2988/J XXVII. GP

Eingelangt am 31.07.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Soziales‚ Gesundheit‚ Pflege und Konsumentenschutz

betreffend Spitalsschließungen und Spitalsbettenabbau seit 2000

Stadtrat Hacker und Landesrat Pernkopf vs. Gesundheitswissenschaft

Gesundheitsstadtrat Hacker (SPÖ), der für seine oft sehr direkten Aussagen bekannt ist ("Stadtrat Hacker wirft KAV-Personalvertretern Demenz vor" (1), "Hacker: Es ist bemerkenswert, wie sehr sich manche Ärzte ängstigen... ...wie hysterisch da zum Teil reagiert wird." (Hintergrund: Corona) (2), "Krebstherapien. Auf die Frage, ob diese in Wien für Niederösterreicher nicht mehr möglich sein werden, antwortet Hacker: Möglicherweise.“ (3)), hat kürzlich österreichische Gesundheitsökonomen und den Rechnungshof außergewöhnlich scharf attackiert: "...die Pandemie den Rechnungshof und diverse Experten Lügen gestraft habe, die stets einen Abbau der im internationalen Vergleich vielen Spitalsbetten gefordert hatten" (4). Diese unsachliche Kritik wird nun vom NÖ Gesundheitslandesrat Pernkopf (ÖVP) unterstützt. Seine Einschätzung: "Die Gesundheitsökonomen haben jahrelang das Zusperren von ganzen Spitälern gefordert. Da kamen Forderungen, wie „Krankenhausträger müssen ganze Krankenhäuser schließen“ oder „Provinzkrankenhäuser haben wenig Sinn“, es sei sogar dumm an ihnen festzuhalten... ...Gott sei Dank haben wir nie auf diese vermeintlichen Propheten vertraut. Es braucht mehr Hausverstand in der Gesundheitspolitik" (5).

Vergangenheit: Zusammenlegung von Spitalsstandorten und Abteilungen aus Qualitätsgründen - siehe Wiener Spitalskonzept

Rote und schwarze Parteikollegen von Hacker und Pernkopf haben jedoch auch schon ganz andere Töne angeschlagen: "Die Bundesregierung will mit den Ländern über Strukturreformen bei den Spitälern sprechen. Dabei gehe es um die Nutzung von Synergien, um Kooperationen und Schwerpunktbildungen, betonten die Finanzstaatssekretäre Andreas Schieder (SPÖ) und Reinhold Lopatka (ÖVP) am Mittwoch nach einer Sitzung der Arbeitsgruppe zur Verwaltungsreform im Kanzleramt. In letzter Konsequenz halten sie auch die Schließung einzelner Standorte für möglich" (6). Auch in der Steiermark war bis vor kurzem eine Fusion von drei Kleinspitälern zu einem zentralen KH-Standort geplant, bis die SPÖ Steiermark vor der Steiermark-Wahl umfiel (7). In NÖ wurden in der Vergangenheit ebenfalls Abteilungen im Sinne der höheren Behandlungsqualität und Patientensicherheit geschlossen und an größeren Standorten zusammengefasst (8). Das "Wiener Spitalskonzept" sieht überhaupt eine Reduktion der ursprünglich zwölf Wiener Gemeindespitäler auf sieben vor (9).

Bundeszielsteuerungsvertrag (BZV) und KH-Bettenabbau in NÖ und Wien

Im Bundeszielsteuerungsvertrag findet sich unter dem "Strategischen Ziel S1“ folgende Zielsetzung: "Stärkung der ambulanten Versorgung bei gleichzeitiger Entlastung des akutstationären Bereichs und Optimierung des Ressourceneinsatzes", also weniger akutstationäre Versorgung, dafür mehr niedergelassene/ambulante Versorgung. Konkretisiert wird der der Abbau in den "Operativen Zielen". So wird gem. dem "Operativen Ziel 1.3" der Abbau der KH-Aufenthalte je 1000EW und der Spitalstage je 1000EW von min. 2% jährlich angestrebt (10). Da der jährliche Bevölkerungsanstieg in den Bundesländern nur zwischen 0% und 0.8% liegt, kann man daraus indirekt schließen, dass von den Zielsteuerungspartnern (Bund, Länder, Sozialversicherung) von einem geringeren künftigen Spitalsbettenbedarf ausgegangen wird. Und dass es eine starke Bettenreduktion gab/gibt, ist jedenfalls evident. So wurden seit 2001 etwa 6000 Betten abgebaut, davon 300 in NÖ und 2000 in Wien. Dementsprechend hat sich die Zahl der Akutbetten je 1000 Einwohner in den letzten Jahren von 6,2 auf 4,8 reduziert.

