19268/J XXVII. GP

Eingelangt am 05.07.2024
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

des Abgeordneten Mag. Gerald Hauser

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Zustände im Wiener Gesundheitswesen und in der Ärztekammer in Wien

 

 

Die Situation im Wiener Gesundheitswesen ist katastrophal, wie die aktuellen Beispiele des geschlossenen Lorenz Böhler Krankenhauses und der desaströsen Unterversorgung bei HNO-Ambulanz- und OP-Kapazitäten in den Wiener Krankenhäusern zeigen. In Wien ist die Behandlung von Krebspatienten in Gefahr – ein unfassbarer Zustand (https://www.krone.at/3422963). Die Situation wird leider auch durch massive Missstände in der Ärztekammer verschlimmert.

 

Sowohl gegen den derzeitigen Präsidenten der Ärztekammer Wien und der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Joannes Steinhart (https://wien.orf.at/stories/3218684/) als auch gegen den früheren Wiener und Österreichischen Ärztekammerpräsidenten Dr. Thomas Szekeres (https://kurier.at/politik/inland/krise-in-der-wiener-aerztekammer-alte-erzrivalen-steinhart-und-szekeres-finden-zusammen/402618576) wurden Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft eingereicht. Es liegen zwei Gutachten sowie ein Bericht der Rechnungshofes vor, die ein katastrophales Licht auf die Malversationen in der Ärztekammer in Wien werfen. Da sowohl Dr. Szekeres als auch Dr. Steinhart auch Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer waren und sind, betreffen die katastrophalen Vorgänge in der Ärztekammer in Wien auch direkt das Aufsichtsorgan der Österreichischen Ärztekammer, den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, sowie natürlich auch die Justizministerin.

 

Die Rechtsanwaltskanzlei Knirsch-Gschaider-Cerha wurde von der ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienst Errichtungs GmbH mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, um die Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung der ÄrzteEinkaufsService – Equip4Ordi GmbH (in der Folge kurz Equip4Ordi genannt) zu überprüfen. Mit dem 19. Jänner 2023 übermittelte die Rechtsanwaltskanzlei ihren Bericht.

 

Die ärztlicher Not- und Bereitschaftsdienst Errichtungs GmbH ist Alleingesellschafterin der Equip4Ordi. Es wurde im Gutachten festgestellt, dass die Geschäftsführer die Gesellschaft weder ordentlich noch gewissenhaft geführt haben. Es ergibt sich vielmehr eine auffallende Sorglosigkeit. Das Herbeiführen laufender Verluste in Millionenhöhe kann keinesfalls eine rechtmäßige Verwendung des Vermögens der Equip4Ordi und auch nicht der Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer in Wien sein. Dr. Steinhart erteilte Weisungen an die geschäftsführende Gesellschaft, was für die Frage des Verschuldens der Geschäftsführer eine Rolle spielt. Es besteht der begründete Verdacht, dass der objektive Tatbestand der Untreue erfüllt sein kann. Hier spielen die Weisungen von Dr. Steinhart eine entscheidende juristische Rolle.

 

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Auszug aus dem Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei Knirsch-Gschaider-Cerha

 

Die bisherige Haltung der zur Klärung notwendigen Personen zeigt aber, dass eine Klärung sehr schwierig werden kann, da u.a. wesentliche Unterlagen nicht herausgegeben werden und keine aktive Mitwirkung an der Aufklärung besteht. Die Gesellschaft verfügt über keine Compliance-Regeln. Auf Seiten der wirtschaftlich Letztberechtigten, der Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte und der Ärztekammer besteht dringender Handlungsbedarf, um weitere Schäden zu verhindern und bereits entstandenen Schaden möglichst zu reduzieren. Es ergibt sich auch der begründete Zweifel am Interesse einiger handelnder Personen an der Aufklärung der Malversationen. Es wäre im Interesse der Aufklärung, die infrage kommenden Personen freizustellen, um Absprachen und Manipulationen zu verhindern. Eine vollständige Aufklärung kann nur durch die Behörden im Verantwortungsbereich der Gemeinde Wien, des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und des Bundesministeriums für Justiz erfolgen.

