19373/J XXVII. GP

Eingelangt am 26.07.2024
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Anfrage

der Abgeordneten Mag. Yannick Shetty, Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Bildung‚ Wissenschaft und Forschung

betreffend Zwangsverheiratung von Schülerinnen

 

Im Frühjahr 2023 hat der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) eine aufschlussreiche Studie des Instituts für Konfliktforschung zum Thema Zwangsheirat veröffentlicht (1). Sie offenbart eine besorgniserregende Situation: Im Jahr 2021 wurden 54 Verdachtsfälle von Zwangsheirat bei Minderjährigen registriert, wobei nahezu alle Betroffenen weiblich waren. Diese Zahlen beleuchten jedoch nur einen Teilaspekt, da genauere Daten lediglich für jene Jugendlichen vorliegen, die von der Kinder- und Jugendhilfe unterstützt wurden. Schätzungen zufolge sind jährlich etwa 200 Personen in Österreich von Zwangsheirat betroffen oder bedroht.

Die Problematik der Zwangsheirat betrifft vorrangig Frauen und Mädchen, die von ihren Familien oft als Mittel zur finanziellen Absicherung oder zur Kontrolle ihrer Sexualität angesehen werden. Die zugrunde liegenden patriarchalen und kulturell verankerten Geschlechterbilder entziehen den Betroffenen jegliche Autonomie. Besonders gefährdet sind Mädchen der zweiten und dritten Generation mit österreichischer Staatsbürgerschaft, die häufig gezwungen werden, ihre Ausbildung abzubrechen, sowie Frauen, die zum Zweck der Zwangsheirat nach Österreich gebracht werden und sich in einer besonders starken Abhängigkeit befinden.

Da viele Zwangsverheiratungen noch vor dem 18. Geburtstag durchgeführt werden, sind die Betroffenen zur Zeit der Eheschließung oft noch im Schulsystem. In der Praxis gestaltet sich das oft so, dass Schülerinnen im Sommer ins Herkunftsland reisen und dort verheiratet werden. Für viele von ihnen ist das auch das Ende ihrer Schullaufbahn - die Mädchen kehren anschließend nicht mehr nach Österreich zurück oder werden gezwungen, eine traditionelle Rolle als Hausfrau zu übernehmen. Diese Entwicklungen beeinträchtigen nicht nur die Zukunftsperspektiven der betroffenen Schülerinnen, sondern auch die soziale und wirtschaftliche Integration in Österreich. 

Die Auswirkungen von Zwangsverheiratungen auf die betroffenen Schülerinnen sind vielschichtig und tiefgreifend. Zum einen verlieren die Mädchen ihren Zugang zu Bildung, was ihre Chancen auf eine selbstbestimmte und wirtschaftlich unabhängige Zukunft erheblich mindert. Bildung ist ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe und ermöglicht es den Mädchen, ihre Fähigkeiten zu entfalten und aktiv am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Ohne eine fundierte schulische Ausbildung sind die Möglichkeiten der betroffenen Mädchen stark eingeschränkt, was oftmals zu einem Leben in Abhängigkeit und Armut führt.

Darüber hinaus haben Zwangsverheiratungen erhebliche psychosoziale Folgen. Die Mädchen werden aus ihrem vertrauten Umfeld gerissen und in eine Situation gezwungen, die sie emotional und psychologisch überfordert. Diese erzwungenen Ehen sind von einem Machtgefälle geprägt, das zu weiteren Formen von Gewalt und Missbrauch führen kann. Dies belastet nicht nur die individuellen Betroffenen, sondern hat auch langfristige negative Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.

Wie eine Reportage von ZDFheute zeigt, haben Zwangsverheiratungen in den Sommerferien in Deutschland ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen. Dabei wird berichtet, dass an allen überprüfen Berliner Schulen Fälle von Zwangsverheiratung vorlagen. Klar ist Schulen spielen eine zentrale Rolle bei der Prävention von Zwangsverheiratungen und können durch gezielte Maßnahmen dazu beitragen, diese Praktiken zu verhindern (2). Eine verstärkte Sensibilisierung von Lehrkräften und schulischem Personal ist hierbei essenziell. Lehrerinnen und Lehrer müssen in der Lage sein, Anzeichen für eine drohende Zwangsverheiratung zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Hierzu gehört auch die Etablierung von Vertrauensstrukturen, in denen Schülerinnen ihre Sorgen und Ängste offen ansprechen können.

