18492/J XXVII. GP
Eingelangt am 13.05.2024
Dieser Text ist elektronisch
textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Bayr, MA MLS, Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten
betreffend: „Mittelallokation im Rahmen der Global Gateway Strategy“
CONCORD, dem entwicklungspolitischen Dachverband auf EU-Ebene, liegt ein Dokument vor, das die Pläne zum Einsatz von Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) im Rahmen der Global Gateway Strategy, einer Strategie, die die wirtschaftliche Sicherheit der EU verbessern soll, beleuchtet.
Das Dokument legt eine einseitige strategische Neuausrichtung nahe, die nicht die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (SDGs) in den Fokus einer Vergabestrategie von EZA-Mitteln rückt, sondern eine Priorisierung von Wettbewerb und europäischen Wirtschaftsinteressen, die unter anderem der Sicherung kritischer Rohstoffe für die Industrie dient und im Kontext geostrategischer Interessen betrachtet werden muss. Die Global Gateway Strategie ist zwar für die Ausrichtung und Koordination der außenwirtschaftspolitischen Investitions- und Sicherheitsaktivitäten der EU von Bedeutung, sie ist aber keine Antwort auf die Vielschichtigkeit der Herausforderungen der Partnerländer, insbesondere nicht im entwicklungspolitischen Kontext. Europäische Geopolitik in Form der Global Gateway Strategy darf Entwicklungspolitik — auch nicht partiell — ersetzen. Sie muss sie vielmehr sinnvoll und kohärent im Sinne einer globalen Nachhaltigkeitspolitik ergänzen.
Die Hauptaufgaben, die wir als EU vordergründig im Einsatz von EZA-Mitteln seit Jahrzenten verfolgen ist es, tragfähige Partnerschaften aufzubauen, um in der Welt Frieden, Sicherheit, Gleichheit und Wohlstand zu fördern, Armut entgegenzuwirken und den Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen. Die entwicklungspolitische Forschung zeigt eindeutig: Investitionsprojekte allein sind nicht der Schlüssel zur Bewältigung der multiplen Krisen, mit denen die Welt konfrontiert ist, und damit eine unzureichende Perspektive in der Allokation von Ressourcen.
Wir sehen durch die vorgeschlagene Schwerpunktsetzung die Glaubwürdigkeit und den Ruf der EU als verlässliche Partnerin des globalen Südens grundlegend gefährdet.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage
1. Wie wird sich Österreich in die Global Gateway Strategy einbringen?
2. Welche Strukturen wird es zur Entwicklung und Ausverhandlung geben und mit wem und mit welchem politischen Auftrag wird Österreich dort vertreten sein?
3. War Österreich in die Entwicklung der oben beschriebenen Strategie, eine politische Schwerpunktverlagerung vorzunehmen, eingebunden?
a. Wenn ja: In welchem Rahmen und durch wen? Welche Elemente hat Österreich dazu eingebracht? Welche hat es verhindert?
b. Wenn nein: Warum nicht?
4. Die Auswirkungen von Ungleichheit, Machtverhältnissen und undemokratischen Tendenzen auf das aktuelle Weltgeschehen werden im Dokument nicht erwähnt, obwohl die Abteilung Internationale Partnerschaften (GD INTPA), die für die Planung der Entwicklungspolitik der EU zuständig ist, in Form der SDGs und der Agenda 2030 klare Verpflichtungen eingegangen ist, die die Vielschichtigkeit der globalen Herausforderungen anerkennen. Gleichzeitig hat das Europäische Parlament die Europäische Kommission wiederholt aufgefordert, ihre Bemühungen um die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung zu verstärken. Zuletzt in einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Juni 2023 zur Umsetzung und Verwirklichung der SDGs.
a. Wie stellen Sie sicher, dass der Vielschichtigkeit an Herausforderungen, die die SDGs widerspiegeln, auch in Zukunft Rechnung getragen wird?
5. Laut dem geleakten Briefing plant die für Entwicklungszusammenarbeit zuständige Generaldirektion der EU-Kommission im Rahmen der Global Gateway Strategy künftig vorrangig in wirtschaftliche Interessen in geopolitisch relevanten Regionen zu investieren. Dabei ist die Beseitigung der Armut nach wie vor das vorrangige Ziel der EU-Entwicklungspolitik, wie auch der neue Europäische Konsens über die Entwicklungspolitik aus 2017 bekräftigt. Der wirtschaftsfreundliche Schwenk in der EZA-Strategie kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die absolute Armut global an einem Höhepunkt ist. Im Jahr 2020 lebten nach Prognosen der Weltbank auf der Erde rund 719 Millionen Menschen in extremer Armut - 2019 lag die Zahl bei 648 Millionen Menschen. Sie ist demnach innerhalb eines Jahres um rund 70 Millionen Menschen gestiegen, der höchste Zuwachs seit dem Jahr 1990.[1]
a. Inwiefern halten Sie es für legitim, Geld, das für Nahrungsmittel für Kinder, die abends hungrig ins Bett gehen müssen, verwendet werden könnte, stattdessen in die Förderung von Rohstoffen zu investieren, die die Gewinnmarge europäischer Großunternehmen erhöhen und in weiterer Folge stattdessen den bereits hohen Lebensstandard von Aktionär:innen weiter verbessern?
6. Die Global-Gateway-Strategie der EU ist ein öffentliches und privates Investitionsprogramm, mit dem zwischen 2021 und 2027 weltweit bis zu 300 Milliarden Euro an Investitionen mobilisiert werden sollen.
a. Wie wird sichergestellt, dass Themen wie nachhaltige Landwirtschaft, Klimagerechtigkeit, Bildungschancen und Gesundheitsversorgung für alle, im vorgeschlagenen Strategieschwenk die Rolle spielen werden, die sie einnehmen müssen, um die kapitalistische Marktlogik einzudämmen und die Zuspitzung der Ungleichheit und der Verbreitung von extremer Armut aufzuhalten?
b. Wie wird sichergestellt, dass Einkünfte durch Gewinne und Steuereinnahmen, die durch die Global Gateway Strategy generiert werden, den Menschen in den Ursprungsländern der Rohstoffe zugutekommen?
7. Derzeit legt die Global-Gateway-Strategie einen Schwerpunkt auf große Infrastrukturprojekte in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern und stellt damit geopolitische Machtbestrebungen in den Vordergrund der Strategie. Es ist gemeinhin bekannt, welches Potenzial die Wirtschaft für die internationale Entwicklung birgt. Die Grenzen dieses Potentials liegen etwa in den ärmsten oder in fragilen Ländern, deren Märkte für Investor:innen unbedeutend sind, wohingegen EZA gerade für Einwohner:innen dieser Länder Zukunftsperspektiven schaffen kann.
a. Wie werden Sie im Rahmen des EU-Außenministerrats sicherstellen, dass die EZA der EU nicht zu einem Spielball kurzsichtiger Profit— und Machtbestrebungen wird, sondern die Interessen der Ärmsten zentral berücksichtigt?
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1356924/umfrage/elobale-armut-anzahl-der-armen-menschen/ (6.5.2024)