3988/J XXVII. GP
Eingelangt am 04.11.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
des Abgeordneten Schnedlitz
und weiterer Abgeordneter
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Terroranschlag in Wien
Der Standard online berichtete am 3. November 2020:
„Vier Todesopfer bei islamistischem Terroranschlag in Wien – 14 Festnahmen – Derzeit kein Hinweis auf weiteren Täter
Der Attentäter wurde erschossen. Innenminister Nehammer kann noch nicht ausschließen, dass es mehrere Täter gab, die Sicherheitswarnung bleibt aufrecht. Es gibt 22 Verletzte.
Das Wichtigste in Kürze:
· Österreich wurde am Montag von einem Terroranschlag erschüttert. In der Wiener Innenstadt sind ab 20 Uhr Schüsse gefallen. Hier finden Sie einen Überblick zu den Ereignissen des Abends und der Nacht.
· Vier Zivilpersonen und ein Täter kamen ums Leben. Darüber hinaus gibt es 22 zum Teil schwer Verletzte, darunter ein Polizeibeamter.
· Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gab am Dienstag bei einer Pressekonferenz bekannt, dass es derzeit keine konkreten Hinweise auf weitere Täter gibt – zur Gänze ausgeschlossen kann das aber noch nicht werden.
· Der getötete Angreifer konnte in der Nacht ausgeforscht werden, seine Wohnung wurde aufgesprengt. Es handelte sich dabei um einen 20-jährigen IS-Anhänger mit nordmazedonischem Hintergrund – er besaß sowohl die österreichische als auch die nordmazedonische Staatsbürgerschaft. 2019 wurde er zu 22 Monaten Haft verurteilt, weil er versucht hatte, nach Syrien auszureisen, um sich dort dem IS anzuschließen. Im Umfeld des Täters gab es mehrere Hausdurchsuchungen und Festnahmen, darunter zwei in St. Pölten.
· Die Schulpflicht ist am Dienstag in Wien ausgesetzt.
· Es gibt laut Behörden sechs Tatorte in der Innenstadt, an denen geschossen wurde: Morzinplatz, Salzgries, Seitenstettengasse, Graben, Bauernmarkt und Fleischmarkt.“
Darüber hinaus werden in dem Onlinemedium "vn.at" vom 03.11.2020, abgerufen unter https://www.vn.at/newsticker/trauer-und-entschlossenheit-nach-terroranschlag-in-wien/1965144, weitere Details erörtert:
„Der Montagabend erschossene Täter wurde am Dienstag vom Innenministerium als 20-jähriger nordmazedonisch-österreichischer Doppelstaatsbürger mit Namen Kujtim FEJZULAI identifiziert. Er hatte Haftstrafe wegen terroristischer Vereinigung hinter sich, weil er versucht hatte, nach Syrien auszureisen und sich der radikalislamistischen Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) anzuschließen.
Das nordmazedonische Innenministerium bestätigte eine Zusammenarbeit mit Österreich. Die österreichische Polizei habe durch die Europol einen entsprechenden Antrag gestellt, hieß es. Die Abteilung für internationale Polizeiarbeit habe diese bereits aufgenommen, berichtete das nordmazedonische Internetportal MKD unter Berufung auf das Innenministerium.“
In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Justiz folgende
Anfrage
1. Ist dem Justizministerium bekannt, ob gegen Kujtim FEJZULAI je ein Waffenverbot ausgesprochen wurde?
2. In welcher Justizanstalt hat Kujtim FEJZULAI seine Haftstrafe angetreten?
3. In welchen Justizanstalten hat Kujtim FEJZULAI seine Haftstrafe absolviert?
4. In welcher Justizanstalt hat Kujtim FEJZULAI zuletzt seine Haftstrafe absolviert?
5. Wie viele Personen wurden insgesamt bisher seit 2015 nach §§ 278b ff, 282a StGB verurteilt (Bitte um Aufschlüsselung nach einzelnen Delikten)?
6. Wie viele Personen wurden insgesamt seit dem 1.01.2020 nach §§ 278b ff, 282a StGB verurteilten Personen aus der Haft entlassen?
7. Wie viele Personen davon wurden seit dem 1.01.2020 nach §§ 278b ff, 282a StGB vorzeitig aus der Haft entlassen (Bitte um genaue Aufschlüsselung der Dauer der Verurteilung und der tatsächlichen Verbüßung in Haft bis zur Freilassung)?
8. Gab es Ordnungswidrigkeiten (z. B. Abmahnung nach StVG und/oder Geldbuße) während der Haftzeit von Kujtim FEJZULAI (Bitte um Aufschlüsselung nach Art, Ordnungswidrigkeit und Höhe der Buße)?
9. Bei wie vielen dieser Personen war das deliktische Handeln dem islamischen Terrorismus bzw. Jihadismus zuzuordnen?
10. Welche Arten von Stellungnahmen zur Gefährlichkeit bzw. Legalprognose dieser Insassen wurden durch die Strafvollzugsverwaltung regelmäßig eingeholt? (Bitte um genaue Darlegung!)
11. Welche Arten von Stellungnahmen zur Gefährlichkeit bzw. Legalprognose dieser Insassen wurden durch die Strafvollzugsverwaltung regelmäßig abgegeben? (Bitte um genaue Darlegung!)
12. Welches Risikomodell bzw. welche Risikomodelle sind der kriminalpräventiven Arbeit mit terroristischen Straftätern durch Ihr Ressort zugrunde gelegt?
13. Welche Zusammenhänge zwischen dissozialen Persönlichkeitsmustern einerseits und Dynamiken zwischen Individuen und gewaltlegitimierenden Kontexten andererseits sind durch Ihr Ressort angenommen und der kriminalpräventiven Arbeit im Strafvollzug zugrunde gelegt?
14. Welche Erlässe sind durch Ihr Ressort ergangen, um die kriminalpräventive Arbeit mit terroristischen Straftätern im Strafvollzug inhaltlich zu standardisieren? (Bitte um genaue Nennung unter Verzicht auf allgemeine Ausführungen zu Vollzugsplänen etc.!)
15. Wurden zu Kujtim FEJZULAI jemals ein individuelles Risikoprofil erstellt?
16. Wenn ja: Wann und durch wen erfolgte die Erstellung dieses Profils? Wo und durch wen war und ist dieses Profil einsehbar?
17. Wenn nein: Warum nicht und auf welcher Basis wurden stattdessen vollzugsbehördliche Entscheidungen getroffen?
18. Wurden zur Kutjim FEJZULAI jemals internen (sog. „Fachdienste“) u/o externe (DERAD, NEUSTART etc.) legalprognostische Stellungnahmen durch eine Vollzugsbehörde eingeholt?
19. Wenn ja: Mit welchem Inhalt und Ergebnis?
20. Wenn nein: Warum nicht?
21. Welche Auflagen erhielt Kutjim FEJZULAI erhielt wie z.B. Einhaltung von Terminen bei DERAD bei Freilassung?
22. Wie viele Ausgänge erhielt Kutjim FEJZULAI während seiner Haftzeit und wer genehmigte diese?
23. Wie viele Sozialtrainings absolvierte Kutjim FEJZULAI während seiner Haftzeit und nach seiner Haftzeit zur Resozialisierung?
24. Wie viele Termine (nachweislich) bei DERAD und/oder NEUSTART nahm Kutjim FEJZULAI nach seiner Haftzeit wahr?
25. Wurden zur Kutjim FEJZULAI jemals legalprognostische Stellungnahmen durch eine Vollzugsbehörde abgegeben?
26. Wenn ja: Mit welchem Inhalt und Ergebnis?
27. Wenn nein: Warum nicht?
28. Wurden zu Kutjim FEJZULAI jemals Information mittels des sog. „Verbindungsdienstes“ an ein LVT oder das BVT kommuniziert?
29. Wenn ja: Mit welchem Inhalt und Ergebnis? Welche Rückmeldung erfolgte durch den Verfassungsschutz?
30. Wenn nein: Warum nicht?
31. Gibt es konkrete Vorgaben (Kriterienkataloge etc.) des Justizministeriums hinsichtlich der formalen und inhaltlichen Mindestanforderungen an die (intern u/o extern adressierten) vollzuglichen Stellungnahmen zur Legalprognose von Insassen im Straf- und im Maßnahmenvollzug?
