18319/J XXVII. GP

Eingelangt am 17.04.2024
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Missstände im Bundesverwaltungsgericht 

 

Der Rechtsstaat ist der zentrale Garant unserer Freiheit und das Rückgrat einer funktionierenden Demokratie. Wir NEOS stehen deshalb für die Unabhängigkeit und Arbeitsfähigkeit unserer Justiz gegen politische Einflussnahme und intransparente Postenbesetzungen. Leider ist dies am größten Gericht Österreichs nicht garantiert. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) rückte in letzter Zeit vermehrt ins Licht der Öffentlichkeit - Grund dafür sind zwei rechtsstaatliche Skandale. 

Erstens blieb das BVwG seit der Pensionierung des ehemaligen Präsidenten, Harald Perl, über ein Jahr lang ohne ordnungsgemäße Leitung, weil sich ÖVP und Grüne im Rahmen eines Koalitionsstreits nicht auf eine Nachfolge einigen konnten (1). Und das, obwohl § 2 Abs 3 BVwGG ein klar geregeltes Auswahlverfahren inkl. Übermittlung von Vorschlägen an die Bundesregierung durch eine hochkarätig besetzte Kommission vorsieht. Die drei von der Kommission vorgeschlagenen Kandidat:innen waren Sabine Matejka, Vorsteherin des Wiener Bezirksgerichts Floridsdorf, als bestgereihte, gefolgt von Chef der BVwG-Außenstelle Linz, Mathias Kopf, und schließlich der einstige Vorsitzende der Kammer für Fremdenwesen und Asyl des BVwG und nunmehriger Gruppenleiter im Innenministerium, Christian Filzwieser. In der Zwischenzeit führte der ÖVP-nahe frühere Kabinettschef von Wolfgang Schüssel und Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts, Michael Sachs, das Gericht - obwohl ausgerechnet seine Rechtsansichten sogar zu einem finanziellen Schaden der Republik geführt haben: Es wurden bereits finanzielle Regressansprüche gegen den Richter Sachs geltend gemacht (2). Nach mehr als einem Jahr Koalitionsstreit einigte sich die Regierung im Januar 2024 endlich - jedoch auf den Drittgereihten - Christian Filzwieser, als neuen BVwG-Präsidenten (3). Durch die lange Vakanz der Position wurde sowohl das Vertrauen der Bürger:innen in die öffentlichen Institutionen geschwächt und dem Rechtsstaat geschadet als auch die Bestgereihte verhöhnt. Sabine Matejka hat am 18. März 2024 eine Beschwerde angekündigt (4). 

Damit aber nicht genug: Medienberichten zufolge prüft die Staatsanwaltschaft derzeit den schwerwiegenden Vorwurf, ob der Altpräsident des BVwG, Harald Perl, und der Vizepräsident, Michael Sachs, bei der Zuweisung von neuen Fällen an Richter:innen des Gerichts ihre Finger im Spiel gehabt haben könnten. Und zwar im Zusammenhang mit Verfahren, an denen die beiden Führungskräfte beteiligt waren. Konkret geht es darum, dass die Zuweisung von neuen Fällen an die zuständigen Richter:innen per Mail an das „Büro Präsident“ übermittelt wurden. Normalerweise müssen neue Fälle von der Kanzlei unverzüglich in der Reihenfolge ihres zeitlichen Einlangens erfasst und über ein elektronisches Aktenverteilungssystem den zuständigen Richter:innen zugewiesen werden (5). Im Sinne der unabhängigen Justiz darf niemand in dieses System eingreifen. 

 

  1. https://www.profil.at/oesterreich/regierung-blockiert-grober-missstand-am-bvwg-oesterreichs-groesstem-gericht/402521404
  2. https://www.derstandard.at/story/3000000189409/republik-musste-schadenersatz-zahlen-kritik-an-oevp-postenkandidaten-sachs; https://www.derstandard.at/story/3000000205314/die-frau-wurde-umgangen-der-drittgereihte-wird-praesident-wie-kam-es-dazu
  3. https://www.derstandard.at/story/3000000204810/regierungsblockade-geloest-filzwieser-wird-praesident-des-bundesverwaltungsgerichts
  4. https://orf.at/stories/3351945/
  5. https://www.krone.at/3281746

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Im Oktober 2022 sagten Sie, Frau Justizministerin, dem „Standard“ gegenüber, es sei klar, „dass der oder die Erstgereihte nominiert werden soll“: Aus welchen Gründen sind Sie von dieser Position abgewichen? 
  2. Wie können Sie erklären, dass nicht die von der Besetzungskommission als bestgeeignete Kandidatin eingestuft, Sabine Matejka, die neue Präsidentin des BVwG wurde? 
    1. Welche Position vertritt Ihr Ministerium diesbezüglich? 
  1. Wann haben Sie bzw. Ihr Ministerium von der Beschwerde Sabine Matejkas erfahren? 
    1. Wie ist der Stand des Beschwerdeverfahrens?

