18745/J XXVII. GP
Eingelangt am 29.05.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Christoph Zarits
Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport
betreffend Weiterentwicklung der sportmedizinischen und sportpsychologischen Betreuung von Sportlerinnen und Sportlern im Spitzen- und Leistungssport mit Schwerpunkt auf Nachwuchsleistungssport
Sportliche Aktivität (unabhängig von Sportart, Umfang und Ausmaß) stellt für Kinder und Jugendliche eine grundlegende Voraussetzung dar, sich physisch, psychisch, psychosozial und emotional bestmöglich zu entwickeln. Zahlreiche Studien belegen den Benefit von körperlicher Aktivität auf die psychische Gesundheit (mental health) für das gesamte Leben (vgl.Schulz et al., 2011).
Sport und körperliche Aktivität sind unbestritten gesund. Nicht nur Hobbysportlerinnen und -Sportler, die etwa aus Gründen der Gesundheit Sport betreiben, haben eine höhere Lebenserwartung, sondern auch ehemalige Leistungssportlerinnen und -Sportler. Insbesondere Ausdauersportler würden im Mittel länger als Nichtsportler leben. Andererseits können intensive und erschöpfende körperliche Belastungen zu gesundheitlichen Gefährdungen, Schäden oder gar zum Tode führen. So sind z.B. plötzliche Herztodesfälle im Sport meist durch eine dem Sporttreibenden unbekannte Herzerkrankung bedingt, stellt Univ.-Prof. Dr. Jürgen Scharhag im Bundessportmagazin fest.
Sowohl akute Gefährdungen (wie z.B. der plötzliche Herztod) als auch chronische Schäden (etwa Kniearthrose) können durch standardisierte sportmedizinisch-internistische und sportmedizinisch-orthopädische Vorsorgeuntersuchungen für Sportlerinnen und Sportler (Sporttauglichkeitsuntersuchung) erkannt und somit im Sport reduziert werden. Für den plötzlichen Herztod konnte in Italien durch die Einführung einer ab 1982 gesetzlich verpflichtenden, jährlichen Sporttauglichkeitsuntersuchung für Wettkampfsportler aller Klassen und Disziplinen die Häufigkeit des plötzlichen Herztodes beim Sport über mehr als zwei Jahrzehnte kontinuierlich gesenkt werden: von 3,6 auf 0,4 Todesfälle pro 100.000 Sporttreibende und Jahr.
Daher ist es von großer Bedeutung bereits im Nachwuchsbereich anzusetzen und die jungen Sportlerinnen und Sportler hinsichtlich der körperlichen und mentalen Anforderungen sowie der sportartspezifischen Herausforderungen sportmedizinisch und -psychologisch bestmöglich zu begleiten und zu betreuen. Denn langfristige intensive und erschöpfende körperliche und mentale Belastungen können auch zu gesundheitlichen Gefährdungen und Schäden führen. Ein frühzeitiges Erkennen und Behandeln von psychischen (Folge-)Erkrankungen (wie Schlafstörungen, Depressionen, Essstörungen, autoaggressives Verhalten u. Ä.) und körperlichen Erkrankungen (Herzschäden, Überlastungsfrakturen, Magersucht u. Ä.) kann eine - leistungsorientierte - Sportausübung bis ins hohe Alter positiv fördern. Dabei sollte ein ganzheitlicher und interdisziplinärer Präventionsansatz gewählt werden.
Basis der Sporttauglichkeitsuntersuchung sind die ärztliche Befragung (Anamnese), die körperliche internistisch-kardiologische Untersuchung des Herz-Kreislauf-Systems sowie der inneren Organe und die orthopädische Untersuchung des Stütz- und Bewegungsapparates. Basis der sportmotorischen Testung & kardiologischen Testungen sind standardisierte Tests wie Muskelfunktionstests und Belastungs-EKGs. Basis der sportpsychologischen Testung sind die Messung kognitiver und psychologischer Fähigkeiten und Prädikatoren der sportlichen Leistungserbringung.
Im Nachwuchsleistungssport bestehen bereits im Jugendalter hohe körperliche und mentale Anforderungen (z.B. hohe Wettkampfdichte, Doppelbelastung Schule und Sport, mangelnde Regenerationsphasen), welche eine Vielzahl an gesundheitlichen Beschwerden und Behandlungsbedürfnissen hervorrufen können. In jenen Fällen, wo Verbände, etwa anlässlich der Teilnahme Ihrer Athletinnen und Athleten an Wettkämpfen, oder deren Vereine nicht über Risiken aufklären und entsprechende Angebote vermitteln, sind Sportlerinnen und Sportler bei der Wahl der Versorgungsmöglichkeiten auf sich selbst bzw. ihre Eltern gestellt. Dann fehlt es auch an Informationen, wo welche Leistungen angeboten werden bzw. werden Ärzte oder Psychologen erst aufgesucht, wenn bereits Beschwerden eingetreten sind. Präventive Aspekte kommen oft zu kurz und eine standardisierte Sporttauglichkeitsuntersuchung ist nicht immer Voraussetzung für die Ausübung von Wettkampfsportarten.
Mit dem Eintritt in ein schulisches Leistungsmodell werden Jugendliche oft das erste Mal mit dem Erfordernis einer Sporttauglichkeitsuntersuchung konfrontiert. Der Zugang zu sportmedizinischen und -psychologischen Vorsorgeangeboten sollte daher grundsätzlich allen Sportlerinnen und Sportlern ermöglicht werden, die regelmäßig und wettkampforientierten Sport in einem Verein betreiben. Um eine bestmögliche körperliche und mentale Gesundheit der jungen Athletinnen und Athleten zu gewährleisten, wäre aber eine regelmäßige Erhebung des Status sowie von Verbesserungsmöglichkeiten notwendig. Zu letzterem ergab eine Nachwuchssport-Studie der Universität Wien, Abteilung für Sportmedizin, Leistungsphysiologie und Prävention am Institut für Sportwissenschaft, dass sich die Nachwuchssportlerinnen und -sportler in vielen Bereichen zusätzliche Betreuungsarbeit wünschen. In den Bereichen, in denen genügend Versorgung vorhanden ist, sind sie mit der Umsetzung und Durchführung sehr zufrieden. Auffällig sei, so die Studie, eine hohe Anzahl an Verletzungen bei fehlenden derartigen Angeboten und die Forderung nach zusätzlichem Personal in sportmedizinischen und auch in den sportwissenschaftlichen Bereichen. Die Analyse der sportmedizinischen Untersuchungen ergab, dass insbesondere im Bereich der kardiologischen Untersuchungen Bedarf für häufigere Untersuchungen besteht. In diesem Zusammenhang sollte vermehrt ein Fokus auf die Athletinnen und Athleten außerhalb von Sportschwerpunkt-Schulen gelegt werden, so die Studien-Autoren. Eine weitere Empfehlung für die Praxis aus dieser Studie ist etwa der Ausbau der Aufklärungsarbeit zur verbesserten Regeneration durch regelmäßigen, ausreichenden Schlaf.
Die Integration sportpsychologischer Methoden in das Trainings- und Wettkampfgeschehen sollte ein weiterer wichtiger Schwerpunkt sein. Denn aus der stetigen Betreuungs- und Evaluierungstätigkeit des Österreichischen Bundesnetzwerkes Sportpsychologie (ÖBS) kann abgeleitet werden, dass sportpsychologische Betreuung wirkt und die Entwicklung mentaler Kompetenzen fördert. Sportpsychologische Diagnostik trägt wesentlich dazu bei, die Wahrnehmung von Ressourcen und Belastungsfaktoren zu beforschen und auch zu erkennen, um einerseits einzelne in ihrer Entwicklung als Athletin oder Athlet zu begleiten und zu unterstützen und andererseits auch Verbänden Impulse bzw. Konzepte zu bieten, die zur Förderung einer psychisch gesunden Leistungsentwicklung beitragen.
Die Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit ist für eine erfolgreiche, sportliche Entwicklung unserer Athletinnen und Athleten durch eine professionelle Begleitung und Betreuung im körperlichen und mentalen Bereich unerlässlich. Die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Spitzensports führen zudem zu einem erhöhten Bedarf hinsichtlich Prävention und Intervention mit dem Ziel der Sicherstellung von physischer und psychischer Gesundheit von Sportlerinnen und Sportlern sowie Trainerinnen und Trainern. Daher ist den unterfertigten Abgeordneten die Sicherstellung einer gesamtösterreichischen sportwissenschaftlichen sportmedizinischen und sportpsychologischen Betreuung von Sportlerinnen und Sportlern im Spitzen- und Leistungssport mit Schwerpunkt Nachwuchsleistungssport und die Sicherstellung einer ausreichenden Beratung von Trainerinnen und Trainern, aber auch Eltern und Erziehungsberechtigten in Koordination mit allen bestehenden Einrichtungen wie etwa dem Österreichischen Institut für Sportmedizin, Leistungssport Austria, dem Österreichischen Bundesnetzwerk Sportpsychologie oder den Bundessportakademien ein großes Anliegen. Ziel ist eine noch engere Kooperation zwischen den genannten Einrichtungen mit den Verbänden und Vereinen des Österreichischen Sports sowie eine Ausweitung der Leistungen für Sportlerinnen und Sportler im Spitzen- und Leistungssport, insbesondere im Nachwuchsleistungssport. Denn jede/r Sportler/in in Österreich sollte zumindest die Möglichkeit haben, ihre Leidenschaft, ihren Sport möglichst lange gesund ausüben zu können. Dafür braucht es Maßnahmen, die niederschwellig, für jeden zugänglich und leistbar sind und den hohen Prozentsatz an Drop outs im Nachwuchsbereich verringern.
Die Unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
1. Was unternehmen Sie, um eine modernen Standards entsprechende sportmedizinische und sportpsychologische Betreuung von Sportlerinnen und Sportlern im Spitzen- und Leistungssport nachhaltig sicherzustellen und vorhandene Strukturen zu stärken?
2. Werden Sie veranlassen, dass insbesondere die Angebote im Nachwuchsleistungssport auf Grundlage einer wissenschaftlichen Erhebung zum Bedarf ausgebaut werden?
3. Werden Sie darauf einwirken, dass von den zuständigen Einrichtungen verstärkt präventive Maßnahmen entwickelt werden?
4. Wie wollen Sie die Zugänge der Sportlerinnen und Sportler zu betreuungsunterstützenden Maßnahmen - etwa in finanzieller Hinsicht - erleichtern?
5. Was unternehmen Sie, damit die diesbezüglichen Angebote insbesondere des Österreichischen Instituts für Sportmedizin, der Leistungssport Austria, des Österreichischen Bundesnetzwerks Sportpsychologie und der Bundessportakademien harmonisiert, für bestimmte Zielgruppen standardisiert und breiter zugänglich gemacht werden?
6. Werden Sie die Voraussetzungen schaffen, dass die Bundes-Sport GmbH etwa im Wege über die Fach- und Dachverbände dazu Programme mit konkreten Maßnahmen anbietet?
7. Wie werden Sie die Aufklärungsarbeit intensivieren, um auch das Umfeld der Sportlerinnen und Sportlern, insbesondere Trainerinnen und Trainer, Eltern/Erziehungsberechtigte, etc. in medizinischer und psychologischer Hinsicht zu sensibilisieren (präventive) Kompetenzen zu entwickeln?
8. Werden Sie Präventionsprogramme entwickeln, die Risikofaktoren identifizieren, physische und psychische Gesundheit fördern sowie die Resilienz von Athletinnen und Athleten, Trainerinnen und Trainern sowie deren Umfeld stärken?
9. Werden Sie für eine angemessene Erhöhung der Förderung für sportmedizinische Voruntersuchungen pro Kaderatheltin/Kaderathlet sorgen?
10. Werden Sie einen Pool an verfügbarem Personal aus den Bereichen Sportmedizin, Physiotherapie, Sportwissenschaften und Sportpsychologie zur optimalen Betreuung des Spitzensports und Nachwuchsleistungssports etwa für Trainingslager und Wettkämpfe etablieren?
11. Werden Sie eine Unterstützung für Sporttauglichkeitsuntersuchungen von Nachwuchs-Leistungssportlerinnen und -Sportlern, insb. bei deren Einstieg in schulische Leistungsmodelle, sowie eine regelmäßige und flächendeckende Prävention auch für Nachwuchskaderathletinnen und -athleten und für Leistungssportschulen einrichten?
12. Werden Sie die Finanzierung der Kompetenzzentren des Österreichischen Bundesnetzwerkes Sportpsychologie nachhaltig sicherstellen?
13. Was unternehmen Sie für eine Weiterentwicklung der angewandten Sportpsychologie und Annäherung an internationale Vorbilder wie etwa Deutschland oder nordische Staaten?
14. Wie sorgen Sie für einen breiteren Einsatz von Programmen für eine regelmäßige sportpsychologische Diagnostik zu möglichen Belastungsfaktoren im Spitzen- und Nachwuchsleistungssport?
15. Werden Sie ein leistbares/gefördertes Angebot sportpsychologischer Betreuung für alle Nachwuchsleistungssportlerinnen und -Sportler, die bei einem österreichischen Fachverband eine Lizenz lösen, sicherstellen?
16. Werden Sie zur Realisierung oben stehender Maßnahmen dafür sorgen, dass neue Förderprogramme der Bundes-Sport GmbH für Fachverbände eingerichtet werden?
17. Werden Sie zur Realisierung oben stehender Maßnahmen dafür sorgen, dass die Fortbildungsangebote von ÖBS und Bundessportakademie für Trainerinnen und Trainer ausgebaut werden?
18. Werden Sie zur Realisierung oben stehender Maßnahmen dafür sorgen, dass die Olympiazentren als Partner für die Betreuung und Entwicklung vieler Athletinnen und Athleten einbezogen werden?
19. Werden Sie eine (Online)Plattform zum Wissenstransfer in der Sportpsychologie, insb. mit Blickrichtung Verbände, Vereine, Trainerinnen und Trainer, Eltern/Erziehungsberechtigte sowie Sportlerinnen und Sportler einrichten?
20. Wie sorgen Sie für einen gezielten Einsatz von Verletzungsprävention durch geschultes Personal, um die hohe Anzahl an Verletzungen zu reduzieren?
21. Werden Sie ganzheitliche/interdisziplinäre Anlaufstellen in allen Bundesländern, an welche sich Vereine mit ihren Sportlerinnen und Sportlern (im Nachwuchs-, Leistungs- und Spitzensport) wenden können und die u.a. als Koordinationsstelle zwischen dem organisierten Sport (Vereine/Verbände/Institutionen) und bereits bestehender Gesundheitszentren agieren, installieren?