18789/J XXVII. GP

Eingelangt am 12.06.2024
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Engagement für ein europäisches Grenzmanagement

 

Im türkis-grünen Regierungsprogramm findet sich folgendes Vorhaben bzgl. Europa: "Beitrag Österreichs für einen effizienten und menschenrechtskonformen Außengrenzschutz der EU gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und FRONTEX – rasche Stärkung von FRONTEX". Was blieb von dieser pro-europäischen Zusage? 

Seit einigen Jahren entsendet das Innenministerium vermehrt Exekutivbedienstete auf Basis bilateraler polizeilicher Kooperationen für Grenzmanagement - beispielsweise nach Ungarn und Serbien. Diese Entsendungen verursachen Kosten in Millionenhöhe.1 Im Fall von Ungarn wird unter intransparenten Bedingungen ein Staat unterstützt, der sowohl vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch vom Europäische Gerichtshof (EuGH) aufgrund seines Umgangs mit Asylsuchenden und Migrant:innen verurteilt wurde - und daher mit dem Risiko, dass sich österreichische Exekutivbedienstete an Menschenrechtsverletzungen beteiligen. Gleichzeitig ist ein sicherheitspolitischer Mehrwert für Österreich nicht nachgewiesen, so hat Ungarn im Frühling 2023 hunderte Schlepper mit der Anordnung aus der Haft entlassen, dass diese Ungarn innerhalb von drei Tagen verlassen.2

Bei EU-Grenzeinsätzen hingegen kommt es nicht zu Asymmetrien, die für das gesamte europäische Grenzmanagement ineffizient sind, denn wenn Beamt:innen über Frontex im Einsatz sind, sind sie verpflichtet, Grundrechtsverletzungen zu melden (in sogenannten "serious incident reports"). Nach innerstaatlichem Recht jedoch besteht eine solche Verpflichtung nicht. Weiters erfordert jeder Einsatz im Rahmen von Frontex eine vorherige Grundrechtsfolgenabschätzung, was auf bilateraler Ebene nicht der Fall ist.

Zuletzt stellte sich in der Anfragebeantwortung 17300/AB zu 17867/J heraus, dass Österreich deutlich mehr finanzielle Ressourcen für bilaterale Polizeieinsätze aufwendet als für Frontex. So wurden im Jahr 2023 rund 7,7 Mio. € für Frontex-Einsätze aufgewendet, wovon ein Großteil von Frontex refundiert wird, während bilaterale Einsätze über 11 Mio. € kosteten. Auch der Personalpool ist für bilaterale Polizeieinsätze doppelt so groß wie für Frontex-Einsätze.4

Es wäre angezeigt, Ressourcen für ein europäisches Grenzmanagement einzusetzen, insbesondere im Rahmen von Frontex, wie im NEOS-Entschließungsantrag 3479/A(E) bereits gefordert.Nur eine verstärkte Kooperation auf EU-Ebene ermöglicht ein Grenzmanagement nach einheitlichen, rechtsstaatlichen Standards, sodass die gemeinsamen Außengrenzen zugleich wirksam kontrolliert und die Menschenwürde von Asylwerber:innen und Migrant:innen gewahrt werden. 

 

  1. https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/J/16110; https://www.krone.at/3166467
  2. https://www.diepresse.com/6291173/schlepper-freilassungen-ungarn-fordert-von-eu-finanzielle-unterstuetzung
  3. https://fra.europa.eu/en/publication/2023/european-border-coast-guard?page=1#read-online
  4. https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/AB/17300
  5. https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/A/3479

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Laut 17300/AB wurde der österreichische Personalpool für bilaterale polizeiliche Einsätze von 69 auf 892 Bedienstete mehr als verzehnfacht, für Frontex aber nur leicht erhöht, von 400 auf 450 Beamt:innen. Wieso wurde der Personalpool für bilaterale Einsätze massiv aufgestockt, während der von Frontex nur etwas erhöht wurde? 
    1. Aus welchen Gründen wurde, trotz der im Regierungsprogramm verankerten Stärkung von Frontex, entschieden, mehr Ressourcen in bilaterale Polizeieinsätze zu investieren? 
    2. Ist geplant, den Personalpool für bilaterale polizeiliche Einsätze zu reduzieren, um zusätzliche Ressourcen für ein europäisches Grenzmanagement einzusetzen? 
  1. Wie viele österreichische Exekutivbedienstete waren im Jahr 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage insgesamt im Rahmen von Frontex tätig? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr. 
    1. Wie viele Einsatztage leisteten Exekutivbedienstete im Jahr 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage im Rahmen von Frontex? 

                                          i.    Zu welchen Kosten? Bitte um Aufschlüsselung nach Kostenstelle. 

    1. Wie viel kostete in den Jahren 2023 und 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage im Durchschnitt ein Einsatztag (jeweils mit und ohne Berücksichtigung der Refundierung durch Frontex)?
  1. Wie viele österreichische Exekutivbedienstete waren im Jahr 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage insgesamt im Rahmen von bilateralen Grenzeinsätzen? 
    1. Wie viele Einsatztage leisteten Exekutivbedienstete im Jahr 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage im Rahmen von bilateralen Grenzeinsätzen? 

