18181/J XXVII. GP

Eingelangt am 21.03.2024
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Anfrage

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Klimaschutz‚ Umwelt‚ Energie‚ Mobilität‚ Innovation und Technologie

betreffend Energiefreiheit: Prüfung der Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Vertrag mit Gazprom

 

Am 24. Februar 2024 jährte sich der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zum zweiten Mal. Noch am Tag des Kriegsausbruches betonte Bundeskanzler Karl Nehammer, dass Österreich „aktuell russisches Gas brauche“, aber zu hinterfragen sei „ob das für die Zukunft so schlau ist“. (1) Nach zwei Kriegsjahren lautet der erschütternde Befund, dass Österreich nach Ungarn und der Slowakei die höchste Abhängigkeit von russischem Gas in der EU hat. Während zum Zeitpunkt des Kriegsausbruches der durchschnittliche Anteil von russischem Gas an den gesamten Gasimportmengen in Österreich bei knapp 80% lag, waren es im gesamten Jahr 2023 noch immer 65% und im Dezember letzten Jahres 98%. (2) 

Ein maßgeblicher Grund für diese Entwicklung sind die Gaslieferverträge zwischen OMV und Gazprom, die bis 2040 laufen. Diese Verträge beinhalten eine feste Abnahmeverpflichtung, eine sogenannte "Take or Pay"- Klausel, die dazu führt, dass das russische Gas bezahlt werden muss, unabhängig davon, ob es tatsächlich in Anspruch genommen wird oder nicht. Die Lieferverträge sind seit Kriegsbeginn Gegenstand der medialen und politischen Debatte, wobei vor allem die Beteuerungen von Mitgliedern der Bundesregierung, dass sie keinen Einblick in die OMV-Gazprom Verträge hätten, für Aufsehen gesorgt haben.

Zum Beispiel ließ Bundeskanzler Nehammer ein Jahr nach Kriegsbeginn damit aufhorchen, dass er keinen Einblick in die OMV-Gazprom Verträge habe. (3) Ein paar Tage zuvor hatte er im Rahmen einer, von NEOS initiierten Sondersitzung zum einjährigen Kriegsausbruch, erklärt, es sei Verantwortung der Bundesregierung, zu wissen, „was tatsächlich in diesen lange Abnahmeverpflichtungen drinnen steht“. Zudem wies der Kanzler darauf hin, dass aktuell geprüft werde, ob die Möglichkeiten dazu über den parlamentarischen Weg eines Gesetzes gegeben seien. (4) Ein Jahr später wird über den Inhalt der OMV-Gazprom Verträge noch immer spekuliert und die Untätigkeit in dieser Sache anscheinend zur politischen Doktrin erklärt.

Die fahrlässige Passivität der letzten zwei Jahre macht den Ausstieg aus den Verträgen nicht einfacher. Im Jahr 2022 hat Gazprom einseitig die Liefermengen reduziert und damit schwere Turbulenzen am Gasmarkt ausgelöst. Dies wäre nach Einschätzung von Experten ein guter Zeitpunkt gewesen, die Lieferverträge aufgrund eines „erschütterten Vertrauensverhältnisses“ außerordentlich zu kündigen. (5) Österreich harrte der Dinge und ist das einzige westeuropäische Land, das seine langfristigen Lieferverträge wegen des Lieferausfalls entweder nicht gekündigt - oder keine rechtlichen Schritte gegen Gazprom gesetzt hat. (6)

In osteuropäischen Mitgliedsstaaten werden ebenso juristische Schritte gegen die Gazprom gesetzt. Das jüngste Beispiel dafür ist die bulgarische Regierung, die die Möglichkeit einer Klage gegen den russischen Staatskonzern Gazprom wegen der Unterbrechung der Gaslieferungen zwei Monate nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2022 derzeit im Rahmen einer rechtlichen Analyse prüft. (7)

Klimaministerin Gewessler ist sich vollkommen bewusst, dass Österreich diese Abhängigkeit überwinden muss. In einem ZIB-Interview vom 25.02.2024 sagt sie deutlich: „Wir müssen raus aus diesem Vertrag, wir müssen raus aus den russischen Gaslieferungen, wir müssen raus aus dieser Erpressbarkeit“. (8) Die Republik ist mittels der Österreichischen Beteiligungs AG  mit 31,5 Prozent der größte Aktionär der OMV und sollte alle Möglichkeiten nutzen um den Ausstieg aus den OMV-Gazprom Liefervertrag einzuleiten. Klar ist, dass dies trotz Willensbekundungen der politischen Verantwortungsträger bisher nicht geschehen ist. Es bleibt jedoch unklar, ob die Bundesregierung und zuständigen Fachressorts jemals eine Möglichkeit zum Ausstieg aus den Gaslieferungen intern geprüft hat bzw. Experten damit beauftragt hat. 

