4899/J XXVII. GP
Eingelangt am 14.01.2021
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Anfrage
der Abgeordneten Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Landesverteidigung
betreffend Assistenz- und Unterstützungseinsätze
Der Rechnungshofbericht 2020/38 untersucht die Assistenz- und Unterstützungseinsätze des ÖBH zur Zeit der Flüchtlingsbewegungen beginnend im Jahr 2015, die zum Teil unbefristet beschlossen wurden und daher noch andauern. Der Hauptkritikpunkt des Rechnungshofs ist, dass Assistenz- und Unterstützungseinsätze gesetzlich geregelt sind, und nur unter spezifischen Bedingungen beschlossen werden dürfen. Hinterfragt wird vom RH, ob diese Vorschriften bei der Beschlussfassung in Betracht gezogen wurden, und ob das ÖBH den Fortbestand dieser Bedingungen ausreichend evaluiert hat.
Laut Gesetzeslage darf das ÖBH nur als ultima ratio für Hilfeleistungen herangezogen werden, wenn zivile Ressourcen nicht ausreichen, um der Gefahr zeitgerecht zu begegnen. Auch muss die Assistenzleistung von Gesetzes wegen auf einen Zeitraum beschränkt werden, der es den zivilen Behörden erlaubt, ihrerseits Kapazitäten aufzubauen. Spezifisch nicht erlaubt wäre eine militärische Hilfsleistung mit der einzigen Begründung der Kosteneinsparung im Vergleich zur zivilen Behörde.
Da sowohl das Unterstützung leistende BMLV als auch das unterstützte BMI keine "ernsthaften Evaluierungen" vorgenommen haben, ist die gegenwärtige Rechtmäßigkeit der andauernden Assistenz- bzw. Unterstützungsleistungen anzuzweifeln. Auch die ursprüngliche Beschlussfassung ist laut RH zu hinterfragen.
Die mangelnde Evaluierung der Assistenzeinsätze ist für das Bundesheer besonders problematisch, weil sich durch diese Einsätze eine Budgetverschiebung zwischen Ministerien ergeben kann. Eine Refundierung der Kosten ist nur bei Unterstützungsleistungen gesetzlich vorgesehen. Bei Assistenzeinsätzen wäre eine finanzgesetzliche Überschreitungsermächtigung erforderlich. Für das BMLV ist es daher auch aus budgetären Gründen absolut unabdingbar, Assistenzeinsätze regelmäßig zu evaluieren, um sie beenden zu können, sobald die abzuwehrende Gefahr nicht mehr besteht oder durch andere, eigentlich damit betraute öffentliche Körperschaften oder Ministerien abgewendet werden kann.
Der RH beziffert die Kosten vom 2. Halbjahr 2015 bis Ende 2017 mit 272,92 Millionen Euro – davon 246,37 Millionen für Assistenz und 26,54 Millionen für Unterstützung. Vom BMLV wurden davon 177,84 Millionen aus laufenden Budgets finanziert (also knapp zwei Drittel des Gesamtaufwands).
Da diese 177 Millionen aus anderen Budgets umgeschichtet werden mussten, ist fraglich ob die oft gepriesenen Budgeterhöhungen für das BMLV in Wirklichkeit nicht Nachzahlungen für in den letzten Jahren abgezweigte und nun anderswo fehlende Mittel sind.
Chronologie der Einsätze:
· September 2015: Die Bundesregierung beschließt den Grenzassistenzeinsatz als Reaktion auf die Flüchtlingsbewegungen aus hauptsächlich Syrien. Dieser hat kein Enddatum und ist immer noch aktiv.
· August 2016: Eine Erweiterung des Einsatzes zur Bewachung von ausländischen Vertretungen wird bis Ende 2018 beschlossen.
· August 2017: Das Bundesheer wird auch zu Kontrollen im Landesinneren herangezogen.
Die Flüchtlingszahlen lagen anfangs auf einem Niveau, das die Kapazitäten der Behörden sprengte, flachte dann aber zunehmend ab.