_scroll_external/attachments/image2020-6-21_12-52-39-f37d9bf94f499683723135c3e33c8f965cbeda414001703916e9c925f15eb054.png

Internationaler Trend: stärkere Versorgung über den niedergelassenen Bereich (Primärversorgung)

Grundsätzlich liegt die Umstrukturierung des Gesundheitsbereichs, hin zu mehr niedergelassener Versorgung, im internationalen Trend. Der Spitalsbettenabbau, den die Vorgänger von Hacker und Pernkopf forciert haben, basiert also auf weltweiter Evidenz. Die Vorgehensweise wird seit Jahrzehnten von Gesundheitsökonomen und internationalen Organisationen (WHO, OECD, EU-Kommission,...) empfohlen, da sich das geringere stationäre Angebot, bei gleichzeitigem Aufbau der niedergelassenen Versorgung, nicht in einer geringeren (gesunden) Lebenserwartung niederschlägt - siehe Skandinavien (11). Im Gegenteil, denn die Spitalsversorgung ist nicht immer die beste Versorgung. So sterben in Österreich knapp 5000 Menschen an Krankenhauskeimen, wie Experten und die Patientenanwaltschaft vor kurzem berichteten (12). Oft handelt es sich dabei um vermeidbare Spitalsaufnahmen, die auf Versorgungslücken im zu schwach ausgeprägten niedergelassenen Bereich zurückzuführen sind. Beispielsweise auf eine fehlende flächendeckende, strukturierte Diabetesversorgung. Ein Umstand, der in Österreich jährlich zu über 1000 Fußamputationen führt, welche im Schnitt 50 Tote fordern (13). Die zahlreichen "unnötigen Operationen" in den österreichischen Spitälern (14) führen ebenfalls zu vielen vermeidbaren Todesfällen (Operationen bei Kniegelenk, Blinddarm, Mandeln,...). Schlussendlich hat die Pandemie gezeigt, dass die knapp 3000 Intensivbetten der entscheidende Faktor sind, weniger die knapp 44.000 bis 64.000 allgemeinen Spitalsbetten (je nach Zählweise). Darum hatte selbst Schweden, welches keinen "Lockdown" hatte und nur ein Drittel der österreichischen Spitalsbetten je Einwohner besitzt, in der Corona-Pandemie nie einen Spitalsbetten-Engpass.

 

 

Quellen:

 

(1) https://kurier.at/chronik/wien/stadtrat-hacker-wirft-kav-personalvertretern-demenz-vor/400426076

(2) https://www.falter.at/zeitung/20200324/du-kannst-wien-nicht-wie-im-film-abdrehen

(3) https://www.krone.at/1837125

(4) https://www.derstandard.at/story/2000117418830/stadtrat-hacker-haelt-sparplaene-fuer-spitalsbetten-fuer-voellige-fehleinschaetzung

(5) https://www.meinbezirk.at/niederoesterreich/c-politik/spitaeler-zusperrdebatte-ist-durch-krise-beendet_a4089432

(6) https://www.diepresse.com/572166/regierung-will-mit-landern-uber-spitaler-verhandeln

(7) https://steiermark.orf.at/stories/3010982/

(8) https://www.meinbezirk.at/waidhofenthaya/c-politik/geburtshilfe-waidhofen-es-bleibt-bei-der-schliessung_a1687595

(9) https://www.diepresse.com/1566357/wiener-spitalskonzept-weniger-betten-fur-mehr-personen

(10) https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Gesundheitssystem/Gesundheitsreform-(Zielsteuerung-Gesundheit)/Zielsteuerungsvertrag-2017-bis-2021.html

(11) https://orf.at/stories/3110225/

(12) https://www.krone.at/2046616

(13) https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Gesundheitssystem/Gesundheitssystem-und-Qualitaetssicherung/Ergebnisqualitaetsmessung.html

(14) https://www.sn.at/salzburg/chronik/vorwuerfe-an-spitaeler-zehntausende-unnoetig-operiert-2312545


 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

Anfrage:



1.    Wie hat sich die Zahl der Fondskrankenanstalten seit 2000 entwickelt? (Darstellung je Jahr und Bundesland)

2.    Wie hat sich die Zahl der Fondskrankenanstalten-Standorte (eine Krankenanstalt kann mehrere Standorte haben) seit 2000 entwickelt? (Darstellung je Jahr und Bundesland)

3.    Wie hat sich die durchschnittliche Anzahl an bettenführenden Fachbereichen an den KH-Standorten seit 2000 entwickelt? (Darstellung je Jahr und Bundesland)

4.    "Wiener Spitalskonzept": Ist Ihnen bekannt, ob die Stadt Wien vom Ziel, die zwölf Wiener Gemeindespitäler auf sieben zur reduzieren, abweichen will? Wenn ja, inwiefern?

5.    Wie weit ist die Umsetzung der Standortreduktion gemäß des "Wiener Spitalskonzeptes" bereits vorangeschritten und welche Standorte wurden bereits geschlossen?

