18493/J XXVII. GP

Eingelangt am 15.05.2024
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Anfrage

der Abgeordneten Christian Oxonitsch,
Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung

betreffend „Herausforderungen im Bildungssystem durch Familienzusammenführungen“

 

Die letzten Wochen stand der „Familiennachzug“ regelmäßig im Fokus der politischen Debatte: Wenn Personen in Österreich internationalen Schutz erhalten, können nahe Angehörige innerhalb von drei Monaten einen Antrag auf Familiennachzug stellen. Sie erhalten ein Einreisevisum, auf dessen Basis sie anschließend einen Asylantrag in Österreich stellen können. Auch wenn der „Familiennachzug“ derzeit einige Herausforderungen mit sich bringt, hat er legitime und wichtige Ziele: Das Zusammenführen von bestehenden Familien verfolgt nicht nur grundlegende, menschliche Bedürfnisse, sondern auch integrationspolitische Zwecke. Denn, von jemandem zu verlangen sich in eine Gesellschaft zu integrieren, zu der die engsten Bezugspersonen keinen Zugang haben, ist kaum möglich. Die 2003 stattgefundene Verankerung von Familienzusammenführungen im europäischen Recht, welche für Österreich sogar durch die ÖVP-FPÖ Koalition verhandelt und beschlossen wurde, hat also gute Gründe.

 

Die Kanzler-Partei ÖVP, die mit Bildungs-, Integrations- und Innenministerium alle für den Familiennachzug wesentlichen Ressorts besetzt, zeichnet sich derzeit durch planlose Untätigkeit aus. Anstatt mit Ländern, Schulen und NGOs gemeinsam an einem Strang zu ziehen und Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu suchen, lässt die Volkspartei die Situation bewusst eskalieren und schiebt jede Verantwortung von sich weg. Zusätzlich wirkt es so, als würde durch das Vorschieben von angeblichen Maßnahmen, die bereits jetzt geltende Rechtslage sind, die Bevölkerung bewusst getäuscht. Denn obwohl die Bundesregierung den vollen Überblick über sämtliche bevorstehende Familienzusammenführungen hatte, wurden diese Informationen den Bundesländern und Schulen über Monate hinweg vorenthalten, womit jede seriöse Vorbereitung verunmöglicht wurde. Gleichzeitig wurde im Bildungsministerium keine einzige Maßnahme gesetzt, die den derzeit sehr geforderten Schulen unter die Arme greift. 3.000 zusätzliche Schüler:innen sollen nun ohne zusätzliche Bundesmittel ins Bildungssystem integriert werden. Stattdessen bezeichnet ÖVP-Generalsekretär Stocker die aktuelle Situation als „regionales Problem“, um das sich die Wiener Stadtregierung „selbst kümmern“ müsse. Dass die Finanzierung von Lehrer:innen dem Bund obliegt, wird dabei ebenso ignoriert, wie der eigentliche Ursprung dieses „regionalen Problems“: Wien erfüllt als einziges Bundesland die vorgesehene Quote in der Flüchtlingsbetreuung, aufgrund der fehlenden Bereitschaft anderer Bundesländer sogar um mehr als das 2-fache.

 

Die jetzige Situation zeigt auch, dass diverse Mechanismen in der Zuteilung von Planstellen nicht mehr zeitgemäß sind. Neben der grundlegenden Tatsache, dass ein schulischer Stellenplan, der den Zuzug von tausenden schulpflichtigen Kindern nicht berücksichtigen konnte, adaptiert werden muss, sind vor allem die Höchstmaße an abrufbaren Planstellen ein Problem. Ähnlich wie beim sonderpädagogischen Förderbedarf, wo unabhängig vom eigentlichen Bedarf ein starrer 2,7 Prozentwert herangezogen wird, orientieren sich auch diese zweckgebundenen Planstellen nicht mehr an der tatsächlichen Situation: Überschreitet ein Bundesland etwa eine gewisse Höchstzahl an Schüler:innen mit Deutschförderbedarf, werden keine weiteren Planstellen zur Deutschförderung mehr zur Verfügung gestellt. In Wien fehlt es deshalb an entsprechenden Lehrkräften für über 3.000 Schüler:innen. Derselbe Mechanismus führt dazu, dass Bundesländer bei besonders starkem Anstieg an Schüler:innen dazu gezwungen werden, die ohnehin zu hohe Zahl an Schüler:innen pro Schulklasse weiter zu erhöhen. In der gegenwärtigen Situation muss erkannt werden, dass solche Deckelungen die ohnehin schwierige Situation im Schulsystem weiter zuspitzen und dringend reformiert gehören.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE

1.       Gab es im Zeitraum September 2023 – Mai 2024 einen festgelegten, regelmäßigen Kommunikationsablauf zwischen dem Bundesministerium für Inneres und dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend der aktuellen bzw. zu erwartenden Situation durch die Familienzusammenführungen?

a.       Falls ja: Welchen und zu welchen Zeitpunkten? Welche Akteure waren seitens des BMBWF involviert?

b.       Falls nein: Warum nicht? Gab es seitens des BMBWF Initiativen, um entsprechende Kommunikationsabläufe zu etablieren?