                                          i.    Zu welchen Kosten? Bitte um Aufschlüsselung nach Kostenstelle. 

    1. Wie viel kostete in den Jahren 2023 und 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage im Durchschnitt ein Einsatztag?
  1. Laut 17300/AB sind im Bundesvoranschlag 2024 auf Kostenstelle 2210610 insgesamt € 30,514 Mio. budgetiert. Budgetäre Mittel in welcher Höhe wurden 2024, jeweils für Frontex und für bilaterale Einsätze, bereits ausgegeben? Bitte um Aufschlüsselung nach Kostenstelle. 
    1. Wie viele budgetäre Mittel sind für das restliche Jahr 2024 für Einsätze im Rahmen von Frontex vorgesehen? Bitte um Aufschlüsselung nach Kostenstelle.
    2. Wie viele budgetäre Mittel sind für das restliche Jahr 2024 für Einsätze im Rahmen der bilateralen polizeilichen Kooperation im Bereich Grenzmanagement vorgesehen? Bitte um Aufschlüsselung nach Kostenstelle.
  1. Gibt es abseits der o.g. Exekutivbediensteten (Frontex und bilaterale Polizeieinsätze) noch weitere Personen, die vom Innenministerium bezahlt werden und an inländischen Grenzen tätig sind? 
    1. Wenn ja, wie viele?
    2. Wenn ja, seit wann?
    3. Wenn ja, an welchen Grenzen?
    4. Wenn ja, welche Befugnisse haben diese Personen?
    5. Wenn ja, in welchem Vertrags- bzw. Dienstverhältnis stehen diese Personen?
    6. Wenn ja, wie wurden diese Personen rekrutiert?

                                          i.    Handelt es sich um Beamt:innen oder extern Beauftragte?

    1. Wenn ja, welche Personal- und Sachkosten fielen dafür in den Jahren 2023 und 2024 jeweils an?
  1. Gibt es abseits der o.g. Exekutivbediensteten (Frontex und bilaterale Polizeieinsätze) noch weitere Personen, die vom Innenministerium bezahlt werden und an ausländischen Grenzen tätig sind? 
    1. Wenn ja, wie viele? 
    2. Wenn ja, seit wann?
    3. Wenn ja, an welchen Grenzen?
    4. Wenn ja, welche Befugnisse haben diese Personen?
    5. Wenn ja, in welchem Vertrags- bzw. Dienstverhältnis stehen diese Personen?
    6. Wenn ja, wie wurden diese Personen rekrutiert?

                                          i.    Handelt es sich um Beamt:innen oder extern Beauftragte?

    1. Wenn ja, welche Personal- und Sachkosten fielen dafür in den Jahren 2023 und 2024 jeweils an? 
  1. Eine massive Aufstockung des Personals für den EU-Außengrenzschutz - konkret eine Verdreifachung - ist eine der österreichischen Bedingungen für die Lockerung des Schengenvetos gegen Rumänien und Bulgarien (https://www.sn.at/politik/innenpolitik/eu-aussengrenzschutz-schon-personal-149976991): Wie viele zusätzliche Frontex-Exekutivbediensteten plant Ihr Ministerium in dieser Legislaturperiode einzusetzen? 
    1. Welche Maßnahmen wurden seit der Äußerung dieser Forderung gesetzt, um zusätzliche Frontex-Exekutivbedienstete zu rekrutieren? 
    2. Wie viele zusätzliche Frontex-Exekutivbedienstete wurden 2024 bereits rekrutiert? 
    3. Aus welchen Gründen fordern Sie eine Verdreifachung, obwohl Österreich in dieser Legislaturperiode lediglich 50 neue Exekutivbedienstete einsetzte?

                                          i.    Welchen zusätzlichen Beitrag wird Österreich noch leisten, um dieser Forderung gerecht zu werden?

  1. Stehen Sie bzw. Vertreter:innen Ihres Ministeriums bzgl. der von Ihnen veranlassten bilateralen Polizeieinsätze im Austausch mit der Leitung von Frontex? 
    1. Wenn ja, wie steht die Leitung von Frontex zu den österreichischen bilateralen Polizeieinsätzen? 
  1. Stehen Sie bzw. Vertreter:innen Ihres Ministeriums bzgl. der von Ihnen veranlassten bilateralen Polizeieinsätze im Austausch mit den Menschenrechtsbeauftragten von Frontex? 
    1. Wenn ja, wie stehen die Menschenrechtsbeauftragten von Frontex zu den österreichischen bilateralen Polizeieinsätzen? 
  1. Bilaterale Grenzeinsätzen sind hinsichtlich der EU-Harmonisierung bzw. Vereinheitlichung der Grenzeinsätze auf EU-Ebene kontraproduktiv. Wurde dies bereits auf EU-Ebene thematisiert? Welche Gespräche, Verhandlungen udgl. wurden und werden hierzu geführt?
    1. Wann und in welchen Gremien jeweils?
    2. Welche Positionen werden jeweils von welchen Akteur:innen vertreten?  
  1. Wenn Beamt:innen über Frontex im Einsatz sind, sind sie verpflichtet, Grundrechtsverletzungen zu melden ("Serious Incident Report"): Gibt es, analog zu dem Serious Incident Report, im Rahmen von bilateraler polizeilicher Kooperation im Bereich Grenzmanagement einen ähnlichen Mechanismus? 
    1. Wenn ja, wie lauten die konkreten Anweisungen? 
    2. Wenn ja, was passiert im Falle einer Unterlassung? 

