Eingelangt am 12.06.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und
Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Engagement für ein europäisches
Grenzmanagement
Im
türkis-grünen Regierungsprogramm findet sich folgendes Vorhaben bzgl.
Europa: "Beitrag Österreichs für einen effizienten und menschenrechtskonformen
Außengrenzschutz der EU gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und FRONTEX
– rasche Stärkung von FRONTEX". Was blieb von dieser
pro-europäischen Zusage?
Seit
einigen Jahren entsendet das Innenministerium vermehrt Exekutivbedienstete auf
Basis bilateraler polizeilicher Kooperationen für
Grenzmanagement - beispielsweise nach Ungarn und Serbien. Diese Entsendungen
verursachen Kosten in Millionenhöhe.1 Im Fall von Ungarn
wird unter intransparenten Bedingungen ein Staat unterstützt, der sowohl
vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch vom
Europäische Gerichtshof (EuGH) aufgrund seines Umgangs mit Asylsuchenden
und Migrant:innen verurteilt wurde - und daher mit dem Risiko, dass sich
österreichische Exekutivbedienstete an Menschenrechtsverletzungen
beteiligen. Gleichzeitig ist ein sicherheitspolitischer Mehrwert für
Österreich nicht nachgewiesen, so hat Ungarn im Frühling 2023
hunderte Schlepper mit der Anordnung aus der Haft entlassen, dass diese Ungarn
innerhalb von drei Tagen verlassen.2
Bei
EU-Grenzeinsätzen hingegen kommt es nicht zu Asymmetrien, die für das
gesamte europäische Grenzmanagement ineffizient sind, denn wenn
Beamt:innen über Frontex im Einsatz sind, sind sie verpflichtet,
Grundrechtsverletzungen zu melden (in sogenannten "serious incident
reports"). Nach innerstaatlichem Recht jedoch besteht eine solche
Verpflichtung nicht. Weiters erfordert jeder Einsatz im Rahmen von Frontex eine
vorherige Grundrechtsfolgenabschätzung, was auf bilateraler Ebene nicht
der Fall ist.3
Zuletzt
stellte sich in der Anfragebeantwortung 17300/AB zu 17867/J heraus, dass
Österreich deutlich mehr finanzielle Ressourcen für bilaterale
Polizeieinsätze aufwendet als für Frontex. So wurden im Jahr 2023
rund 7,7 Mio. € für Frontex-Einsätze aufgewendet, wovon ein
Großteil von Frontex refundiert wird, während bilaterale
Einsätze über 11 Mio. € kosteten. Auch der Personalpool ist
für bilaterale Polizeieinsätze doppelt so groß wie für
Frontex-Einsätze.4
Es
wäre angezeigt, Ressourcen für ein europäisches Grenzmanagement
einzusetzen, insbesondere im Rahmen von Frontex, wie im
NEOS-Entschließungsantrag 3479/A(E) bereits gefordert.5 Nur
eine verstärkte Kooperation auf EU-Ebene ermöglicht ein
Grenzmanagement nach einheitlichen, rechtsstaatlichen Standards, sodass die
gemeinsamen Außengrenzen zugleich wirksam kontrolliert und die
Menschenwürde von Asylwerber:innen und Migrant:innen gewahrt werden.
- https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/J/16110; https://www.krone.at/3166467
- https://www.diepresse.com/6291173/schlepper-freilassungen-ungarn-fordert-von-eu-finanzielle-unterstuetzung
- https://fra.europa.eu/en/publication/2023/european-border-coast-guard?page=1#read-online
- https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/AB/17300
- https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/A/3479
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Laut 17300/AB wurde der österreichische Personalpool
für bilaterale polizeiliche Einsätze von 69 auf 892 Bedienstete
mehr als verzehnfacht, für Frontex aber nur leicht erhöht, von
400 auf 450 Beamt:innen. Wieso wurde der Personalpool für bilaterale
Einsätze massiv aufgestockt, während der von Frontex nur etwas
erhöht wurde?
- Aus welchen Gründen wurde, trotz der im
Regierungsprogramm verankerten Stärkung von Frontex, entschieden,
mehr Ressourcen in bilaterale Polizeieinsätze zu investieren?
- Ist geplant, den Personalpool für bilaterale
polizeiliche Einsätze zu reduzieren, um zusätzliche Ressourcen
für ein europäisches Grenzmanagement einzusetzen?
- Wie viele österreichische Exekutivbedienstete waren
im Jahr 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage insgesamt im Rahmen von Frontex
tätig? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr.
- Wie viele Einsatztage leisteten Exekutivbedienstete im
Jahr 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage im Rahmen von Frontex?
i. Zu
welchen Kosten? Bitte um Aufschlüsselung nach Kostenstelle.
- Wie viel kostete in den Jahren 2023 und 2024 bis zum
Zeitpunkt der Anfrage im Durchschnitt ein Einsatztag (jeweils mit und
ohne Berücksichtigung der Refundierung durch Frontex)?
