19024/J XXVII. GP
Eingelangt am 02.07.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Barbara Neßler, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung
betreffend Zunahme bei Strafverfahren wegen Schulpflichtverletzungen
Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung, das sagt schon Art. 28 der Kinderrechts-konvention, die Österreich ratifiziert hat.
Weiters besteht für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, eine allgemeine Schulpflicht. Das heißt, dass nicht nur für österreichische Kinder, sondern unabhängig von der Staatsbürgerschaft für alle Kinder, die sich dauernd in Österreich aufhalten, die allgemeine Schulpflicht gilt. Die allgemeine Schulpflicht ist in Österreich in der Bundesverfassung festgeschrieben. Sie beginnt in Österreich mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September und dauert neun Schuljahre.[1]
Eltern und Erziehungsberechtigte haben in Österreich die Pflicht, alles zu tun, dass die Kinder ihre Schulpflicht erfüllen. "Häuslicher Unterricht" ist zwar möglich, aber an Bedingungen geknüpft: So muss dieser "mindestens gleichwertig" sein, und am Ende des Schuljahres muss in einer Schule eine "Externistenprüfung" bestanden werden. Außerdem schreibt das Gesetz ein "Reflexionsgespräch" über den Leistungsstand des Kindes vor.
Kinder und Jugendliche, die die allgemeine Schulpflicht im häuslichen Unterricht erfüllen, müssen also jährlich
Das Reflexionsgespräch muss bis spätestens zwei Wochen nach Ende der Semesterferien stattfinden. Im Pflichtschulbereich an der Stammschule des Kindes, bei häuslichem Unterricht nach dem Lehrplan der AHS oder einer BMHS an einer Schule der entsprechenden Schulart.
Die Externistenprüfung ist zwischen dem 1. Juni und dem Ende des Unterrichtsjahres abzulegen. Sie umfasst den Lehrstoff der Pflichtgegenstände der entsprechenden Schulart und Schulstufe. Im Vorfeld ist rechtzeitig ein Ansuchen um Zulassung bei der zuständigen Prüfungskommission (am Schulstandort) zu stellen.[2]
In einigen Bundesländern droht die Zahl der Verfahren und Beschwerden zu Schulpflichtverletzungen zu explodieren, so ein Bericht der „Kronen Zeitung“ vom 28.1.2024. So hat laut „Kronen Zeitung“ eine Abfrage der Bildungsdirektion für Tirol ergeben: 22 Tiroler Kinder, die sich im häuslichen Unterricht befinden, wurden von Lehrkräften und Schulleiter:innen über Jahre hinweg nicht gesehen und auch die gesetzlich vorgeschriebenen Externistenprüfungen werden verweigert. Die in Folge verhängten Strafen für die Erziehungsberechtigten führen wiederum zu einer Vielzahl an Beschwerden. So bestätigt das Landesverwaltungsgericht Tirol gegenüber der „Kronen Zeitung“, dass es in den Jahren 2020 und 2021 je eine Beschwerde gab, im Jahr 2022 wurden 13 Beschwerden behandelt und im Jahr 2023 hätte sich die Anzahl auf 131 verzehnfacht. Klaus Wallnöfer, Präsident des Tiroler Landesverwaltungsgerichts, meint gegenüber der „Kronen Zeitung“, dass die Verfahren immer wieder dieselben Familien betreffen.[3]
Ähnliche Berichte gibt es auch aus Oberösterreich. So berichteten die „Oberösterreichischen Nachrichten“ am 5. August 2023 davon, eine Anfrage beim Verwaltungsgericht hätte ergeben, dass Schulverweigerer das Verwaltungsgericht mit etwa 30 Verfahren pro Monat auf Trab halten. Weil die Behörde den Pflichtschulunterricht ausdrücklich angeordnet hatte und die Eltern die Voraussetzungen für den "Heimunterricht" auch nicht erfüllt hatten, verhängten die Bezirkshauptmannschaften Geldstrafen. Die Erziehungsberechtigten brachten dagegen Beschwerden beim Landesverwaltungsgericht ein. Derzeit sind bei den Bezirksverwaltungsbehörden noch 148 Anzeigen wegen der Verletzung der Schulpflicht offen, so Birgit Kopf, Pressesprecherin der Bildungsdirektion Oberösterreich, gegenüber der „OÖN“. [4]
