19389/J XXVII. GP
Eingelangt am 09.08.2024
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Krainer, Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Sicherheitsrisiko Kickl
In seinem Buch „Ostblock – Putin, Kickl und ihre ÖVP“ hat Peter Pilz auf Grundlage von Dokumenten und Akten die Zerstörung des BVT, den Verrat wichtiger Geheimnisse und die daraus folgende Gefährdung der Sicherheit der Republik unter der Ministerschaft von Herbert Kickl umfassend beschrieben.
Herbert Kickl ist der einzige Innenminister, unter dessen Führung der eigene Nachrichtendienst gezielt beschädigt wurde. Damit hat Innenminister Kickl der öffentlichen Sicherheit Österreichs schweren Schaden zugefügt.
Um dem Innenminister Gelegenheit zu geben, zu den im Buch von Peter Pilz gesammelten Vorwürfen ebenfalls Stellung zu nehmen, stellen die unterfertigten Abgeordneten folgende
Anfrage
A) Verdeckte Ermittler im Bereich „Rechtsextremismus“
Am 30. Jänner 2018 hatte die SPÖ den Nationalen Sicherheitsrat „NSR“ zum Thema „Burschenschaften“ und der „Liederbuchaffäre“ des niederösterreichischen FPÖ-Chefs Udo Landbauer einberufen. BMI-Generalsekretär Peter Goldgruber nützte die Gelegenheit und lud am Tag davor BVT-Direktor Peter Gridling in sein Büro. Dort erteilte er ihm unter dem Vorwand, den NSR für den Minister vorbereiten zu müssen, vier Aufträge zur Klärung und Beantwortung. Alle drehten sich um ein Thema: „REX“ wie „Rechtsextremismus“ im BVT abgekürzt wird. Goldgruber wollte wissen:
• Welche Burschenschaften waren zwischen 2012 und 2017 Gegenstand von Ermittlungen?
• Gab es in dieser Zeit Ermittlungen gegen Personen, die Mitglieder einer Burschenschaft sind? Wenn ja – gibt es bezughabende Anzeigen (strafrechtliche Anzeigen/verwaltungsrechtliche Anzeigen)?
• Welche Maßnahmen im Zusammenhang mit Vereinsauflösungen – Untersagungen wurden in der letzten Regierungsperiode seitens REX-Referat gesetzt?
• Wo wurden im Bereich REX verdeckte Ermittler eingesetzt?
Der BVT-Direktor und Kickls Generalsekretär wussten: Die Fragen hatten nichts mit dem bevorstehenden Sicherheitsrat zu tun. Goldgruber versuchte offensichtlich, für seinen Minister und dessen Partei alles, was aus Rechtsextremismus-Ermittlungen drohen könnte, auszukundschaften.
Bei der Beantwortung zeigte sich, dass die Gefahr ganz konkret war: Von der zweiten Frage Goldgrubers war die Verbindung „Vandalia“ betroffen. Ihre prominentesten Mitglieder hießen Johann Gudenus und Heinz-Christian Strache, der bei Vandalia-Treffen den Namen „Heinrich der Glückliche“ führte.
Gridling beschrieb im BVT-Untersuchungsausschuss seine Notlage: Wenn er den Auftrag des Generalsekretärs erfüllt hätte, wären verdeckte Ermittler in der rechtsextremen Szene in höchste Gefahr geraten. Der BVT-Direktor beschloss, sie vor der Partei seines Ministers zu schützen. Gridling verriet dem Generalsekretär keinen einzigen Namen und gab so sparsam Auskunft, dass weder Beamte noch Ermittlungen gefährdet wurden.
1. Welche Informationen liegen Ihnen dazu vor, dass Herbert Kickl als Innenminister seinem Generalsekretär den Auftrag, die verdeckten Ermittler im Bereich „Rechtsextremismus“ zu verraten, erteilt haben soll?
2. Wären durch die Beantwortung der genannten Goldgruber-Fragen Ermittler des BVT persönlicher Gefahr ausgesetzt worden?
B) BVT-Hausdurchsuchung
Am Morgen des 28. Februar 2018 wurden die Räumlichkeiten des BVT durch eine Staatsanwältin der WKStA und Beamte des BMI durchsucht. Die Beamten hatten den Auftrag, so viel wie möglich mitzunehmen. Polizeioberst Wolfgang Preiszier, ein FPÖ-Gemeinderat aus Guntramsdorf bei Wien, leitete den Einsatz an der Spitze von Beamten der EGS, der „Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität“.
