4385/J XXVII. GP

Eingelangt am 30.11.2020
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Anfrage

 

des Abgeordneten Schnedlitz

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Terroranschlag in Wien am 2. November 2020

 

Am 2. November 2020 fand in Wien ein Terroranschlag statt, der zu vier Todesopfern und zahlreichen Verletzten geführt hat. Diese verabscheuungswürdige Tat wurde von einem bereits einmal verurteilten und amtsbekannten Sympathisanten und Anhänger des Islamischen Staates geplant und durchgeführt.

Der Täter wurde im April 2019 wegen Mitgliedschaft beim "Islamischen Staat" gemäß § 278b Strafgesetzbuch zu 22 Monaten Haft verurteilt.

Im Dezember 2019 wurde der spätere Attentäter unter Festsetzung einer Probezeit von 3 Jahren, der Anordnung einer Bewährungshilfe sowie Fortführung der Betreuung durch den Verein DERAD zur Absolvierung eines Deradikalisierungsprogramms, bedingt entlassen.

Der spätere Attentäter von Wien war im Besitz einer Doppelstaatsbürgerschaft nämlich sowohl der Republik Österreich als auch Nordmazedoniens.

Gemäß § 33ff Staatsbürgerschaftsgesetz ist die Staatsbürgerschaft unter anderem zu entziehen, wenn ein Staatsbürger freiwillig für eine organisierte bewaffnete Gruppe aktiv an Kampfhandlungen im Ausland im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes teilnimmt. Dies, sofern der Staatsbürger durch die Entziehung nicht staatenlos wird – was im gegebenen Fall durch die vorliegende Doppelstaatsbürgerschaft nicht vorgelegen wäre.

Die Willenskundgebung für den IS in Syrien in den Krieg zu ziehen lag im vorliegenden Fall jedenfalls vor und hatte auch für eine strafrechtliche Verurteilung ausgereicht.

Ein von der MA 35 korrekterweise eingeleitetes Verfahren zur Entziehung der österreichischen Staatsbürgerschaft musste im Frühjahr 2019 mangels Nachweises einer aktiven Kampfteilnahme im Ausland aber eingestellt werden.

Nach der bedingten Entlassung des Attentäters im Dezember 2019 dürften diesbezüglich keine weiteren Schritte gesetzt worden sein.

Insbesondere dürfte die MA 35 vom Innenministerium nicht über die nach der bedingten Entlassung stattgefundenen Tätigkeiten des späteren Attentäters, seinen Verbindungen zu ausländischen Terrorverdächtigen bzw. sein Treffen mit deutschen Islamisten im Sommer 2020 informiert worden sein.

Eine Information über den versuchten Munitionskauf in der Slowakei fand anscheinend ebenfalls nicht statt.

Hätte das Innenministerium bzw. das BVT die Informationen über den versuchten Munitionskauf in der Slowakei, den Verdacht des Besitzes einer dementsprechenden Waffe sowie die sonstigen Informationen bezüglich des bestehenden „Terrornetzwerkes“ des späteren Attentäters an die MA 35 übermittelt, hätte diese das Verfahren wohl umgehend wiederaufnehmen können um die Möglichkeit des Staatsbürgerschaftsentzugs zu prüfen.

Innenminister Karl Nehammer hat an der Stadt Wien vor diesem Hintergrund - wohl tatsächlich unberechtigt - Kritik geübt (www.derstandard.at/story/2000121437047/entzug-der-staatsbuergerschaft-fuer-attentaeter-wien-sieht-bund-gefordert):

Am Dienstag (3.11.2020) hatte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in einer Pressekonferenz indirekte Kritik an der Stadt Wien geäußert, wonach das Aberkennungsverfahren zur österreichischen Staatsbürgerschaft des mutmaßlichen Terroristen K. F. durch die Stadt Wien im Sand verlaufen sei. Laut Nehammer hat es nach Ansicht der zuständigen Wiener Behörde "zu wenig Hinweise auf aktives Tun" in Richtung einer terroristischen Betätigung gegeben.

Der Innenminister übersieht hier aber, dass er die Fortführung des Aberkennungsverfahrens selbst in der Hand gehabt hätte.

Gemäß § 35 Staatsbürgerschaftsgesetz kommt bei einem Entzugsverfahren nämlich dem Innenministerium bzw. dem Innenminister ad personam bei Vorliegen von Entzugsvoraussetzungen eine besondere Stellung zu. So heißt es im § 35 etwa wörtlich:

Die Entziehung der Staatsbürgerschaft (§§ 32 bis 34) oder die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat von Amts wegen oder auf Antrag des Bundesministers für Inneres zu erfolgen. Der Bundesminister für Inneres hat in dem auf seinen Antrag einzuleitenden Verfahren Parteistellung.

Nachdem also die MA 35 der Stadt Wien keine rechtliche Handhabe bezüglich der Staatsbürgerschaftsaberkennung erkennen konnte, weil vom Bundes- bzw. Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung nicht genügend Fakten bzw. weiterführende Fakten geliefert wurden, hätte der Innenminister einen entsprechenden Wiederaufnahmeantrag stellen können.

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Inneres folgende

 

Anfrage

 

  1. Wurde der MA 35 vom BVT oder vom LVT mitgeteilt, dass der spätere Attentäter in der Slowakei illegal Munition kaufen wollte?
  2. Wenn ja, liegen Ihnen Erkenntnisse vor, dass die MA 35 das Verfahren danach wieder aufgenommen hat?
  3. Wenn ja, welchen Stand hatte das Verfahren zum Zeitpunkt des Terroranschlags am 2. November?
  4. Wenn nein, warum wurde die MA 35 nicht von den Bundesbehörden informiert?
  5. Haben Sie bzw. Ihr Kabinett jemals einen schriftlichen bzw. mündlichen Bericht über den Stand des Verfahrens erhalten?
  6. Haben Sie als Innenminister jemals ihre Parteienstellung geltend gemacht, um das Verfahren zur Staatsbürgerschaftsaberkennung wieder aufnehmen zu lassen?
  7. Wenn ja, wann haben Sie diese Initiative gesetzt?
  8. Wenn nein, warum ist dies nicht geschehen?
  9. Wann gedenken Sie als zuständiger Bundesminister für das Versagen Ihres Ressorts im Vorfeld des Terroranschlags, der vier unschuldige Menschen das Leben kostete, Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten?