18859/J XXVII. GP

Eingelangt am 13.06.2024
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Anfrage

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Wann entspricht Österreichs Budgetpolitik wieder dem EU-Fiskalregelwerk?

Im Frühjahr 2024 wurden auf EU Ebene die neuen europäischen Fiskalregeln beschlossen (1). Diese sind seit 30. April 2024 in Kraft. Ziel der neuen Regeln ist es, neben einer Vereinfachung auch Schwierigkeiten in der Umsetzung teilweise politisch unrealistischer Konsolidierungserfordernisse einiger MS zu beseitigen und sie so umsetz- und durchsetzbarer zu machen. Das Jahr 2024 stellt ein Übergangsjahr dar, in dem die wirtschafts- und fiskalpolitische Steuerung vom bisher gültigen in das neue Regelwerk übergeführt wird.

Was ist neu am neuen EU Fiskalregelwerk?

Die bisher geltenden Maastricht-Kriterien von maximal 3% öffentliches Defizit und 60% öffentlicher Schuldenquote bleiben erhalten. Wie bereits jetzt werden aber ergänzende operationale Ziele und Steuerungsinstrumente hinzugezogen. Ein zentrales neues Element des Fiskalregelwerks sind die mehrjährigen Ausgaben-Referenzpfade, die von der EK individuell für jeden Mitgliedstaat erarbeitet werden. Sie legen für jedem Mitgliedstaat die über mehrere Jahre maximal zulässige staatliche Ausgabensteigerung fest. Auf Grundlage dieser Referenzpfade übermitteln die Mitgliedstaaten der EK mehrjährige Fiskalstrukturpläne. Diese Fiskalstrukturpläne fixieren eine Budgetplanung über einen gewissen Zeitraum (je nach Dauer der Legislaturperiode 4-5 Jahre oder - unter gewissen Bedingungen - bis zu 7 Jahren) hinweg. Dieser ist von den MS dann auch einzuhalten und kann nur unter besonderen Umständen angepasst werden. 

Die Vorlagepflicht für die Nationalen Reformprogramme und die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme - bisher ein integraler Bestandteil der Wirtschaftspolitischen Koordinierung - entfällt. Österreich hat in Anlehnung an die früheren Stabilitätsprogramme im heurigen April einen „Bericht zur Wirtschaftlichen Entwicklung und Öffentliche Finanzen“ erstellt, um der EK eine Grundlage zur Beurteilung der Einhaltung der Fiskalregeln sowie der Fortschritte bei der Umsetzung des Aufbau- und Resilienzplans (ARP) bereitzustellen (2).

Durchbricht Österreich 2024 die 3%-Maastricht-Defizit-Grenze?

Die EK veröffentlicht im Juni 2024 ihr Frühjahrspaket, das neben der Beurteilung der makroökonomischen Ungleichgewichte, die Länderberichte und den EK-Vorschlag für länderspezifische Empfehlungen des Rates an die Mitgliedstaaten enthält. Zusätzlich hat die EK angekündigt, dem Rat für bestimmte Mitgliedstaaten aufgrund der Überschreitung der 3%-Schwelle beim Maastricht-Defizit die Eröffnung eines Verfahrens wegen übermäßigem Defizit zu empfehlen. Österreich wird in diesem Jahr voraussichtlich nicht unter diesen Ländern sein, da die EK nur die Budgets 2023 und die im Herbst 2023 erstellte Budgetplanung 2024 evaluiert. Das Finanzministerium (BMF) ging bei seiner Planung im vergangenen Herbst für 2024 von einem Maastricht-Defizit von 2,7% - also noch unterhalb der 3%-Grenze aus. Mittlerweile korrigierte das BMF allerdings die eigene Defizit-Prognose auf 2,9%. Die Europäische Kommission rechnet im Rahmen ihrer Frühjahrsprognose Österreich mit einem Maastricht-Defizit von 3,1% (3), der Fiskalrat geht sogar von 3,4% Defizit aus (4).