Anzahl von Asylsuchenden in Österreich:
· 2015: 736.247
· 2016: 153.068
· 2017: 27.950
· 2018 (1. Halbjahr): 10.300
Eine Evaluierung dieser Einsätze (durch den Rechnungshof, nicht die beteiligten Ministerien) bringt folgende Aufgriffszahlen zutage:
· März - Dezember 2016: 4.400 pro Monat (davon 3,5% durch ÖBH)
· 2017: 2.300 pro Monat (davon 4,5% ÖBH)
· 2018 (1. Halbjahr): 1,700 (davon 1,6% ÖBH)
Während die Zahlen 2015 weit über dem Planungsniveau der Behörden lagen und daher durch die verfügbaren Kapazitäten nicht abgedeckt werden konnten, lagen sie spätestens zu Beginn 2017 (aber eher schon im 2. Halbjahr 2016) auf dem Vorkrisenniveau, für das die zivilen Behörden gerüstet hätten sein müssen (und es vor dem kurzzeitigen Anstieg nachweislich auch waren, denn es wurde vor 2015 kein Assistenzeinsatz benötigt).
Aufgrund dieser Zahlen meint der RH, dass bei der Erweiterung des Grenzeinsatzes zur Botschaftsüberwachung die "unabdingbare Notwendigkeit nicht zu erkennen" war. Dennoch wurde – ohne Evaluierung – erweitert.
Gesamteinsatzzahlen und Auswirkungen:
· September 2015 - Juni 2018: 947.921 Personentage für sicherheitspolizeiliche Assistenz
· August 2015 - Mai 2016: 57.851 Personentage für Unterstützungsleistungen
Herangezogen wurden Kaderpersonal, Berufssoldat_innen, Miliz und Grundwehrdiener. Das Bundesheer bestätigte eine negative Auswirkung auf die Ausbildung. Das Verhältnis Ausbilder zu Auszubildende fiel im 1. Quartal 2016 von 1:8 auf 1:25. Das bedeutet, dass nicht evaluierte, laut RH unnötige Assistenz- und Unterstützungseinsätze die Einsatzfähigkeit bei tatsächlich dringend notwendigen Katastropheneinsätzen sowie der Landesverteidigung eingeschränkt haben.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
1. Grenzeinsatz beginnend 2015:
a. Das ÖBH steht als strategische Reserve für Krisenfälle nach gesetzlich geregelten Kriterien zur Verfügung. Warum wurde nach dem Abflachen der Flüchtlingsbewegungen auf Vorkrisenniveau (2. Halbjahr 2016, aber spätestens 2017) keine Evaluierung der weiteren Notwendigkeit eines Bundesheerassistenzeinsatzes durchgeführt?
i.Das BMLV ist sich der Rechtslage betreffend Einsatzkriterien bewusst. Wie rechtfertigt das Ministerium die Rechtmäßigkeit der Fortführung des Grenzassistenzeinsatzes seit 2017, als die Flüchtlingszahlen bereits wieder auf Vorkrisenniveau gesunken waren – also auf ein Niveau, bei dem zuvor keine Assistenz des ÖBH notwendig war?
b. Die Anzahl der Aufgriffe illegaler Grenzüberschreiter_innen war die gesamte Einsatzzeit hindurch gering. Sie lag nie höher als 4,5% der Gesamtaufgriffe, und fiel im 1. Halbjahr 2018 auf 1.6% der Gesamtzahl. Wie rechtfertigt das Bundesheer seinen Einsatz – und die negativen Auswirkungen auf die Verteidigungsbereitschaft und Katastropheneinsatzbereitschaft (operational readiness) – angesichts dieser im Vergleich zu den zivilen Behörden niedrigen Effektivität des ÖBH im Grenzeinsatz?
c. Am 25. und 26. Juni 2018 fand im steirischen Spielfeld eine großangelegte Grenzschutzübung statt. An dieser nahmen 204 Soldat_innen inkl. geschützte Fahrzeuge und Drohnen teil. Die budgetwirksamen Mehrkosten waren laut ÖBH 244.000 Euro.
i.Die Übung fand am 25. Juni statt. Der zweite Teil des Events am 26. Juni war eine Medienveranstaltung.
1. Wie hoch sind die budgetwirksamen Mehrkosten für den 26. Juni 2018?
2. Wer hat in Zeiten des unter anderem bereits durch nicht-refundierte Assistenzeinsätze überlasteter Budgets eine Medienshow bewilligt?