6.    Wie hat sich die Zahl der "tatsächlich aufgestellten KH-Betten" in den Fondskrankenanstalten seit 2000 entwickelt? (Darstellung je Jahr und Bundesland)

7.    Wie hat sich die Zahl der quellbezogenen und zielbezogenen KH-Aufenthalte in den Fondskrankenanstalten seit 2000 entwickelt? (Darstellung je Jahr und Bundesland)

8.    Wie hat sich die Zahl der quellbezogenen und zielbezogenen KH-Aufenthalte (ohne 0-Tagesaufenthalte) in den Fondskrankenanstalten seit 2000 entwickelt? (Darstellung je Jahr und Bundesland)

9.    Wie hat sich die Zahl der quellbezogenen und zielbezogenen Belagstage in den Fondskrankenanstalten seit 2000 entwickelt? (Darstellung je Jahr und Bundesland)

10. Wie haben sich die "Lebensjahre in Gesundheit" (BZV: Operatives Ziel 11, Messgröße 20) in den Bundesländern seit 2000 entwickelt? (Darstellung je Jahr und Bundesland)

11. Gaben alle Bundesländer ihre Zustimmung zum Bundeszielsteuerungsvertrag 2013-2016 bzw. 2017-2021?


 

 

12. Bundeszielsteuerungsvertrag (BZV): Operatives Ziel 1.3: Bedarfsgerechte Anpassung der stationären Versorgungsstrukturen. Messgröße: 4. Kennzahl: Quellbezogene KH-Aufenthalte (ohne 0-Tagesaufenthalte) je 1000EW:

a.    Gibt es Bundesländer, die das zugrundeliegende Ziel (Reduktion der Aufenthaltshäufigkeit um min. 2% je Jahr) ablehnen?

b.    Wie hat sich diese Kennzahl "Quellbezogene KH-Aufenthalte (ohne 0-Tagesaufenthalte) je 1000EW" seit 2013 entwickelt? (Darstellung je Jahr und Bundesland)

13. Bundeszielsteuerungsvertrag (BZV): Operatives Ziel 1.3: Bedarfsgerechte Anpassung der stationären Versorgungsstrukturen. Messgröße: 5. Kennzahl: Quellbezogene Belagstage je 1000EW:

a.    Gibt es Bundesländer, die das zugrundeliegende Ziel (Reduktion der Belagstagehäufigkeit um min. 2% je Jahr) ablehnen?

b.    Wie hat sich diese Kennzahl "Quellbezogene Belagstage je 1000EW" seit 2013 entwickelt? (Darstellung je Jahr und Bundesland)

14. Kann aus den BZV-Zielen, die KH-Belagstage je 1000EW und die KH-Aufenthalte (ohne NTA) je 1000EW jährlich um min. 2% abzubauen, und dem Fakt, dass das jährliche Bevölkerungswachstum in den Bundesländern "nur" zwischen 0% und 0,8% (Durchschnitt: 0,5%) liegt, geschlossen werden, dass die Zielsteuerungspartner (Bund, Länder, Sozialversicherung) von einem sinkenden Akutbettenbedarf ausgehen?

a.    Wenn nein, weshalb nicht?

15. Wie stellen Sie im Sinne eines optimalen Vollzugs des BZV sicher, dass alle Zielsteuerungspartner die vereinbarten Ziele des BZV umsetzen?

a.    Gibt es Zielsteuerungspartner, die am BZV rütteln? Wenn ja, wer und an welchen Inhalten/Zielen konkret?

16. In NÖ und Wien ist die Kennzahl "Betten je 1000 Einwohner" in den letzten Jahren stark gesunken. Ist Ihnen bekannt, ob NÖ und Wien diese Kennzahl wieder steigern wollen?

a.    Wenn ja, in welchem Ausmaß und bis wann soll der Spitalsbettenaufbau erfolgen?

17. Geht man seitens des BMSGPK nach wie vor davon aus, dass eine höhere Standort-Fallzahl eines Eingriffs in der Regel zu einer besseren Behandlungsqualität führt?

a.    Wenn ja, hat man seitens des BMSGPK bei den KH-Qualitätsindikatoren (A-IQI) Qualitätsunterschiede festgestellt, die auf die KH-Größe bzw. die Fallzahl zurückzuführen sind?

                                  i.    Wenn ja, bei welchen Qualitätsindikatoren?

 

18. Effizienterer Verwaltungsvollzug durch Transparenz. Aufwand für die Anfragebeantwortung: 

a.    Wie viele Personen insgesamt waren bei der Anfragebeantwortung involviert?

b.    Wie viele Arbeitsstunden insgesamt fielen für die Anfragebeantwortung an? (Angabe in Halbstunden, z.B. 1,5h)

c.    In welchem Ausmaß könnte eine strukturierte, laufende Datenoffenlegung (Transparenz) diesen Aufwand reduzieren? (Angabe in % und/oder Stunden)