2.       Haben Sie bzw. das BMBWF im Zeitraum September 2023 bis Mai 2024 Informationen/Prognosen vom BMI über bevorstehende Familienzusammenführungen, insbesondere über die Zahl der ankommenden Kinder im schulpflichtigen Alter erhalten?

a.       Falls ja:

                                                               i.      Wann? Welche Informationen wurden übermittelt?

                                                             ii.      An welche Stellen haben Sie bzw. das BMBWF diese Informationen weitergegeben und zu welchem Zeitpunkt erfolgte(n) die Weitergabe(n)?

3.       Sind Bundesländer/Schulerhalter an Sie bzw. das BMBWF mit dem Anliegen herangetreten, Informationen/Zahlen zu bevorstehenden Familienzusammenführungen zu erhalten?

a.       Falls ja: Wann? Wie wurde diesem Anliegen entsprochen?

b.       Falls nein: Warum nicht?

4.       Wurden den Bundesländern/Schulerhaltern im Zeitraum Oktober 2023 bis Mai 2024 Informationen zu aktuellen bzw. bevorstehenden Familienzusammenführungen übermittelt?

a.       Falls ja: An welche Stellen und wann wurden diese Informationen übermittelt?

b.       Falls nein: Warum nicht?

5.       Wie viele Personen sind seit September 2023 im Pflichtschulbereich als außerordentliche Schüler:innen aufgenommen worden? (Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesländern)

a.       Verfügen Sie über Prognosen, wie viele weitere außerordentliche Schüler:innen (insb. aufgrund des Familiennachzugs) bis September 2024 im Pflichtschulbereich aufgenommen werden müssen?

                                                               i.      Falls ja: Bitte um Darstellung der Prognosen und Aufschlüsselungen nach Bundesländern.

                                                             ii.      Falls nein: Warum werden solche nicht erstellt?

6.       Wie hoch war/ist die Anzahl der im Stellenplan vorgesehenen Planstellen für die allgemeinbildenden Pflichtschulen im Schuljahr 2023/2024? (Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesländern und Schulstufen)

a.       Derzeit ist für diverse zweckgebundene Planstellen eine Deckelung (Höchstmaß an abrufbaren Planstellen) vorgesehen. Überschreitet ein Bundesland eine gewisse Höchstzahl an Schüler:innen, etwa mit Deutschförderbedarf, werden keine weiteren Planstellen für die Deutschförderung zur Verfügung gestellt. Infolgedessen kann für derzeit in Wien ankommende Kinder kaum Deutschförderung zur Verfügung gestellt werden.

                                                               i.      Halten Sie diese Deckelung in der gegenwärtigen Situation für sinnvoll? Ist eine Abschaffung/Aussetzung der Deckelung geplant?

7.       Wann wurde der Stellenplan für das Schuljahr 2023/2024 und die allgemeinbildenden Pflichtschulen entworfen?

a.       Wurde der Stellenplan aufgrund des massiven Familiennachzugs im Laufe des Schuljahres adaptiert/erweitert?

                                                               i.      Falls nein: Ab welcher Zahl an zusätzlichen, im Laufe des Schuljahres neu eintretenden Schüler:innen halten Sie eine Adaption des Stellenplans bzw. weitere Planstellen fürs notwendig?

8.       In der Anfragebeantwortung 15595/AB[1] wurde angegeben, dass den Bildungsdirektionen im Schuljahr 2023/2024 ein Förderstundenpaket für in Österreich ankommende Kinder im Ausmaß von bis zu 611 zusätzlichen Planstellen zur Verfügung gestellt wird.

a.       Wie teilen sich diese 611 Planstellen auf die neun Bundesländer/Bildungsdirektionen auf?

                                                               i.      Wurde das Ausmaß des Familiennachzugs in den verschiedenen Bundesländern bei dieser Aufteilung berücksichtigt?

                                                             ii.      Sind diese 611 zusätzlichen Planstellen auch tatsächlich besetzt worden?

9.       In der Anfragebeantwortung 15595/AB wurde angegeben, dass die Planstellen für Lehrkräfte, die in allgemeinbildenden Pflichtschulen in der Deutschförderung tätig sind, ab dem Schuljahr 2023/2024 um ein Viertel (135 Planstellen) erhöht wurden.

a.       Wie teilen sich diese 135 Planstellen auf die nun Bundesländer auf?

b.       Sind diese 135 zusätzlichen Planstellen auch tatsächlich besetzt worden?

10.   Gibt es seitens des BMBWF Überlegungen oder Pläne eine Orientierungsphase für Kinder, die im Rahmen von Familienzusammenführungen nach Österreich kommen, nach dem Vorbild der Maßnahmen für Kinder aus der Ukraine, einzuführen?

a.       Falls ja: Bitte um Darstellung des Vorhabens.

b.       Falls nein: Warum nicht?



[1] https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/15595/imfname_1592822.pdf