18951/J XXVII. GP
Eingelangt am 21.06.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Eva-Maria Holzleitner, BSc, Petra Tanzler,
Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung
betreffend „Ausbaustand verschränkte Ganztagsschule“
Die meisten Schulen in Österreich sind klassische Halbtagsschulen, oder auch „Hausübungsschulen“. Der Lernerfolg baut darauf auf, dass Eltern am Nachmittag mit den Kindern lernen. Wenn diese selbst nicht helfen können, dann müssen sie tief in die Tasche greifen und für private Nachhilfe bezahlen. Immer mehr Kinder in Österreich schaffen einen positiven Jahresabschluss nur dank Nachhilfe. Wie massiv die Belastung für die Eltern mittlerweile ist, zeigt das AK- Nachhilfebarometer.[1] Rund jedes zweite Schulkind erhielt im Schuljahr 2023/24 Nachhilfe. Das belastet die Kinder und Familien. Schüler:innen in Österreich sollten jedoch nicht länger das Gefühl haben, dass schulischer Erfolg nicht schaffbar ist.
Auf Dauer können nur bessere Rahmenbedingungen in den Schulen die privaten Bildungskosten senken und die Eltern entlasten, denn Österreich kann sich ein mangelhaft ausgestattetes System aus Halbtagsschulen nicht mehr leisten. Nur gute Ganztagsschulen, in denen jedes Kind genug Zeit und Unterstützung bekommt, kann teure, private Nachhilfe aufs Abstellgleis schieben. Angelehnt an die Forderungen der Forschung und Wissenschaft, gilt es daher Schulen zu bauen, in die Schulkinder mit Freude hineingehen und ohne Schultasche und Hausaufgaben hinausspazieren. Eine Schule, die ihren Bildungsauftrag umfassend erfüllen kann und nicht abhängig von den Möglichkeiten und Zeit der Eltern ist.
Aber auch gesellschafts- und beschäftigungspolitisch stellt die Ganztagsschule die Lösung für viele Probleme dar und birgt ein hohes volkswirtschaftliches Potenzial. Denn zusätzlich zur besten Unterstützung unserer Kinder kann das Angebot einer ganztägigen Kinderbildung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur privilegierten Eltern ermöglichen, sondern auch darüber hinaus. Mit dem Ausbau sind zwar erhebliche Kosten verbunden, jedoch auch Mehreinnahmen für die öffentliche Hand. Ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zeigt: Die Erwerbsquote der Mütter wächst je nach Szenario um zwei bis sechs Prozent. Mütter, die bereits erwerbstätig sind, erhöhen infolge der Reform ihre Arbeitszeit. Davon profitieren einerseits die Mütter und die Familien selbst, da ihr Bruttoeinkommen steigt. Andererseits aber auch der Staat, der sich über höhere Steuereinnahmen und weniger Sozialtransfers freuen kann. Die Berechnungen deuten an: Ein Ausbau der Ganztagsschule und Betreuung finanziert sich aus staatlicher Sicht zu einem guten Teil von selbst.
Dazu kommt: Während die Eltern in städtischen Gebieten meist ein vergleichsweise gutes und vor allem auch gratis Angebot an Plätzen in elementarpädagogischen Einrichtungen und ganztägigen Schulen vorfinden, haben es Eltern in den ländlichen Regionen oft schwer, ein entsprechendes Angebot zu finden. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung könnte somit auch einen großen Beitrag zur Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen in den unterschiedlichsten österreichischen Regionen leisten und kann durch eine Standortattraktivierung struktureller Abwanderung entgegenwirken.
In Österreich fehlt aber seit Jahren das Bekenntnis der ÖVP- Bildungsminister, hier mit zügigen Schritten voranzugehen und den Eltern flächendeckend ganztägige Schulangebote mit Wahlmöglichkeiten, flankiert durch einen entsprechenden Ausbauplan, anbieten zu können. Im Gegenteil, die eigentlich bereits unter SPÖ-Bildungsministerin Sonja Hammerschmid 2016 beschlossenen zusätzlichen Mittel iHv. insgesamt 750 Mio. Euro für den Ausbau der ganztägigen Schulen wurden unter Türkis-Blau gekürzt bzw. die Ausgaben hierfür immer weiter nach hinten verschoben. Daran änderte auch die aktuelle schwarz-grüne Koalition nicht viel.