                                          i.    Welche Stelle ist hierfür zuständig? 

    1. Wenn ja, wie viele Misshandlungsvorwürfe gab es in den Jahren 2023 und 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage? 

                                          i.    Wie wurde in der Folge verfahren? 

                                        ii.    Wie viele Misshandlungsvorwürfe wurden bestätigt? Welche Konsequenzen gab es für die betroffenen Bediensteten? 

    1. Wenn nein, warum nicht? 
    2. Wenn nein, ist geplant, einen derartigen Mechanismus einzuführen? 
  1. Jeder Einsatz im Rahmen von Frontex erfordert eine vorherige Grundrechtsfolgenabschätzung: Wird eine derartige Grundrechtsfolgenabschätzung auch vor bilateralen polizeilichen Einsätzen vorgenommen? 
    1. Wenn ja, fand eine Grundrechtsfolgenabschätzung für die Einsätze in Ungarn und Serbien statt? 

                                          i.    Wie lauten die Ergebnisse? Bitte um detaillierte Schilderung der Ergebnisse? 

                                        ii.    Welche Stelle ist dafür zuständig?

    1. Wenn ja, gibt es auch ad-hoc Grundrechtsfolgenabschätzungen? 
    2. Wenn nein, warum nicht? 
    3. Wenn nein, ist geplant, die Durchführung einer derartige Grundrechtsfolgenabschätzung einzuführen? 
  1. In 17300/AB wird geschildert: "Weiters finden durch das Bundesministerium für Inneres regelmäßige Evaluierungen in den Einsatzgebieten und Besprechungen mit den Kontingenten vor allem auch mit dem Fokus der Sicherstellung eines entsprechend rechtskonformen Dienstvollzuges statt." Wann fanden solche Evaluierungen jeweils für bilaterale Einsätze in Serbien und Ungarn statt? 
    1. Mit welchen konkreten Ergebnissen bzgl. welcher Einsatzgebiete jeweils? 
    2. Werden diese Evaluierungen veröffentlicht?

                                          i.    Wenn ja, wo und wenn nein, warum nicht? 

    1. Falls keine Evaluierungen stattfanden, warum nicht?
  1. Frontex-Einsätze wurden in Ungarn gemäß Art 46 der Frontex-VO beendet, weil schwerwiegende Gründe vorlagen, dass ein Einsatz zu schwerwiegenden Verstößen gegen Grundrechte oder Verpflichtungen des internationalen Schutzes führen könnte. Ist Ihnen diese Begründung bewusst? 
    1. Wieso haben Sie, trotz Vorliegens schwerwiegender Gründe, dass ein Einsatz zu schwerwiegenden Verstößen gegen Grundrechte oder Verpflichtungen des internationalen Schutzes führen könnten, österreichische Exekutivbedienstete nach Ungarn geschickt? 
    2. Aufgrund welcher Faktenlage kamen Sie in Ihrer Einschätzung zu einem anderen Schluss als Frontex? 
  1. In 17300/AB wird erläutert, dass an bilateralen Einsätzen Teilnehmende "hinsichtlich möglicher Verletzungen von Menschenrechten im jeweiligen grenzpolizeilichen Aufgabenbereich geschult und dabei insbesondere im Erkennen und Umgang von besonders schutzwürdigen Personen sensibilisiert werden." Wie viele besonders schutzbedürftige Personen wurden im Rahmen von bilateralen Einsätzen identifiziert? Bitte um Angaben jeweils für die Jahre 2023 und 2024. 
    1. In welchen Einsatzländern jeweils? 
    2. Welche Vulnerabilitäten wurden jeweils identifiziert? Wie wurde in der Folge verfahren? 
  1. Im April passierte der EU Asyl- und Migrationspakt formal das EU Parlament. Haben Sie seit Annahme des Pakts bereits Maßnahmen gesetzt, die der Umsetzung des Pakts dienen?
    1. Wenn ja, welche? Gab es bereits Gespräche auf EU-Ebene? 
    2. Setzen Sie sich auf EU-Ebene dafür ein, dass ausreichend Ressourcen für die Umsetzung des Pakts bereitgestellt werden?
    3. Wird bereits an einem Umsetzungsplan gearbeitet?