19377/J XXVII. GP

Eingelangt am 29.07.2024
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Anfrage

 

der Abgeordneten Meri Disoski, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Inneres

betreffend sicherheitspolizeilicher Schutz vor Abtreibungsgegner:innen: Schutzzonen und Straftatbestand für Gehsteigbelästigung

BEGRÜNDUNG

 

Internationale Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sehen den Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen als ein grundlegendes Menschenrecht an. Bereits seit 1994 gelten reproduktive Rechte und Gesundheit international als Menschenrechte: Alle Menschen haben das Recht, selbstbestimmt und frei über den eigenen Körper und die eigene Sexualität zu entscheiden. Hierzu gehören ausdrücklich die freie Entscheidung zu Elternschaft, das Recht über die Anzahl und den Zeitpunkt der Geburt der Kinder zu entscheiden, sowie das Recht auf die dafür nötigen Mittel. Dazu gehört auch ihr Recht, diese Entscheidungen frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt zu treffen.[1] Auch das Europäische Parlament erklärt den ungehinderten Zugang zu Abtreibungen offiziell als Menschenrecht: Der Zugang zu sicherer und legaler Abtreibung muss gewährleistet und alle Hindernisse beim Zugang zu Diensten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit müssen beseitigt werden.[2] Verschiedenste Institutionen sprechen daher Empfehlungen für eine Gesetzgebung aus, die die Gesundheit von Schwangeren priorisiert und den Zugang zu sicheren Abbrüchen gewährleistet. Die gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in Österreich missachten die internationalen menschenrechts- und gesundheitsorientierten Empfehlungen und schränken die Gesundheitsrechte von Schwangeren somit nach wie vor ein.

Nicht zuletzt geschehen gezielte Belästigungen und Aufmärsche vor Abtreibungsklinken und Beratungsstellen durch Abtreibungsgegner:innen, wie wir sie in Österreich bereits seit Jahrzehnten erleben müssen. Ungewollt Schwangere und medizinisches Personal sind zum Teil täglich sogenannten „Gehsteigberatungen“ oder „Protestaktionen“ ausgesetzt, die immer radikalere und militantere Formen annehmen: Ungefragt und unfreiwillig mit fanatischen Plakaten, Plastikembryos, Rosenkränzen, Bibeln oder Gebetsbüchern konfrontiert, erleiden professionelle Beratung und medizinische Behandlung suchende Frauen und Paare in einer ohnehin schwierigen Lebenssituation und seelischen Lage ein Ausmaß an Psychoterror, das für sie unzumutbare emotionale und psychische Folgen haben kann. Die Grundrechte der Schwangeren werden durch diese Belästigungsaktionen gleich doppelt gefährdet: Erstens wird das Persönlichkeitsrecht der Schwangeren und damit ihr Recht auf freie und selbstverantwortliche Entfaltung der eigenen Persönlichkeit gefährdet, zweitens ihr Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Wie der Europarat 2022 festhält, untergräbt der behinderte Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten die Rechtssicherheit – und damit ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit, zu deren Schutz die nationalen Behörden verpflichtet sind.[3]

Erst im Juni hat Amnesty International in einem Bericht erneut aufgezeigt[4], wie sowohl Frauen als auch Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, in Österreich viel zu oft Ziel von Angriffen werden. Betroffene berichten immer wieder von Hassnachrichten bis zu Aktionen vor Kliniken mit blutbeschmierten Babypuppen, die psychischer Gewalt gegen Frauen gleichkommen. Wie Amnesty International bestätigt, kommen „diese Herausforderungen insbesondere im ländlichen Raum, wo die Versorgungsdichte mit Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ohnedies gering ist, stärker zu tragen, da dort die Anonymität der Ärztinnen und Ärzte geringer ist“[5].

