4668/J XXVII. GP

Eingelangt am 17.12.2020
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Anfrage

der Abgeordneten Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Landesverteidigung

betreffend Umsetzung des Teiltauglichkeitsprojekts

 

Im Jänner dieses Jahres kündigte Bundesministerin Tanner das Projekt an, junge Männer zukünftig als tauglich, untauglich, vorübergehend untauglich und nun auch teiltauglich zu kategorisieren. Ursprünglich geht die Debatte aber bereits auf 2019 zurück, als der grüne oberösterreichische Landespolitiker Gottfried Hirz anregte, für den Wehrdienst Untaugliche als Zivildiener zuzulassen. Diesem Vorstoß folgte die damals für Zivildienst zuständige ÖVP Staatssekretärin Karoline Edtstadler, die statt einer Trennung von Zivildienst- und Wehrdiensttauglichkeit vorschlug, die Tauglichkeitskriterien zu lockern. Sie führte aus, dass die Kombination aus geburtenschwachen Jahrgängen und einer steigenden Zahl von untauglichen jungen Männern die Zahl der verfügbaren Zivildiener reduzierte. Es ginge darum, so Edtstadler, „möglichst viele junge Menschen für den Zivildienst begeistern zu können, dass sie ihren Dienst hier in der Mitte der Gesellschaft in sehr wesentlichen Bereichen tun, etwa im Katastrophenschutz oder auch im Rettungswesen.“

Im Jahr 2006 kamen noch 47.407 Stellungspflichtige durch die Stellungsstraßen. Ein Jahrzehnt später, 2015, waren nur noch 41.000. Davon waren 25 bis 30 Prozent untauglich. 2019 waren von 44.823 Stellungspflichtigen überhaupt nur 29.833 tauglich, also etwa zwei Drittel. Von diesen wurden dann 9.887, mehr als ein Fünftel, als untauglich eingestuft (https://www.derstandard.at/story/2000121540996/oevp-will-teiltaugliche-ab-2021-einziehen-doch-gruen-bremst). Die Hauptgründe für Untauglichkeit sind Zivilisationserkrankungen: Fettleibigkeit, Zuckerkrankheit, Kurzsichtigkeit, Allergien. Derzeit entscheiden sich mehr junge Männer für den Wehrdienst als den Zivildienst. Nur in Wien und Vorarlberg geht die Mehrheit zum Zivildienst.

 

 

Die Debatte über die Teiltauglichkeit betrifft also weniger die militärische Landesverteidigung als das Sozial- und Gesundheitssystem, das ohne die Zivildiener nicht mehr – ohne signifikante Mehrkosten – über die Runden käme. Unter Berücksichtigung von demografischen Prognosen und der Bedarfsanalyse des Bundesheeres besteht in der derzeitigen Struktur kein zusätzlicher Bedarf an Grundwehrdiener.

So bestätigte auch Elisabeth Köstinger, als sie Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus wurde, die Verschiebung des Zivildienstportfolios in ihr Ministerium, folgendermaßen: „Jede Stadt und jedes Dorf braucht Zivildiener. Wenn wir das Leben in Österreichs Gemeinden, Ländern und Regionen zukunftsfit weiterentwickeln wollen, geht das nicht ohne den Zivildienst mitzudenken. ... Zivildienst ist Regionaldienst!“

Vom militärischen Blickwinkel ist eine Verwässerung der Tauglichkeitskriterien aber problematisch. So sagte der deutsche Militärexperte und Professor an der Universität der Bundeswehr in München, Carlo Masala: „Die Tauglichkeitskriterien zu lockern, ist eine schlechte Entscheidung, weil sie junge Männer in die Armee bringt, die eigentlich nicht fit für diese Armee sind.“ 

Er sieht andere Beweggründe hinter der Entscheidung in Österreich: „Das ist eine Entscheidung, die gefällt wird aufgrund sozialpolitischer und sozioökonomischer Überlegungen und nicht aufgrund militärischer Überlegungen“, so Masala. „Die Tauglichkeitskriterien werden vor allem deswegen gelockert, damit man die Zivildienstleistenden bekommt, die man in Österreich braucht“ (Quelle: Addendum: "Was es mit der Teiltauglichkeit auf sich hat", 23.01.2020). 

