436/J XXVII. GP

Eingelangt am 02.01.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Folgeanfrage Todesfall im
Polizeianhaltezentrum Wien Roßauer Lände am 12.06.2019

 

Bezogen auf die Anfragebeantwortung (3762/AB) durch den Bundesminister für Inneres Dr. Wolfgang Peschorn zu der schriftlichen Anfrage (3763/J) der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Todesfall im Polizeianhaltezentrum Wien Roßauer Lände am 12.06.2019, sind noch viele Fragen offen.

In der Nacht von 11. auf 12. Juni 2019 verstarb ein 58-jähriger ungarischer Staatsbürger, der sich in Schubhaft befand, unter tragischen Umständen im Polizeianhaltezentrum Wien Roßauer Lände. 

Nach Angaben der Diakonie, die den Mann noch am 11. Juni besuchte, befand sich der Verstorbene unmittelbar vor seinem Tod in einem offenkundig sehr schlechten gesundheitlichen Zustand. Die Angaben, in der von der Diakonie eingebrachten Sachverhaltsdarstellung legten nahe, dass der Mann unter hygienisch höchst problematischen Umständen angehalten wurde und womöglich sogar haftunfähig war.

Der Aktenvermerk des Rechtsberater der Diakonie hielt folgendes über den Besuch fest:

Habe gestern um ca. 11:00 Uhr diesen Klienten in der "Behindertenzelle" (O-Ton PAZBeamter) besucht. PAZ-Beamter sagt mir, dass der Klient einen Rollstuhl benötigt und es einfacher wäre zu ihm raufzugehen. Gehe daher gemeinsam mit dem Beamten rauf in den dritten (?) Stock, wo der Klient in einer Einzelzelle untergebracht ist.

Mein erster Eindruck, als ich den Klienten und die Zelle sehe: Haftunfähig. Klient hat mehrere Verbände auf den Füßen, dazwischen offene Stellen und ziemlich starke Verfärbungen. Liegt mit dem Rücken zu mir im Bett, gelbe Flecken auf dem Bettlaken deuten darauf hin, dass er ins Bett uriniert hat. Auf dem Tisch befinden sich mehrere Becher mit Tee/Kaffee (?) und ein Teller mit etwas eingetrocknetem Essen, außerdem sein Schubhaftbescheid.

Ich stelle mich dem Klienten vor und frage ihn ob ich mir seinen Schubhaftbescheid ansehen darf. Klient spricht relativ gut Deutsch und antwortet mir ohne sich umzudrehen und gibt mir die Erlaubnis, mir seine Unterlagen durchzusehen. 

(...)

Sehr schwierige Beratungssituation, weil es in der Zelle sehr stark riecht, es sehr schwül und stickig ist und der Klient ganz offensichtlich in einem äußerst schlechten gesundheitlichen Zustand ist. Kognitiv ist er aber mMn sehr klar, er scheint meine Fragen gut zu verstehen und antwortet auch relativ genau auf meine Fragen.

Mache dann auch ein Foto vom Klienten, wie er mit dem Rücken zu mir im Bett liegt. Hintergedanke: vielleicht kann man* das für ein allfälliges Schubhaftbeschwerde- oder Maßnahmebeschwerdeverfahren verwenden.

Frage den Klienten auch wie es ihm geht und ob er Schmerzen hat. Er sagt dass er Schmerzen in den Beinen hat und es ihm allgemein nicht sehr gut geht. Während er mit mir redet, liegt er immer noch mit dem Rücken zu mir.

Frage ihn auch ob schon ein Arzt bei ihm war. Er sagt, dass er bisher jeden Tag vom Arzt besucht wurde. Ich frage kurz einen der beiden vor der Zelle stehenden Beamten ob er das bestätigen könne. Dieser bestätigt mir dass der Amtsarzt schon mehrmals beim Klienten war.

(...)

