4016/J XXVII. GP

Eingelangt am 06.11.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Terror in Wien: Mangelnde Gefahrenabwehr durch Sicherheitsbehörden

 

Am Abend des 2. Novembers 2020  kam es in der Wiener Innenstadt zu einem folgenschweren islamistischen Terroranschlag. Ein behördenbekannter, bereits rechtskräftig nach § 278b StGB verurteilter Mann, schoss mit einer vollautomatischen Waffe in der belebten Gegend zwischen Schwedenplatz und Graben um sich und tötete vier und verletzte zahlreiche weitere Menschen.

Wie sich herausstellte war der Täter nicht nur bereits wegen § 278b StGB rechtskräftig verurteilt gewesen (auf Grund eines gescheiterten Versuchs, nach Syrien zu reisen um sich dem sog. "Islamischen Staat" anzuschließen) und im Dezember 2019 bedingt unter Setzung einer dreijährigen Probezeit aus der Haft entlassen worden, sondern hatte dieser in Begleitung einer zweiten Person im Juli 2020 in der Slowakei auch offenbar erfolglos versucht, Munition für eine AK-47 (oder Nachbau) zu besorgen. Über diesen versuchten Kauf von Munition für eine vollautomatische, und damit in Österreich verbotene Waffe, wurden die österreichischen Behörden seitens der slowakischen Sicherheitsbehörden noch im Juli 2020 in Kenntnis gesetzt.

Im Detail stellt sich die bisher bekannte Lage laut Medienberichten wie folgt dar:

 

·         Am 23. Juli 2020 übermittelt der slowakische Geheimdienst dem österreichischen Verbindungsbüro bei Europol den Hinweis, dass zwei Tage davor zwei Personen in Bratislava versucht hätten, "Munition des Typs 7,62 x 39 mm für das Sturmgewehr AK 47 (Kalaschnikow)" zu kaufen. Diese Personen verwendeten dabei laut den Unterlagen einen weißen Pkw der Marke BMW mit österreichischem Kennzeichen, dem Schreiben liegen Fotos aus der Überwachungskamera eines Waffengeschäfts bei.

·         Am 10. September 2020 antworten die österreichischen Behörden den Slowaken wieder via Europol-Büro, dass die Polizei bereits einen der beiden Männer identifiziert habe. "Wahrscheinlich handelt es sich dabei um K. F." Und: "Der Genannte ist der österreichischen Polizei in Zusammenhang mit Terrorismus bekannt."

·         Am 2. November 2020 verübt K. F. in den Abendstunden mit mehreren Schusswaffen den Anschlag nahe der zu diesem Zeitpunkt geschlossenen Synagoge.

Die Justiz, die von Innenminister Nehammer und Kanzler Kurz vor öffentlichem Bekanntwerden dieser Umstände durch Berichte deutscher Medien massiv für die (gesetzmäßige) bedingte Haftentlassung kritisiert wurde, wurde über den versuchten Munitionskauf laut eigenen Angaben erst am Abend des Anschlages und nach Beginn von ebendiesem - kurzum: zu spät - in Kenntnis gesetzt.

Dies ist nicht nachvollziehbar, zumal der versuchte Munitionskauf für eine Kalaschnikow (obschon ohne ausgesprochenem Waffenverbot nach § 12 WaffG für sich alleine wohl nicht strafbar) durch bereits wegen des "Terrorparagraphen" verurteilte Islamisten selbstverständlich eine Information ist, aus der sich der dringende Verdacht auf Verstöße gegen strafrechtliche Normen ergibt - ebenso wie ein dringender Handlungsbedarf. Mit dieser Information hätten die Justizbehörden auf Grund eines dringenden Anfangsverdachts die Möglichkeit gehabt Sicherstellungsanordnungen, Hausdurchsuchungen und auch Festnahmen bis hin zur Untersuchungshaft bzw. eine Festnahme nach § 180 Abs 3 StVG anzuordnen, welche auf Grund der vorliegenden Tatsachen mit höchster Wahrscheinlichkeit zu einem Widerruf der bedingten Haftentlassung bzw. zu einer neuerlichen Verurteilung geführt hätten - und damit den Terroranschlag verhindert hätten.

Im Falle, dass ein aufrechtes Waffenverbot nach § 12 WaffG ausgesprochen worden wäre (was nicht bekannt ist), wäre nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG bereits der versuchte Munitionskauf strafbar gewesen; das Unterbleiben einer Weiterleitung dieser Information an die Justiz wäre diesfalls klar rechtswidrig gewesen. Für die Verhängung eines Waffenverbotes wäre in Wien die LPD Wien zuständig gewesen (vgl. § 48 Abs 1 WaffG iVbm § 8 SPG).