Laut „OÖN“ gibt es auch Hinweise auf die Einrichtung illegal betriebener Privatschulen. So sollen Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken wollen, sich zu organisierten Gruppen für "freies Lernen" zusammenschließen, zum Beispiel auf "Telegram". Eine Homepage, die sich an "Selbstdenker, Visionäre und Freigeister" richtet, bewirbt für das Schuljahr 2023/24 einen "Lerntreff mit pädagogischer Begleitung" im Bezirk Wels-Land. Dafür arbeite man an einem ganzheitlichen "Gebäudekonzept", ein "Teil eines Vierkanters in ländlicher Gegend" eigne sich sehr gut für die Kindertreffs, heißt es. Interessierte Pädagoginnen können angeblich sogar wählen zwischen "Fixanstellung" und "Geringfügigkeit." Geworben wird mit Slogans wie "Frieden für mein Kind" und "Folge deiner inneren Stimme".[5]
Wie eine Recherche des „Standard“ in den Verwaltungsgerichten der Länder zeigt, ist die Zahl der Fälle nach dem Schulpflichtgesetz – mit Ausnahme in der Bundeshauptstadt Wien – überall stark angestiegen. Die bekämpften Strafen wegen Verletzung der Schulpflicht haben sich seit dem Vorjahr bis August 2023 fast verfünffacht – von 155 Fällen 2022 auf 724 Fälle. Nimmt man den Vorpandemiewert, dann gibt es jetzt fast 14-mal so viele Verfahren wie im Jahr 2019 (53).[6]

Abbildung 1: https://www.derstandard.at/story/3000000185069/viel-mehr-verwaltungsstrafverfahren-wegen-missachtung-der-schulpflicht
Die Schule ist nicht nur als Ort der Bildungsvermittlung in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen von größter Wichtigkeit. Schule ist auch ein sozialer Ort, in der junge Menschen durch den Kontakt mit Gleichaltrigen zwischenmenschliche Kompetenzen erwerben können. Der „häusliche Unterricht“ lässt diese soziale Komponente in den häufigsten Fällen vermissen. Dadurch, dass in den meisten Fällen der Unterricht nicht von pädagogisch geschultem Personal, sondern von den Eltern selbst, oder privat organisierten Personen durchgeführt wird, ist die Qualität der Bildungsvermittlung, wie auch der Lehrmethoden vielfach nicht gegeben.
Der Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung und Verwahrlosung ist nach Art. 19 KRK ein Kinderrecht, dass jedem Kind zusteht. Auch hier hat Schule als sozialer Ort des Austausches eine wichtige Funktion, um Betroffene nicht im häuslichen Kontext zu isolieren.
Aus all diesen Gründen ist es besonders wichtig, dass es Kontrollmechanismen gibt und die verpflichtenden Maßnahmen, wie das Reflexionsgespräch und die Externistenprüfung, von den Erziehungsberechtigten eingehalten werden. Nur so kann das Kindeswohl gewährleistet und manchen Kindern im „häuslichen Unterricht“ der Weg zurück in den Schulverband geebnet werden.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
1. Wie viele Anzeigen betreffend Verletzung der Schulpflicht gem. § 24 Schulpflichtgesetz wurden an die zuständigen Verwaltungsbehörden jeweils in den Jahren 2018 bis 2023 gemacht? (Bitte um Auflistung nach Bundesländern)
a. Wie viele Anzeigen nach § 24 Abs. 1 Schulpflichtgesetz betreffen dabei § 11 Schulpflichtgesetz?