Büros wurden durchkämmt, Datenträger wahllos in Plastiksäcke gepackt und abtransportiert. Nur in einem Büro wurde gezielt gesucht: im Extremismusreferat von Sibylle Geißler. Der Standard zitierte aus der Befragung von Geißler im „rot-blauen Machtmissbrauch-Untersuchungsausschuss“ im April 2024: „So habe sich auf Geißlers Schreibtisch der Ausdruck einer E-Mail gefunden, in der KüsseI einige Personen zu einer Veranstaltung eingeladen habe. Auf diesem Verteiler habe sich auch Preiszier befunden.“ Der Standard berichtete weiter: „Als sie später ihr Büro aufgeräumt habe, sei das Dokument nicht mehr da gewesen.“
Mit Geißlers Aussage standen Preiszier und seine Beamten im Verdacht, dass sie belastendes Material gegen die FPÖ und den FPÖ-Einsatzleiter verschwinden hatten lassen.
3. Welche Dokumente, die FPÖ-Funktionäre belasteten, sind bei der BVT-Hausdurchsuchung am 28.2.2018 verschwunden?
4. Ist das Büro von Sybille Geißler durch Preiszier persönlich durchsucht worden?
5. Liegen Hinweise vor, wonach die Information über die Einladungsliste auch bei Goldgruber und/oder sogar in rechtsextremen Kreisen bekannt wurde?
C) Neptune-Datenbank
Bei der Hausdurchsuchung wurde aus der EDV-Abteilung eine private Festplatte mitgenommen. Laut BVT-Beamten Franz K. fand sich auf dieser Festplatte „die NEPTUNE-Kommunikation (Bilateral Nachrichten) der Jahre 2013, 2014, 2015, 2016 und 2017, die Neptune-Exchange-Datenbank mit Stand 18.4.2016, die CommCenter-Outlook-Archive der Jahre 20212, 2013, 2014, 2015.“
„Neptune“ war das streng geheime Kommunikationssystem des Berner Clubs – des Zusammenschlusses der Nachrichtendienste von EU und USA - mit dem BVT in Wien. Von CIA in Brüssel und FBI in Washington bis BfV in Köln und MI5 in London übermittelten auf diesem Weg befreundete Dienste sensible Informationen an das BVT. Vom BVT wurden sensible Informationen aus dem BVT in den Club-Verteiler eingespeist.
Justiz-Generalsekretär Christian Pilnacek wusste in seiner Befragung im BVT-Untersuchungsausschuss mehr zur Festplatte: „[...] es ist ja höchst ungewöhnlich, dass Beamte des BVT (...) auf privaten Datenträgern, die sie nicht einmal bezeichnen, etwas in ihrem Büro anfertigen, wo es auch keine Notwendigkeit einer solchen Sicherungskopie gibt.“
6. Wer hat den Auftrag gegeben, auf einer privaten Festplatte eine Kopie der Neptune-Daten von 2013 bis 2017 anzulegen?
Staatsanwältin Ursula Schmudermayer hielt später das Ergebnis einer Dienstbesprechung mit Christian Pilnacek fest: „Seitens der Rechtsabteilung des BVT wurde kommuniziert, dass die Daten ,CommCenter‘ besonders heikel sind. Es gäbe eine eigene EU-Klassifizierung, Zugang zu diesen Dokumenten hätten nur wenige Mitarbeiter des BVT und alle anderen Mitarbeiter müssen extra anfragen, ob sie in diese Dokumente Einsicht nehmen können. Genau diese Daten lagen dann im BVT unverschlüsselt auf einer Festplatte im Büro der IT. Auch die anderen Datenbanken sind ja heikel.“
7. Welche Informationen liegen Ihnen vor, warum diese Daten unverschlüsselt offen auf der privaten Festplatte auf einem Schreibtisch im BVT gelegen sind?
D) Zentrale Quellenbewirtschaftung ZQB
Bei einer Dienstbesprechung am 30. Mai 2018 im Justizministerium wurde von der WKStA festgehalten, dass sich neben den Daten des Berner Clubs auch die Daten der Zentralen Quellenbewirtschaftung ZQB auf der Festplatte befanden: „Warum genau diese Daten dann auf einer unverschlüsselten Festplatte gespeichert werden, ist zu hinterfragen, besonders, weil die ZQB mit dem CommCenter und mit der Neptun-Datenbank inhaltlich nichts zu tun hat.“
Auf der ZQB sollen sich die Daten von 390 Quellen aus den Bereichen „Rechtsextremismus“ und „Islamismus“ befunden haben.
8. Welche Informationen liegen Ihnen zu den Gründen vor, weshalb sich auch die Daten der Zentralen Quellenbewirtschaftung ZQB auf der mitgenommenen privaten Festplatte befanden?