Das unterbliebene Weiterleiten der Informationen aus der Slowakei durch Organisationseinheiten des BM.I stellt einen nach derzeitiger Informationslage nicht nachvollziehbaren Fehler im Vorfeld des Terroranschlages in Wien vom 2. November 2020 dar.

Die Sicherheitsbehörden wären aber selbstverständlich auch von sich aus ermächtigt gewesen, zu ermitteln und hätten diesfalls sogar weitreichende Kompetenzen auf Grund der Spezialbestimmungen des WaffG gehabt. So räumt § 53 WaffG etwa beim Verdacht, dass einem Verbot der Einfuhr oder des Besitzes von Munition zuwidergehandelt wird, eine eigene Durchsuchungsermächtigung für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ein.

 

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Das PStSG wiederum räumt im Bereich der erweiterten Gefahrenerforschung bzw. Gefahrenabwehr in § 11 das Recht zur Durchführung besonderer Ermittlungsmaßnahmen (nach Genehmigung durch den Rechtsschutzbeauftragten bzw. Rechtsschutzsenat) ein - darunter etwa Observation, verdeckte Ermittlung, Einsatz von Abhörtechnik etc..

In Summe bleibt festzuhalten, dass auf Grund der Tatsache, dass die Sicherheitsbehörden

·         trotz Hinweis seitens der slowakischen Behörden zum versuchten Munitionskauf für eine vollautomatische Waffe

·         trotz erfolgreichen Ausforschens jener Personen, die diesen versuchten Kauf durchführen wollten (darunter der spätere Attentäter)

·         trotz Wissen, dass der Attentäter bereits eine Haftstrafe wegen Mitgliedschaft beim sog. "Islamischen Staat" verbüßt hatte und diese seitens der Justiz nur bedingt widerrufen worden war und

·         trotz der damals daher auch ex ante betrachtet selbst für Laien erkennbaren Gefährlichkeit und Dringlichkeit der Situation

weder die Justiz verständigten noch die nötigen Schritte unternahmen um im eigenen Bereich diese Gefahr erfolgreich abzuwehren, nach bisheriger Informationslage von einem folgenschweren und dringend aufklärungsbedürftigen Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden auszugehen ist.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



1.    Wann erhielten Sie persönlich erstmals Kenntnis vom Sachverhalt des versuchten Munitionskaufes (bitte um Datum und Uhrzeit)?

a.    Durch wen erfolgte diese Information?

b.    Was war der Inhalt der Information?

c.    Mit wem wurde diese Information geteilt?

                                      i.Wann wurde diese Information mit dem Bundeskanzler geteilt?

d.    Wenn ja: welche Schritte wurden gesetzt?

2.    Wie wird bei solchen brisanten Informationen generell in Ihrem Haus sichergestellt, dass die Ressortführung in Kenntnis gesetzt wird?

3.    Welche Schritte haben Sie wann unternommen, damit sichergestellt wird, dass solche Informationen der Ressortführung zur Kenntnis gelangen?

4.    Wann erhielten Ihr Kabinett erstmals Kenntnis vom Sachverhalt des versuchten Munitionskaufes?

a.    Durch wen erfolgte diese Information?

b.    Was war der Inhalt der Information?

c.    Mit wem wurde diese Information geteilt?

d.    Wenn ja: welche Schritte wurden gesetzt?

5.    Wann erhielten der GDÖS erstmals Kenntnis vom Sachverhalt des versuchten Munitionskaufes?

a.    Durch wen erfolgte diese Information?

b.    Was war der Inhalt der Information?

c.    Mit wem wurde diese Information geteilt?

d.    Wenn ja: welche Schritte wurden gesetzt?

6.    Welche sonstigen Stellen/Organisationseinheiten innerhalb des BM.I waren ab welchem präzisen Zeitpunkt und inwiefern durch wen über den Sachverhalt des versuchten Munitionskaufes informiert?

7.    War bekannt, dass der spätere Attentäter bereits nach § 278b StGB verurteilt war und aus seiner Rest-Haftstrafe bei offener Probezeit bedingt entlassen war?

a.    Seit wann war dies welchen Organisationseinheiten des BM.I bekannt?

