4439/J XXVII. GP
Eingelangt am 10.12.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Nurten Yilmaz, Genossinnen und Genossen an den Bundeskanzler
betreffend Rassistische Unterstellung in einer Pressekonferenz
In der Pressekonferenz am 2. Dezember 2020 zur weiteren Vorgangsweise bei der Bekämpfung von COVID-19 wurden von Ihnen, Herr Bundeskanzler, folgende verstörende Sätze gesagt: „Sehr geehrte Damen und Herren, wir hatten im Sommer sehr, sehr niedrige Ansteckungszahlen nach dem Lockdown und haben dann durch Reiserückkehrer und insbesondere auch durch Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt. Daher ist es notwendig, dass wir diesmal auf ein sehr konsequentes Grenzregime setzen, das verhindern soll, dass wir in Österreich zwar mit den Zahlen nach unten kommen, uns aber dann durch Auslandsreisen in der Weihnachtszeit das Virus wieder ins Land einschleppen."
Diese spaltende, rassistische und für einen Kanzler durchaus beschämende Argumentationslinie für die Legitimierung von Quarantäneverpflichtungen wurde vom Innenminister Nehammer noch weitergesponnen, indem er bei der gleichen Pressekonferenz erklärte: „Wir werden vor den Weihnachtsfeiertagen mit einem sehr strengen Einreiseregime beginnen. Das bedeute, dass man mindestens zehn Tage in Quarantäne muss und erst sich nach dem fünften Tag Quarantäne, wenn man nach Österreich ein reist, erst freitesten kann. Warum ist es notwendig? Sie haben in den Ausführungen gehört, und der Gesundheitsminister hat in dramatischer Art und Weise ja den Infektionszahlenverlauf geschildert, und wir alle wurden Zeugen, dass die Rückreisebewegung aus den Sommermonaten zu einem stetig wachsenden Infektionsgeschehen geführt hat. Genau das gilt es jetzt zu unterbinden. Mindestens 30 Prozent der Infektionen waren durch Rückkehrer aus dem Ausland und über 72 Prozent der Infektionen waren von Rückkehrern besonders aus den Westbalkanstaaten. Warum ist das so? Österreich ist ein vielfältiges Land und wir haben viele Familien mit Wurzeln in den Westbalkanstaaten, in der Türkei, aber auch in unseren anderen Nachbarstaaten. Und ja, jeder von uns ist auch Familienmensch und weiß, wie wichtig das ist, gemeinsam gute Zeit zu verbringen. Aber es ist eben jetzt notwendig, um das Infektionsgeschehen wieder in den Griff zu bekommen, die Lockerungen weiter fortführen zu können, dass wir hier strenge Maßnahmen setzen, wenn es um den Bereich Auslandsreisen über die Weihnachtsfeiertage, Silvester oder orthodoxe Weihnachten geht."
Diese doch sehr konkrete Zuweisung einer besonderen Gefährdung der in Österreich lebenden Gesamtbevölkerung durch Menschen, die vor allem in den Westbalkanstaaten ihre familiären Wurzeln haben, hat sich nicht nur als statistisch falsch erwiesen, sondern spielt Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus: Sie ignoriert einerseits, dass viele Menschen (unabhängig ob mit oder ohne Migrationshintergrund) auf Urlaub gefahren sind und setzt bewusst - über die diskursive Verknüpfung von „Grenzregime", „Einschleppung", „Herkunftsländer", etc. - MigrantInnen als Ursache für ansteigende Infektionen. Sie hinterlässt den Eindruck, dass Menschen mit familiären Wurzeln in
Frankreich oder Großbritannien, die ebenfalls stark von der Pandemie betroffen waren, keinen Einfluss hätten. Zusätzlich soll diese rassistische Provokation davon ablenken, dass es ihre Regierung war, die keine der vorgeschlagenen Maßnahmen gesetzt hat um sicheres Urlauben und Rückkehren zu garantieren (z.B. Test an den Grenzen). Davon ganz abgesehen stellt sich die Frage, welchen gesellschaftlichen Nutzen die Spaltung der österreichischen Gesellschaft nach Herkünften im Kampf gegen das Virus hat, zumal gerade jetzt in der Krise Zusammenhalt und Solidarität gefragt sind.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
1. Welches statistische Datenmaterial liegt den oben genannten Aussagen, dass Menschen mit familiären Verbindungen in den Westbalkanstaaten den Virus nach Österreich „eingeschleppt" hätten, zugrunde?
a. Wurde die Staatsbürgerschaft, Geburtstort oder Grund der Reise der Rückreisenden statistisch erfasst?
2. War eine entsprechende Studie zur Aufklärung des Spreadings in den Sommermonaten bis September ausgeschrieben? Wenn ja, wer hat dieses durchgeführt und zu welchen zentralen Erkenntnissen ist man dabei gekommen?
3. Bezogen Sie Datenmaterial aus dem Bundesministerium für Inneres, dem Integrationsministerium, dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, der Statistik Austria oder anderen Quellen? Wenn ja, welches?
4. Haben sie die Frage des Zusammenhangs zwischen Spreading und Migrationshintergrund mit dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und mit dem Bundesminister für Inneres im Vorfeld der oben genannten Pressekonferenz besprochen? Wenn ja, wann und mit welchem Inhalt und Ausgang? Wenn nein, warum nicht?
5. Haben sie die Frage des Zusammenhangs zwischen Spreading und Migrationshintergrund mit den Landeshauptleuten besprochen? Wenn ja, wann? Wenn nein, warum nicht? (bitte um Auflistung nach Bundesland)
6. Auf welche Art wurden der ÖIF (Österreichischer Integrationsfonds) und der ExpertInnenrat für Integration bei der Ausarbeitung des Sachverhalts im Vorfeld der Pressekonferenz involviert?
7. Welche Stellungnahmen von Seiten des ÖIF (Österreichischer Integrationsfonds) und des ExpertInnenrats für Integration liegen Ihnen vor und auf welche haben sie für die statistische Untermauerung Ihrer Aussagen vom Zusammenhang zwischen Spreading und Migrationshintergrund zurückgegriffen?
8. Welche WissenschaftlerInnen und ExpertInnen haben sie abseits der oben genannten Einrichtungen in Vorbereitung ihrer Aussagen kontaktiert und eingebunden?
9. Wie eindeutig können Daten personifiziert werden und auf welchen gesetzlichen Grundlagen erfolgt dies?
10. Widerspricht eine derart stark personifizierte Datenverarbeitung nicht dem DSGVO und dem österreichischen Datenschutz?
11. Wurden Grenzkontrollen mit der Abfrage der persönlichen Daten der kontrollierten Personen inklusive des familiären Hintergrundes durchgeführt? Wenn ja, wie wurde mit den so gewonnenen Daten in Folge umgegangen? Welches Team betreute diese Erhebungen und gibt es allgemein einsehbare Ergebnisse dieser Datenabfrage?
12. In welcher Zeitspanne wurden die personifizierten Datenabfragen erstellt und welche Evaluierungsprozesse wurden gesetzt?
13. Waren alle Bundesländer gleichermaßen in die Datengewinnung involviert?
14. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 29. Juni 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
15. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 6.Juli 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
16. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 13 Juli 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
17. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 20.Juli 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
18. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 27.Juli 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
19. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 3.August 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
20. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag lO.August 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
21. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 17.August 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
22. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 24.August 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
23. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 31.August 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
24. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 7.September 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
25. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 14.September 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
26. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 21.September 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
27. Welche Zahlen von Covid-positiv getesteten Personen gab es zum Stichtag 28. September 2020? Wieviel waren davon RückkehrerInnen und aus welchen Ländern kehrten sie zurück? (bitte detaillierte Angaben nach Bundesland, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Altersgruppe)
28. Welche wissenschaftlichen Modelle für das Spreading von Corona werden in ihrem Ministerium bzw. von der Bundesregierung angewendet?
29. Gab es eine direkte Zusammenarbeit mit den Staaten des Westbalkans um die von Ihnen dargestellte Gefahr einzudämmen? Mit anderen Worten: Haben sie den Außenminister mit entsprechenden Gesprächen beauftragt bzw. selbst solche geführt?
30. Europaweit haben die Staaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Maßnahmen gesetzt, um das Coronavirus einzudämmen. Als die Regierung den Entschluss fasste die Grenzen für Urlauberinnen und Urlauber zu öffnen, welche Maßnahmen wurden diskutiert und gesetzt, um zu verhindern, dass diese unterschiedlichen Maßnahmen sich nicht auf die Gesundheit der österreichischen Bevölkerung auswirken?
31. Weshalb hat man sich dagegen entschieden, an den Grenzen verpflichtende Testungen durchzuführen oder Maßnahmen wie die Wiener Teststraßen für ReiserückkehrerInnen zu installieren?
32. Viele Arbeitsplätze, die aktuell unser Land als „systemrelevant" am Laufen halten, werden von Menschen mit Migrationsbiografie erledigt (Pflege, Handel, Logistik, Gesundheitswesen,..), die dabei einer besonderen Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind.
a. Stehen Ihnen Statistiken oder Studien zur Verfügung, die die Ausbreitung des Virus in diesem Bereich beobachtet haben?
a. Wenn ja, wie lauten diese?
b. Wenn ja, welche Maßnahmen planen Sie, um den Schutz der ArbeitnehmerInnen vor Corona zu garantieren bzw. zu verbessern?
c. Wenn nein, wieso nicht?