Bevor ich aus der Zelle gehe, fragt er noch ob man* ihm helfen könne, sich aufzusetzen. Bitte dann die PAZ-Beamten um Hilfe, diese holen das "Betreuungspersonal", zwei Männer (kA ob es sich um Hausarbeiter oder PAZ-Personal handelt) helfen dann dem Klienten sich am Bettrand aufsetzen. Sehe dann das erste Mal das Gesicht des Klienten und bemerke dass er völlig blutunterlaufene Augen hat."

Laut der Beantwortung des Bundesministeriums für Inneres sind im Zeitraum von Anfang 2009 bis Ende 2019 insgesamt vier Personen während der Anhaltung in Schubhaft verstorben. Der konkrete Todesfall ereignete sich im PAZ Wien-Rossauer Lände. Die drei weiteren Todesfälle ereigneten sich alle im PAZ Wien-Hernalser Gürtel. Laut der Anfragebeantwortung wurden in demselben Zeitraum zwei Polizeiärzte im Zusammenhang mit dem Todesfall im Jahr 2012 strafrechtlich verurteilt. In keinem der Disziplinarverfahren in den Jahren 2017, 2018 und 2019 (bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung) war die Konsequenz eine Versetzung in den Innendienst. Sieben der Disziplinarverfahren führten zu einer Entlassung aus dem Exekutivdienst, in einem Fall kam es zu einem freiwilligen Austritt. In 140 Fällen kam es zu anderen dienstrechtlichen Konsequenzen. 

In dem konkreten Fall des verstorbenen ungarischen Staatsbürgers ist ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Wien anhängig. Ob und gegen wie viele der verantwortlichen Personen in diesem konkreten Fall ein Disziplinarverfahren anhängig ist, wurde aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens nicht beantwortet. 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

 

1.    Wie ist der momentane Stand des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in diesem konkreten Fall?

2.    Wurden behördeninterne Untersuchungen des Vorfalls durchgeführt?

a.    Wenn ja, wann und welche genau?

3.    Wurden die Untersuchungen zu dem Vorfall bereits abgeschlossen?

a.    Wenn nein, weshalb nicht?

b.    Wenn ja, wann genau?

4.    Zu welchem Ergebnis kamen die behördeninterne Untersuchungen (um detaillierte Erörterung wird ersucht)?

5.    Gegen wie viele Beamt_innen wird ein Ermittlungsverfahren geführt?

6.    Läuft gegen den/die verantwortlichen Amtsärzt_innen ein Ermittlungsverfahren? 

a.    Wenn ja, wie ist der Stand dieses Ermittlungsverfahrens?

7.    Wurden in Bezug auf die einschreitenden Beamten oder den/die verantwortlichen Amtsärzt_in disziplinäre Schritte unternommen?

a.    Wenn ja, wann, gegen wen und welche (um detaillierte Erörterung wird ersucht)?

b.    Wenn nein, weshalb nicht (um detaillierte Erörterung wird ersucht)?

8.    Gab es bereits dienstrechtliche Konsequenzen für die Beamt_innen die für den Verstorbenen zuständig waren? 

9.    Sind gegen die einschreitenden Beamt_innen oder den/die verantwortlichen Amtsärzt_in in der Vergangenheit schon Beschwerden in Bezug auf den Umgang mit angehaltenen Personen bekannt?

a.    Wenn ja, wie viele, welche, von wann und weswegen?

b.    Wenn ja, wann hatten diese Beschwerden welche Konsequenzen?

10. Wie viele Beamt_innen waren in diesem konkreten Fall für den Verstorbenen exakt verantwortlich bzw. zuständig? 

11. Wurden die verantwortlichen Beamt_innen versetzt?

a.    Wenn ja, in den Innendienst oder in eine andere Dienststelle?

b.    Wenn ja, wie viele Beamt_innen wurden versetzt?

12. Wie viele Amtsärzt_innen waren insgesamt für den verstorbenen ungarischen Staatsbürger verantwortlich?

13. Hatten die einschreitenden Beamt_innen Wahrnehmungen zum Gesundheitszustand von M?

a.    Wenn ja, welche genau? Wo wurden diese vermerkt?

14. In der Beantwortung der Voranfrage wurde angegeben, dass der Abschiebeversuch aufgrund passiven Widerstands von M. abgebrochen werden musste: In welcher Form leistete M. passiven Widerstand, so dass der Abschiebeversuch am 09.06.2019 abgebrochen werden musste?

a.    Wurde amtsärztlich überprüft, ob Widerstand geleistet wurde oder sich M. aus gesundheitlichen bzw. medzinischen Gründen nicht bewegen konnte?

b.    Wie viel Zeit nach dem Abschiebeversuch fand eine amtsärztliche Untersuchung zur Überprüfung des Gesundheitszustandes und der Haftfähigkeit von M. statt?

15. Hatten die einschreitenden Beamt_innen Wahrnehmungen zum Gesundheitszustand von M?

a.    Wenn ja, welche genau? Wo wurden diese vermerkt?

16. Wann wurde M erstmals einer amtsärztlichen Kontrollen unterzogen (Ort, Datum, Uhrzeit)?

a.    Welche Feststellungen/Diagnose trafen der/die Amtsärzt_in im Zuge der Kontrollen zum Gesundheitszustand von M?

b.    War bei den amtsärztlichen Untersuchungen zur Überprüfung des Gesundheitszustandes und zur Feststellung der Haftfähigkeit von M jeweils ein/e Dolmetscher_in für die Sprache Ungarisch anwesend bzw. wurde ein/e Dolmetscher_in für die Sprache Ungarisch von den jeweils untersuchenden Amtsärzt_innen tatsächlich herangezogen?

17. Fanden weitere amtsärztlichen Kontrollen statt (Ort, Datum, Uhrzeit)?

a.    Welche Feststellungen trafen der/die Amtsärzt_in im Zuge der Kontrollen zum Gesundheitszustand von M?

18. Hatten die Exekutivbeamt_innen bzw. die Amtsärzt_innen Kenntnis vom schlechten Gesundheitszustand von M?

a.    Wenn nein, weshalb nicht?

b.    Wenn ja, wie wurde darauf reagiert?

19. Hatten die Exekutivbeamt_innen bzw. die Amtsärzt_innen Kenntnis vom schlechten Hygienezustand (Urinflecken im Bett, offene Wunden) von M?

a.    Wenn nein, weshalb nicht?

b.    Wenn ja, wie wurde darauf reagiert?

c.    Inwiefern war die Reaktion/nicht Reaktion ex ante betrachtet adäquat für den Zustand des M.?

20. Wie, wann, wie lange und durch wen wurde die Haftfähigkeit von M überprüft?

a.    Wie oft und wann fand eine Überprüfung statt?

b.    Wer führte diese Prüfungen durch?

21. Zu welchem Ergebnis kam/kamen die Haftfähigkeitsprüfung(en)?

a.    Mit welcher Begründung wurde die Haftfähigkeit bejaht?

b.    Mit welcher Begründung wurde die Haftfähigkeit nicht verneint?

22. Welche Todesursachen wurden bei den Personen festgestellt, die in den Jahren 2009, 2012 und 2013 im PAZ Wien-Hernalser Gürtel verstorben sind?

a.    Gab es bei diesen Todesfällen Hinweise auf Fremdverschulden bzw. auf unterlassene Hilfeleistungen (um detaillierte Erörterung wird ersucht)?

23. Ist Ihrem Ministerium bekannt, ob es im PAZ Wien-Hernalser Gürtel extra Schulungen gab, um Todesfälle in Zukunft zu vermeiden?

24. Wurde der Vorfall am 12. Juni von der Volksanwaltschaft untersucht?

a.    Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

b.    Wenn nein, weshalb nicht?

 

Sollte eine detaillierte Beantwortung einzelner Fragen aus Datenschutz- oder Geheimhaltungsgründen iSd StPO nicht möglich sein, so wird dennoch um eine Beantwortung mit möglichst hohem Informationsgehalt im Sinne des parlamentarischen Interpellationsrechts ersucht.