4481/J XXVII. GP
Eingelangt am 10.12.2020
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ANFRAGE
des Abgeordneten Peter Wurm, Walter Rauch, Peter Schmiedlechner, Christian Ries
und weiterer Abgeordneter
an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
betreffend Schuldnerberatung: Im Herbst droht Pleitewelle-Folgeanfrage zu 3064/AB
In der Anfragebeantwortung vom 9.10.2020 haben sie zur Anfrage 3205/J in der Anfragebeantwortung 3064/AB folgende Antworten gegeben:
Fragen 1 bis 3:
· Welche Maßnahmen werden seit Mai diesen Jahren bzw. derzeit seitens Ihres Ressorts gesetzt, um den drohenden Anstieg an Privatinsolvenzen in Österreich entgegenzuwirken bzw. diesen abzuwenden?
· Welche Konsequenzen ziehen Sie als Konsumentenschutzminister im Zusammenhang mit der steigenden Anzahl an Privatinsolvenzen im „eher unüblichen Klientel", wie oben beschrieben?
· Inwiefern sehen Sie sich als Konsumentenschutzminister hier in der Eigenverantwortung viele dieser bevorstehenden Privatinsolvenzen, aufgrund den von Ihnen gesetzten Corona-Maßnahmen, mit zu verantworten?
Antworten 1 bis 3:
Die Maßnahmen, die der Staat zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ergreift, schützen die Gesundheit aller ÖsterreicherInnen. Die damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile erleiden aber in erster Linie nur die, die ihre Arbeit verlieren, in Kurzarbeit sind oder als Unternehmer Umsatzeinbußen erleiden. Es muss daher selbstverständlich soweit als möglich verhindert werden, dass derart Betroffene wegen ihrer Einkommensverluste auch noch in eine Überschuldung abgleiten. Zu diesem Zweck hat der Nationalrat am 3. April 2020 das 2. COVID-19-JuBG beschlossen. Dessen § 2 ordnet bei bestehenden Kreditverbindlichkeiten eine Stundung aller Zahlungen, die im Zeitraum 1. April bis 31. Oktober 2020 fällig werden, um jeweils sieben Monate an.
Gleichzeitig wird dem Kreditgeber untersagt, das Vertragsverhältnis bis zum Ablauf der Stundung zu kündigen oder den Kredit fällig zu stellen. Voraussetzung für die Anwendung der Schutzbestimmungen ist, dass dem Kreditnehmer die laufenden Zahlungen wegen pandemiebedingter Einkommensverluste nicht zumutbar sind. Die Regelungen gelten für alle Kreditverbindlichkeiten (einschließlich Kontoüberziehungen) von Verbrauchern und Kleinstunternehmen (das sind Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und mit einem Jahresumsatz von nicht mehr als zwei Mio. Euro).
Durch die gesetzliche Stundung und das Kündigungsverbot soll dem Kreditnehmer Zeit verschafft werden, um staatliche Hilfe beantragen und deren Auszahlung abwarten zu können. Der Kreditnehmer muss daher, was auch die Absicht der Bundesregierung ist, seine pandemiebedingten Einkommensverluste vom Staat weitgehend ersetzt erhalten, damit die gesetzliche Stundung ihr Ziel erreichen kann. Sollten die bisher ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Betroffenen ausreichend vor einer Insolvenz zu schützen, müssten weitere Unterstützungen angedacht werden.
Im Zusammenhang mit Ihren Antworten, darf ich Sie auf die Tatsache hinweisen, dass es mittlerweile einen enormen Ansturm auf die Sozialmärkte, etwa in der Bundeshauptstadt Wien, gibt:
Pandemie drängt Menschen in Sozialmärkte
Immer mehr Menschen sind in der Coronavirus-Pandemie auf günstige Lebensmittel angewiesen. Die Betreiber reagieren darauf. Anfang November hat das Hilfswerk eine neue Filiale eröffnet, heute startet der sechste Sozialmarkt des Vereins Start-Up.
In der Brünner Straße öffnet der zweite „Foodpoint“ in Floridsdorf, stark frequentiert sind auch Filialen im 15. und 17. Bezirk. Während der Coronavirus-Pandemie sei der Zulauf enorm, sagte Marius Aigner vom Verein Start-Up: „Wir haben pro Filiale pro Monat 500 Neuzugänge, das ist enorm viel. Im Oktober 2020 waren es 2.500 neue Mitglieder.“
Insgesamt stehe man derzeit bei rund 32.000 Mitgliedern. Die Klienten seien bunt gemischt, aber Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit würden sich bemerkbar machen. Seit Beginn der Krise gehe es durch alle Schichten und Berufe, die Menschen hätten weniger Einkommen, viele müssten jeden Cent zweimal umdrehen.
„Gehen von Verschärfung aus“
Bei den Kriterien für Klienten gibt es laut Aigner keine fixe Obergrenze, was das Einkommen betrifft: „Wir gehen individuell auf jeden Einzelnen ein.“ So könne es etwa sein, dass jemand zwar 1.500 Euro verdiene, aber Kredite zurückzahlen und vier Kinder versorgen müsse. Auch solche Menschen könnten Lebensmittel in den „Foodpoints“ kaufen.