 

Auszug aus dem Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei Knirsch-Gschaider-Cerha

 

In weiterer Folge wurden auch Univ.-Prof. Dr. Severin Glaser (Strafrechtsprofessor der Universität Innsbruck) und Rechtsanwalt Dr. Markus Höcher mit einem weiteren Gutachten beauftragt, zur strafrechtlichen Beurteilung des Gutachtens der Rechtsanwaltskanzlei Knirsch-Gschaida-Cerha. Das Ergebnis ist vernichtend.

 

Auszug aus dem Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Glaser und RA Dr. Höcher

 

Auch wenn eine abschließende Abschätzung der dargestellten Sachverhalte noch nicht möglich ist, so lässt sich doch konstatieren, dass potenziell alle sieben untersuchten Fakten strafrechtlich relevant sein können. So wurde das Kontrollgremium – der Beirat – mehrfach übergangen. Es können sowohl die Geschäftsführung als auch der Beirat als auch “externe Personen“ an strafbaren Handlungen beteiligt gewesen sein. Weiters wird auch auf eine mögliche Verbandsverantwortlichkeit der ÄrzteEinkaufsService – Equio4Ordi GmbH als Verband hingewiesen. Die Gutachter stellen abschließend fest, dass aufgrund der dargestellten Sachverhalte „es nicht völlig realitätsfern wäre, wenn die Strafverfolgungsbehörden aufgrund der zahlreichen Sachverhalte bei einem kriminellen Zusammenwirken mehrere Personen von einer kriminellen Vereinigung oder sogar einer kriminellen Organisation ausgehen würden“.

 

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Auszug aus dem Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Glaser und RA Dr. Höcher

 

Die Ärztekammer in Wien wird also von erfahrenen Strafrechtlern mit einer kriminellen Organisation verglichen! Alle Ärzte, die dem Ansehen der Ärztekammer Schaden zufügen, sind natürlich prinzipiell unverzüglich disziplinarrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen (Ärztegesetz § 136). Dem Ansehen der Ärzteschaft und der Ärztekammer wurde unzweifelhaft irreparabler Schaden zugefügt, wobei die beiden Präsidenten Dr. Szekeres und Dr. Steinhart dabei natürlich die Letztverantwortung zu tragen haben.

 

Es liegt zusätzlich ein Bericht des Rechnungshofs über die „Ärztekammer für Wien – Kammerverwaltung und den Wohlfahrtsfonds“ vor.  Darin wurden zahlreiche Missstände bemängelt (https://kurier.at/politik/inland/rechnungshof-findet-zahlreiche-missstaende-in-der-wiener-aerztekammer/402772654). Es geht unter anderem um fragwürdige Prämienzahlungen und Kreditgeschäfte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen elf Beschuldigte.

 

Auszug aus dem Bericht des Rechnungshofs

 

Der Rechnungshof übt scharfe Kritik am Beteiligungsmanagement und an fehlender Kontrolle in der Wiener Ärztekammer. Für den Erwerb von Immobilien fehlte eine strategische Festlegung im Sinne eines Beteiligungskonzeptes vollständig. Zudem hoben die Prüfer hervor, dass nach der Gründung der Equip4Ordi die Beteiligungen binnen drei Jahren von einer gemeinnützigen GmbH auf eine Holdingstruktur mit insgesamt fünf Gesellschaften ausgeweitet wurden. Diese Entwicklung war laut den Prüfern „stark durch externe, von der Kurie beauftragte Berater geprägt, die davon später mit Geschäftsführungs- und Beiratstätigkeiten für die Gesellschaften profitierten“. Daher rieten die Prüfer zu einer personellen Trennung zwischen beratenden und operativen Funktionen.

 

Die fehlenden Konzepte für das Beteiligungsmanagement hätten es der Ärztekammer auch erschwert, insbesondere im Zusammenhang mit der Equip4Ordi, „Versäumnisse der Geschäftsführung zu erkennen und rechtzeitig steuernd einzugreifen“. Auch für die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit vermissten die Prüfer eine übergeordnete Strategie.

 

Laut den Prüfern stiegen im Untersuchungszeitraum die Aufwendungen der Ärztekammer in Wien mit 47 Prozent stärker als die Erträge (35 Prozent), was vor allem mit dem Anstieg des Personalaufwands um 72,1 Prozent zu tun gehabt habe. Beträchtlich gestiegen seien auch die Prämien – und zwar um mehr als das Siebenfache, von 54.321 auf 392.976 Euro. Die Aufwendungen für Organe des Wohlfahrtsfonds verdoppelten sich praktisch von 2016 bis 2022. Auch hier vermissten die Prüfer nachvollziehbare und transparente Kriterien.

 

Ein Teil des Vermögens des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer in Wien ist eine massiv überteuerte Immobilie, die mit einem endfälligen Kredit in der Höhe von 343,69 Millionen Euro gekauft wurde, was in etwa einem Drittel des gesamten Vermögens des Wohlfahrtsfonds entspricht. Diese Investition ist angesichts der Tatsache, dass der Wohlfahrtsfonds allein im Jahr 2022 einen Verlust von 66,29 Millionen Euro machte, sehr riskant. Positive Veranlagungsergebnisse  sind im Wohlfahrtsfonds keineswegs garantiert, im Gegenteil. Das gefährdet aber die Pensionszahlungen für die Ärzte in Wien. Von 2017 bis 2022, also zu einem Zeitpunkt als die Inflation längst explodiert war, sank der Erlös aus den Veranlagungen um 1,31 Millionen Euro – ein katastrophales Ergebnis.

 

Der Rechnungshof wies auf das massive „Klumpenrisiko“ dieses Kaufs hin. Es erfolgte keine Risikostreuung, um das Anlagerisiko zu minimieren. Der Kauf wurde auch nicht aus dem Wohlfahrtsfonds oder Vermögensumschichtungen finanziert, was das Risko weiter massiv erhöht. Der Rechnungshof kritisierte ausdrücklich das zusätzliche Finanzierungsrisiko (z. B. steigende Zinsen) des aufgenommenen Kredits und das Verwertungsrisiko (z. B. erhöhtes Leerstandrisiko oder erhöhte Betriebskosten sowie steigende Energiepreise).

 

Auszug aus dem Bericht des Rechnungshofes

 

Das Risko erhöhte sich bekanntlich zusätzlich durch den Erwerb einer weiteren teuren Immobilie der Signa GmbH des inzwischen insolventen Investors Rene Benko.

 

In der Ärztekammer in Wien lag kein funktionierendes Kontroll-System vor und auch keine übergeordnete Strategie für Öffentlichkeitsarbeit. Nebenbeschäftigungen der Bediensteten der Ärztekammer wurden nicht regelmäßig erhoben und nur unvollständig dokumentiert.

 

Mangels kammerinterner strategischer Festlegungen waren der Prozess der Unternehmensgründung und der Entwicklung hin zu einer Holdingstruktur von externen Beratern gesteuert, was hoch problematisch war. Denn externe Berater profitierten direkt von den eigenen Empfehlungen, und zwar aufgrund der Betrauung mit den Abwicklungsvorgängen sowie mit Geschäftsführungs- und Beiratstätigkeiten. Damit war das Risko verbunden, dass in der Beratung das Interesse der externen Berater im Vordergrund stand.

 

Von 2017 bis 2022 erwarb die Ärztekammer sechs Immobilien um rund 430 Millionen Euro. Dafür zahlte die Ärztekammer Maklerprovisionen in der Höhe von 2,10 Millionen Euro. Für eine Immobilie zahlte die Ärztekammer eine „Tippgeber-Provision“  von 500.000 bzw. 400.000 Euro an zwei Personen, für den Hinweis auf das Immobilienkaufangebot und kaufrelevante Informationen.

 

Der Rechnungshof kritisiert ferner, dass die Ärztekammer in Wien die Einhebung aller Umlagen und Beiträge sowie die Auszahlung der Leistungen seit fast 30 Jahren einem externen Fondsverwalter übertragen hat, der seinen Vertrag nicht ordnungsgemäß erfüllte.

 

In der Zwischenzeit wollte die Staatsanwaltschaft Wien alle  Strafverfahren bzgl. der Equip4Ordi und der Care01 einstellen. Die Oberstaatsanwaltschaft lehnte diese Einstellung aber ab und beauftragte die Staatsanwaltschaft mit weiteren gründlichen Ermittlungen (https://x.com/AshSankholkar/status/1798972426530763043). Die Staatsanwaltschaft konnte die Vorwürfe nicht entkräften.

 

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In diesem Zusammenhang richtet der unterfertigte Abgeordnete an die Bundesministerin für Justiz folgende

 

Anfrage

 

 

1.    Welche Konsequenzen ziehen Sie als verantwortliche Bundesministerin aus dem Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei Knirsch-Gschaider-Cerha?

 

2.    Warum wurden die handelnden Personen, u. a. die österreichischen Ärztekammer-Präsidenten Dr. Szekeres und Dr. Steinhart, nicht in Untersuchungshaft genommen, wo doch eindeutig der Verdacht der Verdunkelungsgefahr und von illegalen Absprachen, also möglicherweise eine massiven Behinderung der Justiz, geäußert wurde?

 

3.    Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem Umstand, dass laut Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Severin Glaser und Rechtsanwalt Dr. Markus Höcher „es nicht völlig realitätsfern wäre, wenn die Strafverfolgungsbehörden aufgrund der zahlreichen Sachverhalte bei einem kriminellen Zusammenwirken mehrere Personen von einer kriminellen Vereinigung oder sogar einer kriminellen Organisation ausgehen würden“?

 

4.    Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem Umstand, dass die Ärztekammer von versierten und renommierten Strafrechtlern in einem Gutachten mit dem „Mafia-Paragraphen“ in Verbindung gebracht wird?

 

5.    Wird auch seitens der Staatsanwaltschaft wegen Bildung einer kriminellen Organisation ermittelt?

a.    Wenn nein, warum wird das vorliegende versierte Gutachten negiert?

b.    Wenn nein, wird dies noch nachgeholt?

 

6.    Welche Folgen hatte es, dass der Rechnungshof die Entwicklung in der Ärztekammer in Wien laut den Prüfern als „stark durch externe, von der Kurie beauftragte Berater geprägt, die davon später mit Geschäftsführungs- und Beiratstätigkeiten für die Gesellschaften profitierten“ bezeichnete, also steht persönliche Bereicherung im Raum?

a.    Wird in diesem Zusammenhang ermittelt?

b.    Wie wurde hier vorgegangen?

 

7.    Wird gegen die Ärztekammer in Zusammenhang mit den massiv gestiegenen Prämien (um mehr als das Siebenfache, von 54.321 auf 392.976 Euro) ermittelt? Besteht hier nicht auch der Verdacht der Untreue?

 

8.    Wird gegen die Ärztekammer in Zusammenhang mit den verdoppelten Aufwendungen für Organe des Wohlfahrtsfonds von 2016 bis 2022 ermittelt? Besteht hier nicht auch der Verdacht der Untreue?

 

9.    Wird im Zusammenhang mit der Kritik des Rechnungshofes an der Ärztekammer in Wien bezüglich der Einhebung aller Umlagen und Beiträge sowie die Auszahlung der Leistungen seit fast 30 Jahren durch einen externen Fondsverwalter ermittelt?

a.    Wenn nein, warum nicht?

b.    Wenn ja, seit wann?

 

10. Wird auch bezüglich der kritisierten finanziellen Vorgänge im Wohlfahrtsfonds und in der Verwaltung der Wiener Ärztekammer seitens der Staatsanwaltschaft ermittelt?

a.    Wenn ja, in welchen Punkten?

b.    Wenn nein, warum nicht, wo doch laut Rechnungshofs durchaus Gefahr in Verzug ist?

 

11. Hat das Bundesministerium überprüft, warum die Staatsanwaltschaft Wien alle Strafverfahren bzgl. der Equip4Ordi und der Care01 einstellen wollte?

a.    Wenn ja, was waren die Gründe?

b.    Wenn nein, warum nicht?

c.    Warum wollte die Staatsanwaltschaft Wien das Strafverfahren „derschlagn“?

 

12. Gibt es in den diversen Strafverfahren bzgl. der Wiener Ärztekammer Weisungen Ihrerseits?

a.    Wenn ja, welche?

b.    Wenn nein, warum nicht (immerhin geht es um die Führung und Finanzgebarung einer Kammer der Republik Österreich)?

 

13. Gab es in den diversen Strafverfahren bzgl. der Wiener Ärztekammer Interventionen, insbesondere seitens der Stadt Wien und des Gesundheitsministeriums?

a.    Wenn ja, welche?

b.    Wenn ja, wann?

c.    Wenn ja, wie hat die Justiz darauf reagiert?

 

14. Inwieweit ist die Österreichische Ärztekammer auch finanziell, nicht nur personell in Form der Spitzenfunktionäre, in die Malversationen der Wiener Ärztekammer involviert?