8.    Hinsichtlich der zweiten Person: gab es auch hier einschlägige Vorstrafen, und wenn ja: welche und in welchem Strafmaß?

a.    Seit wann war dies welchen Organisationseinheiten des BM.I bekannt?

9.    Handelt es sich bei der zweiten Person um jene Person, die im Rahmen des selben Verfahrens wie der spätere Attentäter verurteilt wurde für den zuvor gemeinsam durchgeführten Versuch, sich dem IS anzuschließen?

10. War eine islamistische Gesinnung der zweiten Person bekannt?

11. Welche Schritte wurden in Folge wann innerhalb des BVT bzw. sonstiger Organisationsbereiche des BM.I gesetzt (um eine detaillierte chronologische Auflistung der einzelnen Schritte wird ersucht!)?

12. Wurde gegen den späteren Attentäter ermittelt?

a.    Wenn ja: ab wann, durch welche Organisationseinheit und welche Ermittlungsschritte wurden gesetzt, und warum wurde kein Bericht an die zuständige Staatsanwaltschaft nach § 100 Abs 2 Z 3 StPO (Berichtspflicht nach spätestens drei Monaten) erstattet?

b.    Wenn nein: warum nicht?

13. Warum wurde keine Durchsuchung auf Grund der Ermächtigung nach § 53 WaffG vorgenommen?

14. Warum wurde keine Festnahme nach § 180 Abs 3 StVG vorgenommen?

15. Gab es genehmigte Ermittlungen im Sinne des PStSG, die den Terroristen umfassten?

16. Kam es zu einer Standortdatenerfassung?

a.    Wenn ja: ab wann?

b.    Wenn nein: warum unterblieb dies?

17. Wie viele Beamte waren mit der Aktbearbeitung betraut (bitte chronologische Auflistung nach Organisationseinheiten im BM.I)?

18. Wurde der Terrorist zu irgendeinem Zeitpunkt seitens der Sicherheitsbehörden kontaktiert/konfrontiert (etwa zu einer Einvernahme etc.)?

19. Welche Ermittlungsmaßnahmen nach dem PStSG wurden vom BVT/LVT Wien in welchem Zeitraum im Zusammenhang mit dem späteren Attentäter gesetzt?

a.    Falls keine Ermittlungshandlungen nach dem PStSG gesetzt wurden: warum unterblieben diese?

20. Wurde der spätere Attentäter oberserviert?

a.    wenn ja: von wann bis wann?

b.    wenn ja: wie viele Stunden/Tage kam es insgesamt zur Observierung?

c.    wenn ja: erfolgte die Observierung rund um die Uhr und wenn ja ab wann?

d.    Waren diese Ermittlungen durch den Rechtsschutzbeauftragten genehmigt?

e.    Wenn nein: warum unterblieb dies?

21. Wurde gegen den späteren Attentäter verdeckt ermittelt?

a.    wenn ja: von wann bis wann?

b.    Wie viele verdeckte Ermittler wurden eingesetzt?

c.    Waren diese Ermittlungen durch den Rechtsschutzsenat genehmigt?

d.    Wenn nein: warum unterblieb dies?

22. Kam es zum Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten?

a.    wenn ja: von wann bis wann?

b.    Waren diese Ermittlungen durch den Rechtsschutzbeauftragten genehmigt?

c.    Wenn nein: warum unterblieb dies?

23. Kam es zum Einsatz von Kennzeichenerkennungsgeräten?

a.    wenn ja: von wann bis wann?

b.    Waren diese Ermittlungen durch den Rechtsschutzbeauftragten genehmigt?

c.    Wenn nein: warum unterblieb dies?

24. Zu welchen weiteren Ermittlungen nach § 11 PStSG kam es jeweils in welchem Zeitraum?

a.    Waren diese Ermittlungen durch den Rechtsschutzbeauftragten genehmigt?

b.    Wenn nein: warum unterblieb dies?

25. Wurden die Aktivitäten des späteren Attentäters auf Social Media beobachtet?

a.    Wenn ja: laut Medienberichten postete der spätere Attentäter auf Instagram Bilder von Munition und Waffen. Seit wann war dies den Sicherheitsbehörden bekannt?

                                      i.warum wurde in Folge seitens der Sicherheitsbehörden nicht eingeschritten?

b.    Wenn nein: warum unterblieb dies?

26. Ist es üblich, dass die Sicherheitsbehörden in Fällen der Kenntniserlangung von Munitions- oder Waffenkäufen für automatische Waffen durch amtsbekannte und verurteilte Terroristen keiner ausreichend engmaschigen Maßnahmen setzen, um einen möglicherweise unmittelbar bevorstehenden Anschlag mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verhindern?