                                          i.    Wurde es bereits abgeschlossen?

                                        ii.    Mit welchem Ergebnis? 

                                       iii.    Wurde Schadenersatz geltend gemacht? In welcher Höhe? 

  1. Wie viele Gleichbehandlungsbeschwerden betreffend Ihr Ministerium gab bzw. gibt es bei der Bundes-Gleichbehandlungskommission? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr seit 2010 bis zum Zeitpunkt der Anfrage, Diskriminierungsgrund und Stelle. 
  2. In wie vielen Fällen wurde seitens der Bundes-Gleichbehandlungskommission eine Diskriminierung festgestellt? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr seit 2010 bis zum Zeitpunkt der Anfrage, Diskriminierungsgrund und Stelle. 
    1. Was war Inhalt der Gutachten der Bundes-Gleichbehandlungskommission und durch welche konkreten Maßnahmen wurden diesen Gutachten Rechnung getragen?
  1. Wie oft wurden die verantwortlichen Bundesbediensteten dienst- oder disziplinarrechtlich verfolgt? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr seit 2010 bis zum Zeitpunkt der Anfrage, Diskriminierungsgrund und Stelle. 
    1. Um Bedienstete in welchen Positionen handelte es sich?
    2. Welche Konsequenzen erlebten die verantwortlichen Bundesbediensteten? 
  1. In wie vielen Fällen, in denen die B-GBK eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung festgestellt hat, wurde das Gutachten der B-GBK vor dem BVwG bekämpft? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr seit 2010 bis zum Zeitpunkt der Anfrage, Diskriminierungsgrund und Stelle.
    1. In wie vielen Fällen war eine Bekämpfung vor dem BVwG erfolgreich? 
    2. In wie vielen Fällen war eine Bekämpfung vor dem BVwG nicht erfolgreich? 
  1. Wie oft wurden Schadenersatzansprüche gegen Ihr Ministerium wegen rechtswidriger Postenbesetzung geltend gemacht? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr seit 2010 bis zum Zeitpunkt der Anfrage, Diskriminierungsgrund und Stelle.
    1. Wie viel Schadenersatz ist fällig geworden? Aufgrund welcher Diskriminierungsgründen jeweils? 
    2. Welche Maßnahmen zur Entschädigung der ungleichbehandelten Personen haben Sie getroffen?

                                          i.    Wie viele Personen erhielten Entschädigungen? Welche Entschädigungen jeweils?

    1. Wie hoch war die Gesamtsumme von Schadenersatzzahlungen wegen Diskriminierungen bei Postenbesetzungen seit 2010? 
  1. Welche Maßnahmen haben bzw. werden Sie setzen, um den diskriminierenden Postenbesetzungen in Ihrem Ressort ein Ende zu setzen bzw. damit in Zukunft die bestqualifizierten Kandidat:innen zum Zug kommen? 
  2. In 15746/AB zur NEOS-Anfrage 16179/J gaben Sie an, dass unter der interimistischen Leitung von Michael Sachs die Funktionen des Kammervorsitzes (sowie des stellvertretenden Kammervorsitzes) der Kammern A, E und S nachbesetzt wurden. Die Besetzung dieser Positionen sei aufgrund der interimistischen Leitung des BVwG ebenso nur interimistisch. Wurden diese Stellen, jetzt wo das BVwG wieder eine ordnungsgemäße Leitung hat, wieder neu ausgeschrieben und neu besetzt? Bitte um konkrete Angaben je nach Posten (Kammervorsitz bzw. stellvertretender Kammervorsitz) und Kammer A, E und S. 
    1. Wenn ja, wann? Wie erfolgte die lnteressent:innensuche und das Bestellungsverfahren?
    2. In wie vielen Fällen wurde die Stelle mit jenen Personen besetzt, die diese Stelle bereits interimistisch betrauten?
    3. Wenn nein, warum nicht? Sind Neubesetzungen vorgesehen? Wann jeweils? 
  1. Welche anderen Posten wurden im BVwG im Laufe der interimistischen Leitung von Michael Sachs besetzt? 
    1. Waren diese Besetzungen jeweils interimistisch vorgesehen? 