Das Bundesheer selbst war zumindest anfangs ebenfalls kritisch. Um nach den bestehenden Kriterien tauglich zu sein, muss man die Grundaufgaben des Militäreinsatzes erfüllen können. Das beinhaltet, ein Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit entwickeln zu können. Wehrpflicht, so hat auch der Verwaltungsgerichtshof befunden, bedeutet Militärdienst mit alledem, was dazugehört. Zivildienst sei nur eine Alternative und daher auch nur für Wehrpflichtige möglich. Es ist nach den derzeitigen gesetzlichen Grundlagen nicht Sinn und Zweck, aus dem verpflichtenden Militärdienst heraus kostengünstig männliche Arbeitskräfte für einen „Regionaldienst“ zu generieren.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.    Wie hoch ist der voraussichtliche jährliche Bedarf an Grundwehrdienern für die nächsten fünf Jahre bei gleichbleibender Struktur und derzeitigem Tauglichkeitssystem?

2.    Wie hoch ist der voraussichtliche Zulauf an Grundwehrdienern für das Bundesheer in den nächsten fünf Jahren, abgeleitet aus der demografischen Entwicklung und der Tauglichkeitsentwicklung der Stellungspflichtigen ...

a.    unter dem derzeitigem Tauglichkeitssystem?

b.    unter dem neuen Tauglichkeitssystem?

3.    Ab welchem Datum wird in der Stellung das Tauglichkeitskriterium „teiltauglich“ vergeben?

4.    Im BMLV wurde im März 2019 eine Arbeitsgruppe zur Teiltauglichkeit eingerichtet. Wer war in dieser Arbeitsgruppe vertreten?

a.    Wie oft und wann trat sie zusammen?

b.    Was waren die Empfehlung?

5.    Welchen legislative Maßnahmen sind seitens BMLV wann geplant?

6.    Ab wann und in welcher Form wird das Parlament eingebunden?

7.    Wie wird die Kategorie "teiltauglich“ in das System der Wertungsziffern implementiert?

8.    Welche medizinische und psychologische Kriterien sind für die Kategorie „teiltauglich“ definiert? Bitte um Bereitstellung des medizinischen Bewertungskatalogs für die Tauglichkeitsstufen.

9.    Ist es zutreffend, dass die medizinischen Kriterien für Untauglichkeit erst dieses Jahr (2020) angepasst wurden?

a.    Wenn ja, bitte um das genaue Datum.

b.    Wenn ja, welche Kriterien wurden geändert? Bitte um Auflistung.

c.    Wenn nein, in welchem Jahr wurden diese Kriterien zuletzt angepasst? Bitte um das Datum.

                                      i.Bitte um Auflistung der Anpassung der Kriterien zum Zeitpunkt der letzten Anpassung, wenn nicht unter (b) beantwortet.

10. In welchen konkreten militärischen und zivilen Funktionen werden in Zukunft Stellungspflichtige der Kategorie „teiltauglich“ verwendet?

11. Werden Teiltaugliche den Dienst mit der Waffe versehen?

12. Werden Teiltaugliche zu Einsätzen gem. § 2 Abs. 1 WG – also militärische Landesverteidigung, Hilfeleistung im Auslandseinsatz, Hilfeleistung bei Elementarereignissen, Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen – herangezogen?

13. Werden Teiltaugliche als Kraftfahrer verwendet?

14. Werden Teiltaugliche mit Computerfähigkeiten für die Cyberabwehr herangezogen?

a.    Wenn ja, wie sinnhaft ist es, für solch eine hochqualifizierte Funktion einen nur für wenige Monate vorhandenen Grundwehrdiener einzusetzen?