9. Wie viele Quellen mit Klarnamen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in der Datenbank der ZQB?
10. Wie viele davon waren
a) dem Bereich „Rechtsextremismus“
b) dem Bereich „Islamismus“ zuzurechnen?
11. Wie viele Namen von verdeckten Ermittlern des BVT befanden sich zu diesem Zeitpunkt in der Datenbank der ZQB?
12. Wie viele dieser Quellen und verdeckten Ermittler wurden durch die Mitnahme der privaten Festplatte kompromittiert und in Gefahr gebracht?
13. Ist es richtig, dass am Ende der Ministerschaft von Herbert Kickl fast alle Quellen des BVT ruiniert waren?
14. Wie viele dieser Quellen und verdeckten Ermittler mussten stillgelegt und durch neue ersetzt werden?
E) Akteneinsicht in Neptune
Am 6. April 2018 traf sich BMI-Generalsekretär Peter Goldgruber mit WKStA-Staatsanwältin Ursula Schmudermayer und deren Chefin Ilse-Maria Vrabl-Sanda zu einer Krisensitzung. Schmudermayer hielt fest: Goldgruber „macht darauf aufmerksam, dass sensible (klassifizierte) Daten von ausländischen Geheimdiensten, die sich allenfalls im sichergestellten Datenbestand finden könnten, nicht der Akteneinsicht zugänglich sein sollten.“
Goldgruber übersah dabei eines: Schon am 26. November 2017 hatten Beamte der AG Fama des Bundeskriminalamts im Fall „Ott“ ihren ersten umfassenden Bericht an den Wiener Staatsanwalt Bernd Schneider erstattet.
Auf Seite 207 des „1. Zwischenberichts“ war etwas passiert, was niemand im Berner Club für möglich gehalten hatte. Die Kriminalbeamten hatten bei Ott eine Kopie des 28-seitigen Neptune-Kommunikations-Handbuchs des BVT im Berner Club gefunden. Unter dem Titel „DIE INTERNATIONALE KOMMUNIKATION IM BVT ÜBER DAS KOMMUNIKATIONSZENTRUM – COMCENTER“ waren hier
• alle Codes
• die Codeworttabelle
• die Formulare zur Kommunikation
• die Dringlichkeitsstufen
• die Formen der Kommunikation
• „Handling Codes“
• und „Evaluation Codes“
aufgelistet. Wer das Handbuch hatte, wusste, wie die Kommunikation der westlichen Nachrichtendienste mit dem BVT funktionierte. Die Beamten des Bundeskriminalamts legten eine Kopie des Handbuchs ihrem Bericht bei.
Was in anderen Staaten über Spionage geht, funktioniert in Österreich über Akteneinsicht.
15. Warum haben die Beamten der AG Fama hier nicht auf Sicherheitsinteressen der Republik Österreich Rücksicht genommen?
F) Berner Club und BVT
Im Juli 2018 zog sich das BVT aus dem Berner Club zurück – aus einem einzigen Grund: um nicht ausgeschlossen zu werden. Von der amerikanischen CIA und dem britischen MI5 bis zum deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz und zum niederländischen AIVD hatten „befreundete“ Dienste angekündigt, ihre Delegierten würden aufstehen und gehen, wenn österreichische Vertreter des BVT beim nächsten Treffen des Clubs im Raum wären, wie BVT-Direktor Gridling intern berichtete.
16. An welchem Tag zog sich das BVT aus den Arbeitsgruppen des Berner Clubs zurück?
17. Von welchen Informationen war das BVT damit ausgeschlossen?
G) Falschinformation durch BM Kickl
Am 3. September 2018 versuchte der Innenminister, die Isolierung des BVT im „Nationalen Sicherheitsrat“ im Bundeskanzleramt schönzureden:„Kickl betont, dass es keine internationale Isolation des BVT gibt und sowohl die politische als auch die operative Zusammenarbeit unverändert gut funktioniert.“ Damit hatte Herbert Kickl als Innenminister den Nationalen Sicherheitsrat bewusst falsch informiert.
18. Welche Informationen zur Situation im Berner Club lagen Innenminister Kickl im Zeitpunkt des NSR vor?
19. Was wurde von Seiten des BMI unternommen, um diese Falschinformation richtigzustellen?
H) GS Nehammer für BM Kickl
Im Mai 2018 war Herbert Kickl als Innenminister aufgrund der Schäden, die er und seine Beamten am BVT verursacht hatten, rücktrittsreif. Karl Nehammer stärkte ihm am 19. Mai 2018 als ÖVP-Generalsekretär trotzdem den Rücken: „Das Vorgehen von Innenminister Herbert Kickl war selbstverständlich mit der neuen Volkspartei abgestimmt und akkordiert. Die Volkspartei übt daher hier keine Kritik am Innenminister.“
20. Sind Vertreter bzw. Regierungsmitglieder der ÖVP über die bevorstehende Hausdurchsuchung im BVT am 28.2.2018 informiert worden?
I) Soteria – die Zerstörung des BVT
Kurz nach dem „freiwilligen“ Rückzug des BVT aus den Club-Arbeitsgruppen war vereinbart worden, dass die Datensicherheit des BVT durch ein Team des Clubs evaluiert würde. Am 13. März 2019 kam das Team der „Soteria“-Gruppe des Clubs nach Wien. Unter der Führung des Vertreters des Londoner MI5 überprüften britische, deutsche, schweizerische und litauische Experten das BVT.
Im Herbst sandten sie ihren Bericht mit einem Vermerk an das BVT: „Dieser Bericht darf nicht außerhalb des Clubs weitergegeben werden, er muss sicher aufbewahrt werden und darf nicht in ein mit dem Internet verbundenes Netzwerk eingescannt werden.“
Am 11. November 2019 verkündete Redakteur Richard Schmitt stolz: „ÖSTERREICH hat die gesamte 25-seitige Zusammenfassung der Analyse, inklusive aller Grafiken und Fotos“. Schmitt schrieb stolz: „Das vom „Berner Club“ - einer im Geheimen agierenden Verbindung aller wichtigen Nachrichtendienste Europas - in Auftrag gegebene umfassende „Security Assessement of BVT“ hätte nie an die Öffentlichkeit gehen sollen.“ Der von der Kronen Zeitung wegen „Ibiza“ hinausgeworfene FPÖ-Vertrauensjournalist wusste genau, was er tat.
Damit war der GAU eingetreten. Das BVT wurde sofort aus allen Arbeitsgruppen und aus allen sensiblen Bereichen der Zusammenarbeit zwischen den europäischen und amerikanischen Diensten ausgeschlossen.
21. Wann wurde das BVT in Folge des Verrats des Soteria-Berichts aus den AG des Berner Clubs ausgeschlossen?
22. Welche Nachforschungen wurden zu diesem „Leak“ angestellt?
23. Wie lange war das BVT ausgeschlossen?
Zum Soteria-Bericht „Security Assessment of BVT“ hatten nur wenige BVT-Mitarbeiter Zugriff. Gridling und seine Beamten wussten, dass diesmal nichts schiefgehen durfte. Der BVT-Direktor beschloss, Peter Goldgruber als Kickls Generalsekretär nur mündlich zu informieren. „Aber der Generalsekretär ließ nicht locker. Anlässlich eines Informationsgesprächs forderte er nachdrücklich den schriftlichen Bericht, und schließlich händigte ihm einer der Mitarbeiter die Kopie aus. Zwei Tage später schrieb Richard Schmitt genüsslich über den Bericht und veröffentlichte Kopien einzelner Teile desselben.“
24. Hat es von GS Goldgruber eine Weisung an Gridling gegeben, ihm eine Kopie des Soteria-Berichts auszuhändigen?
Mitarbeiter aus dem direkten Umfeld des Innenministers beteuern, dass die Weitergabe des Soteria-Berichts an den Redakteur nicht durch GS Goldgruber persönlich erfolgt sei.
25. Hat GS Goldgruber BM Kickl über den Soteria-Bericht informiert?
26. Hat BM Kickl eine Kopie des Soteria-Berichts erhalten?
27. Hat BM Kickl über seinen „Kommunikationsleiter“ eine Kopie des Soteria-Berichts an Schmitt weitergeben lassen?
Die Folgen für das BVT waren verheerend. Bis in den Dezember 2021 blieb es aus den Arbeitsgruppen des Berner Clubs ausgeschlossen. Erst mit der Neugründung der „Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst – DSN“, einer neuen Führung und neuer Datensicherheitssysteme bekam der österreichische Verfassungsschutz international eine neue Chance.
J) Aufarbeitung der Zerstörung des BVT unter BM Kickl
Bis heute ist die gezielte Beschädigung und Zerstörung des BVT im BMI nicht ausreichend aufgearbeitet worden.
28. Hat die AG Fama zu den oben genannten strafrechtlich relevanten Vorkommnissen ermittelt?
29. Hat die AG Fama festgestellt, für wen die private Festplatte mit den Daten von Neptune und ZQB angelegt wurde?
30. Wurde diese Festplatte für Auftraggeber aus der FPÖ angelegt?
31. Wurde diese Festplatte für Interessenten aus den russischen Diensten FSB oder SWR angelegt?
32. Wer hat den Soteria-Bericht verraten?