3067/J XXVII. GP

Eingelangt am 12.08.2020
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Anfrage

 

der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Frauen und Integration im Bundeskanzleramt

betreffend Fragwürdige Studie des ÖIF zu "Sozialen Brennpunkten" und Integration

Am 14. Juli präsentierte Integrationsministerin Susanne Raab die vom ÖIF in Auftrag gegebene sog. Studie zum Thema "Soziale Brennpunkte im Kontext von Migration und Integration".1 Die ÖIF-Studie befasst sich mit der Wahrnehmung der Wiener Bevölkerung von sog. "Sozialen Brennpunkten" in der Bundeshauptstadt Wien, basierend auf Fokusgruppen-Interviews aus April bis Mai 2019 und einer ergänzenden und laut der sog. Studie repräsentativen Befragung der Wiener Bevölkerung in Form von Online-Interviews. Die zentralen Erkenntnisse der sog. Studie: 70% der Befragten nehmen soziale Brennpunkte in Wien wahr, u.a. im Zusammenhang mit Migration.

Die Studienergebnisse zeigen jedoch nicht nur Probleme im Zusammenhang mit "sozialen Brennpunkten" auf. Die sog. Studie per se sorgte für heftige Kritik an den Forschungsmethoden des ÖIF und der unreflektierten und manipulativen Verwendung der sog. Studie durch das Integrationsministerium bzw. Bundesministerin Raab. Der renommierte Sozialforscher Günter Ogris vom Sora-Institut sieht schwere Fehler bei der Erstellung der sog. Studie, die durch tendenziöse Sprache und suggestive, einseitig formulierte Fragestellungen absichtlich Verzerrungen produziere und zur Verstärkung von Stereotypen führen würde.2 

"Die Frage 'Welche konkreten Probleme stellen sich bei den sozialen Brennpunkten in Wien" kann nur zu hohen Prozentsätzen führen. Diese Formulierung hat eine ähnliche Qualität wie "Sehen Sie bei Suchtkranken ein Drogenproblem?". Sie ist wissenschaftlich wertlos und liefert ein Maximum an Verzerrung bei der Beschreibung einer vielfältigen Wirklichkeit.3

Daher spricht Ogris auch von der Studie als "Wahlkampfmaterial für eine Propaganda-Abteilung". Schon der Titel verrät das Diskursziel der Autoren - die übrigens nicht genannt werden - und die problemfokussierte, sehr stark negativ konnotierte Sprache und diskursive Verknüpfung von Migration bzw. Migrant_innen, Asylwerber_innen und Ausländer_innen mit Gewalt, Konflikten, Parallelgesellschaften, sozialen Brennpunkten und anderen Bedrohungsszenarien zieht sich wie ein roter Faden durch die sog. Studie.

Interessant ist, dass die sog. "Brennpunkte-Studie" nicht die erste Publikation des ÖIF ist, die in diese Kerbe schlägt und heftige Kritik von wissenschaftlicher Seite auf sich zieht. Ebenso im Juli veröffentlicht wurde eine dezidiert nicht-repräsentative sog. Studie des ÖIF zur Rolle von Grazer Moscheen im Integrationsprozess (siehe Anfrage der NEOS 3014/J), die mit fragwürdigen, als wissenschaftlich nicht valide kritisierten Methoden arbeitet, eine sehr einseitige mediale Berichterstattung befeuerte und seitdem die Beziehungen zur muslimischen Bevölkerung belastet. Weiters eine Umfrage zur Wahrnehmung bezüglich "Importierte Konflikte", die zufälligerweise wenige Tage nach den Auseinandersetzungen in Favoriten erschien und die daher auch die zu erwartenden Ergebnisse liefert und ohne Kontextualisierung als Fact Sheet auf der Homepage des ÖIF veröffentlicht wurde. Diese sog. Studien und "Fact Sheets" des ÖIF als zentrale Kompetenzstelle für Integration in Österreich, die eher Konflikte und Probleme zu befeuern scheinen, als für eine wissenschaftliche Fundierung sachlicher Diskussion und konstruktiver Lösungsansätze zu dienen, sind gelinde gesagt bedenklich. Gerade der Integrationsdiskurs sollte frei von populistischer bzw. rechtspopulistischer Rhetorik auf einer sachlichen Ebene geführt werden und ohne Polarisierung, Emotionalisierung und Feindbilder auskommen. Diese aktuelle Vorgehensweise des ÖIF und des Ministerium belastet das Integrationsklima und die öffentliche Meinung dazu und wirkt erwiesenermaßen nachhaltig integrationshemmend - auch auf jene Personen mit Migrations- und Fluchthintergrund, die sehr gut in Österreich integriert sind.

