2009/J XXVII. GP

Eingelangt am 15.05.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Folgeanfrage Todesfall im Polizeianhaltezentrum Wien Rossauer Lände am 12.6.2019

 

Der Sachverhalt ist mittlerweile bekannt:

In der Nacht von 11. auf 12. Juni 2019 verstarb ein 58-jähriger ungarischer Staatsbürger, der sich in Schubhaft befand, unter tragischen Umständen im Polizeianhaltezentrum Wien Rossauer Lände. 

Nach Angaben der Diakonie, die den Mann noch am 11. Juni besuchte, befand sich der Verstorbene unmittelbar vor seinem Tod in einem offenkundig sehr schlechten gesundheitlichen Zustand. Die Angaben in der von der Diakonie eingebrachten Sachverhaltsdarstellung legten nahe, dass der Mann unter hygienisch höchst problematischen Umständen angehalten wurde und womöglich sogar haftunfähig war.

Der Aktenvermerk des Rechtsberater der Diakonie hielt Folgendes über den Besuch fest:

Habe gestern um ca. 11:00 Uhr diesen Klienten in der "Behindertenzelle" (O-Ton PAZBeamter)
besucht. PAZ-Beamter sagt mir, dass der Klient einen Rollstuhl benötigt und es
einfacher wäre zu ihm raufzugehen. Gehe daher gemeinsam mit dem Beamten rauf in den
dritten (?) Stock, wo der Klient in einer Einzelzelle untergebracht ist.

Mein erster Eindruck, als ich den Klienten und die Zelle sehe: Haftunfähig. Klient hat
mehrere Verbände auf den Füßen, dazwischen offene Stellen und ziemlich starke
Verfärbungen. Liegt mit dem Rücken zu mir im Bett, gelbe Flecken auf dem Bettlaken deuten
darauf hin dass er ins Bett uriniert hat. Auf dem Tisch befinden sich mehrere Becher mit
Tee/Kaffee (?) und ein Teller mit etwas eingetrocknetem Essen, außerdem sein
Schubhaftbescheid.

Ich stelle mich dem Klienten vor und frage ihn ob ich mir seinen Schubhaftbescheid ansehen
darf. Klient spricht relativ gut Deutsch und antwortet mir ohne sich umzudrehen und gibt mir
die Erlaubnis, mir seine Unterlagen durchzusehen. 

(...)

Sehr schwierige Beratungssituation, weil es in der Zelle sehr stark riecht, es sehr schwül und
stickig ist und der Klient ganz offensichtlich in einem äußerst schlechten gesundheitlichen
Zustand ist. Kognitiv ist er aber mMn sehr klar, er scheint meine Fragen gut zu verstehen
und antwortet auch relativ genau auf meine Fragen.

Mache dann auch ein Foto vom Klienten, wie er mit dem Rücken zu mir im Bett liegt.
Hintergedanke: vielleicht kann man* das für ein allfälliges Schubhaftbeschwerde- oder
Maßnahmebeschwerdeverfahren verwenden.

Frage den Klienten auch wie es ihm geht und ob er Schmerzen hat. Er sagt dass er
Schmerzen in den Beinen hat und es ihm allgemein nicht sehr gut geht. Während er mit mir
redet, liegt er immer noch mit dem Rücken zu mir.

Frage ihn auch ob schon ein Arzt bei ihm war. Er sagt, dass er bisher jeden Tag vom Arzt
besucht wurde. Ich frage kurz einen der beiden vor der Zelle stehenden Beamten ob er das
bestätigen könne. Dieser bestätigt mir dass der Amtsarzt schon mehrmals beim Klienten
war.

(...)

Bevor ich aus der Zelle gehe, fragt er noch ob man* ihm helfen könne, sich aufzusetzen.
Bitte dann die PAZ-Beamten um Hilfe, diese holen das "Betreuungspersonal", zwei Männer
(kA ob es sich um Hausarbeiter oder PAZ-Personal handelt) helfen dann dem Klienten sich
am Bettrand aufsetzen. Sehe dann das erste Mal das Gesicht des Klienten und bemerke
dass er völlig blutunterlaufene Augen hat."

In dem konkreten Fall des verstorbenen ungarischen Staatsbürgers ist ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Wien anhängig.

Das Ermittlungsverfahren wird laut der Anfragebeantwortung 458/AB durch die Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M. zu der schriftlichen Anfrage (437/J) der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz betreffend Todesfall im Polizeianhaltezentrum Wien Rossauer Lände am 12.06.2019 konkret wegen des Vorwurfes der fahrlässigen Tötung nach § 80 Abs. 1 StGB gegen unbekannte Täter geführt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



1.    Inwiefern hat ihr Ressort seit der letzten Anfrage zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen?

2.    Welche konkreten Ermittlungsschritte wurden bisher gesetzt?

3.    Wie viele Zeugenbefragungen wurden durchgeführt?

4.    Wurde der Rechtsberater der Diakonie bereits einvernommen?

a.      Wenn ja, wann?

b.      Wenn nein, weshalb nicht?

