3143/J XXVII. GP

Eingelangt am 20.08.2020
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Anfrage

 

der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim, Genossinnen und Genossen

an die Bundesministerin für Justiz

 

betreffend Entschädigung bzw. Rente von Kirchenmissbrauchsopfern

 

„Wieso erhalten Opfer von Misshandlungen in kirchlichen Kinder- oder Jugendheimen eine Rente, aber Opfer von Misshandlungen in Pfarren nicht?“, fragte die Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt bereits im September 2018.[1]

Ein damals 52-jähriger Mann aus der Steiermark hatte wegen dieser Ungleichbehandlung den Verfassungsgerichtshof eingeschaltet. Er sei von einem Pfarrer wiederholt schwer missbraucht und hilflos allein gelassen worden sein. Das Opfer schildert, in den 1980er-Jahren im Zuge des Firmunterrichts mehrfach von einem sein Autoritätsverhältnis massiv ausnützenden Pfarrer bedrängt und sexuell missbraucht worden zu sein. Der Pfarrer habe sich auch als „Serientäter“ erwiesen und unzählige weitere Kinder bedrängt und sexuell missbraucht. Er habe weder Reue gezeigt noch sich bis dato vor einem Gericht verantworten müssen. Von der Kirche wurde er letztlich suspendiert.

Von der Klasnic-Kommission hatte er 15.000,- Euro als Gestenzahlung zugesprochen bekommen und Folgeschäden somit anerkannt worden. Der Akademiker sei als Folge schwer traumatisiert und erwerbsunfähig und beziehe eine kleine Rente. Eine staatliche Rentenzahlung stehe ihm allerdings nicht zu.

„Bei der Zuerkennung finanzieller und traumatherapeutischer Hilfeleistungen an Opfer von sexuellem Missbrauch und/oder physischen oder psychischen Übergriffen im Verantwortungsbereich der römisch-katholischen Kirche handelt es sich nicht um Schmerzensgeldzahlungen im juristischen Sinn, sondern um eine Geste der Übernahme von Verantwortung durch die Kirche für unaufgeklärte oder jedenfalls ohne ausreichende Konsequenzen gebliebene Vorkommnisse in der Vergangenheit und einen Mangel an Selbstkontrolle in kirchlichen Institutionen“, heißt es in den Grundsätzen der Kommission.[2]

Nach dem Heimopferrentengesetz (HOG) gebührt „Heimopfern“ zwölf Mal jährlich eine monatliche Zusatzrente von aktuell 325,90,- Euro. Voraussetzung dafür ist, dass das ehemalige Gewaltopfer bereits eine Entschädigung einer Opferschutzeinrichtung erhalten hat.[3]

 

Im August 2018 kam es auf Drängen der SPÖ zu einer Ausweitung des HOG. Künftig sind nun auch Personen, die als Kinder oder Jugendliche in Krankenanstalten, Psychiatrieeinrichtungen, in städtischen Kinderheimen oder Einrichtungen privater Träger schwer misshandelt bzw. missbraucht wurden, vom Gesetz erfasst.

§ 1 Abs. 1 HOG sieht nun ausdrücklich vor, dass „Personen, die sich... wegen nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 erlittener Gewalt im Rahmen einer Unterbringung ... in entsprechenden Einrichtungen der Kirchen“ befanden, anspruchsberechtigt sind.

Andere Formen von Gewaltakten, die innerhalb der kirchlichen Mauern Kindern und Jugendlichen angetan wurden, seien laut Ansicht der Bundesregierung nicht vom HOG umfasst. Die zuständigen Organe der Bundesregierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz argumentierten in der vergangenen Legislaturperiode hierzu, dass die Bevorzugung ehemaliger Heim-und Pflegekinder verfassungskonform wäre, mit den Worten: „Die Bevorzugung ehemaliger Heim- und Pflegekindern sei verfassungskonform, argumentiere die Regierung: „Diese Kinder waren – meist zwangsweise im Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe – von ihren Familien getrennt und Heimen oder Pflegefamilien zugewiesen. Diese Opfer erscheinen deshalb besonders schutzbedürftig, weil eine effektive Unterstützung durch ihre Angehörigen gegen systematische Misshandlungen von vornherein ausschied.“ Außerdem wird in der Regierungsstellungnahme sinngemäß betont, die Heimopferrente sei eine Art freiwillige Beihilfe und da habe der Gesetzgeber einen hohen Gestaltungsspielraum.[4]

 

Das Geld, das die Kirche zur Entschädigung bereitstellt, stammt aus einer eigenen Opferschutzeinrichtung. Dotiert werden die finanziellen Entschädigungen von der Bischofskonferenz, der Superiorenkonferenz und der Vereinigung der Frauenorden Österreichs. Finanzielle Abgeltungen soll es von 5.000 Euro bis hin zu 25.000 Euro geben. 5.000 bei leichten Fällen „ohne überschießende“ Gewaltanwendung, 15.000 Euro gibt es für mehrfache Übergriffe über einen längeren Zeitraum hinweg; bis zu 25.000 stehen Opfern von „über mehrere Jahre hinweg fortgesetzten Missbrauch mit Verletzungsfolgen und/oder fortdauernden seelischen Schmerzen“ zu. Bei der Summe würde man sich an der Judikatur der vergangenen Jahre orientieren.[5] Der internationale Vergleich zeigt, dass diese Beträge sehr gering sind.[6]

Im Gegensatz dazu hat bei einem Prozess gegen das Kloster Mehrerau der Vergleich eine Entschädigung von 250.000,- Euro ergeben. Die Rechtsvertreter der Plattform „Betroffene Kirchlicher Gewalt“ hatten 130.000,- Euro für jedes Opfer kirchlicher Gewalt gefordert und sprachen von einer „Beleidigung der Betroffenen“ für die Auszahlung derart niedriger Summen, da „gerade eine Institution wie die römisch-katholische Kirche, die über ein Milliardenvermögen verfügt“ nicht einmal bereit sei, in der Höhe der ohnehin geringen gerichtlichen Praxis zu entschädigen“.[7]

 

Bei der Volksanwaltschaft wurde mit 1. Juli 2017 eine unabhängige Rentenkommission eingerichtet, die mit Fragen zur Entschädigung von Heimopfern nach dem Heimopfergesetz befasst ist. Im Berichtsjahr 2019 wurden 550 entsprechende Anträge bei der Rentenkommission eingebracht.[8]

Nicht nachvollziehbar empfindet die Rentenkommission manche Ablehnungen von Ansuchen auf Entschädigungen durch die Unabhängige Opferschutzkommission der Katholischen Kirche. Besonders kritisierte die Rentenkommission die Ablehnung eines Antrags einer Betroffenen, die in einem Klosterheim von einem weltlichen Mitarbeiter vergewaltigt worden war. Die Schilderungen stellten sich als äußerst plausibel und glaubwürdig dar, so der Bericht. An der Glaubwürdigkeit bestand für die Rentenkommission kein Zweifel. Warum dieser Fall nicht entschädigungswürdig war, ist für die Volksanwaltschaft unverständlich.

Die Volksanwaltschaft kritisiert in ihrem Bericht außerdem: „Betroffene, die in kein Entschädigungsregime fallen, bekommen keine Therapiekosten ersetzt (…). Problematisch sei für Betroffene deshalb der Umstand, dass es in Österreich kein ausreichendes Angebot an kassenfinanzierten Therapieplätzen gebe. Die Volksanwaltschaft betont in ihrem Jahresbericht, dass die Heimopferrente nicht zur Finanzierung von Therapiekosten gewährt werde, sondern als Einkommensausgleich für PensionistInnen diene, die aufgrund der Folgewirkungen von Misshandlungen in der Kindheit und Jugend (finanzielle) Nachteile im Arbeitsleben erlitten haben. Im Ergebnis müsse die Bereitstellung und Finanzierung von notwendigen Therapien durch die öffentliche Gesundheitsvorsorge sichergestellt werden. Die Volksanwaltschaft appelliert daher an den Gesetzgeber, die entsprechenden finanziellen Mittel dafür zur Verfügung zu stellen.“[9]

