18070/J XXVII. GP
Eingelangt am 29.02.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Klimaschutz‚ Umwelt‚ Energie‚ Mobilität‚ Innovation und Technologie
betreffend Beschränkungsprozess PFAS
Seit der Vorstellung des European Green Deal werden ambitionierte Ziele zur Erreichung der Klimaneutralität 2050 und umfassende Bestimmungen im Bereich des Naturschutzes mit großer Intensität und medialer Begleitberichterstattung in ganz Europa diskutiert. Ein ebenso im Zusammenhang mit dem Green Deal stehender Vorschlag mit potenziell weitreichenden Auswirkungen auf den europäischen Standort, bleibt hingegen zumindest in Österreich bisher weitgehend unbemerkt. Die Europäische Kommission plant eine Einsatzbeschränkung für die gesamte Gruppe der Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS). Während viele PFAS mit problematischen Auswirkungen verbunden sind, wird der Teilgruppe der Fluorpolymere in Studien bescheinigt, den OECD-Kriterien der unbedenklichen Polymere zu entsprechen, weswegen eine Debatte über die pauschale Behandlung aller PFAS angebracht scheint.
Die Registrierung, Zulassung, Beschränkung und Bewertung chemischer Stoffe innerhalb der EU wird auf Basis der REACH-Verordnung geregelt. Ein Verbotsprozess von Chemikalien hat gemäß der Verordnungsvorschriften einem umfangreichen mehrstufigen Verfahren zu folgen. (1) Ein derartiges Verfahren zur Beschränkung aller PFAS als Gruppe wurde im Jänner 2023 auf Initiative von fünf europäischen Staaten (Dänemark, Deutschland, Niederlande, Norwegen, und Schweden) durch Einreichung eines gemeinsam erarbeiteten Dossiers bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) initiiert. Nach einem bereits stattgefunden öffentlichen Konsultationsprozess werden gegenwärtig ein Gutachten des ECHA -Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) und ein Gutachten des ECHA-Ausschusses für sozioökonomische Analysen (SEAC) erstellt. (2) Unter Berücksichtigung dieser Analysen wird die Europäische Kommission über das Beschränkungsverfahren der PFAS-Gruppe entscheiden, wobei dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat ein Ablehnungsrecht zukommt. Diese Ablehnung muss darin begründet sein, dass der von der Kommission vorgelegte Entwurf von Maßnahmen über die vorgesehenen Durchführungsbefugnisse hinausgeht, dass der Entwurf mit dem Ziel oder dem Inhalt der REACH-Verordnung unvereinbar ist oder gegen die Grundsätze der Subsidiarität oder Verhältnismäßigkeit verstößt. (3)
Bei PFAS handelt es sich um eine umfangreiche Gruppe von Industriechemikalien, die mehr als 10.000 Substanzen umfasst und die seit den 50er Jahren kommerziell vielseitig eingesetzt werden. Die Attraktivität von PFAS liegt unter anderem an ihren wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften sowie der Beständigkeit gegenüber oxidativen Einflüssen. (4) Die Einsatzgebiete von PFAS spannen sich von der Herstellung von Kunststoffen und für industrielle Produktmodifikationen, über die Beschichtung von Textilien, Möbeln und Lebensmittelkontaktmaterialen weiter zu Anwendungen in Kosmetika und Körperpflegeprodukten bis hin zu Anwendungen in der Landwirtschaft, Medizin und Wissenschaft. (5)
Beim Einsatz von PFAS kann eine Freisetzung der Chemikalien auf vielseitige Art und Weise erfolgen, sei es als Industrieemission bei der Herstellung selbst, während des Einsatzes für Produktveredelungen oder in der Abfallphase. (6) Die Freisetzung von PFAS hat sich als problematisch herausgestellt, da sich viele PFAS als langlebige Umweltschadstoffe erweisen, die sich ob ihrer persistenten als auch bioakkumulierenden Eigenschaften nicht in der Natur abbauen und in Organismen anreichern. Als Folge können PFAS über weite Strecken transportiert werden und global in diversen Umweltmedien und in Lebewesen nachgewiesen werden. (5) Der Hintergrund des angestrebten Verwendungsverbots von PFAS ist, dass die Anreicherung von PFAS im menschlichen Körper mit teilweise (höchst)problematischen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheut in Zusammenhang steht. Diese können unter anderem von entwicklungstoxischen Effekten bei ungeborenen Kindern zur Entwicklung von Nieren—und Hodenkrebs bei Erwachsenen reichen. (4)
