19119/J XXVII. GP
Eingelangt am 05.07.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Jan Krainer, Genossinnen und Genossen
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Zitierverbot durch die Hintertür – wie Aufdeckern der Prozess gemacht wird
Am 2. Juli 2024 berichteten mehrere Medien, dass die Staatsanwaltschaft Wien beim Landesgericht für Strafsachen Wien gegen den früheren Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Pilz einen Strafantrag u.a. wegen einer vor 24 Jahren gehaltenen Pressekonferenz eingebracht hat. Die Staatsanwaltschaft Wien (AZ 609 St 08/21a) will demnach, dass Dr. Peter Pilz wegen „verbotener Veröffentlichung“ nach § 301 StGB verurteilt wird. Begründend wird vorgebracht, dass der damalige Abgeordnete aus Disziplinarakten in den Jahren 2000 (Fall „EKIS“ – FPÖ-Spitzelsystem in Polizeidatenbanken) und 2008 („Kampusch“) zitiert und diese veröffentlicht habe. Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass – obwohl die ausschlaggebende Bestimmung des § 128 BDG mittlerweile seit Jahren aufgehoben ist – diese dennoch eine Strafbarkeit begründen könne.
Diese Vorgänge erinnern in beunruhigendem Ausmaß an die Forderung, ein generelles Zitierverbot aus staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Akten einzuführen. Die Verfolgung von Personen, die Missstände in der öffentlichen Verwaltung aufdecken, hat zudem eine lange, traurige Tradition in verschiedenen Teilen der Bundesverwaltung. In diesem Zusammenhang ist etwa an die massive Verfolgung unschuldiger Finanzbeamter durch das Finanzministerium in Zusammenhang mit Veröffentlichungen rund um die „Abschleicher“-Liste oder die geplante Sicherstellung des Handys einer Abgeordneten als Beweismittel in einem Verfahren wegen Verdachts des Verstoßes gegen § 310 StGB zu erinnern.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (GK) hat unlängst im Fall Halet (21884/18) den Schutz von Whistleblowern gestärkt und v.a. betont, dass sowohl das öffentliche Interesse als auch der durch die Veröffentlichung tatsächlich entstandene Schaden bei einer allfälligen Bestrafung von Whistleblowern berücksichtigt werden müssen und in diesem Zusammenhang seine ständige Rechtsprechung wiederholt, dass es bei Themen von öffentlichem Interesse nur geringen Spielraum für Einschränkungen der öffentlichen Debatte gibt. Dazu ist anzumerken, dass die Echtheit der von Dr. Peter Pilz veröffentlichten Informationen von niemandem bezweifelt wurde.
Um einen möglichen Schaden für Aufklärungstätigkeit durch Verfolgung von Whistleblowern, investigativen Journalist:innen und Oppositionsabgeordneten zuvorzukommen, richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Justiz folgende
Anfrage
1. Wann wurde der zuständigen Fachabteilung im Bundesministerium für Justiz über die geplante Einbringung des Strafantrages berichtet?
2. Wann wurde Ihnen bzw Ihrem Kabinett über die Einbringung des Strafantrages berichtet?
3. Wann wurde die Einbringung des Strafantrages in der Zentralstelle von wem genehmigt?
4. Wann wurde damit der Weisungsrat befasst?
5. Wann und wie äußerte sich der Weisungsrat zur Einbringung des Strafantrages?
6. Wie oft wurde im Ermittlungsverfahren insgesamt an das Bundesministerium für Justiz berichtet?
7. Wie oft und zu welchen Anlässen wurde in dieser Angelegenheit der Weisen- bzw. Weisungsrat befasst und wie hat sich dieser jeweils zu den geplanten Vorhaben geäußert?
8. Welche Erlässe ergingen in diesem Ermittlungsverfahren von Seiten des Bundesministeriums für Justiz?
9. War der verstorbene Sektionschef Mag. Christian Pilnacek mit diesem Ermittlungsverfahren befasst?
10. Hat Mag. Pilnacek auf die entsprechenden, im Zusammenhang mit diesem Ermittlungsverfahren angelegten ELAKs zugegriffen und wenn ja, in welcher Rolle?
11. Wann kam es in Zusammenhang mit dem genannten Ermittlungsverfahren zu VJ-Abfragen durch Bedienstete der Zentralstelle und aus welchem Grund?