Es muss in Österreich endlich möglich sein, Beratungsstellen bzw. Ambulatorien ohne Belästigungen und Schikanen anonym aufsuchen und der Tätigkeit als Mediziner:in ohne Furcht vor Repressalien nachgehen zu können. Wirksame Schutzmaßnahmen sind längst überfällig. Wien hat dabei gezeigt, dass das Instrument der Wegweisung allein kein ausreichend probates Mittel gegen radikale Abtreibungsgegner:innen darstellt. Vielmehr zeigen andere Länder, wie Kanada, Neuseeland, Spanien oder Großbritannien sowie offizielle Empfehlungen des Europarates[6], was es wirklich braucht, um einen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gewährleisten zu können: Buffer Zones bzw. Schutzzonen. Sie sichern den Zugang zu Beratungsstellen und zu Einrichtungen, die Abbrüche vornehmen: „Innerhalb der Schutzzonen sollten alle Informations- und Aufklärungsmaßnahmen gegen Abtreibung sowie Proteste verboten werden, unabhängig davon, ob sie sich an die Öffentlichkeit oder an Einzelpersonen richten“[7].

Das in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument der Meinungs- bzw. Versammlungsfreiheit muss vor dem Recht auf Privatsphäre zurücktreten, schließlich zählt eine Schwangerschaft zum intimsten Bereich der Privatsphäre. Und die Verletzung dieser Intimsphäre durch Protestaktionen vor Beratungs- und Behandlungsstellen ist enorm. Staatliche Schutzmaßnahmen, um die Intimsphäre zu wahren, sind dementsprechend erforderlich, ganz besonders, wenn eine Schwangerschaft nach außen noch nicht sichtbar ist, also genau im ersten Schwangerschaftsdrittel, wenn ungewollt Schwangere anonym medizinische Beratung und Behandlung aufsuchen möchten[8]. Proteste und Mahnwachen von Abtreibungsgegner:innen sind hier als nicht weniger als persönliche An- und Übergriffe auf ungewollt schwangere Frauen zu verstehen, schließlich wird von ihnen der Ort ihrer Protestaktionen „bewusst als Mittel zum Zweck eingesetzt“ – „weil es gerade darum [geht], auf die ungeplant Schwangeren (unzulässig) einzuwirken“[9]. Ginge es Abtreibungsgegner:innen um eine allgemeine Meinungsäußerung, wären sie an keinen speziellen Ort wie Abtreibungskliniken oder Beratungsstellen gebunden. Dass es Abtreibungsgegner:innen jedoch nicht um ihr Recht auf Versammlungsfreiheit oder freie Meinungsäußerung geht, sondern vielmehr um das ungefragte Aufdrängen ihrer Meinungen als Abschreckungstaktik, hat auch das höchste australische Gericht treffend formuliert: Allein „die Beobachtung von Personen, die eine Klinik zum Zwecke des Schwangerschaftsabbruchs aufsuchen, kann als Mittel zur Abschreckung ebenso wirksam sein wie lautstarke Demonstrationen“[10].

Eine in solchen Fällen errichtete Schutzzone ist eine notwendige und verhältnismäßige Einschränkung des Versammlungsrechts. In selber Konsequenz wurden 2022 Schutzzonen nach § 36a SPG als sicherheitspolizeiliche Maßnahme rechtlich entsprechend auf Gesundheitseinrichtungen ausgeweitet. Damals mussten Patient:innen und Personal vor der „vermehrt stattfindende[n] öffentliche[n] Radikalisierung“[11] durch Impfgegner:innen geschützt werden – in selber Manier, wie sie zukünftig vor radikalen Abtreibungsgegner:innen geschützt werden sollen. Schutzzonen schränken dabei nicht das Versammlungsgesetz ein, sondern schützen das öffentliche Wohl und die Gesundheit von Menschen vor Einzelpersonen und kleinen Gruppen. Denn – so hat es Herr Bundesminister für Inneres selbst richtig formuliert – „[e]s wurden mehrfach rote Linien überschritten, Gesundheitspersonal bedroht und Menschenleben gefährdet. Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, das selbstverständlich zu schützen ist. Wo es Rechte gibt, gibt es aber auch Pflichten. Wir werden alles tun, um jene zu schützen, die für uns da sind und unsere Gesundheit schützen.“[12] Und dazu zählt Österreichs Personal in den Beratungs- und Behandlungsstellen für Schwangerschaftsabbrüche.

