Eingelangt am 17.04.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und
Kollegen
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Missstände im
Bundesverwaltungsgericht
Der
Rechtsstaat ist der zentrale Garant unserer Freiheit und das Rückgrat
einer funktionierenden Demokratie. Wir NEOS stehen deshalb für die Unabhängigkeit
und Arbeitsfähigkeit unserer Justiz gegen politische Einflussnahme und
intransparente Postenbesetzungen. Leider ist dies am größten Gericht
Österreichs nicht garantiert. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) rückte
in letzter Zeit vermehrt ins Licht der Öffentlichkeit - Grund dafür
sind zwei rechtsstaatliche Skandale.
Erstens
blieb das BVwG seit der Pensionierung des ehemaligen Präsidenten, Harald
Perl, über ein Jahr lang ohne ordnungsgemäße Leitung, weil sich
ÖVP und Grüne im Rahmen eines Koalitionsstreits nicht auf eine
Nachfolge einigen konnten (1). Und das, obwohl § 2 Abs 3 BVwGG ein klar
geregeltes Auswahlverfahren inkl. Übermittlung von Vorschlägen an die
Bundesregierung durch eine hochkarätig besetzte Kommission vorsieht. Die
drei von der Kommission vorgeschlagenen Kandidat:innen waren Sabine Matejka,
Vorsteherin des Wiener Bezirksgerichts Floridsdorf, als bestgereihte, gefolgt
von Chef der BVwG-Außenstelle Linz, Mathias Kopf, und schließlich
der einstige Vorsitzende der Kammer für Fremdenwesen und Asyl des BVwG und
nunmehriger Gruppenleiter im Innenministerium, Christian Filzwieser. In der
Zwischenzeit führte der ÖVP-nahe frühere Kabinettschef von
Wolfgang Schüssel und Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts, Michael
Sachs, das Gericht - obwohl ausgerechnet seine Rechtsansichten sogar zu einem
finanziellen Schaden der Republik geführt haben: Es wurden bereits
finanzielle Regressansprüche gegen den Richter Sachs geltend gemacht
(2). Nach mehr als einem Jahr Koalitionsstreit einigte sich die Regierung
im Januar 2024 endlich - jedoch auf den Drittgereihten - Christian Filzwieser,
als neuen BVwG-Präsidenten (3). Durch die lange Vakanz der Position wurde
sowohl das Vertrauen der Bürger:innen in die öffentlichen
Institutionen geschwächt und dem Rechtsstaat geschadet als auch die
Bestgereihte verhöhnt. Sabine Matejka hat am 18. März 2024 eine
Beschwerde angekündigt (4).
Damit
aber nicht genug: Medienberichten zufolge prüft die Staatsanwaltschaft
derzeit den schwerwiegenden Vorwurf, ob der Altpräsident des BVwG, Harald
Perl, und der Vizepräsident, Michael Sachs, bei der Zuweisung von neuen
Fällen an Richter:innen des Gerichts ihre Finger im Spiel gehabt haben
könnten. Und zwar im Zusammenhang mit Verfahren, an denen die beiden Führungskräfte
beteiligt waren. Konkret geht es darum, dass die Zuweisung von neuen
Fällen an die zuständigen Richter:innen per Mail an das
„Büro Präsident“ übermittelt wurden. Normalerweise
müssen neue Fälle von der Kanzlei unverzüglich in der
Reihenfolge ihres zeitlichen Einlangens erfasst und über ein
elektronisches Aktenverteilungssystem den zuständigen Richter:innen
zugewiesen werden (5). Im Sinne der unabhängigen Justiz darf niemand in
dieses System eingreifen.
- https://www.profil.at/oesterreich/regierung-blockiert-grober-missstand-am-bvwg-oesterreichs-groesstem-gericht/402521404
- https://www.derstandard.at/story/3000000189409/republik-musste-schadenersatz-zahlen-kritik-an-oevp-postenkandidaten-sachs; https://www.derstandard.at/story/3000000205314/die-frau-wurde-umgangen-der-drittgereihte-wird-praesident-wie-kam-es-dazu
- https://www.derstandard.at/story/3000000204810/regierungsblockade-geloest-filzwieser-wird-praesident-des-bundesverwaltungsgerichts
- https://orf.at/stories/3351945/
- https://www.krone.at/3281746
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Im Oktober 2022 sagten Sie, Frau Justizministerin, dem
„Standard“ gegenüber, es sei klar, „dass der oder
die Erstgereihte nominiert werden soll“: Aus welchen Gründen
sind Sie von dieser Position abgewichen?