12. War dieses Ermittlungsverfahren Teil der Überprüfung durch die sogenannte Kreutner-Kommission?
13. Haben sich Bedienstete im Bundesministerium für Justiz in diesem Verfahren für befangen erklärt und wenn ja, aus welchem Grund?
14. Wie haben Sie selbst dafür gesorgt, einen möglichen, in ihrer politischen Vergangenheit begründeten Anschein der Befangenheit zu verhindern?
15. Wie wurde im Rahmen der Fachaufsicht gewürdigt, dass die mögliche Verfolgung wegen § 301 StGB in einem offensichtlichen Spannungsverhältnis mit den Anforderungen des Art. 10 EMRK steht und wurde dabei auch auf die jüngere EGMR-Rechtsprechung Rücksicht genommen?
16. Wie wurde die grundrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsabwägung (Art 10 Abs 2 EMRK) vorgenommen und zu welchem Ergebnis kam diese?
17. Wie wurde im Rahmen der (gesamten) Fachaufsicht gewürdigt, dass bei einem 24 Jahre zurückliegenden Sachverhalt erhebliche Beweisschwierigkeiten bestehen und inwiefern floss dies in die Verurteilungsprognose ein?
18. Wie wurde im Rahmen der (gesamten) Fachaufsicht gewürdigt, dass die dem Tatbestand zu Grunde liegende Bestimmung des § 128 BDG keine Wirkung gegenüber Dritten entfaltet und außerdem bereits seit 2011 aufgehoben ist? Inwiefern wurde in diesem Zusammenhang auch der Grundsatz „nulla poena sine lege“ gewürdigt, da die genannte, aufgehobene Bestimmung zwar Teil des Tatbildes ist, jedoch dennoch strafbegründend wirkt?
19. Wann wurde der zuständigen Oberstaatsanwaltschaft über die geplante Einbringung des Strafantrages berichtet?
20. Wann wurde Ihnen bzw Ihrem Kabinett über die Einbringung des Strafantrages berichtet?
21. Wann wurde die Einbringung des Strafantrages in der Oberstaatsanwaltschaft Wien von wem genehmigt?
22. Wie oft wurde im Ermittlungsverfahren insgesamt der Oberstaatsanwaltschaft Wien berichtet?
23. Welche Erlässe ergingen in diesem Ermittlungsverfahren von Seiten der Oberstaatsanwaltschaft Wien und von wem wurden diese Erlässe jeweils gezeichnet?
24. Welcher zeitliche Abstand lag zwischen dem Eingang der Berichte der Staatsanwaltschaft Wien bei der Oberstaatsanwaltschaft Wien und der Erledigung dieser Berichte mittels Erlass jeweils?
25. Haben sich Bedienstete der Oberstaatsanwaltschaft Wien in diesem Verfahren für befangen erklärt und wenn ja, aus welchem Grund?
26. Hat sich LOStA Fuchs, gegen den in mittelbarem Zusammenhang mit Dr. Peter Pilz selbst der Verdacht einer straf- oder zumindest disziplinarrechtlichen Verfehlung geprüft wurde, mit den nunmehrigen Ermittlungsverfahren gegen Dr. Peter Pilz befasst und wenn ja, zu welcher Gelegenheit und mit welchem Ergebnis?
27. Welche Dienststelle führte auf Seiten der Polizei die Ermittlungen?
28. Wie viele Anlassberichte erstattete die Polizei?
29. Wie viele Ermittlungsanordnungen erließ die Staatsanwaltschaft?
30. Wer zeichnete die Verfolgungsermächtigung im Namen des BFA?
31. Wie wurde gewürdigt, dass das „Bundesasylamt“, auf das die inkriminierte Äußerung gerichtet war, gar nicht mehr existiert, sondern 2014 vom BFA abgelöst wurde?
32. Wie oft wechselte der/die fallführende Staatsanwält:in des Verfahrens?
33. Wann erfolgte die letzte Ermittlungshandlung?
34. Unterlag der Entwurf des Strafantrages der Revision und wenn ja, wurden im Rahmen der Revision Änderungen vorgenommen?
35. Welche Maßnahmen haben Sie in Ihrer Amtszeit gesetzt, um den Schutz von Whistleblowern zu stärken?
36. Wann wurde Ihnen gegenüber von Ihrem Koalitionspartner zuletzt verlangt, ein Zitierverbot aus Ermittlungsakten in den Gesetzgebungsprozess einzubringen und was war Ihre diesbezügliche Reaktion auf diesen Vorschlag?