18456/J XXVII. GP
Eingelangt am 02.05.2024
Dieser Text ist elektronisch
textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr.in Petra Oberrauner, Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft
betreffend „Scheinselbständigkeit bekämpfen, Arbeitnehmer*innenrechte stärken, EU-Plattformrichtlinie schnell und konsequent umsetzen!“
In der EU arbeiten über viele Millionen Menschen auf Onlineplattformen, davon ca. 360.000 Menschen in Österreich.[1] Sie liefern Essen aus, übersetzen Texte oder bieten ihre Dienstleistungen als Taxifahrer:innen, Handwerker:innen, Pflege- und Reinigungskräfte an. Damit haben sie für die in der EU tätigen Arbeits- und Dienstleistungsplattformen allein im Jahr 2020 einen Umsatz von EUR 14 Milliarden erwirtschaftet, während ihre eigenen Arbeitsbedingungen häufig durch schlechte Löhne und fehlende soziale Absicherung aufgrund von Scheinselbständigkeit geprägt sind.
Grund hierfür ist unter anderem die bislang noch lückenhafte Gesetzgebung in den Mitgliedsländern, die es den Plattformbetreibern ermöglicht ihre Arbeiter:innen zwar wie Angestellte zu behandeln, indem sie sie kontrollieren und ihnen strikte Arbeitsanweisungen geben können, während Sie selbst aber nur die Regeln für Auftraggeber von Selbstständigen befolgen müssen und sich somit u.a. Lohn- und Sozialversicherungskosten sparen.
Die Europäische Kommission geht davon aus, dass ca. 5,5 Millionen Plattformarbeiter:innen fälschlicherweise als Selbständige behandelt werden, was für diese schwerwiegende negative Folgen hat. Da das Arbeitsrecht nicht zur Anwendung kommt, haben sie keinen Anspruch auf Urlaub und Krankenstand. Sie sind großteils nicht von Kollektiv- bzw. Tarifverträgen erfasst, was bedeutet, dass sie sich selber versichern müssen und für mehr Arbeit weniger Lohn erhalten. Die Europäische Kommission hat zudem errechnet, dass mehr als die Hälfte der Plattformarbeiter:innen weniger verdienen als den Mindeststundenlohn, der in dem Land, in dem sie tätig sind, gilt.
Damit stellt die Scheinselbständigkeit aber nicht nur eine unfaire Praxis gegenüber den Beschäftigten dar, sondern ist auch ein unfairer Wettbewerbsvorteil gegenüber all jenen Unternehmen, die ihre Angestellten korrekt einstufen und entsprechend höhere Kosten für Löhne und Versicherungen haben.
Am 9. Dezember 2021 hat die Europäische Kommission daher eine Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit vorgestellt, mit der die wachsende Gig-Economy reguliert und die Scheinselbständigkeit bekämpft werden sollen.
Kernstücke der Richtlinie über Plattformarbeit sind die widerlegliche Rechtsvermutung eines Arbeitsverhältnisses, die ausgelöst wird, wenn Tatsachen festgestellt werden, die auf Kontrolle und Leitung hinweisen sowie die Beweislastumkehr. Beides müssen die Mitgliedstaaten in ihren jeweiligen Rechtssystemen einführen. Plattformbetreiber müssen also zukünftig nachweisen, dass zwischen ihnen und den auf der Plattform tätigen kein Beschäftigungsverhältnis vorliegt.
Allerdings konnten sich die Kommissionen und das Europäische Parlament gegenüber den Mitgliedsländern nicht mit einem einheitlichen Kriterienkatalog durchsetzen, anhand dessen das Beschäftigungsverhältnis bestimmt wird. Stattdessen wird es jedem Staat selbst obliegen, sich geeignete Kriterien zu überlegen.
Wie gut die Richtlinie für Plattformarbeit also tatsächlich die Scheinselbständigkeit bekämpfen und die Arbeitsbedingungen der Plattformarbeiter:innen in Österreich verbessern kann, wird daher maßgeblich vom Willen der österreichischen Regierung abhängen, strenge Kriterien aufzustellen und die bestehenden Schlupflöcher, etwa beim Missbrauch freier Dienstverhältnisse zu schließen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Richtlinie betrifft die Regulierung der auf den Plattformen eingesetzten Algorithmen und den Datenschutz. In vielen Plattform unternehmen erteilen Algorithmen oder eine Kl den Beschäftigten Arbeitsanweisungen und Aufträge oder entscheiden sogar über deren Kündigung; außerdem können diese Tools die Beschäftigten sekundengenau überwachen und über GPS oä engmaschig orten. Nach welchen Kriterien diese Algorithmen Entscheidungen treffen und Anweisungen bzw. Aufträge erteilen sowie permanent (menschenunwürdig) kontrollieren, von denen dann auch der Erfolg und der Verdienst des Beschäftigten abhängt, bleibt dabei bislang häufig intransparent.
Die neue Richtlinie sieht daher zum einen den Schutz sensibler persönlicher Daten vor- beispielsweise die politische Meinung, den Gesundheitsstatus oder den emotionalen und psychologischen Zustand des Beschäftigten. Zum anderen gibt sie vor, dass automatisierte Entscheidungen unter menschlicher Aufsicht und Bewertung zu treffen sind, wobei das Recht auf eine Erklärung und auf Überprüfung der Entscheidung gewährleistet sein muss.
Auch hier wird die Wirksamkeit der der auf europäischer Ebene festgelegten Vorgaben aber letztendlich davon abhängen, wie konsequent diese in Österreich in nationales Recht umgesetzt werden.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage
1. Was ist in Ihrem Ressort Stand der Dinge betreffend die Vorbereitungen zur Umsetzung der Richtline zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit? Was ist der weitere Zeitplan?
2. Wie viele Personen fallen aus Sicht des BMAW in Österreich in den Anwendungsbereich der Richtlinie?
3. Welche Ministerien bzw. Behörden sind in der Umsetzung legislativ bzw. organisatorisch involviert?
4. Welche Rolle spielen die Sozialpartner bei der Umsetzung? Wie wird ihre effektive Einbindung sichergestellt?
5. Welche Kriterien planen Sie festzulegen, anhand denen entschieden werden soll, wer als als Arbeitnehmer:in oder Selbständigem zu gelten hat?
6. Wie sollen die erheblichen Tatsachen, die auf Kontrolle und Leitung hinweisen, nach dem nationalen Recht und Kollektivverträgen festgestellt werden? Welche Institution soll damit beauftragt werden? Sind die gesetzlichen Ermächtigungen an die Kollektivvertragsparteien zur einschlägigen Rechtsetzung ausreichend?
7. Wie soll sichergestellt werden, dass die widerlegliche Vermutung eines Arbeitsverhältnisses entsprechend der Richtlinie zum Standardfall wird, die Anwendung von freien Dienstverträgen zur Ausnahme?
8. Wie soll eine dementsprechend klare und praktisch effektive Abgrenzung der verschiedenen Vertragstypen geregelt und umgesetzt werden?
9. Wie soll in Zukunft verhindert werden, dass für die selbe Tätigkeit zweierlei Maß angelegt wird und freie Dienstverträge als Schlupfloch aus kollektivvertraglichen und arbeitsrechtlichen Pflichten der Arbeitgeber genutzt werden und Beschäftigte somit um ihre durch die Richtlinie zustehenden Rechte umfallen?
10. In welcher Weise sollen die in der Richtlinie vorgesehenen Transparenzgebote umgesetzt werden?
11. In welchem Verhältnis wird die Umsetzung der Richtlinie zu Fragen der automatisierten Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit Plattformarbeit zu Art. 22 DSGVO stehen?
12. Welche Vorhaben verfolgt das BMAW, um die die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit auch für den Bereich der Plattformarbeit treffsicherer auszugestalten, neben der Umsetzung der Richtlinie, die einen klagbaren und exekutierbaren Rechtsträger zum Ziel haben muss, darüber hinaus?
13. Echte selbständig tätige Personen müssen nach der Richtlinie im Streitfall die Möglichkeit haben, sich an die Regulierungsbehörde zu wenden und entsprechende Unterstützung zu erhalten - welche Behörde ist hierfür vorgesehen?
[1] ETUC, Platform Reps Procjekt – Länderbericht Österreich,
https://www.etuc.org/sites/default/files/page/file/2023-05/ETUC_country%20report_Austria-DE.pdf
(16.04.2024).