- Wie können Sie erklären, dass nicht die von der
Besetzungskommission als bestgeeignete Kandidatin eingestuft, Sabine
Matejka, die neue Präsidentin des BVwG wurde?
- Welche Position vertritt Ihr Ministerium
diesbezüglich?
- Wann haben Sie bzw. Ihr Ministerium von der Beschwerde
Sabine Matejkas erfahren?
- Wie ist der Stand des Beschwerdeverfahrens?
i. Wurde
es bereits abgeschlossen?
ii. Mit
welchem Ergebnis?
iii. Wurde
Schadenersatz geltend gemacht? In welcher Höhe?
- Wie viele Gleichbehandlungsbeschwerden betreffend Ihr
Ministerium gab bzw. gibt es bei der Bundes-Gleichbehandlungskommission?
Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr seit 2010 bis zum Zeitpunkt der
Anfrage, Diskriminierungsgrund und Stelle.
- In wie vielen Fällen wurde seitens der
Bundes-Gleichbehandlungskommission eine Diskriminierung festgestellt? Bitte
um Aufschlüsselung nach Jahr seit 2010 bis zum Zeitpunkt der Anfrage,
Diskriminierungsgrund und Stelle.
- Was war Inhalt der Gutachten der
Bundes-Gleichbehandlungskommission und durch welche konkreten
Maßnahmen wurden diesen Gutachten Rechnung getragen?
- Wie oft wurden die verantwortlichen Bundesbediensteten
dienst- oder disziplinarrechtlich verfolgt? Bitte um Aufschlüsselung
nach Jahr seit 2010 bis zum Zeitpunkt der Anfrage, Diskriminierungsgrund
und Stelle.
- Um Bedienstete in welchen Positionen handelte es sich?
- Welche Konsequenzen erlebten die verantwortlichen
Bundesbediensteten?
- In wie vielen Fällen, in denen die B-GBK eine
sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung festgestellt hat, wurde
das Gutachten der B-GBK vor dem BVwG bekämpft? Bitte um
Aufschlüsselung nach Jahr seit 2010 bis zum Zeitpunkt der Anfrage,
Diskriminierungsgrund und Stelle.
- In wie vielen Fällen war eine Bekämpfung vor
dem BVwG erfolgreich?
- In wie vielen Fällen war eine Bekämpfung vor
dem BVwG nicht erfolgreich?
- Wie oft wurden Schadenersatzansprüche gegen Ihr
Ministerium wegen rechtswidriger Postenbesetzung geltend gemacht? Bitte um
Aufschlüsselung nach Jahr seit 2010 bis zum Zeitpunkt der Anfrage,
Diskriminierungsgrund und Stelle.
- Wie viel Schadenersatz ist fällig geworden? Aufgrund
welcher Diskriminierungsgründen jeweils?
- Welche Maßnahmen zur Entschädigung der
ungleichbehandelten Personen haben Sie getroffen?
i. Wie
viele Personen erhielten Entschädigungen? Welche Entschädigungen
jeweils?
- Wie hoch war die Gesamtsumme von Schadenersatzzahlungen
wegen Diskriminierungen bei Postenbesetzungen seit 2010?
- Welche Maßnahmen haben bzw. werden Sie setzen, um
den diskriminierenden Postenbesetzungen in Ihrem Ressort ein Ende zu
setzen bzw. damit in Zukunft die bestqualifizierten Kandidat:innen zum Zug
kommen?
- In 15746/AB zur NEOS-Anfrage 16179/J gaben Sie an, dass
unter der interimistischen Leitung von Michael Sachs die Funktionen des
Kammervorsitzes (sowie des stellvertretenden Kammervorsitzes) der Kammern
A, E und S nachbesetzt wurden. Die Besetzung dieser Positionen sei
aufgrund der interimistischen Leitung des BVwG ebenso nur interimistisch.
Wurden diese Stellen, jetzt wo das BVwG wieder eine
ordnungsgemäße Leitung hat, wieder neu ausgeschrieben und neu
besetzt? Bitte um konkrete Angaben je nach Posten (Kammervorsitz bzw.
stellvertretender Kammervorsitz) und Kammer A, E und S.
- Wenn ja, wann? Wie erfolgte die lnteressent:innensuche
und das Bestellungsverfahren?
- In wie vielen Fällen wurde die Stelle mit jenen
Personen besetzt, die diese Stelle bereits interimistisch betrauten?
- Wenn nein, warum nicht? Sind Neubesetzungen vorgesehen?
Wann jeweils?
- Welche anderen Posten wurden im BVwG im Laufe der
interimistischen Leitung von Michael Sachs besetzt?
- Waren diese Besetzungen jeweils interimistisch
vorgesehen?
i. Wenn
ja, wurden diese Stellen bereits neu ausgeschrieben und neu besetzt? Wann? Wie
erfolgte die lnteressent:innensuche und das Bestellungsverfahren?
ii. In
wie vielen Fällen wurde die Stelle mit jenen Personen besetzt, die diese
Stelle bereits interimistisch betrauten?
iii. Wenn
nein, warum nicht? Sind Neubesetzungen vorgesehen? Wann jeweils?
- In 15746/AB zur NEOS-Anfrage 16179/J gaben Sie an, es
gäbe keine systematischen Aufzeichnungen der Anzahl an
Behebungen von Entscheidungen des BVwG durch Höchstgerichte. Wie
funktioniert dann die Qualitätssicherung?
- Wie werden Sie folgender RH-Empfehlung gerecht, wenn
keine Aufzeichnungen geführt werden, zu wie viele Behebungen durch
Höchstgerichte es pro Senat gekommen ist: "Festgestellten
Problemen im Einzelfall – z.B. nicht tolerable abweichende
Rechtsmeinungen, Verdacht auf fehlende Objektivität,
überdurchschnittliche Verfahrensdauer, Mängel in der
Führung der Gerichtsabteilung sowie der Verfahren oder
unverhältnismäßig hohe Anzahl an Behebungen durch
Höchstgerichte – war im Rahmen der Dienstaufsicht des
Präsidenten und der Kammervorsitzenden zu begegnen, etwa durch
Gespräche oder gegebenenfalls disziplinäre
Maßnahmen" (https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/2023_5_Bundesverwaltungsgericht.pdf)?
Bitte um detaillierte Erläuterung.
- Welche Daten werden bzgl. Behebungen von Entscheidungen
des BVwG durch Höchstgerichte erhoben?
- Dem BMJ wurde laut 15746/AB zur NEOS-Anfrage 16179/J eine
Sachverhaltsdarstellung bzgl. der hohen Anzahl an durch Höchstgerichte
gehobenen Entscheidungen des Interimspräsidenten Sachs (Senat W195)
übermittelt, welche seitens des BMJ „dienst- und
disziplinarrechtlich geprüft“ werde. Wie lautet der Stand
dieser Prüfung?
- Ist die Prüfung bereits abgeschlossen?
- Mit welchem Ergebnis?
- Wurden bzgl. Michael Sachs dienst- und/oder
disziplinarrechtliche Maßnahmen getroffen?
i. Wenn
ja, welche?
- Wurde in der Causa betreffend den möglichen Eingriff
in die Geschäftsverteilung Ermittlungsverfahren eingeleitet?
- Wenn ja, durch welche Staatsanwaltschaft?
- Wenn ja, gegen wen?
- Wenn ja, aufgrund welcher strafbaren Handlung?
- Wurde in der Causa betreffend den möglichen Eingriff
in die Geschäftsverteilung Ermittlungshandlungen gesetzt?
- Wenn ja, welche gegen wen?
- Wann wurde von welcher Staatsanwaltschaft eine
Anfangsverdachtprüfung durchgeführt?
- Wann wurde diese, mit welchem Ergebnis beendet?
- Wurde in der Causa betreffend den möglichen Eingriff
in die Geschäftsverteilung Anklage erhoben bzw. Strafantrag gestellt?
- Wenn ja, gegen wen?
- Wenn ja, aufgrund welcher strafbaren Handlung?
- Hat eine Staatsanwaltschaft von der Einleitung eines
Ermittlungsverfahrens in der Causa abgesehen iSd §35c StAG?
- Wenn ja, welche Staatsanwaltschaft, aus welchen
Gründen und gegen wen?
- Kam es in der Causa zur Einstellung eines Ermittlungsverfahrens?
- Wenn ja, wurde die Einstellungsbegründung in der
Ediktsdatei gem § 35a StAG veröffentlicht?
i. Wenn
nein, warum nicht?
- Wann wurden Sie, Frau Ministerin, von der Causa betreffend
den möglichen Eingriff in die Geschäftsverteilung
informiert?
- Durch wen?
- Wodurch war diese Person wann darüber informiert
worden?
- Welche Maßnahmen setzten Sie in der Folge bzw.
gaben Sie wem gegenüber in Auftrag?
i. Wann
jeweils?
ii. Mit
welchem wann vorliegenden Ergebnis?
- Wissen Sie, Frau Ministerin, wie viele Fälle insgesamt per
Mail an das „Büro Präsident“ übermittelt
wurden?