5.    Wurden die Diensthabenden Polizeibeamten bereits einvernommen?

a.    Wenn ja, wann?

b.    Wenn nein, weshalb nicht?

6.    Wie ist der momentane Stand des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in diesem konkreten Fall?

7.    Wird noch immer gegen unbekannte Täter ermittelt?

8.    Konnten mittlerweile die Verantwortlichkeiten innerhalb des PAZ geklärt werden?

9.    Wurden die Ermittlungen zu dem Vorfall bereits abgeschlossen?

a.    Wenn nein, weshalb dauern die Ermittlungen so lange?

b.    Wenn ja, wann genau?

10. Gegen wie viele Beamt_innen wird ein Ermittlungsverfahren geführt?

11. Läuft gegen den/die verantwortlichen Amtsärzt_innen ein Ermittlungsverfahren? 

a.    Wenn ja, wie ist der Stand dieses Ermittlungsverfahrens?

12. Wurde das Ermittlungsverfahren mittlerweile abgeschlossen?

a.    Wenn ja, wann und zu welchem Schluss kommt die StA?

b.    Wenn ja, ist beabsichtigt, gegen einzelne oder mehrere der Beschuldigten Anklage zu erheben?

c.    Wenn ja, gegen wen? 

d.    Wenn ja, wann ist beabsichtigt, Anklage zu erheben?

e.    Wenn ja, wurden die Ermittlungen in der Causa eingestellt und aus welchen präzisen Gründen?

f.      Wenn nein, wann kann mit dem Abschluss der Ermittlungen gerechnet werden?

13. Wurden in der Causa Weisungen vom Ministerium oder der OStA Wien erteilt?

a.    Wenn ja, wann, von wem und mit welchem Inhalt?

14.  Ist beabsichtigt, in der Causa Weisungen zu erteilen?

a.    Wenn ja, welche Weisungen beabsichtigen Sie in der Sache zu erteilen?

15. Wie viele Beamt_innen waren in diesem konkreten Fall für den Verstorbenen exakt verantwortlich bzw. zuständig? 

16. Wie viele Amtsärzt_innen waren insgesamt für den verstorbenen ungarischen Staatsbürger verantwortlich?

17. Hatten die einschreitenden Beamt_innen Wahrnehmungen zum Gesundheitszustand von M?

a.    Wenn ja, welche genau? Wo wurden diese vermerkt?

18. Wann wurde M in Schubhaft (Ort, Datum, Uhrzeit) genommen?

19. Hatten die einschreitenden Beamt_innen Wahrnehmungen zum Gesundheitszustand von M?

a.    Wenn ja, welche genau? Wo wurden diese vermerkt?

20. Wann wurde M erstmals einer amtsärztlichen Kontrollen unterzogen (Ort, Datum, Uhrzeit)?

a.    Welche Feststellungen/Diagnose trafen der/die Amtsärzt_in im Zuge der Kontrollen zum Gesundheitszustand von M?

21. Fanden weitere amtsärztlichen Kontrollen statt (Ort, Datum, Uhrzeit)?

a.    Welche Feststellungen trafen der/die Amtsärzt_in im Zuge der Kontrollen zum Gesundheitszustand von M?

22. Hatten die Exekutivbeamt_innen bzw. die Amtsärzt_innen Kenntnis vom schlechten Gesundheitszustand von M?

a.    Wenn nein, weshalb nicht?

b.    Wenn ja, wie wurde darauf reagiert?

23. Hatten die Exekutivbeamt_innen bzw. die Amtsärzt_innen Kenntnis vom schlechten Hygienezustand (Urinflecken im Bett, offene Wunden) von M?

a.    Wenn nein, weshalb nicht?

b.    Wenn ja, wie wurde darauf reagiert?

c.    Inwiefern war die Reaktion/nicht Reaktion ex ante betrachtet adäquat für den Zustand des M.?

24. Wie, wann, wie lange und durch wen wurde die Haftfähigkeit von M überprüft?

a.    Wie oft und wann fand eine Überprüfung statt?

b.    Wer führte diese Prüfungen durch?

25. Zu welchem Ergebnis kam/kamen die Haftfähigkeitsprüfung(en)?

a.    Mit welcher Begründung wurde die Haftfähigkeit bejaht?

b.    Mit welcher Begründung wurde die Haftfähigkeit nicht verneint?