4063/J XXVII. GP
Eingelangt am 11.11.2020
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend "Kopflose" Vereine?
Die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 (Stichworte: Versammlungsverbot und Reisebeschränkungen) machten ein physisches Zusammentreffen von Gesellschaftern/Aktionären und Organmitgliedern häufig unmöglich. Der Gesetzgeber reagiert darauf und schaffte eine zunächst bis 31.12.2020 befristete Erleichterung: Das Bundesgesetz betreffend besondere Maßnahmen im Gesellschaftsrecht aufgrund von COVID-19 (Gesellschaftsrechtliches COVID-19-Gesetz – COVID-19-GesG).
Durch Verordnung der Bundesministerin für Justiz (BGBl. II Nr. 140/2020) zur näheren Regelung der Durchführung von gesellschaftsrechtlichen Versammlungen ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer und von Beschlussfassungen auf andere Weise (Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Verordnung – COVID-19-GesV) wurden die Voraussetzungen für diese virtuellen Versammlungen konkretisiert.
Mit diesem Gesetz wurde es juristischen Personen einerseits ermöglicht, Versammlungen bzw. Sitzungen von Organen auch ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer durchzuführen und Beschlüsse auch auf andere Weise zu fassen.
Andererseits wurde mit dem § 2 COVID-19-GesG eine Sondernorm geschaffen, mit der die Fristen für die Abhaltung von ordentlichen Haupt-/Generalversammlungen von juristischen Personen verlängert werden.
Für Vereine legt § 2 Abs 3a COVID-19-GesG diesbezüglich fest, dass eine Versammlung, an der mehr als 50 Personen teilnahmeberechtigt sind, bis zum Jahresende 2021 verschoben werden kann.
In einem Gastkommentar in der Tageszeitung Die Presse mit dem Titel "Innenministerium lässt Vereine kopflos werden" vom 18.10.2020 weisen die Autoren auf ein gravierendes Problem betreffend der Funktionsperiode von Vereinsorganen hin:
"Dazu schweigt das Gesetz. Daher hat
eine auf dieses Covid-19-Gesetz gestützte Verschiebung der
Generalversammlung im Jahr 2020 oder ins Jahr 2021 keinerlei Einfluss auf das
Ende der Funktionsperiode.
Vereinen ist daher zu raten, ihre Organe rechtzeitig zu wählen –
in einer herkömmlichen Mitgliederversammlung, einer virtuellen Versammlung
oder durch schriftliche Wahl, mit Brief oder online, was ebenfalls durch dieses
Covid-19-Gesetz und die darauf aufbauende Verordnung des Justizministeriums
ermöglicht wird. So will es das Gesetz – aber das Innenministerium
hat andere Ideen. In einem alle Vereinsbehörden bindenden Erlass
verfügte das Ministerium, dass durch eine Bekanntgabe der Verschiebung
der Mitgliederversammlung automatisch die ablaufenden Funktionsperioden von Vorstandsmitgliedern
bis Ende 2020 oder – bei mehr als 50 Mitgliedern – bis Ende 2021
verlängert werden. Dies ist so ins Zentrale Vereinsregister (ZVR)
einzutragen.
Als Reaktion auf den Hinweis der Autoren, dass ein solches Vorgehen keine gesetzliche Deckung findet, wurde der Erlass dahingehend ergänzt, dass die Bekanntgabe der Verschiebung der Generalversammlung nur dann zu einer Verlängerung der Funktionsperiode führt, wenn diese noch nicht abgelaufen ist. So entbehrlich diese Klarstellung ist (natürlich kann eine wirksame Erklärung nur von einem noch im Amt befindlichen Organwalter kommen), so wenig findet auch diese präzisierte Form des Erlasses Deckung im Gesetz."
