtlichen Hochzeit in Schubhaft genommen wurde, bekannt?
a. Wenn ja: Seit wann und durch wen wurden Sie über diesen Fall informiert?
2. Gab es einen Einsatzbefehl aus Ihrem Haus oder in einer Ihnen unterstellten Behörde, die Festnahme während der Trauung durchzuführen?
i. Falls ja: Durch wen und aus welchem Grund?
ii. Falls nein: Wie erklären Sie dieses unverhältnismäßig harte Durchgreifen durch Ihre Behörde?
3. Aus welchem Grund kam es bei dem 26-jährigen türkischen Staatsbürger zu einer Schubhaft?
4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat in Folge der kritisierten Abschiebung betont, mehrfach den mittlerweile abgeschobenen Mann nicht angetroffen zu haben und daher die Hochzeit gestört zu haben, die ihm einen Aufenthalt ermöglicht hätte. Wie oft, wann (Datum und Uhrzeit) und wo wurde versucht, den Mann zuvor anzutreffen?
5. Bei dem 26-jährigen türkischen Staatsbürger handelt es sich um einen Kurden. Sind Ihnen und Ihrem Ministerium die drohende Verhaftung und/oder Folter vieler türkischer Kurd:innen und politisch motivierter Verfolgter, die in die Türkei abgeschoben werden, bekannt?
a. Wenn ja, wie kommen Sie bzw. Ihr Ministerium zu dem Schluss, dass die Türkei für türkische Kurd:innen und politisch motivierte Verfolgte ein sicheres Abschiebeland ist?
6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA)[2] betont, dass jeder Einzelfall geprüft werde und etwaige Änderungen im Familien- und Privatleben berücksichtigt werden. Wurden die etwaigen Änderungen, eben die Heirat und die dadurch ändernde Aufenthaltssituation, berücksichtigt?
a. Falls ja: Durch wen und mit welchem Ergebnis?
b. Falls nein: Wieso nicht?
7. Können Sie und Ihr Ministerium mit Sicherheit bejahen, dass in diesem konkreten Fall alle Eventualitäten, eben auch jene, dass der 26-jährige als Kurde in der Türkei Haft und/oder Folter drohen, mitbedacht wurden?
a. Wenn ja, wie rechtfertigen Sie bzw. Ihr Ministerium die fehlende Verantwortung in diesem konkreten Fall?
8. Inwiefern gilt die Türkei als sicheres Abschiebeland, wenn durch das Außenministerium eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) ausgerufen wurde?
9. Was ist dem BMI über die Situation in türkischen Haftanstalten bekannt, also etwa zur medizinischen Versorgung, Überbelegung, Isolationshaft, zu Beschränkungen des Briefverkehrs oder sonstigen Einschränkungen der Rechte von Gefangenen sowie zu Fällen von Misshandlungen und Folter (bitte ausführen und Quellen benennen)?
10. Werden Sie in Zukunft angesichts der Verfolgung von Kurd:innen in derTürkei – weil das Leben und die Sicherheit von Kurd:innen als ethnische Minderheit in der Türkei in Gefahr ist – Statistiken über Asylanträge, positive und negative Asylbescheide, sowie Rückführungen von Angehörigen dieser Gruppe führen?
a. Falls ja: Bis wann ist damit zu rechnen?
b. Falls nein: Wieso nicht?
11. Führt Ihr Haus Statistiken zu verfolgten Minderheiten oder Volksgruppen, in Ländern, in die Sie abschieben lassen?
a. Falls ja: Zu welchen und aus welchen konkreten Gründen genau zu diesen?
b. Falls nein: Wieso nicht?
12. Falls Sie keine Statistiken zu verfolgten Minderheiten oder Volksgruppen in Ländern, in die Sie abschieben lassen, führen, wie können Sie dann - sofern es eine Einzelfallprüfung gibt – die Sicherheit der Abgeschobenen garantieren?
13. Wieso werden keine Statistiken hinsichtlich Kurd:innen bzw. ethnische Minderheiten geführt, wenn im Rahmen einer umfassenden Einzelfallprüfung diese Daten ohnehin erhoben werden?