32. Wenn ja: Welche (Bitte um genaue Darlegung; allfällige Vorgaben im Zusammenhang mit der BEST bitte gesondert nennen)?
33. Wenn nein: Warum nicht?“
34. Warum wurde in der Anfragebeantwortung vom 13.01.2020 zur Anfrage Nr. 66/J-NR/2019 zwar eine Antwort hinsichtlich Maßnahmenvollzug abgegeben, nicht aber zu jenen im Strafvollzug (insb. zu solchen gem. § 152 StVG), obwohl im Justizministerium der Unterschied zwischen Maßnahmenvollzug und Strafvollzug bekannt sein müsste?
35. Welche Vorgaben (Kriterienkataloge etc.) des Justizministeriums hinsichtlich der formalen und inhaltlichen Mindestanforderungen bestehen denn nun für die (intern u/o extern adressierten) vollzuglichen Stellungnahmen zur Legalprognose von Insassen im Strafvollzug (insb. solche gem. § 152 StVG)?
36. Entsprechen die zur Legalprognose von Kujtim FEJZULAI abgegebenen vollzuglichen bzw. vollzugsbehördlichen Stellungnahmen diesen Vorgaben?
37. Laut der Beantwortung Ihres Vorgängers unter Pkt. 8 bis 12 der genannten Anfrage (Nr. 66/J-NR/2019) gestellten Fragen soll die „Entwicklung einer Hypothese zur Delinquenzgenese und Rückfallgefahr“ einen „Kernpunkt“ im Vollzugsplan darstellen. Weitere „Kernpunkte“ seien die „Benennung von Zielen“, die „Reduzierung des Gewichtes der Risikofaktoren und deren Kompensation durch protektive Faktoren mit Hilfe von Interventionen“.
Welche „Hypothese zur Delinquenzgenese und Rückfallgefahr“ wurde in Bezug auf Kujtim FEJZULAI aufgestellt?
38. Welche Ziele wurden benannt?
39. Wie und in welchem Umfang wurde das Gewicht der Risikofaktoren reduziert bzw. wurden diese mit Hilfe von Interventionen durch protektive Faktoren kompensiert?
40. Unter Pkt. 24 der genannten Anfrage (Nr. 66/J-NR/2019) wurde die Frage gestellt:
„Seit dem Jahr 2015 wird durch das Justizministerium immer wieder verlautbart, dass ein Screening-Verfahren für Insassen mit Delikten nach §§ 278b ff StGB ausgearbeitet wird (siehe dazu etwa die Presseinformation des BMJ vom 01. Jänner 2017: „Als unmittelbare Maßnahme plant Brandstetter die rasche Einführung von speziellen Screening-Verfahren im österreichischen Strafvollzug. Orientiert an internationalen Risikoeinschätzungsinstrumenten soll das Risiko einzelner Insassen und Insassinnen künftig noch besser und systematischer bewertet werden“). Warum erstreckt sich dieser Prozess bereits über Jahre und bis wann ist mit einem konkreten Ergebnis zu rechnen?“
Diese Frage haben Sie am 13.01.2020 wie folgt beantwortet:
„Zunächst muss hier auf die bis dato insgesamt knappen budgetären Mitteln hingewiesen werden. Zudem verzögerte sich die Umsetzung des Risikoeinschätzungstools VERA-2R, weil zwei im Vorfeld bei der Europäischen Union eingebrachte Projektanträge abgelehnt wurden. Durch die europaweite Vernetzungsarbeit der Generaldirektion für den Strafvollzug und den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen (z.B. RAN [Radicalisation Awareness Network]) ist es letztendlich gelungen - konkret in dem EU DARE Projekt - Fördermittel für den österreichischen Strafvollzug zu lukrieren. Im Zuge des Projekts wurden Mitarbeiter*innen des österreichischen Strafvollzugs in der Anwendung von VERA-2R geschult, wobei dieses Assessment derzeit in Arbeitsgruppen erprobt wird.“ Ist dies nach wie vor gültig?
Wie bewerten Sie Ihren damaligen Hinweis auf die „insgesamt knappen budgetären Mittel“ angesichts des aktuellen Anschlags?
