19199/J XXVII. GP
Eingelangt am 05.07.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Melanie Erasim, MSc, Genossinnen und Genossen
an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation
und Technologie
betreffend „ÖBB Liegenschaften“
Bis vor kurzem wurde Generalsekretär Herbert Kasser in die Aufsichtsräte der ÖBB entsandt, damit Sie einerseits stets über die Vorgänge bei der ÖBB informiert sind und andererseits sicherstellen können, dass keine Entscheidungen getroffen werden, die Ihren politischen Zielen widersprechen.
Kurz vor dem Ausscheiden eines ÖBB-Vorstandsmitglieds mit Hintergrund am Attersee und Nähe zur FPÖ entstand plötzlich großes Interesse an ÖBB-Liegenschaften in dieser Gegend. Insbesondere Grundstücke mit Seezugang sind aufgrund ihrer Seltenheit äußerst begehrt und schaffen somit Begehrlichkeiten.
Natürlich muss das Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds aus dieser Region nicht zwangsläufig mit der Angelegenheit zu tun haben. Es fällt jedoch auf, dass ein Grundstück, das seit Jahrzehnten genutzt wurde, nun plötzlich dringend eine Lösung sucht, die nur durch eine Änderung im Grundbuch möglich scheint.
In mehreren Sitzungen der ÖBB-Holding AG wurde die Veräußerung eines Seegrundstücks am Attersee diskutiert. Auffällig ist, dass der neue Eigentümer scheinbar bereits feststeht, bevor die ÖBB überhaupt einen Bedarf nach einem Verkauf gesehen hat.
Interessanterweise befindet sich das besagte Grundstück nicht im Eigentum der Holdinggesellschaft, sondern wird von der Tochtergesellschaft ÖBB Infrastruktur AG gehalten. Dort sollen – wie man hört – ÖVP-nahe Aufsichtsratsmitglieder tätig sein, die aufgrund ihrer Funktion detaillierte Kenntnisse über das Grundstück haben. Ein Aufsichtsratsmitglied hat erheblichen Einfluss darauf, wie die Wertermittlung dieses Grundstücks durchgeführt wird, was von unschätzbarem Wert für einen potenziellen Käufer sein kann.
Bei diesen Aufsichtsratsmitgliedern handelt es sich um Georg Schöppl, Vorstandssprecher der Österreichischen Bundesforste, und Frau Claudia Nutz, zukünftiges Vorstandsmitglied bei den Österreichischen Bundesforsten. Genau diese Gesellschaft soll das Grundstück erhalten.
Dies ist kein Geheimnis, da das mittlerweile ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied Claudia Nutz bereits stolz bei der ÖBB Infrastruktur AG das neue Projekt „Seegrundstück Attersee“ in der Käufergesellschaft vorgestellt hat. Früher hätte man das als Chuzpe bezeichnet, heute wissen wir aus diversen Chatnachrichten und aus dem ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss, dass es sich hier um ein typisches Verhalten von Parteimitgliedern der ÖVP in Machtpositionen handelt.
Mitarbeiter der ÖBB Infrastruktur AG haben bereits eine Meldung an die zuständige Compliance-Abteilung gemacht, ein Ergebnis liegt noch nicht vor.
Als wäre das nicht genug, wird ein Teil des Grundstückes seit Jahrzehnten vom Österreichischen Gewerkschaftsbund im Sinne der ÖBB bewirtschaftet. Der Gewerkschaftsbund möchte das Grundstück weiterhin im Sinne der ÖBB-Beschäftigten und der Region bewirtschaften und hat bereits ein verbindliches Angebot abgegeben. Im Mutterunternehmen der ÖBB Infrastruktur AG wurde jedoch ein Preis festgesetzt, zu dem das Tochterunternehmen das Grundstück an den Hauptgesellschafter der ÖBB Holding verkaufen soll, und dieser Preis liegt nach meinem Informationsstand mindestens 20 % unter dem Gebot des Österreichischen Gewerkschaftsbundes.
Sollte dies zutreffen, würde die ÖBB Infrastruktur vorsätzlich geschädigt, was einer verbotenen Einlagenrückgewähr gleichkommt, mit allen rechtlichen Konsequenzen für die beteiligten Organe.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage
1. Warum wollen Sie die ÖBB zugunsten eines anderen Bundesunternehmens am Vermögen schädigen?
2. Warum wollen Sie die Organe der ÖBB in eine rechtlich bedenkliche Einlagenrückgewähr drängen?
3. Warum tolerieren Sie Aufsichtsräte mit Interessenskonflikten bei den ÖBB?
4. Welche Konsequenzen haben Aufsichtsräte in Unternehmen unter Ihrer Aufsicht zu erwarten, wenn sie durch ihre Interessenskonflikte diese Unternehmen schädigen?
5. Warum beraten sich andere Unternehmen und Gemeindevertreter über die Verwertung eines Grundstücks der ÖBB, obwohl ein Verkauf noch nicht öffentlich kommuniziert wurde?
6. Wurde von Ihrem Ressort eine rechtliche Prüfung der verbotenen Einlagenrückgewähr in dieser Angelegenheit vorgenommen?
a. Falls ja, wann und mit welchem Ergebnis?
7. Sollte eine verbotene Einlagenrückgewähr zulasten der ÖBB nicht in Ihrem Sinne sein, welche Konsequenzen haben die Verantwortlichen für die Vorbereitungshandlungen zu erwarten?
8. Ist Ihnen bekannt, ob bereits ein Verkaufsplan für die Liegenschaft Kammer-Schörfling im Aufsichtsrat bzw. dessen zuständigen Ausschuss beschlossen wurde?
a. Wenn ja, wie wurde mit Interessenskonflikten einzelner Mitglieder bei der Abstimmung umgegangen?
9. Wurden mögliche Verstöße gegen Sorgfaltspflichten gemäß AktG geprüft?
10. Im Bundes Public Corporate Governance Kodex sind folgende Regeln über die Unvereinbarkeit formuliert:
a. Regel 11.2.1.4: Mitglied des Überwachungsorgans darf nicht sein, wer in einer geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zum Unternehmen oder dessen Geschäftsleitung steht, die einen nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründet… Bei der Bestellung von Mitgliedern des Überwachungsorgans ist darauf zu achten, dass sich aus deren beruflicher Tätigkeit keine Interessenkollisionen ergeben.
b. Regel 11.6.3: Das Überwachungsorgan hat die Anteilseignerversammlung über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung zu informieren.
c. Regel 11.6.4: Wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte eines Mitgliedes des Überwachungsorgans haben zur Beendigung des Mandates zu führen.
· Wussten Sie von diesen Verstößen?
11. Erachten Sie es als sinnvoll, im Aufsichtsrat der ÖBB Infrastruktur Mehrheitsverhältnisse mit Ressourcen des Immobilienbereichs anstelle von Ressourcen des Infrastrukturbau- und -betriebs zu besetzen?
12. Welche Konsequenzen ziehen Sie bei Verstößen des Bundes-Corporate-Governance-Kodex wie oben beschrieben, oder wenn ein Interessenskonflikt bzw. eine Unvereinbarkeit wie in diesem Fall vorliegt?