4476/J XXVII. GP
Eingelangt am 10.12.2020
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ANFRAGE
des Abgeordneten Peter Wurm, Walter Rauch, Peter Schmiedlechner, Christian Ries
und weiterer Abgeordneter
an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
betreffend schwarz-grüner Antrag zur Lebensmittelverschwendung
Am 24.11.2020 fand ein Ausschuss für Konsumentenschutz statt, der unter anderem auch Anträge im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung behandelte:
Regierung soll Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung ausarbeiten
Ein Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen für ein aktives Vorgehen gegen Lebensmittelverschwendung wurde einstimmig angenommen. Der Antrag war im Zuge der Debatte über einen FPÖ-Antrag eingebracht worden. Die Freiheitlichen hatten darin einen umfassenden Aktionsplan zur Verhinderung von Lebensmittelverschwendung gefordert. Es brauche eine nationale Strategie gegen Lebensmittelverschwendung unter Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette, eine klare und ressortübergreifende Aufteilung der Verantwortungsbereiche sowie ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen, hieß es darin.
Mit dem Antrag von ÖVP und Grünen, der schließlich einstimmig angenommen wurde, wird die Bundesregierung aufgefordert, zeitnah einen Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung gemeinsam mit Handelsunternehmen, ProduzentInnen und karitativen Organisationen zu entwickeln. Dieser solle das Entsorgen genusstauglicher Lebensmittel im Lebensmitteleinzelhandel verbieten, eine nationale Koordinierungsstelle schaffen, bestehende Gesetze evaluieren und eine bessere Datenbasis bieten. Zudem wird eine Kampagne zur Bewusstseinsbildung für KonsumentInnen gefordert, um die Verschwendung in den Haushalten zu verringern.
Für Ulrike Fischer (Grüne) ist Lebensmittelverschwendung "eines der wichtigsten Themen, die wir lösen müssen". Lebensmittel seien wertvoll und gehören nicht in den Müll, so Fischer. Peter Wurm (FPÖ) betonte ebenfalls die Bedeutung des Themas. Er sprach sich für pragmatische Lösungen aus, die keine Behinderungen für die Wirtschaft darstellen sollten. Fiona Fiedler (NEOS) hob die Wichtigkeit von Bewusstseinsbildung hervor. Diese solle auch in den Kindergärten und Schulen als Teil der Grundbildung vermittelt werden, sagte sie.
Markus Vogl (SPÖ) stieß sich daran, wie der Antrag der Regierungsfraktionen eingebracht wurde. Man hätte auch den Weg einer Regierungsvorlage wählen können, meinte er. Er kritisierte zudem, dass nur eine konkrete Forderung enthalten sei, nämlich jene, die sich auf das Verbot des Entsorgens von genusstauglichen Lebensmitteln im Einzelhandel beziehe. Man wisse, dass der Einzelhandel nur ein Baustein von vielen sei. Generell solle nicht nur evaluiert, sondern umgesetzt werden. Peter Weidinger (ÖVP) verteidigte das Vorgehen. Man wolle mit einer Parlamentsmehrheit ausdrücken, wie wichtig das Thema sei, sagte er.
Der Antrag 1031/A(E) des Abgeordneten Peter Wurm zum Thema „Lebensmittelverschwendung verhindern“ wurde am 18. November 2020 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
„Eine Studie des Ökologie-Instituts im Auftrag von WWF Österreich & MUTTER ERDE stellen in einem Lagebericht zu Lebensmittelabfällen und –verlusten in Österreich bereits vor mehr als vier Jahren folgende Fakten dar:
Lebensmittelabfälle und –verluste entstehen im Handel, in privaten Haushalten und in der Außer-Haus-Verpflegung, aber auch in der Landwirtschaft, Verarbeitung und Produktion werden Lebensmittel weggeworfen bzw. gehen verloren. Lebensmittelabfälle werden von verschiedenen, entlang der Wertschöpfungskette prozessual einander nachgelagerte Prozesse beeinflusst, wobei eine exakte Abgrenzung der Wertschöpfungsketten nicht immer möglich und Überschneidungen zwischen den einzelnen Bereichen zu berücksichtigen sind. Nach heutigem Wissensstand sind für Österreich derzeit folgenden Zahlen zu Lebensmittelabfällen und-verlusten entlang der Wertschöpfungskette verfügbar:
Summe der Lebensmittelabfälle und Lebensmittelverluste allein aus Handel, Außer-Haus-Verpflegung und Haushalten (= ohne Daten aus der Lebensmittelproduktion, Landwirtschaft und dem Großhandel; ohne Daten im Haushalt zur Gartenkompostierung, Verfütterung oder Entsorgung über den Kanal): 756.700 Tonnen/Jahr an vermeidbaren und nicht vermeidbaren Lebensmittelabfällen, - davon 491.000 Tonnen/Jahr als vermeidbare Lebensmittelabfälle.