(1) https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220224_OTS0174/nationalrat-bundeskanzler-nehammer-und-vizekanzker-kogler-verurteilen-russische-angriffe-auf-die-ukraine
(2) BMK (2024): Unabhängigkeit von russischem Gas. https://energie.gv.at/hintergrund/unabhaengigkeit-von-russischem-gas
(3) Die Presse (2023): OMV-Gazprom-Verträge: Die heißeste Kartoffel der Republik. 02.03.2023
(4) Stenographisches Protokoll der 200. Sitzung des Nationalrats vom 24. Februar 2023
(5) Salzburger Nachrichten (2024). Jurist: Ausstieg aus OMV-Gasverträgen wird immer schwieriger
(6) Atlantic Council, 2023
(7)
https://www.euractiv.de/section/europa-kompakt/news/klage-gegen-russlands-gazprom-bulgarische-regierung-bleibt-standhaft/?utm_source=Euractiv&utm_campaign=e0f9d5414c-RSS_EMAIL_CAMPAIGN&utm_medium=email&utm_term=0_24f4b280c0-50d8803510-%5BLIST_EMAIL_ID%5D 
(8) 
https://tvthek.orf.at/profile/ZIB-2/1211/ZIB-2-vom-25-02-2024/14215183/Gewessler-Gruene-zur-Gasabhaengigkeit/15583964

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Konnten Sie oder Angestellte Ihres Ressorts Einsicht in die OMV-Gazprom Verträge nehmen?
  2. Bundeskanzler Nehammer wies 2023 darauf hin, dass aktuell geprüft werde, ob die Möglichkeiten über den parlamentarischen Weg eines Gesetzes vorhanden seien, um zu erfahren, „was tatsächlich in diesen lange Abnahmeverpflichtungen drinnen steht“. (4)
    1. War Ihr Ressort in diese Prüfung eingebunden?
    2. Haben Sie Kenntnis über den Ausgang dieser Prüfung?

                                          i.    Wenn ja: Bitte um Darlegung der Ergebnisse. 

  1. Wurde bereits intern in Ihrem Ressort eine Überprüfung der Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Vertrag zwischen OMV und Gazprom beauftragt? (Von der Möglichkeit der Einsicht in die Verträge, Verfahrensoptionen bis hin zum tatsächlichen Ausstieg)
    1. Wenn ja, wann wurde die Überprüfung durchgeführt?
    2. Wenn ja, welche Organisationseinheiten haben die Überprüfung durchgeführt?
    3. Wenn ja, welche Erkenntnisse lieferte die Überprüfung? 
    4. Wenn ja, welche Szenarien sind für den Ausstieg möglich? 
    5. Wenn ja, welche Kosten sind im Zusammenhang mit der Überprüfung angefallen?
    6. Wenn nein, warum wurde keine interne Überprüfung durchgeführt?
    7. Wenn nein, wird eine solche Überprüfung in den kommenden Monaten vorbereitet?
  1. Wurde bereits extern eine Überprüfung der Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Vertrag zwischen OMV und Gazprom beauftragt? (Von der Möglichkeit der Einsicht in die Verträge, Verfahrensoptionen bis hin zum tatsächlichen Ausstieg)
    1. Wenn ja, wer wurde damit beauftragt? 
    2. Wenn ja, welche Institutionen und Expert:innen waren beteiligt?  
    3. Wenn ja, welche Erkenntnisse lieferte die Überprüfung? 
    4. Wenn ja, welche Szenarien sind für den Ausstieg möglich? 
    5. Wenn ja, welche Kosten sind im Zusammenhang mit der Überprüfung angefallen?
    6. Wenn ja, wurde dieser Auftrag öffentlich ausgeschrieben?

                                          i.    Falls ja, wann und wo?

                                        ii.    Falls nein, warum nicht? 

    1. Wenn nein, warum wurde keine externe Überprüfung in Auftrag gegeben? 
    2. Wenn nein, wird eine solche Überprüfung in den kommenden Monaten vorbereitet?
  1. Falls eine Überprüfung bezüglich des Ausstiegs aus dem Vertrag zwischen OMV und Gazprom bereits durchgeführt wurde:
    1. Waren noch andere Ministerien involviert? 