41. Wie kommen Sie zu der falschen Einschätzung, dass es sich bei dem genannten „Violent Extremist Risk Assessment“ (VERA-2R) überhaupt um ein Screening-Verfahren handelt, denn sowohl das RAN als auch die Autoren des VERA selbst grenzen dieses Instrument jedenfalls klar von allen Screening-Verfahren ab?
42. Findet das VERA-2R inzwischen regelmäßige Anwendung im Strafvollzug?
43. Wenn nein: Warum nicht?
44. Wenn ja: In welcher Form?
45. Wenn ja: Wurde eine Bewertung zu Kujtim FEJZULAI mit dem VERA-SR vorgenommen?
46. Wenn ja: Durch wen und mit welchem Ergebnis?
47. Findet die „Extremism Risk Guidance“ (ERG 22+) Anwendung im Strafvollzug?
48. Wenn nein: Warum nicht?
49. Wenn ja: In welcher Form?
50. Wenn ja: Wurde eine Bewertung zu Kujtim FEJZULAI mit der ERG 22+ vorgenommen?
51. Wenn ja: Durch wen und mit welchem Ergebnis?
52. Findet das „Individual Radicalisation Screening“ (IRS) aus dem „R2PRIS Radicalisation Risk Assessment in Prisons“ (RRAP) Anwendung im Strafvollzug?
53. Wenn nein: Warum nicht?
54. Wenn ja: In welcher Form?
55. Wenn ja: Wurde eine Bewertung zu Kujtim FEJZULAI mit dem IRS vorgenommen?
56. Wenn ja: Durch wen und mit welchem Ergebnis?
57. Findet das „Radicalisation Profiling“ (RA-PROF) des Schweizer Zentrums für Gewaltfragen Anwendung im Strafvollzug?
58. Wenn nein: Warum nicht?
59. Wenn ja: In welcher Form?
60. Wenn ja: Wurde eine Bewertung zu Kujtim FEJZULAI mit dem RA-PROF vorgenommen?
61. Wenn ja: Durch wen und mit welchem Ergebnis?
62. Findet die „Guidance for Identifying Vulnerable People“ (IVP) Anwendung im Strafvollzug?
63. Wenn nein: Warum nicht?
64. Wenn ja: In welcher Form?
65. Wenn ja: Wurde eine Bewertung zu Kujtim FEJZULAI mit der IVP vorgenommen?
66. Wenn ja: Durch wen und mit welchem Ergebnis?
67. Finden das „Dynamische Risiko Analyse System“ (DyRiAS) bzw. der „Screener Islamismus“ als Risikobewertungsinstrument bzw. als Screening-Instrument Anwendung im Strafvollzug?
68. Wenn nein: Warum nicht?
69. Wenn ja: In welcher Form?
70. Wenn ja: Wurde eine Bewertung zu Kujtim FEJZULAI mit DyRiAs bzw. dem „Screener Islamismus“ vorgenommen?
71. Wenn ja: Durch wen und mit welchem Ergebnis?
72. Findet das „Terrorist Radicalization Assessment Protocol-18“ (TRAP-18) als Risikobewertungsinstrument bzw. als Screening-Instrument Anwendung im Strafvollzug?
73. Wenn nein: Warum nicht?
74. Wenn ja: In welcher Form?
75. Wenn ja: Wurde eine Bewertung zu Kujtim FEJZULAI mit dem TRAP-18 vorgenommen?
76. Wenn ja: Durch wen und mit welchem Ergebnis?
77. Findet die „Regelbasierte Analyse potenziell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos von islamistischem Terrorismus“ (RADAR-iTE) Anwendung im Strafvollzug?
78. Wenn nein: Warum nicht?
79. Wenn ja: In welcher Form?
80. Wenn ja: Wurde eine Bewertung zu Kujtim FEJZULAI mit der RADAR-iTE vorgenommen?
81. Wenn ja: Durch wen und mit welchem Ergebnis?
82. Wie bewerten Sie die deliktpräventive Leistung der Grundsatz- (II1) sowie der Betreuungsabteilung (II3) Ihres Ressorts im Hinblick auf die von Ihnen laut diversen Medienberichten gewünschte „Fakten- und Evidenzbasierung“ der Justiz“?