                                          i.    Wenn ja, wurden diese Stellen bereits neu ausgeschrieben und neu besetzt? Wann? Wie erfolgte die lnteressent:innensuche und das Bestellungsverfahren?

                                        ii.    In wie vielen Fällen wurde die Stelle mit jenen Personen besetzt, die diese Stelle bereits interimistisch betrauten?

                                       iii.    Wenn nein, warum nicht? Sind Neubesetzungen vorgesehen? Wann jeweils? 

  1. In 15746/AB zur NEOS-Anfrage 16179/J gaben Sie an, es gäbe keine systematischen Aufzeichnungen der Anzahl an Behebungen von Entscheidungen des BVwG durch Höchstgerichte. Wie funktioniert dann die Qualitätssicherung?
    1. Wie werden Sie folgender RH-Empfehlung gerecht, wenn keine Aufzeichnungen geführt werden, zu wie viele Behebungen durch Höchstgerichte es pro Senat gekommen ist: "Festgestellten Problemen im Einzelfall – z.B. nicht tolerable abweichende Rechtsmeinungen, Verdacht auf fehlende Objektivität, überdurchschnittliche Verfahrensdauer, Mängel in der Führung der Gerichtsabteilung sowie der Verfahren oder unverhältnismäßig hohe Anzahl an Behebungen durch Höchstgerichte – war im Rahmen der Dienstaufsicht des Präsidenten und der Kammervorsitzenden zu begegnen, etwa durch Gespräche oder gegebenenfalls disziplinäre Maßnahmen" (https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/2023_5_Bundesverwaltungsgericht.pdf)? Bitte um detaillierte Erläuterung.  
    2. Welche Daten werden bzgl. Behebungen von Entscheidungen des BVwG durch Höchstgerichte erhoben?
  1. Dem BMJ wurde laut 15746/AB zur NEOS-Anfrage 16179/J eine Sachverhaltsdarstellung bzgl. der hohen Anzahl an durch Höchstgerichte gehobenen Entscheidungen des Interimspräsidenten Sachs (Senat W195) übermittelt, welche seitens des BMJ „dienst- und disziplinarrechtlich geprüft“ werde. Wie lautet der Stand dieser Prüfung? 
    1. Ist die Prüfung bereits abgeschlossen? 
    2. Mit welchem Ergebnis?
    3. Wurden bzgl. Michael Sachs dienst- und/oder disziplinarrechtliche Maßnahmen getroffen? 

                                          i.    Wenn ja, welche? 

  1. Wurde in der Causa betreffend den möglichen Eingriff in die Geschäftsverteilung Ermittlungsverfahren eingeleitet?
    1. Wenn ja, durch welche Staatsanwaltschaft?
    2. Wenn ja, gegen wen?
    3. Wenn ja, aufgrund welcher strafbaren Handlung?
  1. Wurde in der Causa betreffend den möglichen Eingriff in die Geschäftsverteilung Ermittlungshandlungen gesetzt?
    1. Wenn ja, welche gegen wen?
  1. Wann wurde von welcher Staatsanwaltschaft eine Anfangsverdachtprüfung durchgeführt?
    1. Wann wurde diese, mit welchem Ergebnis beendet? 
  1. Wurde in der Causa betreffend den möglichen Eingriff in die Geschäftsverteilung Anklage erhoben bzw. Strafantrag gestellt?
    1. Wenn ja, gegen wen?
    2. Wenn ja, aufgrund welcher strafbaren Handlung?
  1. Hat eine Staatsanwaltschaft von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in der Causa abgesehen iSd §35c StAG?
    1. Wenn ja, welche Staatsanwaltschaft, aus welchen Gründen und gegen wen?
  1. Kam es in der Causa zur Einstellung eines Ermittlungsverfahrens?
    1. Wenn ja, wurde die Einstellungsbegründung in der Ediktsdatei gem § 35a StAG veröffentlicht?

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Wann wurden Sie, Frau Ministerin, von der Causa betreffend den möglichen Eingriff in die Geschäftsverteilung informiert? 
    1. Durch wen?
    2. Wodurch war diese Person wann darüber informiert worden? 
    3. Welche Maßnahmen setzten Sie in der Folge bzw. gaben Sie wem gegenüber in Auftrag? 

                                          i.    Wann jeweils?

                                        ii.    Mit welchem wann vorliegenden Ergebnis?

  1. Wissen Sie, Frau Ministerin, wie viele Fälle insgesamt per Mail an das „Büro Präsident“ übermittelt wurden?