2. Wie viele Verwaltungsstrafverfahren betreffend Verletzung der Schulpflicht wurden von den zuständigen Verwaltungsbehörden jeweils in den Jahren 2018 bis 2023 gem. § 24 Schulpflichtgesetz durchgeführt? (Bitte um Auflistung nach Bundesländern)
a. Wie viele Verwaltungsstrafverfahren nach § 24 Abs. 1 Schulpflichtgesetz betreffen dabei § 11 Schulpflichtgesetz?
b. Der Ausgang dieser Verfahren hatte wie viele Straferkenntnisse bzw. Verfahrenseinstellungen zur Folge und bei wie vielen wurden Rechtsmittel eingelegt? (Bitte um Aufschlüsselung für die Jahre 2018 bis 2023 und Auflistung nach Bundesländern)
3. Lassen sich aus den Verwaltungsstrafverfahren Gründe und Motive für die Verletzung der Schulpflicht gem. den Erfahrungen der Behörden erkennen?
a. Wenn ja, welche?
4. Laut „Krone“-Anfrage[7] sind 22 Tiroler Kinder aus dem Schulsystem verschwunden. Es heißt in dem Artikel „Einige dieser Kinder haben Schulleiter und Lehrer bereits seit Jahren nicht mehr gesehen.“ Wie viele Kinder, die der Schulpflicht nach dem § 11 Abs. 2 Schulpflichtgesetz nachkommen, sind konkret in mindestens zwei aufeinander folgenden Jahren nicht zum verpflichtenden Reflexionsgespräch und/oder der Externistenprüfung erschienen? (Bitte um Aufschlüsselung für die Jahre 2018 bis 2023 und Auflistung nach Bundesländern)
5. Laut §11 Abs 6 Schulpflichtgesetz hat die Bildungsdirektion die Teilnahme an einem häuslichen Unterricht zu untersagen und anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht zu erfüllen hat, wenn unter anderem das Reflexionsgespräch nicht durchgeführt wurde, die Gleichwertigkeit des Unterrichts angezweifelt wird oder der Nachweis des zureichenden Erfolgs vor dem Ende des Unterrichtsjahres nicht erbracht wurde. In wie vielen Fällen kam es zu einer solchen Anordnung nach §11 Abs 6 Schulpflichtgesetz? (Bitte um Aufschlüsselung für die Jahre 2018 bis 2023 und Auflistung nach Bundesländern)
6. Wie viele Anzeigen betreffend illegalen Betrieb einer Privatschule gem. § 24 Privatschulgesetz wurden jeweils in den Jahren 2018 bis 2023 gemacht? (Bitte um Auflistung nach Bundesländern)
7. Wie viele Verwaltungsstrafverfahren betreffend illegalen Betrieb einer Privatschule gem. § 24 Privatschulgesetz wurden von den zuständigen Verwaltungsbehörden jeweils in den Jahren 2018 bis 2023 durchgeführt? (Bitte um Auflistung nach Bundesländern)
a. Der Ausgang dieser Verfahren hatte wie viele Straferkenntnisse bzw. Verfahrenseinstellungen zur Folge und bei wie vielen wurden Rechtsmittel eingelegt? (Bitte um Aufschlüsselung für die Jahre 2018 bis 2023 und Auflistung nach Bundesländern)
[1] https://www.oesterreich.gv.at/themen/bildung_und_ausbildung/schulen/Seite.110002.html
[2] https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schulsystem/sa/hu.html
[3] vgl. https://www.krone.at/3230249
[4] vgl. https://www.nachrichten.at/panorama/happyend/schulverweigerer-gericht-muss-30-verfahren-pro-monat-durchfuehren;art212275,3868804
[5] vgl. ebd.
[6] vgl. https://www.derstandard.at/story/3000000185069/viel-mehr-verwaltungsstrafverfahren-wegen-missachtung-der-schulpflicht
[7] vgl. https://www.krone.at/3230249