3815/J XXVII. GP
Eingelangt am 15.10.2020
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Anfrage
der Abgeordneten Josef Schellhorn, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort
betreffend Unklarheiten bei den Rechnungsabschlüssen der Wirtschaftskammern: Gewinn um 32 Millionen Euro höher als in den Erfolgsrechnungen ausgewiesen
Doppelte Buchhaltung: Doppik-Basics
Die ehemalige Finanzministerin Maria Fekter hat im Jänner 2013 in der WK-Bezirksstelle Melk hochmotiviert verkündet: „Und auch den Bundesländern werde ich die Doppik noch beibringen!“. Und die Wirtschaftskammerfunktionäre applaudierten. Eigenheit der Doppik (Doppelte Buchhaltung) ist, dass die Gewinnermittlung direkt über die Erfolgsrechnung ("Gewinn- und Verlustrechnung", GuV) und indirekt über die Veränderung des Eigenkapitals (zwischen der Eröffnungsbilanz und der Schlussbilanz) erfolgen kann. Beide Gewinnermittlungsarten müssen zum gleichen Ergebnis kommen.
Eigenkapitalveränderungen und Jahresüberschüsse weichen bei den Wirtschaftskammern fast durchgängig voneinander ab
Laut unseren Anfragebeantwortungen zu den Wirtschaftskammern ergeben die zwei Gewinnermittlungsarten aber nur bei der Bundes-Wirtschaftskammer und bei den WK-Fachorganisationen Salzburg idente Gewinne. Bei den neun anderen Kammern und bei den neun anderen Fachorganisationen treten Differenzen auf. Bei der Wirtschaftskammer Wien offenbart die indirekte Gewinnermittlung über die Eigenkapitalveränderung sogar einen um 30 Mio. Euro höheren Jahresüberschuss ("Ergebnis nach Steuern") als in der Erfolgsrechnung 2019 ausgewiesen wird. Insgesamt war der Gewinn der Wirtschaftskammern/Fachorganisationen um 32 Mio. Euro höher als in den Erfolgsrechnungen angegeben – siehe Tabelle: Eigenkapitalveränderung: 112 Mio. Euro bzw. Jahresüberschuss: 80 Mio. Euro.
Die Differenzen zwischen bei der Gewinnermittlung über die Erfolgsrechnung bzw. über die Bilanz zeigen sich aber auch in den Jahren vor 2019. Da gemäß WK-Haushaltsordnung nach dem "Ergebnis nach Steuern" nur noch Eigenkapital-interne Verbuchungen stattfinden, werfen die Differenzen zwischen "Ergebnis nach Steuern" und Eigenkapitalveränderung Fragen auf.
Doppik-Verzerrungen bei den Selbstverwaltungskörpern leider üblich
Ähnliche Differenzen hat es bereits bei der Wiener Gebietskrankenkasse (jetzt ÖGK) gegeben, wo ebenfalls Kammerfunktionäre die Verwaltungsräte besetzen. Bei der WGKK hat sich zwischen der direkten und indirekten Gewinnermittlung eine Abweichung in Höhe von 184 Mio. Euro ergeben. Die Anfragebeantwortung 2709/AB XXVI. GP hat gezeigt, dass die WGKK (gedeckt vom Sozialministerium) neben der offiziellen Erfolgsrechnung noch eine weitere Erfolgsrechnung führte und dass ein WGKK-Entschuldungsprogramm rein über Bilanzbuchungen abgewickelt wurde, ohne in der Erfolgsrechnung außerordentliche Erträge zu verbuchen. Durch solche Vorgehensweisen wird die parlamentarische Kontrolle erheblich erschwert. Wer wie die Selbstverwaltungskörper (Kammern und Kassen) steuerprivilegiert, intransparent und ausgestattet mit einer Zwangsmitgliedschaft agieren darf, sollte zumindest stimmige Rechnungsabschlüsse vorlegen.
Vergleich der Eigenkapitalveränderungen
mit den Jahresüberschüssen

Quelle: Wirtschaftsministerium: 3935/AB XXVI. GP, 2881/AB XXVII. GP, 2897/AB XXVII. GP
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
1. Wie erklären Sie sich bei den Wirtschaftskammern und Fachorganisationen die Unterschiede zwischen der Gewinnermittlung über die Erfolgsrechnung und der Gewinnermittlung über die Eigenkapitalveränderung?
2. Welche Wirtschaftsprüfer überprüfen die Rechnungsabschlüsse der Wirtschaftskammern und Fachorganisationen?
a. Mit welcher Begründung haben die Wirtschaftsprüfer die Rechnungsabschlüsse der Wirtschaftskammern und Fachorganisationen für ordnungsgemäß befunden und freigegeben?
b. Mit welcher Begründung haben die Kontrollausschüsse die Rechnungsabschlüsse der Wirtschaftskammern und Fachorganisationen für ordnungsgemäß befunden und freigegeben?
c. Mit welcher Begründung hat das Wirtschaftsministerium die Rechnungsabschlüsse der Wirtschaftskammern und Fachorganisationen für ordnungsgemäß befunden und freigegeben?
3. Existieren bei den Wirtschaftskammern/Fachorganisationen - wie bei den Sozialversicherungsträgern (siehe 2709/AB XXVI. GP) - neben den offiziellen Erfolgsrechnungen laut Anfragebeantwortungen weitere (nicht bekannt gegebene) Erfolgsrechnungen?
4. Welche Schritte setzen Sie, um Ihre Aufsichtsfunktion gegenüber den Wirtschaftskammern zu verbessern?
5. Bei 18 von 20 Wirtschaftskammern/Fachorganisationen ist die Gewinnermittlung über die Eigenkapitalveränderung und die Gewinnermittlung über die Erfolgsrechnung bedauerlicherweise nicht ident:
a. Wie hat sich der Jahresüberschuss ("Ergebnis nach Steuern") in den einzelnen Wirtschaftskammern und Fachorganisationen seit 2004 entwickelt? (Darstellung nach Jahr und Wirtschaftskammer/Fachorganisation)
b. Wie hat sich das Eigenkapital in den einzelnen Wirtschaftskammern/Fachorganisationen seit 2004 entwickelt? (Darstellung nach Jahr und Wirtschaftskammer/Fachorganisation)
6. Effizienterer Verwaltungsvollzug durch Transparenz. Aufwand für die Anfragebeantwortung:
a. Wie viele Personen insgesamt waren bei der Anfragebeantwortung involviert?
b. Wie viele Arbeitsstunden insgesamt fielen für die Anfragebeantwortung an? (Angabe in Halbstunden, z.B. 1,5h)
c. In welchem Ausmaß könnte eine strukturierte, laufende Datenoffenlegung (Transparenz) diesen Aufwand reduzieren? (Angabe in % und/oder Stunden)