15. Hat das BMLV seine internen Bestimmungen, dass Wehrdienst Dienst mit der Waffe und ein Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit beinhaltet, geändert?

a.    Wenn ja, bitte um Übermittlung der neuen Definition, insbesondere welche Beeinträchtigungen zu welchem Tauglichkeitsgrad führen.

b.    Wenn nein, wie ist die Teiltauglichkeit mit den derzeitigen Bestimmungen des ÖBH zu vereinbaren?

16. Die Kritik der Verwässerung der Qualität der Rekruten und damit der Leistungsfähigkeit des Heeres stammt nicht nur von Akademikern, sondern wurde auch in den USA im Zuge der schleppenden Rekrutierungen für die Konflikte in Afghanistan und im Irak geäußert. Gibt es eine Analyse des Generalstabes, welche operationellen Auswirkungen eine Senkung der Mindeststandards auf die Einsatzfähigkeit des ÖBH hätte?

a.    Wenn ja, welche Auswirkungen sind das?

b.    Wenn nein, warum wird eine derartige Veränderung ohne eine Evaluierung auf die Einsatzbereitschaft des ÖBH implementiert?

17. Wie beurteilt das BMLV den Spruch des Bundesverwaltungsgerichtshofes?

a.    Gibt es juridische Gutachten, die die geplante Teiltauglichkeit mit dem Spruch vereinbar machen?

b.    Wenn ja, bitte um Erläuterung.

c.    Wenn nein, wie bereitet sich das BMLV auf die zu erwartenden Klagen vor?

                                      i.Gibt es ein Budget für zu erwartende Gerichtskosten?

18. Welche Datenschutzmaßnahmen werden im Zusammenhang mit der Teiltauglichkeit notwendig sein? Werden detaillierte Gesundheitsdaten an Zivildienststellen weitergeleitet?

a.    Wenn nein, wie werden diese Organisationen bestimmen können, ob ein Kandidat für eine bestimmte Aufgabe im Zivildienst befähigt ist?

b.    Wenn ja, welche Daten werden weitergeleitet, und wie werden sensible Gesundheitsdaten geschützt? 

c.    Wem werden die Ergebnisse der Tauglichkeitsuntersuchung mitgeteilt, und in welcher Form?

19. Zum Zweck der Zuteilung von Zivildienern oder Teiltauglichen im Militärdienst, wird es Tätigkeitsbeschreibungen zur Durchsicht geben?

a.    Gibt es einen solchen Tätigkeitsbeschreibungskatalog für angehende Zivildiener?

                                      i.Wenn nein, ist ein solcher geplant, und wann wird er fertiggestellt sein?

                                    ii.Wenn ja, bitte um Übermittlung.

b.    Gibt es eine solche Tätigkeitsbeschreibung für den Militärdienst für Teiltaugliche? 

                                      i.Wenn nein, ist ein solcher geplant, und wann wird er fertiggestellt sein?

                                    ii.Wenn ja, bitte um Übermittlung.

20. Bundesministerin Tanner hat im Zuge der Vorstellung der Teiltauglichkeit erklärt, ein Ziel der Reform sei eine tiefere gesellschaftliche Einbindung des ÖBH mit der Gesellschaft. In Anbetracht der Rechts- und Qualitätsprobleme, die aus der Senkung des Tauglichkeitsstandards entstehen, und der Tatsache, dass der Wehrdienst nur den männlichen Teil der Bevölkerung betrifft: Hat sich das BMLV bzw. die Bundesregierung überlegt, den Militärdienst (militärische Landesverteidigung, Assistenzeinsätze, Unterstützungseinsätze, Katastrophenhilfe) vom Zivildienst (Dienst in zivilen Einrichtungen, wie Rettung, Pflege usw.) zu trennen?

a.    Wenn nein, was spricht dagegen?

b.    Wenn ja, warum wurde die Teiltauglichkeit als bessere Lösung für das Humankapitalproblem angesehen.