Die Studie leitet folgende Handlungsempfehlungen daraus ab:
Der Österreichische Aktionsplan „Lebensmittel sind kostbar“ sollte aktualisiert werden und eine nationale Strategie gegen Lebensmittelverschwendung unter Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette sollte unter Einbindung der relevanten Akteure erarbeitet werden. Um das umzusetzen benötigt es dringend einer klaren und ressortübergreifenden Aufteilung der Verantwortungsbereiche sowie ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen um diese Strategie voranzutreiben.
Folgende Handlungsempfehlungen leiten sich daraus ab:
• Erstellung einer nationalen Strategie und eines österreichweiten Umsetzungsplan mit dem Ziel einer Halbierung der Lebensmittelabfälle bis 2030.
• Dafür sind in erster Linie klare politische Zuständigkeiten zu definieren sowie eine verantwortliche nationale Koordinierungsstelle zu bestimmen.
• Es müssen verbindliche Maßnahmenpakete und Reduktionsziele für alle betroffenen Akteure der Wertschöpfungskette definiert und beschlossen werden.
• Bestehende Gesetze und Fördersysteme sind nach dem Prinzip „Vermeiden vor Reduktion vor Weitergabe und vor Verwertung“ zu prüfen.
• Für eine mittel- und langfristige Strategie und deren Umsetzung ist eine flächendeckende regelmäßige Datenerhebung sowie ein jährlicher Bericht zur Einhaltung der Reduktionsziele notwendig.
• Folgende dringende erste Maßnahmen werden vorgeschlagen:
• Unterstützung der Initiative der EU-Agrarminister bei der Erarbeitung einer erweiterten Liste der Lebensmittel, die kein Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) benötigen. Bisher finden sich darauf neben frischem Obst, Gemüse und Backwaren, die ohnehin nur frisch verzehrt werden, auch Salz, Zucker und höherprozentige alkoholische Getränke. Als weitere Kandidaten sind langlebige Produkte wie Nudeln, Mehl, Reis oder Kaffee im Gespräch. Darüber hinaus braucht es eine Bewusstseinsbildungsoffensive in der Bevölkerung zum besseren Verständnis des MHD und Verbrauchsdatums.
• Handel und Produzenten müssen den Ist-Zustand ihrer Lebensmittelabfalldaten und ihr eigenes Potential zur Weitergabe von genießbaren Lebensmittel an soziale Einrichtungen erheben und veröffentlichen (Produzentenverantwortung).
• Datenerhebung in der Landwirtschaft inkl. Nutztierhaltung: Daten und Zusammenhänge müssen erhoben werden, um Maßnahmen abzuleiten, die in der ganzen Kette Wirkung zeigen und den vermeidbaren Anteil an Lebensmittelabfällen und -verluste tatsächlich senken. Aufgrund der hohen ökologischen Bedeutung ist jedenfalls die Nutztierhaltung mit einzubeziehen oder gesondert zu betrachten.
• Genaue Analyse welche Marktschranken es sind, die Obst und Gemüse aufgrund ästhetischer Standards vom Markt fernhalten (Qualitätskriterien Handel, gesetzliche Vorgaben) und rasches Setzen von geeigneten Maßnahmen. Betroffen davon sind vor allem Gemüse und Obstkulturen, aber auch Kartoffeln.
• Aktualisierung des Österreichischen Aktionsplans inkl. der Erstellung einer nationalen Strategie gegen Lebensmittelverschwendung unter Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette. Eine Strategie, die von verschiedenen Ressorts der Bundesregierung in ihren jeweiligen Fachbereichen vorangetrieben wird.
Siehe dazu:
Lagebericht zu Lebensmittelabfällen und -verlusten in Österreich, Autoren: DI Christian Pladerer Mag. Gabi Bernhofer DI Maria Kalleitner-Huber DI Philipp Hietler
Herausgeber: WWF Österreich MUTTER ERDE Wien, März 2016
http://www.wwf.at/de/view/files/download/showDownload/?tool=12&feld=download&sprach_connect=3069“
Der Ausschuss für Konsumentenschutz hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 24. November 2020 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Peter Wurm die Abgeordneten Fiona Fiedler, BEd, Mag. Ulrike Fischer, Ing. Markus Vogl, Mag. Peter Weidinger, Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Clemens Stammler und Andreas Kollross.
Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Ulrike Fischer, Mag. Peter Weidinger, Kolleginnen und Kollegen einen selbständigen Entschließungsantrag gem. § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend Aktives Vorgehen gegen Lebensmittelverschwendung eingebracht, der einstimmig beschlossen wurde.
Dieser selbständige Entschließungsantrag war wie folgt begründet:
„Lebensmittel sind wertvoll: In Haushalten, im Handel, in Großküchen und im Rahmen der Produktion landen hunderttausende Tonnen an für den Verzehr geeigneten Lebensmitteln im Müll. Weltweit geht rund ein Drittel der produzierten Lebensmittel verloren.
Der zunehmende Anfall an Lebensmittelabfällen belastet unsere Umwelt und befeuert die Klimakrise. Abfälle zu vermeiden ist daher auch ein entscheidender Schritt zum Klimaschutz. Denn die globale Lebensmittelverschwendung gehört zu dem drittgrößten Produzenten von Treibhausgasemissionen weltweit.
Unser Konsumverhalten hat einen wesentlichen Anteil daran, dass so viele gute und aufwendig hergestellte Lebensmittel weggeworfen werden. Wir alle können durch bewussteren Umgang mit unseren Lebensmitteln für soziale Gerechtigkeit sorgen und gleichzeitig gegen die Klimakrise ankämpfen.
Bereits kleine Maßnahmen im eigenen Haushalt können Wirkung zeigen – etwa durch ein bewusstes Einkaufsverhalten (nur so viel kaufen, wie tatsächlich verbraucht werden kann), die richtige Lagerung der Lebensmittel im Kühlschrank, um eine möglichst lange Haltbarkeit zu garantieren oder der Check von Geruch und Aussehen von Lebensmitteln mit abgelaufener Mindesthaltbarkeit, bevor man diese entsorgt, sind nur einige Beispiele.
Erfreulicherweise gibt es auch zahlreiche Freiwilligeninitiativen und Programme, die sich erfolgreich für die Reduktion von Lebensmittelabfällen und die Verwertung genusstauglicher Lebensmittel im Abfall einsetzen. Die Initiative „Lebensmittel sind kostbar“[1] des BMK etwa unterstützt die Lebensmittelweitergabe vom Handel an die Tafeln und sozialen Einrichtungen. Der „VIKTUALIA Award“ zeichnet Erfolgsprojekte zu verantwortungsbewusstem Umgang mit Lebensmitteln aus.[2]
Zudem wurde seitens des österreichischen Lebensmittelhandels zahlreiche Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung gesetzt und 2017 eine freiwillige Vereinbarung zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen mit dem BMNT getroffen. Durch diese wurden bereits 12.250 Tonnen/Jahr an noch genussfähigen Lebensmitteln an soziale Einrichtungen weitergeben. Darüber hinaus wurden 10.000 Tonnen an nicht verkäuflichen Lebensmitteln als Tierfutter oder zur Futtermittelherstellung verwertet.
Die österreichische Bundesregierung hat sich im Regierungsprogramm 2020-2024 zum Ziel gesetzt, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren und sich dazu bekannt einen Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung einzuführen.“
Der den Verhandlungen zu Grunde liegende Entschließungsantrag 1031/A(E) der Abgeordneten Peter Wurm, Kolleginnen und Kollegen fand nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit (für den Antrag: S, F, N, dagegen: V, G).
Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Mag. Ulrike Fischer gewählt.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Konsumentenschutz somit den Antrag, der Nationalrat wolle
1. diesen Bericht hinsichtlich des Entschließungsantrags 1031/A(E) zur Kenntnis nehmen und
2. die angeschlossene Entschließung annehmen.
In Reaktion auf diese höchst fragliche parlamentarische Vorgehensweise seitens der Regierungsfraktionen, meldete sich der freiheitliche Konsumentenschutzsprecher und Vorsitzende des parlamentarischen Ausschusses, Peter Wurm, mittels entsprechender Presseaussendung am 26. November 2020 zu Wort:
FPÖ – Wurm zu Lebensmittelverschwendung: Schwarz-grüner Antrag mit Wirtschaftsbund „abgestimmt“
Konsumentenschutzausschuss am Weisungsgängelband der ÖVP
Wien (OTS) - „Aus welcher Feder der Entschließungsantrag von Schwarz-Grün zum Thema Lebensmittelverschwendung stammt, wurde jetzt durch einen ‚verräterischen Schriftverkehr‘ der Wirtschaftskammer offenbar. Die Landesgremien und das Bundesgremium des Lebensmittelhandels in der WKO, in dem der ÖVP-Wirtschaftsbund die Mehrheit stellt, teilten am 25. November 2020 ihren Kammermitgliedern und Funktionären mit, dass ‚dieser Entschluss als Antwort auf den von der Opposition eingebrachten und nicht angenommenen Antrag eingebracht und im Vorfeld mit der WKO abgestimmt wurde'. Im Prinzip wird nur das Regierungsprogramm wiederholt und um eine Bewusstseinsbildungskampagne erweitert. Damit haben wir es Schwarz auf Grün: Der Ständestaat feiert unter der Regierung Kurz und Kogler fröhliche Urstände und in der vom Wirtschaftsbund dominierten Wirtschaftskammer werden Konsumentenschutz- und Umweltschutzanträge geschrieben und ‚abgestimmt‘“, sagte heute FPÖ-Konsumentenschutzsprecher NAbg. Peter Wurm.
„Da wundert es einen nicht, dass Konsumentenschutzminister Anschober Null-Aktivitäten in Sachen Konsumentenschutzpolitik zeigt. Ganz im Gegenteil: 90 Prozent aller österreichischen Unternehmen sind Kleinst- und Kleinunternehmer und genau diese Gruppe wird wieder einmal im Stich gelassen. Die ÖVP-Konzernlobbyisten helfen nur den Großkonzernen, besonders jetzt in Zeiten von Corona“, so Wurm.
„Doch Anschober macht sich seit seinem Amtsantritt zum Helfershelfer von genau diesen ÖVP-Konzernlobbyisten, zuletzt etwa bei der Beschneidung der höchst effizienten Bundeswettbewerbsbehörde in Sachen Verbraucherschutz und der Delegation von wichtigen Kompetenzen in das am Weisungsgängelband der ÖVP-Wirtschaftsbündlerin und Wirtschaftsministerin Schramböck hängende Bundesamt für Eich- und Vermessungsamt. Das ist das Gegenteil von Konsumentenschutz, Herr Minister Anschober. Und den beiden Konsumentenschutzsprechern Ulli Fischer (Die Grünen) und Peter Weidinger (ÖVP) sei ins Stammpunkt geschrieben, dass es mehr als scheinheilig ist, wenn sich die Regierungsfraktionen ihre Konsumentenschutz-Anträge durch die Wirtschaftskammer und den Wirtschaftsbund schreiben lassen“, betonte Wurm.
In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz folgende
ANFRAGE
1. Welchen Einfluss hat der ÖVP-Wirtschaftsbund auf die Textierung des Abänderungsantrags von ÖVP und Grünen zur Lebensmittelverschwendung (501 d.B.) in der Wahrnehmung des Konsumentenschutzministeriums genommen?
2. Welche Termine, Besprechungen und Abstimmungen via Telefon, SMS und E-Mail wurden im Vorfeld der Textierung des Abänderungsantrags von ÖVP und Grünen zur Lebensmittelverschwendung (501 d.B.) mit Mitarbeitern des Konsumentenschutzministeriums wahrgenommen?
3. Welche Sektionen, Gruppen und Abteilungen und welche Fachbeamten bzw. Vertragsbediensteten waren mit dem Abänderungsantrag von ÖVP und Grünen zur Lebensmittelverschwendung (501 d.B.) im Konsumentenschutzministerium befasst?
4. Welche Aktenzahlen, Dokumenten und Verfahren gab bzw. gibt es im Zusammenhang mit dem Abänderungsantrag von ÖVP und Grünen zur Lebensmittelverschwendung (501 d.B.) im Konsumentenschutzministerium?
5. Bis wann soll jetzt die Entschließung des Abänderungsantrags von ÖVP und Grünen zur Lebensmittelverschwendung (501 d.B.) vom Konsumentenschutzministerium umgesetzt werden?