19278/J XXVII. GP

Eingelangt am 08.07.2024
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Christian Oxonitsch, Genossinnen und Genossen

an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien im Bundeskanzleramt

betreffend noch anstehender Initiativen der Frauen- und Familienministerin zur Bekämpfung der Armut in Österreich - Umsetzung des eigenen Regierungsprogramms

Wenn es um Überschriften und Ankündigungen ging, war Armutsbekämpfung für die aktuelle Bundesregierung immer ein großes Thema. Das ambitionierte Vorhaben, „die Zahl der armutsgefährdeten Menschen in Österreich in einem ersten Schritt zu halbieren“ wurde neben vielen konkreten Maßnahmen auch im Regierungsprogramm verankert.
Fünf Jahre später sehen wir, dass sich die Zahl der armutsgefährdeten Menschen in Österreich nicht halbiert, sondern deutlich erhöht hat. Alleinerzieherinnen sind besonders armutsgefährdet. Angesichts dessen, dass der Großteil jener Maßnahmen, mit denen dieses Ziel erreicht werden sollte, nie umgesetzt wurden, ist das jetzige Ergebnis aber auch nicht überraschend. Die Weiterbetreuung von Care-Leavern, eine Unterhaltsgarantie und der Ausbau von Vollzeit-Kindergartenplätze sind nur wenige Beispiele für Türkis-Grüne Versprechen im Bereich Armutsbekämpfung, die letztlich nicht eingehalten wurden. Die auf europäischer Ebene beschlossene und dringend notwendige Kindergarantie wird seit Jahren auf die Wartebank geschoben – der vorgelagerte Nationale Aktionsplan wurde Ende 2023 mit einer fast zweijährigen(!) Verspätung und als letztes Land in der EU mit zahlreichen Lücken beschlossen.
Stattdessen wurden im Bereich der Armutsbekämpfung vor allem Scheinmaßnahmen erlassen: Der Familienbonus Plus soll laut dem Regierungsprogramm etwa die Zahl von armutsgefährdeten Familien senken. Die Konzipierung dieser Maßnahme als Absatzbetrag führt allerdings dazu, dass eine volle Ausschöpfung der Leistung fast ausschließlich für finanziell abgesicherte Familien möglich ist – je geringer das Einkommen, desto geringer die Leistungshöhe.

Die fatalen Folgen dieses politischen Versagens werden derzeit immer sichtbarer: Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass 12 Prozent der österreichischen Bevölkerung von Ernährungsarmut betroffen sind.[1] Etwa die Hälfte davon so stark, dass Mahlzeiten regelmäßig und unfreiwillig ausgelassen werden müssen, oft sogar den gesamten Tag über. Die Teuerung der letzten Jahre hat vor allem Alleinerzieher:innen und Mehrkindfamilien in finanzielle Notlagen gebracht. Eine konsequente Sozialpolitik für besonders stark betroffene Gruppen wie Frauen, Kinder und Familien wäre deshalb in der aktuellen Legislaturperiode unverzichtbar gewesen. Das Mindeste, was jedoch erwartet werden kann, wäre die Umsetzung der im Regierungsprogramm selbst gesetzten Ziele und Vorhaben.

Es wäre daher interessant zu erfahren, welche Initiativen die Frauen- und Familienministerin in den noch verbleibenden 4 Monaten setzt, um das Regierungsprogramm im Bereich der Armutsbekämpfung umzusetzen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE

1.       Eine weitreichende Maßnahme zur Bekämpfung von Frauen- und Kinderarmut wäre die Einführung der seit langem versprochenen Unterhaltsgarantie. Die ÖVP befürwortete diesen Vorschlag bereits vor vielen Jahren.[2] Auch im Regierungsprogramm ist vorgesehen, dass Unterhaltsleistungen, die innerfamiliär nicht aufgebracht werden können, durch Sozialleistungen abgedeckt werden sollen.

a.       Ist die Schaffung einer Unterhaltsgarantie in dieser Legislaturperiode geplant?

                                                               i.      Falls ja: Für wann? Welche konkrete Modell wird derzeit angepeilt?

