19040/J XXVII. GP
Eingelangt am 03.07.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Mag. Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundeskanzler
betreffend Wirkungsorientierte Folgenabschätzung für Kinder und Jugendliche
Die wirkungsorientierte Folgenabschätzung (WFA) ist ein Schlüsselinstrument im österreichischen Gesetzgebungsprozess, das darauf abzielt, den Nutzen sowie die Kosten und Nebenwirkungen von Gesetzesvorschlägen transparent zu machen, damit diese in politische Entscheidungen einbezogen werden können. Seit 2013 ist der Gesetzgeber verpflichtet, im Rahmen der WFA die Auswirkungen von Gesetzesvorschlägen auf Kinder und Jugendliche zu prüfen, um die Kinderrechte gemäß der UN-Kinderrechtskonvention zu stärken und eine Politik zu gestalten, die die jüngere Generation berücksichtigt. Hauptverantwortlich für die WFA ist das BMKÖS, die Abteilung Kinderrechte im BKA ist Ansprechpunkt für die Wirkungsdimension Kinder und Jugendliche.
Gemäß der WFA-Kinder-und-Jugend-Verordnung muss bei allen Regierungsvorlagen geprüft werden, ob und wie Kinder und Jugendliche durch das jeweilige Vorhaben betroffen sind. Hierbei sind insbesondere der Schutz und die Förderung der Gesundheit, Entwicklung und Entfaltung junger Menschen bis 30 Jahre, die Unterhaltsversorgung und der Ausgleich für Kinderkosten sowie die Sicherung der Zukunft junger Menschen in mittelfristiger Perspektive als wesentliche Kriterien zu analysieren.
Der Gedanke ist gut – bei der Umsetzung hapert es ganz gewaltig. Eine Analyse der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs (kija) zeigt, dass von 272 Gesetzesvorschlägen nur 22 eine solche Prüfung durchliefen (1). Die kija schätzen, dass in mindestens 80 Fällen eine WFA nötig gewesen wäre, was bedeutet, dass die Verpflichtung nur in 27,5% der Fälle erfüllt wurde. Besonders die Prüfung der Auswirkungen von Gesetzesvorlagen auf die mittelfristige Zukunftssicherung junger Menschen wurde häufig vernachlässigt - die kija berichten, dass von 27 Gesetzesvorschlägen, bei welchen diese Art der WFA ihrer Einschätzung nach notwendig gewesen wäre, nur vier tatsächlich einer wirkungsorientierten Folgenabschätzung unter Einbeziehung der Jugendperspektive unterzogen wurden. Dieses Versäumnis trat insbesondere bei Entscheidungen in den Bereichen Energie- und Umweltpolitik auf, bei denen langfristige Auswirkungen auf junge Menschen oft unberücksichtigt blieben.
Darüber hinaus ist das bloße Vorhandensein einer WFA, die Kinder und Jugendliche betrachtet, nicht zwangsläufig ein Beleg für eine gründliche Bewertung ihrer Interessen. Kurze, inhaltsarme Stellungnahmen sind üblich. Zum Beispiel besagte die WFA zur Änderung des Freiwilligengesetzes (2085 d.B.) lediglich, dass das Gesetz keine wesentlichen Auswirkungen auf Kinderbetreuung und Bildung habe. Ähnlich oberflächlich wurde die Auswirkung der Änderung des Schulunterrichtsgesetzes (2200 d.B.) bewertet, welches die Einführung von Kinderschutzkonzepten an Schulen veranlasst. Dort hieß es, es gebe keine wesentlichen Auswirkungen auf den Schutz und die Förderung der Entwicklung und Gesundheit von Kindern, angeblich weil weniger als 1.000 Kinder und Jugendliche von der Regelung betroffen seien.
Überhaupt scheinen sich WFA mit Kinder- und Jugendfokus oft auf die Angabe von Zahlen zu beschränken und nicht weiter qualitativ auf die Auswirkungen des Gesetzesvorschlags einzugehen. Das lässt sich u.a. gut an der WFA zur Einrichtung von Deutschförderklassen- und kursen, Änderung SchUG und SchPflG sehen (2):
Die Schülerinnen und Schüler werden entlang ihrer Talente und Begabungen bestmöglich gefördert. Die weiterentwickelte Oberstufe bietet den Rahmen dafür. Bei der Einführung der Deutschfördermaßnahme 2018 befanden sich in den allgemein bildenden Pflichtschulen rund 35000 außerordentliche Schülerinnen und Schüler in Deutschfördermaßnahmen. In den folgenden Jahren war die Anzahl der Schülerinnen etwas niedriger (SJ 2019/20: 30.883; SJ 2020/21: 31.482; SJ 2021/22: 32.694). Mit dem Beginn des Ukraine-Krieges gab es einen deutlichen Anstieg der ao. Schülerinnen und Schüler. Im SJ 2022/23 befanden sich 45.757 Schülerinnen und Schüler in der Deutschfördermaßnahme.
Ein echte Wirkungsorientierte Folgenabschätzung betreffend Kinder und Jugendlichen muss mehr können als nur die Anzahl der Betroffenen wiederzugeben. Die Unterlassung einer gründlichen WFA im Jugendbereich ist keineswegs nur eine formale Angelegenheit; sie hat reale Konsequenzen. Entscheidungen mit langfristigen Auswirkungen auf das Leben junger Menschen müssen adäquat bewertet werden, um negative Folgen zu vermeiden, die individuelle Lebenswege und die gesellschaftliche Entwicklung beeinträchtigen können. Eine umfassende WFA kann zudem helfen, ineffiziente Ausgaben zu verhindern und staatliche Ressourcen gezielter zu nutzen. Ein Mangel an Berücksichtigung kann zu später notwendigen Korrekturen oder zusätzlichen Maßnahmen führen, die vermeidbare Kosten verursachen. Schließlich erwartet die Öffentlichkeit von politischen Entscheidungsträgern verantwortungsvolles und weitsichtiges Handeln. Eine lückenhafte WFA dagegen hat das Potenzial, das Vertrauen in politische Prozesse und die Glaubwürdigkeit von Gesetzesinitiativen zu schwächen.
(1) https://www.kija.at/aktuelles/465-analyse-zur-umsetzung-der-wirkungsorientierten-folgenabschaetzung
(2) https://oeffentlicherdienst.gv.at/wp-content/uploads/2024/05/240522_EvalWFA-2023_Web.pdf
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende