3743/J XXVII. GP

Eingelangt am 09.10.2020
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Anfrage

der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Frauen und Integration im Bundeskanzleramt

betreffend Inhaltliche Ausrichtung der "Dokumentationsstelle Politischer Islam"

 

Im Türkis-Grünen Regierungsprogramm wird an zwei Stellen die "Schaffung einer unabhängigen staatlich legitimierten Dokumentationsstelle für den religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam)" angekündigt, einmal im Kapitel "Maßnahmen gegen Extremismus und Terrorismus", ein weiteres Mal im Kapitel "Gedenkkultur". Die Ankündigung im Kapitel "Gedenkkultur" geht jedoch in ihrer inhaltlichen Ausrichtung deutlich über den "Politischen Islam" hinaus und beinhaltet die "Stärkung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) und Schaffung einer Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus, für den religiös motivierter politischer Extremismus (politischer Islam) und für den Rassismus im 21. Jahrhundert" (sic).

Nach der angekündigten raschen Einrichtung der "Dokumentationsstelle Politischer Islam" als Mittel im Kampf gegen "importierte Konflikte aus dem Ausland" im Zusammenhang mit den Ausschreitungen zwischen türkischen Nationalist_innen und kurdischen Demonstrant_innen in Favoriten steht die Frage im Raum, inwiefern die Themen Antisemitismus, Rassismus und andere Formen des Extremismus abgesehen vom "Politischen Islam" ebenfalls beforscht und dokumentiert werden.1Im Kurier wird Bundesministerin Susanne Raab hierzu wie folgt zitiert: "Dass sich die Dokumentationsstelle nun ganz dem politischen Islam widmen soll, begründete Raab damit, dass es für die anderen Themen das DÖW (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes) und die Bundesstelle für Sektenfragen gebe: 'Aber es gibt keine Einrichtung, die sich den Kampf gegen den politischen Islam zum Ziel gesetzt hat."2 Sowohl das DÖW als auch die Bundesstelle für Sektenfragen existieren allerdings bereits seit mehreren Jahrzehnten. Deren Existenz als Begründung dafür zu nehmen, aus dem Regierungsprogramm 2020 nun doch nur die Dokumentationsstelle für den "Politischen Islam" umzusetzen, scheint daher nicht schlüssig.

Außerdem wird darüber diskutiert, welche Chancen und Gefahren sich hinter der Einrichtung einer ausschließlich auf den Islam bzw. dessen extremistische Strömungen fokussierten Stelle verbergen. Vertreter_innen der muslimischen Community sehen die nun geplante und inhaltlich ausschließlich auf den "Politischen Islam" und "Parallelgesellschaften" fokussierte Dokumentationsstelle äußerst kritisch. Es wird sich exklusiv auf das gefährliche Fremde fokussiert, Extremismus aus anderen religiösen oder ideologischen Bereichen wird komplett ausgeklammert. Die Angst der muslimischen Vertreter_innen, die Dokumentationsstelle würde zu einem "institutionalisierten Generalverdacht" gegenüber allem Muslimischen führen und Muslim_innen noch weiter an den Rand der Gesellschaft drängen, ist groß.3

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist die Benennung der Dokumentationsstelle mit dem beliebten Kampfbegriff "Politischer Islam". Der Begriff "Politischer Islam" sei wissenschaftlich nicht hinreichend definiert, wie auch Kenan Güngör betont, der ebenfalls Mitglied des wissenschaftlichen Beirates ist.4 Zudem wird die Dokumentationsstelle der im Regierungsprogramm angekündigten "Schaffung einer Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus, für den religiös motivierter politischer Extremismus (politischer Islam) und für den Rassismus im 21. Jahrhundert" im thematischen Umfang wohl kaum gerecht. Wie er kritisiert auch Carla Amina Baghajati, Leiterin des Schulamts der IGGÖ, besonders den Begriff "Politischer Islam" als eine nicht klar definierte "Worthülse, ein Frame, in den alles hineinprojiziert werden kann".5  Ein weiteres Bedenken war die Gefahr der parteipolitischen Vereinnahmung der vermeintlich unabhängigen Dokumentationsstelle durch die ÖVP, die dadurch die notwendige wissenschaftliche Legitimation für ihren harten Integrationskurs geliefert bekäme, wie es auch schon bei einigen "Studien" des ÖIF sehr stark den Anschein erweckte (siehe hierzu 3014/J und 3067/J).

Das führt uns zu einem weiteren Kritikpunkt an der Dokumentationsstelle bzw. dessen Postenbesetzung, nämlich zu parteipolitischer Einflussnahme auf die inhaltliche Ausrichtung und Ergebnisse der Dokumentationsstelle. Die Grüne Nationalratsabgeordnete und Integrationssprecherin, Faika El-Nagashi, ortet hier neben einer fachlich nicht qualifizierten Leitung durch Lisa Fellhofer einen "tendenziös besetzten Beirat", der teilweise "ausgrenzende und diffamierende Strategien gegenüber der muslimischen Zivilgesellschaft entwickelt und vervielfacht." Es seien erneut die "Haus- und Hof-Expert_innen" u.a. des ÖIF herangezogen worden, die schon in der Vergangenheit die wissenschaftliche Legitimation für "Skandalisierung, Diffamierung, Ausgrenzung, Kriminalisierung" von Muslim_innen geliefert hätten.6

Besonders vor dem Hintergrund potentieller parteipolitischer Einflussnahme und der verengten inhaltlichen Ausrichtung, die bei einseitiger Betrachtung massiv integrationshemmend statt integrativ wirken kann, ist ein weiterer Aspekt hervorzuheben: die Dokumentationsstelle wird lt. Ministeriumshomepage "als unabhängiger Fonds der Republik nach dem Bundesstiftungs- und Fondsgesetz 2015 gegründet", um dessen Unabhängigkeit zu gewährleisten. Da die Bundesministerin bzw. das Integrationsministerium bei der Postenbesetzung beteiligt war, ist eine parteipolitische Einflussnahme schon einmal nicht auszuschließen. Was jedoch durch die Konzipierung der Dokumentationsstelle als Fonds der Republik durchaus verhindert werden kann, ist parlamentarische Kontrolle der Opposition durch das Instrument der parlamentarischen Anfrage. Unter Berufung auf die Grenzen des parlamentarischen Interpellationsrechts bei unabhängigen Fonds entzieht sich die Bundesministerin nämlich der Verantwortung, über wesentliche Bereiche ihres Politikfeldes Auskunft zu geben - so geschehen bei der Anfrage zu einer ÖIF-Studie, da der ÖIF ebenfalls ein unabhängiger Fonds der Republik und sie daher nicht auskunftsverpflichtet ist (siehe 3024/AB). Dieser Trend, wesentliche politische Kompetenzen einfach in Form von Fonds auszulagern und somit der parlamentarischen Kontrolle zu entziehen, ist demokratiepolitisch höchst bedenklich und führt das parlamentarische Kontrollinstrument der Anfrage ad absurdum. Es gilt hier also von vornherein, besonders genau darauf zu achten, wie die Dokumentationsstelle arbeitet und welche Ergebnisse sie in welcher Form präsentiert, um eine weitere Emotionalisierung und Instrumentalisierung der Integrationsdebatte zu verhindern.

1https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/nachrichten-der-bundesregierung/2020/integrationsministerin-raab-einfluesse-aus-dem-ausland-sind-gift-fuer-die-integration.html

2 https://kurier.at/politik/inland/dokumentationsstelle-gegen-politischen-islam-praesentiert/400972187

3https://www.migazin.de/2020/08/25/oesterreich-rechts-konservative-politik-mit-gruenem-anstrich/

4https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2052548-Der-politische-Islam-als-Unbekannte.html

5https://www.profil.at/oesterreich/carla-amina-baghajati-fpoe-politik-im-gepflegten-gewand/400992197

6https://www.facebook.com/elnagashi/photos/a.620130354821519/1760456880788855/

7https://www.derstandard.at/story/2000118641283/dokumentationsstelle-auf-der-suche-nach-in-beton-gegossener-unabhaengigkeit