Besonders bedenklich ist jedoch, dass Integrationsministerin Raab ihr Handeln als österreichische Bundesministerin unreflektiert auf Studien von solch fragwürdiger wissenschaftlicher Qualität und mit solch verzerrenden Ergebnissen basiert. Raab nimmt die sog. Studie und Umfrageergebnisse nämlich zum Anlass für die Einführung eines "Frühwarnsystems" zur Messung des Bevölkerungsanteils mit Migrationshintergrund in einem Stadtteil, der Vereinstätigkeiten und Arbeitsmarktbeteiligung, des Bildungsniveaus und der Social Media-Aktivitäten bestimmter Gruppen - nachzulesen auf der Homepage des Bundeskanzleramtes.4 Sie spricht von "sozialen Brennpunkten", von "Parallelstrukturen als Nährboden für Gewalteskalation", "Migrationskonflikten", "Frühwarnsystem" (erinnert an Naturkatastrophen wie Erdbeben), "Konflikten" bzw. v.a. "importierten Konflikten", "Parallelgesellschaften", "Gewaltausbrüchen", "Problemen" und einem "verschlechterten Sicherheitsgefühl". Jeder Mensch, der diese Zeilen liest, kann gar nicht anders, als sich von Migrant_innen bedroht zu fühlen. Es scheint, das Projekt der ÖVP aus 2011, die Integrationsdebatte zu versachlichen, ist endgültig aufgegeben worden.

 

1https://www.integrationsfonds.at/fileadmin/user_upload/OeIF_FB_SozialeBrennpunkte.pdf

2https://www.derstandard.at/story/2000118897814/soziale-brennpunkte-wertlose-forschung-mit-verzerrendem-effekt; https://wien.orf.at/stories/3059456/;

3 siehe Fn. 2

https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/nachrichten-der-bundesregierung/2020/integrationsministerin-raab-dort-hinsehen-wo-migrationskonflikte-entstehen.html 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

Anfrage:



1.    Sie haben die sog. Studie zum Thema "Soziale Brennpunkte im Kontext von Migration und Integration" im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert. Sind Ihnen die Autor_innen der sog. Studie bekannt und wenn ja, um wen handelt es sich hierbei genau?

a.    Wieso werden die Autor_innen den grundlegendsten wissenschaftlichen Standards entsprechend (zum wiederholten Male) nicht angegeben?

b.    Über welche Qualifikationen verfügen besagte Autor_innen, um eine solche sog. Studie zu betreiben?

2.    Die sog. Studie zeigt durchaus einige kritische Wahrnehmung von Wiener_innen und Wienern auf, was soziale Brennpunkte anbelangt. Die Studie per se wird jedoch den geringsten wissenschaftlichen Ansprüchen (Angabe der Autorinnen, fehlende Einleitung, suggestive und einseitige Fragestellungen, stark negativ konnotierte Sprache, mangelnde Sachlichkeit) nicht gerecht. Werden Sie als Integrationsministerin bzw. wird das Integrationsministerium die Vorwürfe prüfen und sich ggf. öffentlich von der sog. Studie distanzieren?

a.    Wenn nein, warum nicht?

3.    Durch die Publikation der sog. Studie auf der Homepage des ÖIF sowie insbesondere durch Ihre medienwirksame Präsentation der sog. Studie entsteht der Eindruck, Sie und der ÖIF stehe hinter der sog. Studie und somit auch ihren Methoden, Fragestellungen und Ergebnissen. Werden Sie sich mit der Kritik an der sog. Studie auseinandersetzen und sich ggf. dafür einsetzen, dass die sog. Studie von der Homepage des ÖIF entfernt wird?

a.    Sollte sich die Kritik an der sog. Studie bestätigen, welche Konsequenzen wird es für die Autor_innen der Studie geben?

b.    Sollte sich die Kritik an der sog. Studie bestätigen, werden Sie eine öffentliche Stellungnahme für eine Klarstellung sorgen und die Ergebnisse relativieren?

c.    Wenn nein, warum nicht?