- Wie viele österreichische Exekutivbedienstete waren
im Jahr 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage insgesamt im Rahmen von
bilateralen Grenzeinsätzen?
- Wie viele Einsatztage leisteten Exekutivbedienstete im
Jahr 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage im Rahmen von bilateralen
Grenzeinsätzen?
i. Zu
welchen Kosten? Bitte um Aufschlüsselung nach Kostenstelle.
- Wie viel kostete in den Jahren 2023 und 2024 bis zum
Zeitpunkt der Anfrage im Durchschnitt ein Einsatztag?
- Laut 17300/AB sind im Bundesvoranschlag 2024 auf
Kostenstelle 2210610 insgesamt € 30,514 Mio. budgetiert.
Budgetäre Mittel in welcher Höhe wurden 2024, jeweils für
Frontex und für bilaterale Einsätze, bereits ausgegeben? Bitte
um Aufschlüsselung nach Kostenstelle.
- Wie viele budgetäre Mittel sind für das
restliche Jahr 2024 für Einsätze im Rahmen von Frontex
vorgesehen? Bitte um Aufschlüsselung nach Kostenstelle.
- Wie viele budgetäre Mittel sind für das
restliche Jahr 2024 für Einsätze im Rahmen der bilateralen
polizeilichen Kooperation im Bereich Grenzmanagement vorgesehen? Bitte um
Aufschlüsselung nach Kostenstelle.
- Gibt es abseits der o.g. Exekutivbediensteten (Frontex und
bilaterale Polizeieinsätze) noch weitere Personen, die vom
Innenministerium bezahlt werden und an inländischen Grenzen tätig
sind?
- Wenn ja, wie viele?
- Wenn ja, seit wann?
- Wenn ja, an welchen Grenzen?
- Wenn ja, welche Befugnisse haben diese Personen?
- Wenn ja, in welchem Vertrags- bzw. Dienstverhältnis
stehen diese Personen?
- Wenn ja, wie wurden diese Personen rekrutiert?
i. Handelt
es sich um Beamt:innen oder extern Beauftragte?
- Wenn ja, welche Personal- und Sachkosten fielen
dafür in den Jahren 2023 und 2024 jeweils an?
- Gibt es abseits der o.g. Exekutivbediensteten (Frontex und
bilaterale Polizeieinsätze) noch weitere Personen, die vom
Innenministerium bezahlt werden und an ausländischen Grenzen
tätig sind?
- Wenn ja, wie viele?
- Wenn ja, seit wann?
- Wenn ja, an welchen Grenzen?
- Wenn ja, welche Befugnisse haben diese Personen?
- Wenn ja, in welchem Vertrags- bzw. Dienstverhältnis
stehen diese Personen?
- Wenn ja, wie wurden diese Personen rekrutiert?
i. Handelt
es sich um Beamt:innen oder extern Beauftragte?
- Wenn ja, welche Personal- und Sachkosten fielen
dafür in den Jahren 2023 und 2024 jeweils an?
- Eine massive Aufstockung des Personals für den
EU-Außengrenzschutz - konkret eine Verdreifachung - ist eine der
österreichischen Bedingungen für die Lockerung des Schengenvetos
gegen Rumänien und Bulgarien (https://www.sn.at/politik/innenpolitik/eu-aussengrenzschutz-schon-personal-149976991):
Wie viele zusätzliche Frontex-Exekutivbediensteten plant Ihr
Ministerium in dieser Legislaturperiode einzusetzen?
- Welche Maßnahmen wurden seit der
Äußerung dieser Forderung gesetzt, um zusätzliche
Frontex-Exekutivbedienstete zu rekrutieren?
- Wie viele zusätzliche Frontex-Exekutivbedienstete
wurden 2024 bereits rekrutiert?
- Aus welchen Gründen fordern Sie eine Verdreifachung,
obwohl Österreich in dieser Legislaturperiode lediglich 50 neue
Exekutivbedienstete einsetzte?
i. Welchen
zusätzlichen Beitrag wird Österreich noch leisten, um dieser
Forderung gerecht zu werden?
- Stehen Sie bzw. Vertreter:innen Ihres Ministeriums bzgl.
der von Ihnen veranlassten bilateralen Polizeieinsätze im Austausch
mit der Leitung von Frontex?
- Wenn ja, wie steht die Leitung von Frontex zu den
österreichischen bilateralen Polizeieinsätzen?
- Stehen Sie bzw. Vertreter:innen Ihres Ministeriums bzgl.
der von Ihnen veranlassten bilateralen Polizeieinsätze im Austausch
mit den Menschenrechtsbeauftragten von Frontex?
- Wenn ja, wie stehen die Menschenrechtsbeauftragten von
Frontex zu den österreichischen bilateralen
Polizeieinsätzen?