Problematisch sei dieser Umstand den Autoren zufolge vor allem deswegen, "da der Eintragung bloß deklarative Wirkung zukommt, kann sie keine Verlängerung der Funktionsperiode bewirken. Das führt nun zum Ergebnis, dass zahlreiche Organwalter im ZVR eingetragen werden, die zivilrechtlich nicht mit der entsprechenden Vertretungsmacht – weil nicht gewählt! – ausgestattet sind. Wer jedoch keine Vertretungsmacht besitzt, kann auch keine wirksame Vertretungshandlung setzen, also keine Verträge unterschreiben, rechtswirksame Erklärungen aussprechen, zusammengefasst: den Verein nicht wirksam berechtigen und verpflichten. Der Verein ist also handlungsunfähig."
(Quelle: https://www.diepresse.com/5884222/innenministerium-lasst-vereine-kopflos-werden)
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
1. Wie viele Vereine meldeten seit 22. März 2020 eine Verschiebung der Mitgliederversammlung aufgrund des COVID-19-GesG?
2. In wie vielen dieser Fällen lag der bekanntgegebene Termin der Mitgliederversammlung nach dem Ende der im ZVR ausgewiesenen Funktionsperiode der organschaftlichen Vertreter?
3. In wie vielen dieser Fällen wurde eine "automatische" Verlängerung der Funktionsperioden bis Ende 2020 eingetragen?
a. In wie vielen dieser Fällen wurde eine "automatische" Verlängerung der Funktionsperioden bis Ende 2020 eingetragen?
b. In wie vielen dieser Fällen wurde eine "automatische" Verlängerung der Funktionsperioden bis Ende 2021 eingetragen?
c. In wie vielen dieser Fällen wurde eine "automatische" Verlängerung der Funktionsperioden zu einem anderen Termin eingetragen?
4. In wie vielen dieser Fällen gaben Vereine, nach Ablauf der Funktionsperiode der organschaftlichen Vertreter keine neuen organschaftlichen Vertreter gem § 14 Abs 2 VereinsG bekannt?
5. In wie vielen dieser Fälle wurden die Vereine von der Behörde aufgefordert die Meldung nachzuholen?
a. In wie vielen dieser Fälle kamen die Vereine ihrer Meldepflicht in Folge nach?
b. In wie vielen dieser Fälle kamen die Vereine ihrer Meldepflicht in Folge nicht nach?
i.Wie viele Verwaltungsstrafverfahren aufgrund des § 31 Z 4 lit b VereinsG wurden in diesem Zusammenhang geführt mit welchem Ergebnis?
6. Wie lautet der in der Begründung zitierte Erlass genau? (Um Übermittlung des Erlasses wird mit der AB ersucht.)
7. Auf welche Rechtsgrundlage stützt sich der Erlass?
8. Inwiefern wurde dieser Erlass wann genau und mit welcher Begründung abgeändert?
9. Wurde der Erlass im RIS veröffentlicht?
a. Wenn ja, wann?
b. Wenn nein, weshalb nicht?
10. Wie kommt das Ministerium zur Rechtsauffassung, dass das Gesetz eine "automatische" Verlängerung der Funktionsperioden der organschaftlichen Vertreter zuließe? (Um detaillierte Erläuterung wird ersucht.)
a. Wurde diese Auslegung mit dem BMJ abgestimmt?
i.Wenn ja, stimmte des BMJ mit dieser Auslegung überein?
ii.Wenn nein, weshalb nicht?
11. Hat Ihr Ressort diesbezüglich externe Rechtsgutachten eingeholt?
a. Wenn ja, wann und von wem und mit welchem Inhalt?
b. Wenn nein, weshalb nicht?
12. Ist Ihrem Ressort bewusst, dass durch diese Eintragung der "automatischen" Verlängerung der Funktionsperioden der organschaftlichen Vertreter falsche Tatsachen im Vereinsregister eingetragen sind?
a. Welche Maßnahmen hat ihr Ressort jeweils wann getroffen, um dies zu verhindern?
13. Ist Ihrem Ressort bewusst, dass aus dieser wissentlichen Eintragung falscher Tatsachen im Vereinsregister im Schadensfall eine Amtshaftung des Ressorts bzw der Republik erwachsen kann?
14. Sind in diesem Zusammenhang dem Ressort schon Amtshaftungsbegehren bekannt?
a. Wenn ja, wie viele und in welcher Höhe?