4.    Werden Sie in Zukunft dafür Sorge tragen, dass vom ÖIF in Auftrag gegebene Studien alle notwendigen und allgemein gültigen wissenschaftlichen Standards erfüllen, um die Seriosität des ÖIF als Kerninstitution staatlicher Integrationsarbeit zu gewährleisten?

a.    Werden Sie auch im Hinblick auf die eigene Glaubwürdigkeit in Zukunft dafür Sorge tragen, dass Studien, Umfragen und andere Publikationen im Auftrag des ÖIF, die auf dessen Homepage und von Ihnen präsentiert werden, strengen wissenschaftlichen Kriterien entsprechen und wenn ja, wie?

5.    Wie man über jemanden spricht, beeinflusst maßgeblich dessen Zugehörigkeitsgefühl und v.a. dessen grundlegenden Wunsch nach Zugehörigkeit und sollte im Integrationsbereich besonders beachtet werden. Sehen Sie im Hinblick auf die kürzlich publizierten sog. Studien, Umfragen und Fact Sheets im Auftrag des ÖIF Entwicklungen, die das Zugehörigkeitsgefühl bzw. den grundlegenden Wunsch von Migrant_innen und Geflüchteten in irgendeiner Art und Weise positiv oder negativ beeinflussen könnten?

6.    Unter dem damaligen Staatssekretär Sebastian Kurz lag ein Hauptaugenmerk des damals neu entstandenen Politikfelds auf der Versachlichung und Entemotionalisierung der Integrationsdebatte, der Loslösung des Integrationsthemas von negativ behafteten und polarisierenden Themen wie Asyl und Migration und einem leistungsbasierten Zugang zu Integration unter dem Motto "Fördern und Fordern". Während die Leistungsanforderungen an Migrant_innen und Geflüchtete über die letzten Jahre der ÖVP-Integrationspolitik gesteigert wurden, zeigt sich der Diskurs als hoch emotionalisiert und mit populistischen Tendenzen und Identitäts-Rhetorik vermischt. Sehen Sie als Integrationsministerin es weiterhin als eine Ihrer zentralen Aufgaben, den Integrationsdiskurs zu versachlichen und zu entemotionalisieren?

a.    Welche konkreten Maßnahmen sind hierzu geplant oder wurden bereits gesetzt?

b.    Wenn nein, warum wird dieses Anliegen nicht weiterverfolgt?

c.    Sehen Sie prinzipiell Sprache im Integrationsdiskurs (abseits von Deutsch- und Wertekursen und Deutschförderklassen auf Seiten von Migrant_innen und Geflüchteten) als einen Aspekt, dem Sie sich als Integrationsministerin widmen möchten?

7.    Warum präsentieren Sie als Integrationsministerin Umfragen wie die zu "Importierte Konflikte" als repräsentativ für die österreichische Bevölkerung, die kurz nach einem einschneidenden negativen Ereignis wie den Ausschreitungen in Favoriten durchgeführt wurden und deren Ergebnisse daher keine allgemeine Stimmungslage wiederspiegeln, sondern ein negativ überhöhtes Stimmungsbild zu einem gewissen Zeitpunkt?

8.    Sie nehmen laut eigenen Aussagen besagte sog. Studie auch als Handlungsaufforderung, um ein "Frühwarnsystem" zur Messung des Bevölkerungsanteils mit Migrationshintergrund in einem Stadtteil, der Vereinstätigkeiten und Arbeitsmarktbeteiligung, des Bildungsniveaus und der Social Media-Aktivitäten bestimmter Gruppen einzuführen. Gibt es bereits Pläne zur Umsetzung eines solchen "Frühwarnsystems"?

a.    Wenn ja, wann soll dieses eingerichtet werden?

b.    Welche Institutionen/Personen sollen in die Einrichtung dieses "Frühwarnsystems" eingebunden werden?

c.    Welche budgetären Mittel sollen dafür verwendet werden und werden diese aus anderen Integrations-Bereichen abgezogen?

d.    Werden auch zivilgesellschaftliches (NGOs) und wissenschaftliches Know How aus dem Integrationsbereich sowie die Betroffenen selbst in die Etablierung eines solchen Systems eingebunden?

e.    Wie gewährleisten Sie, dass ein solches "Frühwarnsystem" hinsichtlich der heiklen Daten nicht missbräuchlich verwendet wird und wie kommen Sie an das notwendige Datenmaterial?

f.     Ist ein solches "Frühwarnsystem" überhaupt notwendig, wenn man bedenkt, dass solche Monitoring-Aufgaben in Verbindung mit Sicherheitsaspekten eigentlich beim BVT bereits einen fixen Zuständigkeitsbereich haben?

g.    Planen Sie, dieses Monitoringsystem weiterhin als "Frühwarnsystem" zu bezeichnen und wenn nein, steht bereits ein Name fest?