4472/J XXVII. GP
Eingelangt am 10.12.2020
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Anfrage
der Abgeordneten Mag. Christian Drobits, Robert Laimer und GenossInnen
betreffend „BND-Skandale: Auswirkungen der Entscheidungen des deutschen Bundes Verfassungsgerichts zur Abhörpraxis des BND auf das EU-Mitgliedsland Österreich“
an die Bundesministerin für EU und Verfassung
Seit der Gründung des Bundesnachrichtendienstes (BND) als deutscher Auslandsgeheimdienst, gab es zahlreiche (teils bis heute noch unaufgeklärte) Geheimdienst- und Abhörskandale in Deutschland, in die der BND unmittelbar verwickelt war (z. B. „Operation Echelon“, „Operation Condor“ oder „Operation Maximator“). Es kam schon in den Gründungsjahren zu Grundrechtsverletzungen, wie auf das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre (Datenschutz). Derartige Skandale konnten daher nie ausgeschlossen werden. Auch Anfragen im Bundestag und die Befassung von Kontrollgremien konnten oder wollten diese (Datenschutz-)Skandale nicht aufklären, Transparenz des BND und der jeweiligen Regierung war ein Fremdwort. Auch parlamentarische Untersuchungsausschüsse führten zu keiner wirklichen Aufklärung und zu entsprechenden politischen Konsequenzen. Bis heute verweigert sich der BND einer Aufarbeitung seiner Geschichte und seiner Skandale.
So wurde im Jahr 2013 über Edward Snowden und Medienberichten bekannt, dass die NSA und weitere Geheimdienste die weltweite Kommunikation massiv und anlasslos überwachen (Überwachungsprogramm Prism).Der BND unterstützte dabei jahrelang den US-Geheimdienst NSA dabei, deutsche und europäische Bürger, Politiker und Unternehmen auszuspionieren. Das war in Europa der „BND-Skandal“ Daten von und über Personen, die sich aus so genannten Selektionslisten ergaben, wurden ohne Kontrolle direkt an die NSA weitergeleitet (Stichwort: Nachrichtendienstliche Kooperation). Auch Österreich war davon betroffen.
Bereits damals war vielen Politiker und Verfassungsexperten in Deutschland klar, dass es für diese nachrichtendienstlichen Überwachungstätigkeit im BND-Gesetz keinen verfassungskonformen Rahmen gab und das BND Gesetz novelliert werden muss, was 2016 passierte.
Dieser Skandal löste u. a. auch eine Grundsatzdebatte um das Ausspionieren befreundeter Staaten und um ein zukünftiges „No Spy-Abkommen“ aus. Diese Diskussion führte zu keinem Ergebnis und scheiterte; zum Teil aber auch an den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und am nationalen Souveränitätsvorbehalt in Fragen der nationalen Sicherheit (Art. 4(2) EUV). In Österreich kam es zu Strafanzeigen, wobei auch Ermittlungen der StA eingeleitet wurden, die mangels deutscher Kooperation aber zu keinem Ergebnis führten.
Dass BND und CIA jahrzehntelang gemeinsam über 100 Länder ausspionierten (Operation „Rubikon“ und Operation „Condor“), sorgte Anfang 2020 weltweit für eine massive Empörung und eine weitere diplomatische Eskalation. Über Jahrzehnte wurden vom BND und dem US Auslandsgeheimdienst CIA über die Schweizer Firma Crypto AG weltweit manipulierte Verschlüsselungstechnik verkauft und eingesetzt, um die zahlreichen Käuferstaaten zu überwachen, darunter vermutlich auch Österreich. Dieses Schweizer Unternehmen stand zu Beginn im gemeinsamen Eigentum von CIA und BND, denen auch die jährlichen Unternehmensgewinne zuflossen.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat nun Mitte Mai 2020 auf Grund von mehreren Verfassungsbeschwerden die seit 2016 bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Überwachung der Kommunikation von Ausländern im Ausland („Auslandsaufklärung“) im BND-Gesetz als grundrechtswidrig aufgehoben! Aber: Die strategische Ausland-Ausland Fernmeldeaufklärung (d. h. anlasslose Massenüberwachung) sei grundsätzlich mit den Grundrechten des Grundgesetzes vereinbar, d. h. grundsätzlich zulässig, wenn diese verfassungskonform gestaltet werde, so das Bundesverfassungsgericht. Also die anlasslose Massenüberwachung soll und wird es somit weiterhin geben.
Eine beschämende und traurige Erkenntnis: Mit dem im Jahr 2016 novellierten BND-Gesetz sollten die Praktiken, die im Zuge des NSA-Skandals (Edward Snowden) aufgedeckt wurden, beibehalten und defacto ohne Berücksichtigung des Grundgesetzes nur legalisiert werden. Die berechtigte politische Kritik von Opposition und Medien an dieser Entscheidung der großen Koalition wurde damals zurückgewiesen und abgeschmettert. Daher kam es auch zu den Verfassungsbeschwerden.
Ab 2022 muss es daher auf Basis dieser Entscheidung neue und strengere gesetzliche Regelungen sowie mehr Kontrolle für die Geheimdienste (BND) in Deutschland geben, um überhaupt eine anlasslose Massenüberwachung unter Kontrolle des Grundgesetzes weiter führen zu können. Die Verfassungsbeschwerden gegen das BND Gesetz, die zu dieser Entscheidung des Bundes Verfassungsgerichts führten, richteten sich u. a. gegen die bestehenden Regelungen zur Telekommunikationsüberwachung etwa im E-Mailverkehr von Ausländern im Ausland (z. B. in Österreich, Frankreich).
Dazu kommt jetzt noch, dass der EuGH im Juli 2020„Privacy Shield-Urteil“ die Anwendbarkeit der DSGVO festgestellt und den „Privacy-Shield-Beschluss (216/1250) für ungültig erklärt hat, weil von keinem gleichwertigen Datenschutzniveau zwischen der EU und den USA und einem gleichwertigen Rechtsschutz in den USA ausgegangen werden kann. Auch bei der Verwendung von Standardvertragsklauseln müssen diese ein gleichwertiges Schutzniveau aufzuweisen, sonst haben die Aufsichtsbehörden dieses sicher zu stellen bzw. derartige Übermittlungen zu unterbinden.
Zudem hat das deutsche Bundesverfassungsgericht nach über 5800 Verfassungsklagen auch am 17. Juli 2020 – also fast zur selben Zeit – entschieden, dass Polizei und Verfassungsschutz (d. s. Nachrichtendienste) die Auskunft über Benutzerdaten, d. s. Handy- wie Internetdaten zur Terrorabwehr einschränken müssen (u. a. wegen Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts). Voraussetzung dafür müsse vielmehr eine konkrete Gefahr oder ein Anfangsverdacht sein. Bis 31.12. 2021 muss deswegen eine Neuregelung im deutschen Kommunikationsgesetz erfolgen. Deutsche Datenschützer haben diese Entscheidung vorbehaltslos begrüßt.
Mit der erst genannten Entscheidung (von Mitte Mai 2020) machten die Verfassungsrichter zum ersten Mal klar, dass die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte nicht auf Deutschland beschränkt sei. So erstrecke sich der Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses und der Pressefreiheit auch auf Ausländer im Ausland (Auslandsgeltung der Grundrechte). Ein besonderer Schutz von Journalisten und Rechtsanwälten, deren Kommunikation besonders vertraulich ist, wurde eingefordert. Gefordert wurden in dieser Entscheidung zudem auch Begrenzungen und Vorgaben für die Kooperation des BND mit ausländischen Geheimdiensten, für die auch eine unabhängige gerichtsähnliche Kontrolle - zur Sicherung des individuellen Rechtsschutzes - sichergestellt werden muss (d. h. neuer Gerichtshof).
Der zentrale Leitsatz dieser Entscheidung – als Auftrag an die deutsche Regierung und Bundestag - in etwa lautet: Die Ausgestaltung der Auslandsüberwachung ist in verhältnismäßiger Weise zu begrenzen und ein umfassender Grundrechtsschutz sicherzustellen.
Von diesem deutschen Urteil (Mai 2020) ist auch das EU-Mitgliedsland Österreich und deren Bürger betroffen, zumal auch die angeprangerten Überwachungsvorwürfe gegenüber dem BND von den 90iger Jahren bis zumindest 2006 systematisch die Telekommunikation zentraler Einrichtungen in Österreich überwacht zu haben, öffentlich nie aufgeklärt wurden („Crypto-Affäre“). Auch nicht, als 2018 eine bislang geheim gewesene Aufstellung von fast 2000 Selektoren bekannt wurde. Nach einem damaligen Sicherheitsgipfel von österreichischer Bundesregierung und Bundespräsidenten wurden das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Staatsanwaltschaft aktiv und Ermittlungsschritte eingeleitet. Von Deutschland wurde volle Aufklärung eingefordert!
Ergebnis - keine Reaktion. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den BND und die CIA und deren Mitarbeitern wurden dann 2019 durch die österreichische Staatsanwaltschaft und das BVT ohne öffentliche Begründung einfach eingestellt bzw. abgebrochen.
Auf EU-Ebene zeichnet sich derzeit wiederum ein fatales Zusammenspiel von Polizeibehörden und Geheimdiensten mit Regierungsvertretern der EU-Mitgliedsländern ab. So wurde ohne öffentliche Diskussionen im Sommer im Ministerrat die neue EU-Sicherheitsstrategie („Cybersicherheit by design“) beschlossen, die u. a. auch eine Regulation gegen sichere Verschlüsselung vorsieht („Verschlüsselungsverbot“). Verschlüsselte Inhalte sollten von Anbietern nach bestimmten Inhalten durchsucht und gelöscht/gemeldet werden müssen. Sicherheit wird gegenwärtig - und zwar weltweit - zunehmend mit Überwachung gleichgesetzt und dabei Grundrechte und IT-Sicherheitsvorgaben ausgesetzt. Termin für einen EU-Legislativvorschlag soll die zweite Jahreshälfte 2021 sein. Die Corona Krise wurde jedenfalls brutal genutzt, um dieses Vorhaben im EU-Ministerrat durchzudrücken.
Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher nachstehende
Anfrage:
1. Sind Ihnen diese beiden höchstrichterliche Entscheidung aus Karlsruhe bekannt (Auslandsgeltung der Grundrechte und umfassender Grundrechtsschutz sowie unzulässige Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht)? Wenn ja, welche rechtlichen und politischen Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
2. Wie beurteilen Sie das Fehlen von Abhilfe- und Sanktionsbefugnissen bei der Datenschutzbehörde (DSB) für den Bereich der Geheimdienste?
3. Wer ist in Österreich für den Schutz vor rechtswidriger Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch ausländische Geheimdienste zuständig?
4. Wie beurteilen Sie nun im Lichte dieser Entscheidung aus Karlsruhe von Mai 2020 die vermutlich im August 2019 erfolgte Einstellung bzw. den Abbruch der strafrechtlichen Ermittlungen wegen “Spionage zum Nachteil Österreichs“ und Wirtschaftsspionage durch die Österreichische Staatsanwaltschaft und das BVT?
5. Wie wurde diese Einstellung bzw. der Abbruch durch StA/BVT offiziell begründet?
6. Oder ist es richtig, dass der Abbruch der Ermittlungen unter Hinweis auf das 2016 novellierte BND Gesetz erfolgte, da eine derartige Überwachung nicht mehr legal möglich wäre (Zitat Bundeskanzler Kurz)?
7. Welche grundsätzlichen Auswirkungen hat diese zit. deutsche Entscheidung auf die geheimdienstliche Zusammenarbeit Österreichs mit Deutschland?
8. Wie sah die Überwachungstätigkeit des BND seit Inkrafttreten des novellierten BND-Gesetzes (2016) in Österreich aus? Welche Erkenntnisse liegen dazu vor? Wenn nein, warum nicht?
9. Oder können Sie ausschließen, dass es seit 2016 in Österreich zu Überwachungstätigkeiten durch den BND gekommen ist?
10. Welche Auswirkungen hat diese zit. deutsche Entscheidung von Mai auf die zukünftige Zusammenarbeit des in Neugründung stehenden BVT mit dem BND (und anderen europäischen Geheimdiensten)?
11. Werden in Hinblick auf diese zit. deutsche Entscheidung von Mai die 2019 eingestellten strafrechtlichen Ermittlungen gegenüber dem BND, NSA und deren Mitarbeitern sowie unbekannten Personen wieder aufgenommen? Wenn nein, warum nicht?
12. In welchen Zeiträumen hat der BND u. a. im Rahmen der „Operation Rubikon“ und der „Operation „Maximator“ den Grundsätzen des Grundgesetzes widersprechende und damit illegale Überwachungen in Österreich durchgeführt? Welche Erkenntnisse liegen dazu vor?
13. Wie viele Personen in Österreich waren von dieser illegalen Überwachungstätigkeit des BND betroffen?
14. Welche rechtlichen Möglichkeiten besitzt die Republik Österreich auf Basis dieser zit. Entscheidung gegen den BND und die NSA sowie deren Mitarbeiter rechtlich vorzugehen?
15. Welche rechtlichen Möglichkeiten besitzen von der illegalen Überwachung betroffene Personen in Österreich gegen den BND und dessen Mitarbeiter strafrechtlich und zivilrechtlich vorzugehen?
16. Welche rechtlichen Möglichkeiten besitzen von dieser illegalen Überwachung in Österreich betroffene Personen gegen den BND und NSA sowie deren Mitarbeiter in Deutschland strafrechtlich und zivilrechtlich vorzugehen?
17. Unterliegen Mitarbeiter des BND und der NSA der österreichischen Jurisdiktion? Wenn nein, warum nicht?
18. Wie soll aus Sicht des Ressorts die nachrichtendienstliche Kooperation zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten grundrechtskonform gestaltet werden? Bietet der Artikel 329 AEUV dafür eine Antwort?
19. Existieren innerhalb der Europäischen Union – also zwischen den Mitgliedstaaten – trotz des Lissaboner Vertrages (Art. 4 (2) – bilaterale „No Spy-Regelungen“? Wenn ja, zwischen welchen Ländern?
20. Wenn nein, wie kann der offensichtliche Widerspruch der technischen Fernmeldeaufklärung (z. B. anlasslose Massenüberwachung) durch Mitgliedstaaten zur Europäischen Grundrechte Charta (z. B. Schutz der Privatsphäre) gelöst werden?
21. Welche Haltung nimmt Österreich zur – im Rahmen der neuen Europäischen Sicherheitsstrategie – geplanten EU-Regulation gegen eine sichere Verschlüsselung ein?
22. Warum hat Österreich im EU-Ministerrat diesem Vorschlag zugestimmt?
23. Wie ist diese Zustimmung mit dem Türkis-Grünen Regierungsprogramm im Einklang zu bringen? Wo befindet sich eine derartige Festlegung?
24. Ist es richtig, dass damit „Ende-zu-Ende“ (E2E) verschlüsselte Services wie WhatsApp, Signal und Wire nicht mehr angeboten werden können?
25. Wären davon alle E2E Protokolle von Publikumsanbietern betroffen oder soll es Ausnahmen geben??
26. Welche konkrete Position hat Österreich im dazu stattgefundenen EU-Ministerrat eingenommen? Fand dieser Ministerrat in Form einer Videokonferenz statt? Wenn nein, wo fand dieser statt?
27. Welche Haltung nimmt Österreich zur Sicherheit der BenutzerInnen durch E2E Verschlüsselung ihres Datenverkehrs ein?
28. Wie beurteilen Sie - im Zuge der Debatte um die Sicherheitsstruktur der 5G Netze - die Bestrebungen von europäischen Strafverfolgern (Mitgliedstaaten), die Telekomindustrie zu verpflichten, möglichst viele Metadaten zu erfassen, um die anlasslose Massenüberwachung in Europa zu verstärken?
29. Welche Haltung nehmen Sie bzw. Österreich zu dem u. a. von Gilles de Kerchove (EU Anti-Terror Koordinator) geforderten Gesetz gegen die Verschlüsselung und der Verpflichtung von Telekommunikationsunternehmen „Hintertüren“ einzubauen?
30. Hat Österreich – wie andere Europäische Staaten -ein „No Spy Abkommen“ mit den USA oder anderen Ländern abgeschlossen? Wenn nein, warum nicht?
31. Treten Sie für ein einen Europäischer Geheimdienst ein, der unter der demokratischer (politischer) Kontrolle des Europäischen Parlaments und der grundrechtlichen sowie rechtsstaatlichen Kontrolle eines Gerichtshofes steht?
32. Welche diesbezüglichen Initiativen sind von der Kommission und der deutschen Ratspräsidentschaft zu erwarten?