Um ungewollt Schwangere noch gezielter vor Übergriffen schützen zu können, muss zusätzlich zu den Schutzzonen der Straftatbestand für Gehsteigbelästigung nach Vorbild Deutschlands auch in Österreich umgesetzt werden. Denn je einzelfallbezogener man gegen Abtreibungsgegener:innen vorgehen kann, desto sicherer und effektiver ist die Schutzmaßnahme. Zum Schutz der Schwangeren wie auch zum Schutz der Beratenden und Ärzt:innen sind in Deutschland auf Initiative der Grünen Frauenministerin Lisa Paus dementsprechend Gehsteigbelästigungen durch Abtreibungsgegner:innen fortan gesetzlich verboten. So muss künftig dafür gesorgt sein, dass ungewollt Schwangere und Paare ungehindert Zugang zu Beratungsstellen und Einrichtungen haben, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Etwaige Behinderungen und Belästigungen beim Betreten der Einrichtungen oder Versuche, einer Schwangeren gegen ihren erkennbaren Willen die eigene Meinung aufzudrängen, sie unter Druck zu setzen oder mit unwahren Tatsachenbehauptungen oder verstörenden Inhalten zu konfrontieren, können in Zukunft mit einer Geldstrafe bis zu 5.000 Euro als Ordnungswidrigkeit geahndet werden[13]. Somit wird Demonstrationen oder Mahnwachen von Abtreibungsgegner:innen in unmittelbarer Nähe von Beratungsstellen und Arztpraxen ein effektives Ende gesetzt. Dies muss auch in Österreich endlich Realität werden.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1.    Welche Maßnahmen hat das Bundesministerium für Inneres bereits gesetzt, um ungewollt Schwangere, ihre Partner:innen und Beratungs- wie Gesundheitspersonal vor Belästigungen an Beratungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, zu schützen?

 

2.    Welche Maßnahmen ergreift das Bundesministerium für Inneres aktuell zum Schutz von ungewollt Schwangeren, ihrer Partner:innen und Beratungs- wie Gesundheitspersonal vor Belästigungen an Beratungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, durch Abtreibungsgegner:innen?

 

3.    Wie rechtfertigt das Bundesministerium für Inneres die Tatsache, dass ungewollt Schwangere, ihre Partner:innen und Personal, das zu Schwangerschaftsabbrüchen berät oder diese medizinisch durchführt, von Abtreibungsgegner:innen bisher ohne jedwede Konsequenz belästigt und schikaniert werden können?

 

4.    Plant das Bundesministerium für Inneres vor den oben ausgeführten Hintergründen die gesetzliche Ausweitung von Schutzzonen nach § 36a SPG auf Beratungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, wie sie bereits in vielen europäischen Ländern besteht und unter anderem vom Europarat empfohlen wird?

 

a. Wenn ja, in welchem Zeitrahmen?

b. Wenn nein, wieso nicht?

 

5.    Plant das Bundesministerium für Inneres vor den oben ausgeführten Hintergründen die Erstellung eines Gesetzesentwurfes für einen Verwaltungsstraftatbestand der Gehsteigbelästigung in Schutzzonen, wie sie jüngst in Deutschland erfolgreich eingeführt wurde?

 

a. Wenn ja, in welchem Zeitrahmen?

b. Wenn nein, wieso nicht?



[1] Programme of Action - Adopted at the International Conference on Population and Development (ICPD), Cairo, 1994 (unfpa.org)

[2] Allgemeinen Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit sicherstellen | Aktuelles | Europäisches Parlament (europa.eu)

[3] Res. 2439 - Resolution - Adopted text (coe.int)

[4] Schwangerschaftsabbruch: Angriff auf Ärzt*innen in Österreich | Amnesty International Österreich

[5] Ebd.

[6] Res. 2439 - Resolution - Adopted text (coe.int)

[7] Ebd.

[8] Spießrutenlauf für Schwangere – Verfassungsblog

[9] Ebd.

[10] Clubb v Edwards [2019] HCA 11 - BarNet Jade - BarNet Jade

[11] 147. Sitzung des Nationalrates am 23.03.2022 | Parlament Österreich

[12] Gesundheitseinrichtungen sollen zu Schutzzonen erklärt werden (kurier.at)

[13] Deutscher Bundestag - Regierung will Schwangere vor Abtreibungsgegnern schützen