                                                             ii.      Falls nein: Welche Bedeutung haben öffentliche Zusagen/Versprechen eines ÖVP-Spitzenkandidaten für die nachfolgende Regierungsarbeit? Welche weiteren Versprechen/Zusagen von Vertreter:innen der ÖVP werden bewusst nicht eingehalten?

b.       Durch welche konkreten Maßnahmen wurde die im Regierungsprogramm vorgesehene Abdeckung von nicht einbringlichen Unterhaltsleistungen durch Sozialleistungen umgesetzt?

                                                               i.      Welche Initiativen werden sie in den verblebenden Monaten noch setzen, um dieses Vorhaben rechtzeitig umzusetzen?

 

2.       „Care-Leaver“ sind Jugendliche, die aufgrund schwieriger Familiengeschichten in betreuten Wohneinrichtungen (der Kinder- und Jugendhilfe) aufwachsen und diese nach Wegfall des Anspruchs verlassen müssen. Während junge Erwachsene durchschnittlich im Alter von 25 Jahren das Elternhaus verlassen, verlieren Care Leaver ihren Wohnplatz in vielen Bundesländern bereits mit dem 18. Geburtstag. Angesichts der schwierigen Vergangenheit ebnet das für viele Betroffene den direkten Weg in Arbeitslosigkeit und Armut.

a.       Im Regierungsprogramm ist „die Weiterführung der Betreuung von Care-Leavern nach dem 18. Lebensjahr“ vorgesehen. Welche konkreten Maßnahmen haben Sie seit Amtsantritt getroffen um dieses Vorhaben umzusetzen?

                                                               i.      Welche Initiativen werden sie in den verblebenden Monaten setzen, um dieses Vorhaben noch rechtzeitig umzusetzen?

b.       Haben Sie dieses Vorhaben seit Amtsantritt mit den Landesreferent:innen für Kinder- und Jugendhilfe besprochen? Gab es Ihrerseits Initiativen, um eine bundesweite Harmonisierung des Anspruchs auf Betreuung der Kinder- und Jugendhilfe herbeizuführen?

                                                               i.      Falls ja: Welche Initiativen? Wann und mit welchen Landesreferent:innen haben dieses Vorhaben besprochen? Auf welches Vorgehen haben Sie sich dabei verständigt?

                                                             ii.      Falls nein: Welche Bedeutung haben im Regierungsprogramm festgeschriebene und Ihren Bereich betreffende Vorhaben für Ihre Arbeit als Bundesministerin?

c.       Im Oktober 2023 forderten die zuständigen Landesreferent:innen „mehr Verantwortung seitens des Bundes und gemeinschaftliche Lösungen“ im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.[3]

                                                               i.      Welche Initiativen haben Sie in den letzten sieben Monaten gesetzt um dieser Aufforderung nachzukommen?

                                                             ii.      Haben Sie die zuständigen Landesreferent:innen in den letzten sieben Monaten zu Gesprächsrunden eingeladen?

 

3.       Der neu geschaffene Familienbonus Plus kann ab einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2075 Euro voll ausgeschöpft werden. Bei niedrigeren Einkommen fällt der Absatzbetrag geringer aus. Laut Regierungsprogramm wurde der Familienbonus Plus eingeführt, um die Zahl von armutsgefährdeten Familien zu senken.[4]

a.       Halten Sie es für sinnvoll, eine Unterstützungsleistung zur Armutsbekämpfung so zu implementieren, dass sie vom Großteil der armutsgefährdeten Familien in Österreich nicht voll ausgeschöpft werden kann?

b.       Halten Sie eine Unterstützungsleistung zur Armutsbekämpfung für treffsicher, wenn eine volle Ausschöpfung fast ausschließlich für finanziell abgesicherte Familien möglich ist?

 

4.       Das Vorhandensein von ausreichend Kinderbetreuungsplätzen, die eine Vollzeitbeschäftigung der Eltern ermöglichen (‚VIF-Betreuungsplätze‘), stellt einen zentralen Faktor bei der Bekämpfung von Frauenarmut dar. Der erste Monitoring-Bericht der Statistik Austria zur Kinderbetreuung zeigt auf, dass derzeit nur jedes zweite Kind einen VIF-Betreuungsplatz hat.[5]

a.       Im Regierungsprogramm ist der Ausbau von VIF-Plätze vorgesehen. Erst kürzlich kündigten Sie an, dass „die VIF-konformen Plätze erhöht werden sollen“[6]. Durch welche konkreten Maßnahmen soll diese Erhöhung umgesetzt werden?

                                                               i.      Sind in der kürzlich angekündigten Kinderbetreuungs-Investition[7] bestimmte Mittel für den Ausbau von VIF-Plätzen reserviert?

b.       Während in Wien über 90 Prozent aller Kinder einen VIF konformen Betreuungsplatz erhalten, sind es in Oberösterreich und Niederösterreich nur circa 26 Prozent.[8] Welche Maßnahmen wurden gesetzt, um die besonders strukturschwachen Regionen Oberösterreich und Niederösterreich beim Ausbau von VIF‑Betreuungsplätzen zu unterstützen?

                                                               i.      In welchem Ausmaß erwarten Sie sich dadurch eine Anhebung der VIF‑Betreuungsquote in den nächsten zwei Jahren?

 

5.       Im Regierungsprogramm ist das Vorhaben festgeschrieben, „die Zahl der armutsgefährdeten Menschen in einem ersten Schritt zu halbieren“, dabei soll ein besonderer Fokus auf Kinderarmut gelegt werden. Tatsächlich hat sich die Zahl der von Armut betroffenen Menschen um mehr als 50 Prozent erhöht.[9]

a.       Welche Maßnahmen planen Sie, um das im Regierungsprogramm festgeschriebene Ziel zu erreichen und 700.000 Menschen in den nächsten vier Monaten aus der Armutsgefährdung zu holen?

                                                               i.      Welche finanziellen Mittel werden hierfür bereitgestellt?

                                                             ii.      Sollten Sie das selbstgesteckte Ziel innerhalb der nächsten vier Monate erreichen und „die Zahl der armutsgefährdeten Menschen in einem ersten Schritt halbieren“, welcher „zweite Schritt“ ist geplant?

 

6.       Am 2.5.2024 veröffentlichte die ‚Gesundheit Österreich GmbH‘ Studienergebnisse zur Ernährungsarmut in Österreich. Demnach müssen derzeit 12 Prozent der Bevölkerung aus finanziellen Gründen bei ihrer Ernährung auf Qualität und/oder Quantität verzichten. Besonders stark betroffen sind Alleinerziehende und Mehrkindfamilien.

a.       Welche Maßnahmen planen Sie, um von Ernährungsarmut betroffene Frauen und Familien zu unterstützen?

 



[1] https://orf.at/stories/3356114/

[2] https://www.derstandard.at/story/2000064737331/nach-tv-debatte-neuer-anlauf-fuer-mindestunterhalt-fuer-kinder

[3] https://www.noen.at/niederoesterreich/politik/kinder-und-jugendhilfe-landesreferenten-fordern-mehr-studienplaetze-fuer-soziale-arbeit-388952756

[4] https://www.oesterreich.gv.at/themen/steuern_und_finanzen/unterstuetzungen_beihilfen_und_foerderungen/sonstige_beihilfen_und_foerderungen/2/Seite.450114.html

[5] https://www.statistik.at/fileadmin/pages/318/2024-04-16_PraesentationKinderbetreuungsmonitor.pdf

[6] https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/nachrichten-der-bundesregierung/2024/04/familienministerin-raab-und-statistik-austria-praesentierten-ersten-monitoring-bericht-zur-kinderbetreuung.html

[7] https://www.meinbezirk.at/c-politik/mittel-fuer-kinderbetreuung-werden-deutlich-erhoeht_a6408222

[8] https://www.statistik.at/fileadmin/pages/318/2024-04-16_PraesentationKinderbetreuungsmonitor.pdf

[9] https://www.derstandard.at/story/3000000217419/zahl-der-menschen-in-armut-um-mehr-als-die-haelfte-gestiegen