- Bilaterale Grenzeinsätzen sind hinsichtlich der
EU-Harmonisierung bzw. Vereinheitlichung der Grenzeinsätze auf
EU-Ebene kontraproduktiv. Wurde dies bereits auf EU-Ebene thematisiert?
Welche Gespräche, Verhandlungen udgl. wurden und werden hierzu
geführt?
- Wann und in welchen Gremien jeweils?
- Welche Positionen werden jeweils von welchen Akteur:innen
vertreten?
- Wenn Beamt:innen über Frontex im Einsatz sind, sind
sie verpflichtet, Grundrechtsverletzungen zu melden ("Serious
Incident Report"): Gibt es, analog zu dem Serious Incident Report, im
Rahmen von bilateraler polizeilicher Kooperation im Bereich
Grenzmanagement einen ähnlichen Mechanismus?
- Wenn ja, wie lauten die konkreten Anweisungen?
- Wenn ja, was passiert im Falle einer Unterlassung?
i. Welche
Stelle ist hierfür zuständig?
- Wenn ja, wie viele Misshandlungsvorwürfe gab es in
den Jahren 2023 und 2024 bis zum Zeitpunkt der Anfrage?
i. Wie
wurde in der Folge verfahren?
ii. Wie
viele Misshandlungsvorwürfe wurden bestätigt? Welche Konsequenzen gab
es für die betroffenen Bediensteten?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wenn nein, ist geplant, einen derartigen Mechanismus
einzuführen?
- Jeder Einsatz im Rahmen von Frontex erfordert eine
vorherige Grundrechtsfolgenabschätzung: Wird eine derartige
Grundrechtsfolgenabschätzung auch vor bilateralen polizeilichen
Einsätzen vorgenommen?
- Wenn ja, fand eine Grundrechtsfolgenabschätzung
für die Einsätze in Ungarn und Serbien statt?
i. Wie
lauten die Ergebnisse? Bitte um detaillierte Schilderung der Ergebnisse?
ii. Welche
Stelle ist dafür zuständig?
- Wenn ja, gibt es auch ad-hoc
Grundrechtsfolgenabschätzungen?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wenn nein, ist geplant, die Durchführung einer
derartige Grundrechtsfolgenabschätzung einzuführen?
- In 17300/AB wird geschildert: "Weiters finden durch
das Bundesministerium für Inneres regelmäßige
Evaluierungen in den Einsatzgebieten und Besprechungen mit den
Kontingenten vor allem auch mit dem Fokus der Sicherstellung eines
entsprechend rechtskonformen Dienstvollzuges statt." Wann fanden
solche Evaluierungen jeweils für bilaterale Einsätze in Serbien
und Ungarn statt?
- Mit welchen konkreten Ergebnissen bzgl. welcher
Einsatzgebiete jeweils?
- Werden diese Evaluierungen veröffentlicht?
i. Wenn
ja, wo und wenn nein, warum nicht?
- Falls keine Evaluierungen stattfanden, warum nicht?
- Frontex-Einsätze wurden in Ungarn gemäß
Art 46 der Frontex-VO beendet, weil schwerwiegende Gründe vorlagen,
dass ein Einsatz zu schwerwiegenden Verstößen gegen Grundrechte
oder Verpflichtungen des internationalen Schutzes führen könnte.
Ist Ihnen diese Begründung bewusst?
- Wieso haben Sie, trotz Vorliegens schwerwiegender
Gründe, dass ein Einsatz zu schwerwiegenden Verstößen gegen
Grundrechte oder Verpflichtungen des internationalen Schutzes führen
könnten, österreichische Exekutivbedienstete nach Ungarn
geschickt?
- Aufgrund welcher Faktenlage kamen Sie in Ihrer
Einschätzung zu einem anderen Schluss als Frontex?
- In 17300/AB wird erläutert, dass an bilateralen
Einsätzen Teilnehmende "hinsichtlich möglicher Verletzungen
von Menschenrechten im jeweiligen grenzpolizeilichen Aufgabenbereich
geschult und dabei insbesondere im Erkennen und Umgang von besonders schutzwürdigen
Personen sensibilisiert werden." Wie viele besonders
schutzbedürftige Personen wurden im Rahmen von bilateralen
Einsätzen identifiziert? Bitte um Angaben jeweils für die Jahre
2023 und 2024.
- In welchen Einsatzländern jeweils?
- Welche Vulnerabilitäten wurden jeweils
identifiziert? Wie wurde in der Folge verfahren?
- Im April passierte der EU Asyl- und Migrationspakt formal
das EU Parlament. Haben Sie seit Annahme des Pakts bereits Maßnahmen
gesetzt, die der Umsetzung des Pakts dienen?
- Wenn ja, welche? Gab es bereits Gespräche auf
EU-Ebene?
- Setzen Sie sich auf EU-Ebene dafür ein, dass
ausreichend Ressourcen für die Umsetzung des Pakts bereitgestellt
werden?
- Wird bereits an einem Umsetzungsplan gearbeitet?