Zudem sollten Schulen eng mit Beratungsstellen und sozialen Diensten kooperieren, um betroffene Mädchen und deren Familien frühzeitig zu unterstützen. Durch Aufklärungsarbeit und gezielte Interventionen können Schulen dazu beitragen, das Bewusstsein für die negativen Folgen von Zwangsverheiratungen zu schärfen und Alternativen aufzuzeigen. Schulpsychologinnen und -psychologen sowie Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter können hierbei eine wichtige Brückenfunktion übernehmen und sowohl präventiv als auch intervenierend tätig werden.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Einbindung der Eltern in die schulische Arbeit. Durch Informationsveranstaltungen und Elternabende können Schulen die Eltern über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die negativen Konsequenzen von Zwangsverheiratungen aufklären. Dies kann dazu beitragen, traditionelle Denkmuster zu hinterfragen und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu fördern.

Insgesamt ist es von entscheidender Bedeutung, dass Schulen als zentrale Bildungs- und Sozialisationsinstanzen ihre Verantwortung wahrnehmen und aktiv gegen Zwangsverheiratungen vorgehen. Durch gezielte Sensibilisierung, präventive Maßnahmen und eine enge Zusammenarbeit mit externen Akteuren können sie einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Rechte und Freiheiten der Schülerinnen zu schützen und ihnen eine selbstbestimmte Zukunft zu ermöglichen.

Inwiefern in Österreichs Schulen ausreichend Präventionsarbeit stattfindet, ist unklar: Der Verein Orient Express berichtet, dass die Kapazitäten für präventive Aufklärung und Beratung in Schulen nicht ausreichen, um annähernd flächendeckend arbeiten zu können - trotz eines Anstiegs an minderjährigen Betroffenen. 

Ein unlängst veröffentlichter Lagebericht des Projekts FORMA zur Zwangsverheiratung in Österreich kam außerdem zum Schluss, dass eine intensivere Zusammenarbeit mit Schulen erforderlich ist (3). Schulen sind von zentraler Bedeutung, um frühzeitig Aufklärung und Sensibilisierung zu betreiben. Durch eine enge Kooperation mit Opferschutzeinrichtungen können Schulen gefährdete Jugendliche frühzeitig erkennen und gezielt unterstützen. 

(1) https://www.integrationsfonds.at/der-oeif/presse/detail/oeif-forschungsbericht-zu-zwangsheirat-in-oesterreich-jaehrlich-rund-200-faelle-auch-frauen-der-zweiten-und-dritten-generation-betroffen-17101/

(2) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/zwangsheirat-ferien-verschleppt-heimat-urlaub-100.html?at_medium=Social%20Media&at_campaign=Twitter&at_specific=ZDFheute&at_content=Sophora

(3) https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20240617_OTS0099/zwangsverheiratung-in-oesterreich-projekt-forma-praesentiert-lagebericht

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Welche Angebote gibt es zurzeit in Schulen, um präventiv gegen Zwangsverheiratung vorzugehen? Bitte um Auflistung nach Schultyp und Bundesland. 
  2. Welche Angebote gibt es zurzeit für Schülerinnen, die gegen ihren Willen verheiratet wurden? Bitte um Auflistung nach Schultyp und Bundesland. 
  3. Welche Prozesse gibt es an den österreichischen Schulen, wenn der Verdacht auf Zwangsverheiratung besteht?
    1. Welche Schritte werden unternommen?
    2. Wird der Verdacht zur Anzeige gebracht?
  1. Wie viele Fälle von Zwangsverheiratung von österreichischen Schülerinnen sind Ihnen bekannt? Bitte um Auflistung nach Schultyp, Jahr und Bundesland. 
  2. Welche Schritte haben Sie in dieser Legislaturperiode gesetzt, um die Prävention von und den Umgang mit Zwangsverheiratungen von Schülerinnen zu verbessern?
  3. Welche Initiativen sind in diesem Zusammenhang zurzeit in Ausarbeitung?
  4. Liegen Ihnen Informationen vor, die eine vermehrte zwangsweise Verheiratung von Schülerinnen während der Sommerferien nahelegen?