Der grundsätzliche Reglementierungsbedarf bei PFAS wird weitgehend anerkannt, die pauschale Beurteilung der gesamten PFAS-Gruppe ist jedoch umstritten. Dies liegt unter anderem daran, dass das angestrebte Verwendungsverbot, die zur Gruppe der PFAS zählenden, festen Fluorpolymere umfasst. Fluorpolymere finden u.a. Anwendung in der Halbleiterindustrie und Elektronik, Automobilindustrie, Herstellung von Batterien, Elektrolyse von Wasserstoff und nicht zuletzt in der Medizintechnik. (7) (8)
Ob und in welchem Ausmaß die dargelegten Auswirkungen auf Umwelt und menschliche Gesundheit auch von festen Fluorpolymeren ausgehen, ist nicht nur Gegenstand von Debatten in Stakeholderkreisen, sondern auch in wissenschaftlicher Literatur. Henry et al. kommen 2018 zum Schluss, dass Fluorpolymere die weithin akzeptierten OECD-Kriterien für unbedenkliche Polymere erfüllen und deren legislative Behandlung separat von anderen PFAS erfolgen sollte. (9) Lohman et al (2021) widersprechen diesem Befund und verweisen darauf, dass die Gruppe von Fluorpolymeren zu divers ist, um sie pauschal von zusätzlichen regulatorischen Überprüfungen auszunehmen. (10)
Ein Pauschalverbot von PFAS inklusive Fluorpolymeren, das nur in der EU gültig wäre, hätte immense Auswirkungen auf den europäischen Standort und könnte zur Verlagerung von Produktionsstandorten in andere Weltregionen führen. Wie in einem Bericht der Tageszeitung Die Presse dargelegt, wären in Österreich u.a. Unternehmen wie Infineon, Andritz, Lenzing Plastics oder Agru Kunststofftechnik betroffen. (11) Darüber hinaus muss mit Effekten auf europäische Schlüsselvorhaben wie den Green Deal und den Chips Act gerechnet werden, da Fluorkunststoffe zum Beispiel in der Herstellung von PV-Modulen, Computerchips und Sensoren benötigt werden. Zu diesem Schluss kommt auch der Wasserstoffrat, der auf die Notwendigkeit der regulatorischen Unterscheidung unterschiedlicher PFAS-Untergruppen verweist um die Erreichung ambitionierter Klimaziele nicht zu gefährden. (8))
Ob der weitreichenden Folgen eines Pauschalverbotes bedarf es einer breiteren öffentlichen Debatte inklusive einer Positionierung der österreichischen Bundesregierung und der zuständigen Ministerien zum Beschränkungsverfahren von PFAS und einer etwaigen separaten regulatorischen Behandlung von Fluorpolymeren.
(1) REACH-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006
(2) Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität,
Innovation und Technologie (2023): PFAS-Aktionsplan.
(3) Beschluss des Rates 1999/468/EG
(4) AGES (2023): Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen.
(5) Umweltbundesamt (2022): PFAS-Report 2022.
(6) Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität,
Innovation und Technologie (2023): PFAS-Aktionsplan.
(7) Zeitschrift Kunststoffe (2016): Fluorpolymere.
Ausgabe 10/2016
(8) Hydrogen Council (2023): Well-targeted PFAS regulation key to keep our net
zero targets within reach.
(9) Henry et al (2018): Critical Review of the Application of Polymer of Low
Concern and Regulatory Criteria to Fluoropolymers.
(10) Lohman et al (2021): Are fluoropolymers really of low concern for human
and environmental health and separate from other PFAS?
(11) Die Presse (11.10.2023): Warum sich heimische Firmen
vor dem PFAS-Verbot fürchten.
(12) Umweltbundesamt (2023): Beschränkungsvorhaben zu PFAS. https://www.reachhelpdesk.at/aktuell/beschraenkungsvorhaben-zu-pfas
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende