18786/J XXVII. GP

Eingelangt am 12.06.2024
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Überwachung durch die Hintertür

 

Die jüngsten Pläne der EU-Kommission zur Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen auf digitale Endgeräte, einschließlich Haushaltsgeräte, werfen erhebliche Fragen hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre und der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger auf. Ein vertrauliches Vorschlagspapier einer Expertengruppe ("High-Level Group on access to data for effective law enforcement“; sogenannte Going-Dark-Expertengruppe) im Auftrag der EU-Kommission zeigt, dass nicht nur Kommunikationsdienste wie WhatsApp und Telefone überwacht werden sollen, sondern auch das "Internet der Dinge" ins Visier genommen wird. Dies umfasst vernetzte Geräte wie Heimassistenten, smarte Kühlschränke und sogar vernetzte Autos.

Die Standardisierung, die in dem Papier gefordert wird, könnte dazu führen, dass Daten von diesen Geräten abgegriffen und im Zweifel auch verwendet werden können. Dies stellt eine erhebliche Gefahr für die Privatsphäre der Nutzer dar. Insbesondere da die Möglichkeit, dass solche Daten ohne spezifischen Verdacht gesammelt und gespeichert werden könnten, gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Verbot einer allgemeinen Überwachung verstößt.

Besonders problematisch ist die erneute Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung. Diese Maßnahme verpflichtet Anbieter von Telekommunikations- und Internetdiensten, die Verkehrsdaten aller Nutzer über einen bestimmten Zeitraum zu speichern und bei Bedarf an Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben. Dies kann IP-Adressen, Telefonkontakte und Standortdaten umfassen, was eine umfassende Überwachung der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht. Der Europäische Gerichtshof hat in der Vergangenheit bereits mehrfach entschieden, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung gegen die Grundrechte verstößt.

Die Implementierung solcher Maßnahmen würde nicht nur die Privatsphäre massiv einschränken, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in digitale Technologien und Dienstleistungen untergraben. Es besteht die Gefahr, dass Sicherheitslücken bewusst offengelassen werden, die dann von Kriminellen ausgenutzt werden könnten. Dies könnte die Sicherheit von digitalen und vernetzten Geräten erheblich gefährden.

Die Empfehlungen einer Expert:innengruppe zum Thema Going Dark wurden auch schon im Ständigen Ausschusses für die operative Zusammenarbeit im Bereich der Inneren Sicherheit (COSI) erörtert. In der Sitzung am 29. Mai sprachen sich mehrere EU-Mitgliedsstaaten für einen Zugriff auf verschlüsselte Daten und Kommunikation sowie eine europaweite Vorratsdatenspeicherung aus, darunter auch Österreich. Einzig Luxemburg sprach sich gegen eine Schwächung von Verschlüsselung aus.

Die österreichische Bundesregierung steht nun in der Verantwortung, sich auf europäischer Ebene vehement gegen diese Pläne einzusetzen und für eine grundrechtskonforme Lösung zu kämpfen anstatt weiterhin sich für überbordende Überwachungsmaßnahmen einzusetzen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger gewahrt bleiben und dass Überwachungsmaßnahmen nur auf Grundlage eines spezifischen, begründeten und individuellen Verdachts erfolgen. Die Notwendigkeit eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Sicherheit und Privatsphäre kann nicht genug betont werden. Eine flächendeckende Überwachung aller digitalen Endgeräte ist nicht akzeptabel, mit der liberalen Demokratie unvereinbar und muss verhindert werden. 

 

Quellen:

https://www.t-online.de/digital/netzpolitik/id_100419932/whatsapp-eu-will-bald-mitlesen-sogar-haushaltsgeraete-betroffen.html

https://www.derstandard.at/story/3000000223052/eu-expertengruppe-will-chats-in-echtzeit-mitlesen-koennen

https://netzpolitik.org/2024/going-dark-eu-staaten-wollen-zugriff-auf-verschluesselte-daten-und-mehr-ueberwachung/#dokument

https://www.derstandard.at/story/3000000223813/going-dark-oesterreich-ist-fuer-eine-aufhebung-der-messenger-verschluesselung

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Wann haben Sie, Frau Ministerin, ein Kabinettsmitarbeiter, oder ein Angehöriger Ihres Ressorts zuerst von den Plänen der EU-Kommission erfahren?
  2. Ist das BMJ in die Pläne der Kommission eingebunden?
    1. Wenn ja, welche Organisationseinheiten?
    2. Wenn ja, inwiefern?
  1. In wie vielen Sitzungen der Vorbereitungsgremien des Rates, an denen Angehörige Ihres Ressorts teilgenommen haben, wurden die Vorschläge der „Going-Dark-Expertengruppe“ besprochen?
    1. Um welche Vorbereitungsgremien handelte es sich dabei jeweils?
    2. Wer nahm von Seiten des BMJ jeweils daran teil?

                                          i.    War den BMJ-Vertreter:innen jeweils bewusst, dass es eine bindende Stellungnahme des Parlaments gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG gibt, welche die Bundesregierung auffordert, sich für eine grundrechtskonforme Ausgestaltung der Chatkontrolle einzusetzen?

1.    Haben die BMJ-Vertreter:innen in diesem Sinne gehandelt?

    1. Welchen Standpunkt nahm das BMJ dabei jeweils zu welchem Punkt ein?
    2. In welchen Punkten bestand Einvernehmen?
  1. In wie vielen Sitzungen der Vorbereitungsgremien des Rates, an denen Angehörige Ihres Ressorts teilgenommen haben, wurden welche Überwachungsmaßnahmen besprochen?
    1. Um welche Vorbereitungsgremien handelte es sich dabei jeweils?
    2. Wer nahm von Seiten des BMJ jeweils daran teil?

                                          i.    War den BMJ-Vertreter:innen jeweils bewusst, dass es eine bindende Stellungnahme des Parlaments gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG gibt, welche die Bundesregierung auffordert, sich für eine grundrechtskonforme Ausgestaltung der Chatkontrolle einzusetzen?

1.    Haben die BMJ-Vertreter:innen in diesem Sinne gehandelt?

    1. Welchen Standpunkt nahm das BMJ dabei jeweils zu welchem Punkt ein?
    2. In welchen Punkten bestand Einvernehmen?
  1. Welche Punkte wurden im Anschluss im Ausschuss der Ständigen Vertreter und möglicherweise danach im Rat besprochen?
    1. War den österreichischen Vertreter:innen bewusst, dass es eine bindende Stellungnahme des Parlaments gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG gibt, welche die Bundesregierung auffordert, sich für eine grundrechtskonforme Ausgestaltung der Chatkontrolle einzusetzen?
    2. Welche Position nahm Österreich dabei jeweils zu welchem Punkt ein?
    3. Hinsichtlich welcher Punkte kam es zur Einigung im Ausschuss der Ständigen Vertreter bzw. zur Annahme im Rat?
  1. Inwiefern standen/stehen welche Organisationseinheiten Ihres Ressorts mit anderen nationalen oder ausländischen Ressorts oder Behörden betreffend der Pläne der Kommission, der nationalen Einführung einer Vorratsdatenspeicherung, der Einführung einer Messengerdienstüberwachung und/oder anderer Überwachungsmaßnahmen in Kontakt?
    1. Wie oft gab es Gespräche mit wem und von wem wurden die Gespräche jeweils angeregt?

                                          i.    Was war der jeweilige Gesprächsinhalt?

    1. Gab es vom BMJ angeregte Gespräche betreffend Vorratsdatenspeicherung, Messengerdienstüberwachung oder anderer Überwachungsmaßnahmen?

                                          i.    Wenn ja, wann und mit wem und was war der konkrete Gesprächsinhalt?

1.    Welche Position nahm das BMJ jeweils ein?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

    1. Gab es von Behörden angeregte Gespräche betreffend Vorratsdatenspeicherung, Messengerdienstüberwachung oder anderer Überwachungsmaßnahmen?

                                          i.    Wenn ja, wann und mit wem und was war der konkrete Gesprächsinhalt?

1.    Welche Position nahm das BMJ jeweils ein?

  1. Ende April wurden an diverse Medien und Organisationen ein vom BMI ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zur Überwachung von verschlüsselten Messengerdiensten wie WhatsApp und Signal ausgeschickt (https://orf.at/stories/3355621/). Inwiefern war das BMJ darin eingebunden?
    1. Welche Gespräche wurden vor Veröffentlichung mit dem BMJ geführt?

                                          i.    Welche Position nahm das BMJ jeweils ein?

    1. Wurde das BMJ vor der Veröffentlichung des Gesetzesentwurf informiert?
    2. In welchem vorparlamentarischen Stadium befindet sich der Gesetzesentwurf? 
  1. In wie vielen Ratssitzungen seit Beginn des Jahres wurde die sogenannte EU-Chatkontrolle behandelt?
    1. Welche Punkte wurden jeweils besprochen?

                                          i.    Welche Position nahm Österreich jeweils ein, insbesondere im Hinblick auf die bindende Stellungnahme des Parlaments gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG, welche die Bundesregierung auffordert, sich für eine grundrechtskonforme Ausgestaltung der Chatkontrolle einzusetzen (https://epicenter.works/fileadmin/import/antragaufstellungnahme_top1_com2022209final.pdf)?

    1. Welche Vorschläge wurden jeweils von österreichischer Seite unterbreitet?