Nationalratswahlen im September: Schickt die Regierung davor noch einen Fiskalstrukturplan nach Brüssel?

In Österreich finden heuer kurz nach Ende der Einreichungsfrist für die Fiskalstrukturpläne (20. September 2024) Nationalratswahlen statt. Obwohl die Regelungen grundsätzlich die Möglichkeit einer Verlängerung der Frist vorsehen, ist unklar, ob die Frist für Österreich so lange erstreckt wird, dass die Ersteinbringung durch eine neue Bundesregierung möglich ist. Zusätzlich ist ab dem zweiten Plan ein verpflichtender Stakeholder-Konsultationsprozess durchzuführen, der bei der Erstellung des ersten Fiskalstrukturplans noch freiwillig ist. Auch eine Behandlung des Plans im Parlament (vor Übermittlung an die EK) ist grundsätzlich freiwillig. Der Budgetdienst empfiehlt jedoch in seiner aktuellen Analyse zu den neuen EU Fiskalregeln die Übermittlung des österreichischen Fiskalstrukturplans an das Parlament - entsprechend der bisherigen Praxis - spätestens zeitgleich mit der Übermittlung an die EK. Geht es nach dem Budgetdienst, sollte auch eine frühere Einbindung des Parlaments im Rahmen des Stakeholder-Prozesses geprüft werden.54)

Finanzminister Brunner: Vom EU-Budgetfalken zum Defizit-Sünder

Finanzminister Brunner machte sich während des Verhandlungsprozess auf EU-Ebene gegen ein Aufweichen der Fiskalregeln stark (6) und pochte auf Beibehaltung der bisherigen Defizit- und Schuldenkriterien (3% Maastricht-Defizit, 60% Schuldenquote) als Referenzwert. Allerdings droht dem Finanzminister aufgrund der neuen Fiskalregeln nun in den kommenden Jahren nicht nur akuter Konsolidierungsbedarf (so muss Österreich sein strukturelles Defizit und Schuldenquote deutlicher reduzieren, als es derzeit in der mittelfristigen Budgetplanung vorgesehen ist), sondern womöglich auch ein Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits (ÜD-Verfahren). Insbesondere droht Österrreich ein schuldenbasiertes Verfahren ÜD-Verfahren, ausgelöst durch zu hohe Ausgaben (relativ zu dem von der EK im Juni vorzulegenden Ausgabenpfad). 

Quellen

  1. EU-VO Präventiver Arm: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=OJ%3AL_202401263
  2. BMF Bericht zur Wirtschaftlichen Entwicklung und Öffentliche Finanzen: https://www.bmf.gv.at/dam/jcr:b65c620d-8c84-411f-9f4a-e378bcf59025/240430_BMF_Wirtschaftliche%20Entwicklung%20und%20%C3%B6ffentliche%20Finanzen.pdf
  3. https://economy-finance.ec.europa.eu/economic-surveillance-eu-economies/austria/economic-forecast-austria_en?prefLang=de
  4. https://www.fiskalrat.at/dam/jcr:f987e479-a56b-40a2-ba88-de6de767bee2/2024_04_Pressetext_Schnellsch%C3%A4tzung_FISK-B%C3%BCro.pdf
  5. BD: https://www.parlament.gv.at/fachinfos/budgetdienst/Neue-EU-Fiskalregeln-und-Europaeisches-Semester-2024
  6. https://orf.at/stories/3308029/