 

Im Strafrecht existierte eine Verjährungshemmung spezifisch bei Delikten gegenüber Minderjährigen gemäß §58 Abs. 3 Zif. 3 StGB, im Zivilrecht gibt es keine explizite Regelung; es gelten die allgemeinen Bestimmungen. Im Strafrecht ist sich verjährungsrechtlich der Gesetzgeber der spezifischen Situation von Minderjährigen bewusst ist, wenn sie Opfer von Straftaten werden, im Zivilrecht ist dies nicht der Fall. Diese unterschiedliche Vorgangsweise ist nicht nachvollziehbar, da die Problematik an sich die gleiche ist. Aufgrund dieser kurzen Verjährung gemäß § 1489 ABGB - der zweite Satz ist bei Geistlichen aufgrund ihrer Vermögenslosigkeit nicht von Relevanz - ist es den minderjährigen Betroffenen unmöglich, zu einer Entschädigung zu kommen, da Traumatisierung und Stigmatisierung dem entgegenstehen. Es scheint unumgänglich, die Verjährung bei Verbrechen gegen Minderjährige im Zivilrecht aufzuheben, da ansonsten nur die Täter und ihre Organisation durch die Verjährung geschützt werden.

 

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Staat durch die Heimopferrente seiner Verpflichtung nachkommt und die Erstattung von in ihrem Bereich entstandenem Leid und schweren Schäden, in Heimen und Spitälern, anvertrauten Menschen übernimmt. Die Kirche kommt jedoch den anderen Formen von Gewaltakten, welche innerhalb der kirchlichen Mauern Kindern und Jugendlichen angetan wurden und vom HOG nicht mitumfasst sind, nicht nach. Einmalige finanzielle Abgeltungen durch die Klasnic-Kommission sind oftmals nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Viele Missbrauchsopfer sind (auch nach all der Zeit) derart massiv traumatisiert und enden in der Erwerbsunfähigkeit.

Es ist gut und richtig, dass dem Staat das Schicksal der Kinder von damals keineswegs gleichgültig ist, sondern er sich für die Kinder von damals, aber auch von heute, verantwortlich zeigt. Der Staat übernimmt hier aber die Verantwortung der Kirche.

Übrig bleiben aber diejenigen Missbrauchsopfer, welche nur eine einmalige finanzielle Abgeltung durch die kircheneigene Klasnic-Kommission erhalten haben. Missbrauchsopfer, die eben nicht in Heimen untergebracht waren, wie z.B. sehr häufig betroffen Ministranten.[10]

Opfer brauchen mehr als nur eine einmalige finanzielle Entschädigung für das ihnen zugetragenen Leid. Die schwere Traumatisierung kann mit einer einmaligen Entschädigung nicht geheilt werden.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an die Bundesministerin für Justiz nachstehende:

 

Anfrage

 

1. Aktuell besteht eine Differenzierung von Missbrauchsopfern je nachdem, ob die Opfer in Heimen oder Pflegefamilien untergebracht waren oder nicht. Ministranten können also beispielsweise keine Rente bekommen. Ist eine Behebung dieser Ungleichheiten geplant?

a. Wenn ja, bis wann?

b. Wenn nein, warum nicht?

2. Ist in Planung, Opfern von Organträgern kirchlicher Organisation, welche nicht in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht wurden, in das Heimopfergesetz zu integrieren?

a. Wenn ja, bis wann?

b. Wenn nein, wieso nicht?

c. Ist eine eigene Regelung außerhalb des Heimopfergesetzes geplant?

d. Wenn ja, bis wann?