                                          i.    Wenn ja, welche? 

    1. Wenn ja, inwiefern war die ÖBAG eingebunden?
  1. In der Trilog-Einigung zur Europäischen Gasmarktverordnung, die voraussichtlich im April 2024 im EU-Parlament abgestimmt wird, wird den Mitgliedsstaaten eine Möglichkeit zum Ausstieg aus russischem Gas gegeben, indem ihnen das Recht eingeräumt wird, die Vorabgebote für Kapazitäten durch einzelne Netznutzer an Einspeisepunkten aus der Russischen Föderation oder aus Belarus zu begrenzen. Die Grundlage dafür bilden Artikel 5 Absatz 5a und Erwägungsgrund 70a der Trilog-Einigung zur Gasmarktverordnung:

Artikel 5 Absatz 5a: "Paragraphs 1 to 5 shall be without prejudice to the possibility for Member States to take proportionate measures to temporarily restrict gas supplies from Russia and Belarus, for a fixed term which may be renewed if justified, by limiting up-front bidding for capacity by any single network user at entry points from the Russian Federation or Belarus, where this is necessary to protect their essential security interests and those of the Union, and provided that such measures:..."

Erwägungsgrund 70a: "The escalation of the Russian military aggression against Ukraine since February 2022 has led to declining natural gas supplies from that country, and the resources from natural gas sales have been used to finance Russia’s war at the Union’s border. Notably, pipeline flows of natural gas from Russia through Belarus and the Nord Stream 1 pipeline have stopped and natural gas supplies through Ukraine have steadily decreased, seriously jeopardising the security of energy supply in the Union as a whole. Those weaponised reductions of natural gas supplies and manipulation of the markets through
intentional disruptions of natural gas flows have laid bare vulnerabilities and dependencies in the Union and its Member States with the clear potential of a direct and serious impact on their essential international security interests. Past evidence has also shown that natural gas may be used to weaponise and manipulate energy markets, for instance by hoarding capacities in natural gas infrastructure, to the detriment of the Union’s essential international security interests. In order to mitigate the impact of such events, both in the current context and for the future, Member States should exceptionally be able to take proportionate measures to limit temporarily up-front bidding for capacity by any single network user at entry points and at LNG terminals for deliveries from the Russian Federation and Belarus, where necessary to protect their essential security interests and those of the Union, taking into account also the need to ensure security of supply in the Union. Such temporary measures may be renewed where justified. This possibility should apply only in respect of the Russian Federation and Belarus, with a view to enabling Member States to respond with adequate measures to any threat to their essential security interests and those of the Union arising from the situation, including by phasing out their dependency on Russian fossil fuels, inter alia by taking early action in line with the REPowerEU objectives."

    1. Wird nach Einschätzung Ihres Ressorts durch Artikel 5 Absatz 5a und Erwägungsgrund 70a der Gasmarktverordnung (Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Binnenmärkte für erneuerbare Gase und Erdgas sowie für Wasserstoff) die Möglichkeit für einen Ausstieg aus russischem Gas für Österreich geschaffen?

                                          i.    Falls nein, woraus leitet sich die Rechtsmeinung der Experten Ihres Ressorts ab?

    1. In der 25. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie gaben Sie bekannt, dass innerhalb der Europäischen Kommission unterschiedliche Rechtsauffassungen bestehen, ob die Gasmarktverordnung eine Grundlage für den Ausstieg aus russischem Gas für jene Länder darstellt, deren Einspeisepunkte nicht  an der Außengrenze der Union liegen.

                                          i.    Welche Organisationseinheiten der Europäischen Kommission vertreten die Meinung, dass die Gasmarktverordnung eine rechtliche Basis für alle Mitgliedsstaaten für die Einschränkung von Gaslieferungen aus Russland und Belarus bis hin zum Ausstieg aus russischem Gas bietet?

                                        ii.    Welche Organisationseinheiten der Europäischen Kommission vertreten diesbezüglich eine gegenteilige Meinung?

                                       iii.    Welche Schritte wurde seitens Ihres Ressorts gesetzt, um die Kommission zu einer raschen Auflösung dieser Interpretationsunterschiede zu bewegen und eine einheitliche Positionierung und Klarstellung vorzunehmen?

                                       iv.    Wurde dieses Auslegungsthema innerhalb des Europäischen Rates (Ratsarbeitsgruppen, Ratstreffen, etc.) diskutiert?

1.    Welche Positionen werden diesbezüglich von den Mitgliedsstaaten vertreten?