Auf jeden Fall gebraucht würden ein Lichtbildausweis und ein Einkommensnachweis. Wer vom AMS komme oder Student sei, bei dem sei klar, dass das Einkommen gering sei, so Aigner weiter. Bei Menschen mit Mobilpass habe die Stadt bereits das Einkommen überprüft. Dass sich die Lage entspannt, daran glaubt Aigner momentan nicht: „Ich denke, die Lage wird sich auf jeden Fall noch verschärfen, im Moment gehen wir von einer Verschärfung aus.“
20 Prozent mehr beim Hilfswerk
Ähnlich ist das Bild beim Hilfswerk, einem weiteren Betreiber von Sozialmärkten in Wien. Auch hier registriere man einen Anstieg bei den Klienten, in Zahlen seien es rund 20 Prozent mehr als im Vorjahr, so Peter Kohls vom Hilfswerk. Im ersten Lockdown seien die Kundenzahlen zuerst eingebrochen, nach zwei Wochen rasant gestiegen, um sich danach auf hohem Niveau einzupendeln. Dieses Niveau halte sich jetzt.
Unter den Klienten seien auch Selbstständige und ehemals Selbstständige, die derzeit keine Arbeit hätten. Auch Menschen aus anderen Branchen wie dem Tourismus würden das Angebot nützen. Insgesamt seien die von CoV stark betroffenen Branchen bunt gemischt, derzeit seien es eben sehr viele Menschen, die aufgrund der Coronavirus-Krise in eine schwierige Lage gerutscht sind.
Lage unter Beobachtung
Die Zusammenarbeit mit Supermärkten gehe seit jeher gut, so Kohls weiter. Sie spenden Lebensmittel, die sie nicht mehr verkaufen können. Die Pandemie wirke sich aber nicht auf die Einkäufe aus, insofern, als eben Güter des täglichen Bedarfs gekauft würden. Der alte Markt in Ottakring platzte aus allen Nähten, daher musste ein größeres Geschäftslokal gefunden werden. Jetzt habe man im 14. Bezirk ein Geschäft mit doppelt so großer Verkaufsfläche und dreimal so großem Lager gefunden.
Ob sich die Situation verschlimmern oder entspannen wird, könne er jetzt nicht sagen, so Kohls. Klar sei: Verschärfe sich die Lage weiter, werde die Zahl der Klienten weiter steigen. Aktuell sei kein weiterer Markt geplant. „Wenn wir merken, dass armutsgefährdete Leute mehr einkaufen wollen – wir sind offen, mal schauen“, so Kohls.
Die Ediktsdatei des Justizministeriums hatte etwa am 23.11.2020 allein an Fahrnisexekutionen (Bewegliche Sachen von Schuldnern) für die einzelnen Bundesländer nachfolgende Aufstellung aufzuweisen:
· Burgenland: 50 Exekutionstitel im Zeitraum bis zum 22.12.2020
· Kärnten: 36 Exekutionstitel im Zeitraum bis zum 18.12.2020
· Niederösterreich: 220 Exekutionstitel im Zeitraum bis zum 8.1.2021
· Oberösterreich: 79 Exekutionstitel im Zeitraum bis zum 15.1.2021
· Salzburg: 62 Exekutionstitel im Zeitraum bis zum 18.12.2020
· Steiermark: 94 Exekutionstitel im Zeitraum bis zum 14.01.2021
· Tirol: 11 Exekutionstitel im Zeitraum bis zum 11.12.2020
· Vorarlberg: 39 Exekutionstitel im Zeitraum bis zum 21.01.2021
· Wien: 945 Exekutionstitel im Zeitraum bis zum 10.02.2021
https://edikte.justiz.gv.at/edikte/edikthome.nsf/
In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz folgende
ANFRAGE
1. Hat sich Ihre Einschätzung als Sozial- und Konsumentenschutzminister in Bezug auf die drohende „Pauperisierung“ weiter Teile der österreichischen Bevölkerung durch die von Ihnen wesentlich mitgetragenen Covid-19-Maßnahmen, insbesondere den Zweiten Lockdown, geändert?
2. Welche Maßnahmen werden seit Oktober 2020 diesen Jahres bzw. derzeit seitens Ihres Ressorts gesetzt, um den drohenden Anstieg an Privatinsolvenzen in Österreich entgegenzuwirken bzw. diesen abzuwenden?
3. Bis wann werden Kredite, die nach dem 31. Oktober fällig geworden sind bzw. deren Stundung ab dem 01. April bis zum 31. Oktober auf sieben Monate verlängert wurden, ausläuft, durch weitere Stundungen verlängert?
4. Welche Initiativen haben Sie dazu als Sozial- und Konsumentenschutzminister gesetzt?
5. Welche Initiativen haben Sie gesetzt, damit die durch den Ansturm neuer Klienten in Folge der Covid-19-Maßnahmen überlasteten Sozialmärkte eine Unterstützung durch Ihr Ressort, bzw. eine Unterstützung aus Bundesmitteln bekommen?