3. Derzeit kommt der Staat, also die SteuerzahlerInnen, für die Entschädigung durch die Heimopferente auf und nicht die Kirche selbst. Ist eine Gesetzesänderung vorgesehen, in welcher die Kirche für die Heimopferrente aufzukommen hat?

a. Wenn ja, bis wann?

b. Wenn nein, wieso nicht?

4. Missbrauchsopfer, welche eine einmalige finanzielle Abgeltung durch die Klasnic-Kommission erhalten haben, aber die Voraussetzungen für den Erhalt der Heimopferrente nicht erfüllen, bekommen keine Rente für das ihnen Zugefügte, Ist eine Gesetzesänderung vorgesehen, in welcher die Kirche für eine Rente aufzukommen hat?

a. Wenn ja, bis wann?

b. Wenn nein, wieso nicht?

5. Ist eine Gesetzesänderung im ABGB geplant, welche die Verjährung des § 1489 ABGB dahingehend abändert, dass im Falle einer Entschädigungsklage aufgrund des Vorliegens eines Personenschadens eines Minderjährigen, der Personenschaden vorsätzlich herbeigeführt wurde und die Minderjährigkeit des Beschädigten ursächlich oder jedenfalls begünstigend für die rechtswidrige Handlung des Schädigers war, der Einwand der Verjährung ausgeschlossen werden kann?

a. Wenn ja, bis wann?

b. Wenn nein, warum nicht?

6. Priester können oftmals nicht zur Zahlung herangezogen werden, da sie de facto vermögenslos sind. (§ 1489 Satz 2 ABGB) Folglich wäre nach den Grundregelungen der österreichischen Rechtsordnung die gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft zur Begleichung heranzuziehen. Ist es geplant einen eigenen zivilrechtlichen Haftungstatbestand für anerkannte gesetzliche Religionsgemeinschaften einzuführen?

a. Wenn ja, bis wann?

b. Wenn nein, wieso nicht?

7. Die Heimopferrente wird nicht zur Finanzierung von Therapiekosten gewährt, wie die Volksanwaltschaft in ihrem Jahresbericht betont. Ist geplant, die entsprechenden finanziellen Mittel für diese Therapien zur Verfügung zu stellen?

a. Wenn ja, bis wann?

b. Wenn nein, warum nicht?

8. Missbrauchsopfer, die in kein Entschädigungsregime fallen, bekommen keine Therapiekosten ersetzt und müssen diese selbst finanzieren. In Österreich gibt es allerdings kein ausreichendes Angebot an kassenfinanzierten Therapieplätzen. Ist dahingehend eine Änderung geplant?

a. Wenn ja, bis wann und wie viele Therapieplätze werden benötigt?

b. Wenn nein, warum nicht?



[1] Vgl.: https://derstandard.at/2000088208823/Kirchenmissbrauchsopfer-schaltet-wegen-Heimopferrente-VfGH-ein

[2] Vgl.: http://www.opfer-schutz.at/material/Grundsaetze-2016.pdf

[3] Vgl.: https://volksanwaltschaft.gv.at/heimopferrente

[4] Vgl.: https://derstandard.at/2000088208823/Kirchenmissbrauchsopfer-schaltet-wegen-Heimopferrente-VfGH-ein

[5] Vgl.: https://newsv1.orf.at/100625-52715/?href=https%3A%2F%2Fnewsv1.orf.at%2F100625-52715%2F52716txt_story.html

[6] Vgl. : http://www.ra-dr-schiessler.at/blog-0042---entschaedigungsregelungen-im-internationalen-vergleich.html

[7] Vgl.: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_02367/fname_724623.pdf

[8] Vgl.: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/III/III_00090/imfname_797957.pdf

[9] Vgl.: https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2020/PK0547/index.shtml

[10] Vgl: http://www.ra-dr-schiessler.at/blog-0045---das-heimopferrentengesetz-und-ein-dummer-witz.html