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Am 21.6. teilt die EK den MS die Referenzpfade für die Netto-Ausgaben mit. Wann wird der Finanzminister den Referenzpfad (vollständiges Datenset) an das Parlament übermitteln?
  2. Wird der Finanzminister zur Erstellung des Fiskalstrukturplans einen Stakeholder-Konsultationsprozess durchzuführen?
    1. Wenn ja, wann wird der Finanzminister den Referenzpfad an die Sozialpartner, die regionalen Behörden, zivilgesellschaftlichen Organisationen und andere relevanten Interessenträgern übermitteln?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  1. Wird der Finanzminister bis 20. September einen Fiskalstrukturplan vorlegen - oder bei der EK um eine Verlängerung der Einreichfrist ansuchen und die Erarbeitung und Einreichung des Fiskalstrukturplan der nachfolgenden Regierung überlassen?
    1. Falls Österreich um eine Fristverlängerung ansucht - bis wann kann Österreich den Fiskalstrukturplan spätestens nachreichen?
  1. Bezugnehmend auf den vom BMF vorgelegten Bericht (April 2024) verletzt die vom Finanzminister verantwortete Budgetpolitik die Schutzklauseln, die die Schuldentragfähigkeit sicherstellen sollen: Weder sinkt die projizierte Schuldenquote jährlich um mindestens 0,5 Prozentpunkte, noch liegt der strukturelle Budgetsaldo innerhalb der 1,5%-Grenze. Zur Sicherstellung der Defizitresilienz muss - solange der strukturelle Budgetsaldo über 1,5% des BIPs liegt - der strukturelle Primärsaldo um mindestens 0,4%-Punkte des BIPs pro Jahr reduziert werden. 
    1. Angesichts der aktuellen EK Prognose vom Mai 2024 - Erhöht sich dieser Konsolidierungsbedarf und wenn ja, um wieviel? (bitte um Angabe in Prozent des BIPs und in EUR)
    2. Wie wird der Finanzminister den Konsolidierungsbedarf (laut Budgetdienst ca. 2,2 Mrd. EUR/Jahr) gestalten? 
  1. Kann der Finanzminister ausschließen, dass Ö nach der Übergangsfrist mit einem Defizitbasierten Verfahren wegen übermäßiger Defizite konfrontiert ist?
    1. Wenn ja, warum?
    2. Wenn nicht, welche Schritte setzt das BMF, damit es nicht zu einem derartigen Verfahren kommt?
  1. Kann der Finanzminister ausschließen, dass Ö nach der Übergangsfrist mit einem Schuldenbasiertes Verfahren wegen übermäßiger Defizite konfrontiert ist?
    1. Wenn ja, warum?
    2. wenn nicht, welche Schritte setzt das BMF, damit es nicht zu einem derartigen Verfahren kommt?
  1. Die Vorgaben der neuen EU Fiskalregeln müssen bis Ende 2025 von den MS innerstaatlich umgesetzt werden (Novelle der RL 2011/85 EU). 
    1.  

                                          i.    Welchen legistischen Anpassungsbedarf wird es beim österreichischen Stabilitätspakt (ÖStP 2012) geben?

                                        ii.    Wann startet der Prozess, welche Ressorts, welche sonstigen Stakholder (Gebietskörperschaften, Interessenvertretungen, Sozialpartner, ...) werden eingebunden?

                                       iii.    Gemäß ÖstP 2012 müsste nach Deaktivierung der allgemeinen Ausweichklausel – und solange keine neuen nationalen Fiskalregeln vereinbart worden sind – im Jahr 2024 mit der Rückführung von Kontrollkontoständen auf Basis von Verfehlungen bis zum Jahr 2019 begonnen werden.

1.    Wie hoch stehen derzeit die Kontrollstände?

2.    Bis wann werden diese der aktuellen Gesetzeslage entsprechend rückgeführt?

3.    Falls keine Rückführung geplant ist, warum nicht?

                                       iv.    Welche Schritte wurden gesetzt, bzw. werden gesetzt werden, um die neuen Fiskalregeln für Gemeinden und Länder anzuwenden?

  1. Die Mitgliedstaaten müssen einen jährlichen Fortschrittsbericht an die EK übermitteln:
    1. Wird dieser Bericht auch an das Parlament übermittelt und wenn ja, wann?