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



1.    Warum haben Sie sich dazu entschieden, den Namen der Dokumentationsstelle von "Dokumentationsstelle für den religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam)" auf "Dokumentationsstelle Politischer Islam" zu kürzen, wodurch die Erklärung des vorher in Klammern gesetzten Begriffs "Politischer Islam" entfällt?

a.    Warum insbesondere vor dem Hintergrund der oft genannten Kritik, dass der Begriff "Politischer Islam" wissenschaftlich unzureichend definiert ist und zu einer undifferenziert negativen Betrachtung des Islam als Ganzem innerhalb der österreichischen Gesellschaft beitragen könnte?

2.    Auf welche wissenschaftliche Definition der Bezeichnung "Politischer Islam" beziehen Sie sich in Ihren Pressekonferenzen, Presseaussendungen, Interviews und der Gründung der "Dokumentationsstelle Politischer Islam" (bitte um Nennung der Quelle)?

a.    Wie stehen Sie zu oben genannter Kritik, bei der Bezeichnung "Politischer Islam" handle es sich um eine ungenaue, pauschalisierende und wissenschaftlich nicht ausreichend definierte Bezeichnung?

b.    Wie verhindern Sie, dass nicht-extremistische Phänomene wie die schlichte politische Aktivität von Muslim_innen und Ähnliches nicht ebenso pauschal unter der Bezeichnung "Politischer Islam" subsummiert werden und es zum befürchteten "institutionalisierten Generalverdacht" gegenüber allem Muslimischen kommt?

3.    Im Regierungsprogramm kündigen Sie eine breit aufgestellte "Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus, für den religiös motivierter politischer Extremismus (politischer Islam) und für den Rassismus im 21. Jahrhundert" (sic) an. Warum haben Sie sich dazu entschieden, den "Politischen Islam" herauszugreifen und in einer eigenen Dokumentationsstelle anzusiedeln?

a.    War also ursprünglich geplant, lediglich eine einzige Forschungs- und Dokumentationsstelle zu schaffen, die sich mit allen drei erwähnten Themen, nämlich Antisemitismus, religiös motiviertem politischen Extremismus und Rassismus im 21. Jahrhundert befasst, oder sollten von Anfang an drei eigenständige Dokumentationsstellen eingerichtet werden?

4.    Sollen die Themen Rassismus und Antisemitismus in einer gemeinsamen Dokumentationsstelle, oder ebenfalls in jeweils eigenen Dokumentationsstellen behandelt werden (bitte begründen Sie Ihre Antwort) oder haben Sie vor, diese Ankündigung nicht umzusetzen?

5.    Wann werden die Dokumentationsstellen zu Antisemitismus und Rassismus eingerichtet bzw. gibt es hier schon Pläne, Ausschreibungen, Personal, Schwerpunktsetzungen etc.?

6.    Das Startbudget für die neue "Dokumentationsstelle Politischer Islam" beträgt EUR 500.000. Wie viel Budget wird für die ebenfalls im Regierungsprogramm im gleichen Absatz angekündigten Maßnahmen zur "Schaffung einer Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus [...] und für den Rassismus im 21. Jahrhundert" aufgewendet?

7.    Wie verhindern Sie als Integrationsministerin in Hinblick auf ein so heikles Thema wie den "Politischen Islam", dass keine parteipolitische Einflussnahme stattfindet?

8.    Gerhard Baumgartner, der wissenschaftliche Leiter des DÖW, das vom Ministerium als Vorbild der "Dokumentationsstelle Politischer Islam" genannt wird, sieht die Gefahr politischer Vereinnahmung bei einem so heiklen Thema ebenfalls sehr kritisch und meint, ein langfristiger Fördervertrag könnte z.B. verhindern, dass die Dokumentationsstelle vom politischen Tagesgeschehen abhängig werde.7 Haben Sie so einen langfristigen Fördervertrag mit der Dokumentationsstelle abgeschlossen, in Planung oder setzen Sie andere konkrete Maßnahmen, die die tatsächliche Unabhängigkeit der Dokumentationsstelle gewährleisten können?