Dabei muss es klar unser Ziel sein, allen Kindern unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund die gleichen Rahmenbedingungen zum Wissenserwerb zu bieten. Die letzten Jahre haben jedoch noch einmal verdeutlicht: Unser Schulsystem fördert die Kinder bildungsnaher Eltern mit genügend zeitlichen und finanziellen Ressourcen, alle anderen Kinder gehen leer aus. Die Bildungsschere geht immer weiter auseinander. Dies schwächt im Ergebnis auch die Wirtschaft in unserem Land. Von einer echten Chancengerechtigkeit im Bildungssystem ist Österreich somit auch im Jahr 2024 noch meilenweit entfernt.
Ohne die entsprechenden Schulplätze anzubieten, kann sich in diesem Bereich keine Verbesserung einstellen.
Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher nachstehende
Anfrage
1) Wie schreitet aktuell der Ausbau von verschränkten Ganztagsschulen voran?
a. Wie viele Halbtagsschulen wurden in den
letzten fünf Jahren in Ganztagsschulen umgewandelt? Bitte um
Aufschlüsselung nach Bundesländern und Schularten.
b. Wie viele Halbtagsschulen wurden in den letzten fünf Jahren in
verschränkte Ganztagsschulen umgewandelt? Bitte um Aufschlüsselung
nach Bundesländern und Schularten.
c. Wie viele Ganztagsschulen wurden in den letzten fünf Jahren neu
eröffnet? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesländern und
Schularten.
d. Wie viele verschränkte Ganztagsschulen wurden in den letzten fünf
Jahren neu eröffnet? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesländern
und Schularten.
e. Wie viele Halbtagsschulen sollen in den nächsten fünf Jahren
plangemäß in Ganztagsschulen umgewandelt werden? Bitte um
Aufschlüsselung nach Bundesländern und Schularten.
f. Wie viele Halbtagsschulen sollen in den nächsten fünf
Jahren plangemäß in verschränkte Ganztagsschulen umgewandelt
werden? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesländern und Schularten.
d. Wie viele Ganztagsschulen sollen in den nächsten fünf Jahren
plangemäß neu eröffnet werden? Bitte um Aufschlüsselung
nach Bundesländern und Schularten.
e. Wie viele verschränkte Ganztagsschulen sollen in den nächsten
fünf Jahren plangemäß neu eröffnet werden? Bitte um
Aufschlüsselung nach Bundesländern und Schularten.
2) Wie viele Schulplätze an ganztägigen Schulformen im Pflichtschulbereich gab/ gibt es im Schuljahr 2022/23, 2023/24 und 2024/25? Bitte um Auflistung je Bundesland und getrennt nach pädagogischem Konzept (verschränkt/getrennt/verschränkt und getrennt).
3) Laut den Zielen, die im Bildungsinvestitionsgesetz verankert sind, sollten bis zum Schuljahr 2022/23 rund 40% der Schülerinnen und Schüler von 6 bis 15 Jahren eine schulische oder außerschulische ganztätige Betreuung in Anspruch nehmen, im Pflichtschulbereich sogar 30% eine schulische ganztägige Betreuung. Diese Zahlen wurden bereits aufgrund des nachhinkenden Angebots adaptiert. Nun sollen spätestens im Jahr 2033 rund 40% der Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Pflichtschulen eine Tagesbetreuung besuchen und bei 85% der Standorte allgemeinbildender Pflichtschulen eine schulische oder außerschulische Tagesbetreuung entsprechend den Zielvorgaben des BIG zur Verfügung stehen.
a. Sind diese Ziele
nach wie vor aktuell?
i. Wenn ja: Wie ist der aktuelle Umsetzungsstand?
ii. Wenn nein: Warum nicht?
b. Werden Sie
diese Ziele erreichen können?
i. Wenn ja: Durch welche konkreten Maßnahmen?
ii. Wenn nein: Warum nicht?