27. Wann wurde den Sicherheitsbehörden bekannt, dass der Täter am Tag vor dem Anschlag Videoaufnahmen mit Reaktionen auf den Anschlag auf "Charlie Hebdo" im Jahr 2015 versendete?

28. War den Sicherheitsbehörden vor dem Beginn des Anschlages bekannt, dass der Attentäter im Besitz von Schusswaffen und Munition ist bzw. gab es - abgesehen vom bereits thematisierten versuchten Munitionskauf - einen dringenden Verdacht in diese Richtung?

a.    wenn ja: welchen Stellen im BM.I bzw. seiner Organisationseinheiten war dies (bzw. dieser dringende Verdacht) seit wann bekannt?

                                      i.welche Schritte wurden daraufhin gesetzt?

                                    ii.War dies auch Ihnen bzw. Ihrem Kabinett bekannt und wenn ja: seit wann und welche Schritte wurden daraufhin gesetzt?

b.    Wenn nein: wurden die öffentlich einsehbaren Social Media-Aktivitäten des Attentäters nicht verfolgt?

29. War den Sicherheitsbehörden vor dem Beginn des Anschlages bekannt, dass der Attentäter einen terroristischen Anschlag plant bzw. gab es einen dringenden Verdacht in diese Richtung?

a.    wenn ja: welchen Stellen im BM.I bzw. seiner Organisationseinheiten war dies (bzw. dieser dringende Verdacht) seit wann bekannt?

                                      i.welche Schritte wurden daraufhin gesetzt?

                                    ii.War dies auch Ihnen bzw. Ihrem Kabinett bekannt und wenn ja: seit wann und welche Schritte wurden daraufhin gesetzt?

30. Falls den Sicherheitsbehörden vor dem Beginn des Anschlages bekannt war, dass der Attentäter im Besitz von Schusswaffen und Munition ist bzw. es - abgesehen vom bereits thematisierten versuchten Munitionskauf - einen dringenden Verdacht in diese Richtung gab: warum wurde nicht eingeschritten?

31. Falls den Sicherheitsbehörden vor dem Beginn des Anschlages bekannt war, dass der Attentäter einen terroristischen Anschlag plant bzw. es einen dringenden Verdacht in diese Richtung gab: warum wurde nicht eingeschritten?

32. Wurde der Attentäter am Tag des Anschlags observiert und wenn ja: von wann bis wann und warum konnte der Anschlag dennoch nicht verhindert werden?

33. Ist es korrekt, dass für 3.11. eine großangelegte Polizeiaktion im islamistischen Milieu geplant war?

a.    hätte der Attentäter oder Personen, mit denen dieser in Kontakt stand, auch Ziel dieser Aktion sein sollen?

34. Ergibt sich aus dem bisherigen Kenntnisstand ein Zusammenhang zwischen der geplanten "Razzia" und der Entscheidung des Attentäters, am Vorabend das Attentat durchzuführen?

a.    Gibt es Hinweise darauf, dass die Information der geplanten Razzia in islamistische Kreise "durchsickerte"?

35. Gibt es die Operationen „ANSA“ und „ZULU“?

a.    War der Terrorist Bestandteil dieser Operationen?

36. Ist es korrekt, dass den Sicherheitsbehörden bekannt war, dass der spätere Attentäter in Kontakt mit amtsbekannten ausländischen Islamisten stand?

37. Ist es korrekt, dass den Sicherheitsbehörden bekannt war, dass der spätere Attentäter im Juli 2020 von zwei amtsbekannten Islamisten aus Osnabrück besucht wurde?

a.    Wie gelangten die Sicherheitsbehörden zu dieser Information?

b.    Wurde diese Information an deutsche Behörden weitergeleitet?

                                      i.wann geschah dies?

c.    Warum wurde diese Information, die ja eine klare Konterindikation zum Abschwören von der islamistischen Ideologie ist, nicht mit der Justiz bzw. den Deradikalisierungsstellen geteilt?

d.    Welche sonstigen Maßnahmen wurden auf Grund dieser Information gesetzt?

38. Ist mittlerweile bekannt, wie der Attentäter zum Tatort gelangte?

39. Ist mittlerweile bekannt, wie der Attentäter zur Waffe und zur Munition gelangte?

40. Bei welcher Behörde lag zuletzt die Hauptverantwortung für Ermittlungen bzw. Überwachung des Täters, und seit wann war diese Behörde zuständig?