2. Einsatz zur Bewachung ausländischer Vertretungen beginnend August 2016 bis Ende 2018:
a. Das ÖBH steht als strategische Reserve für Krisenfälle unter klar gesetzlich geregelten Kriterien zur Verfügung. Die Gesetzeslage erlaubt keine Assistenzleistungen, wenn diese nicht eine ultima ratio zur Wahrung der nationalen Sicherheit darstellen. Spezifisch ausgeschlossen sind Assistenzeinsätze aus Kostengründen (weil das ÖBH eine billigere Lösung bietet als die zuständige zivile Autorität). Ebenso muss die zuständige zivile Autorität schnellstmöglich versuchen, ihrerseits Kapazitäten zur Abwehr der Bedrohung zu schaffen. Warum beinhaltet das Ansuchen für den Assistenzeinsatz zur Bewachung ausländischer Vertretungen ab 1. Juli 2016 keine Begründung für die dringliche Notwendigkeit?
b. In Anbetracht der Gesetzeslage, warum hat das BMLV keine solche Begründung verlangt?
c. Warum beinhaltet das Ansuchen für den Assistenzeinsatz zur Bewachung ausländischer Vertretungen ab 1. Juli 2016 keine zeitliche Begrenzung?
i.In Anbetracht der Gesetzeslage, warum hat das BMLV keine solche zeitliche Begrenzung verlangt?
d. Das BMLV ist sich der Gesetzeslage bewusst, hat aber weder Begründung für die Notwendigkeit noch zeitliche Begrenzung urgiert.
i.In Anbetracht der Gesetzeslage, unter welchen Gesichtspunkten hat das ÖBH im August 2016 dem Assistenzeinsatz zugestimmt?
ii.In Anbetracht der Gesetzeslage, unter welchen Gesichtspunkten hat das ÖBH ab 2017, als die Lage an der Grenze etwa Vorkrisenniveau erreicht hatte, den Assistenzeinsatz nicht beendet?
iii.Warum gab es trotz der bestehenden Gesetzeslage keine Evaluierung der Notwendigkeit des Einsatzes bzw. der Weiterführung des Einsatzes unter dem ultima ratio Prinzip?
e. Ist es zutreffend, dass die Landespolizeidirektion Wien als Begründung für den Einsatz von Bundesheersoldat_innen das Argument der Kostenersparnis im Vergleich zu Polizeieinheiten angegeben hat?
i.Wenn ja, war es dem BMLV nicht bewusst, dass dieses Argument keine ausreichende gesetzliche Grundlage für einen Assistenzeinsatz darstellt?
ii.Welche Parameter wurden seitens der LPD Wien zur Beendigung des Assistenzeinsatzes definiert?
3. Weiterer Einsatz zum Objektschutz:
4. Für den Zeitraum zwischen dem 23. September 2020 und dem 7. Jänner 2021 hat das BMI erneut eine Assistenzanforderung zum Objektschutz gestellt. Laut AB 3648 vom 14.12.2020 (Reifenberger et al.: "Neuerliche Assistenzanforderung des Bundesheeres zum Schutz von Botschaften und internationalen Institutionen") stehen rund 80 Berufssoldat_innen und einberufene Milizionäre im Einsatz. Laut Ministerin Tanner sind keine Kosten bekannt.
a. Wird das BMLV Kosten für diesen Einsatz in Rechnung stellen?
i.Wenn ja, nach welchen rechtlichen Voraussetzungen oder Abmachungen?
b. Wie konnte das BMI rechtfertigen, dass die Bewachung dieser Objekte durch das Bundesheer die vom Gesetz geforderte ultima ratio zur Gefahrenabwendung darstellt?
5. Nicht vom Rahmenabkommen gedeckte Abschiebung:
a. Das ÖBH führte im Juli 2016 eine Abschiebung in einer Hercules des BMLV durch. Der RH bezeichnet den Flieger als für Abschiebungen ungeeignet, die Kosten von 25.400 Euro für für 11 Personen als hoch, den Vorgaben des BMI widersprechend (Soldaten nicht für die Aufgabe qualifiziert) und vom Anforderungsrahmen für den Assistenzeinsatz weder durch das Fremdenamt noch durch das BMI gedeckt.
i.Auf welcher rechtlichen Gesichtspunkten hat das BMLV diesen Flug durchgeführt?
b. Hat das BMLV eine Rechtsmeinung zu den Risiken einer Abschiebung, die vom Gesetz nicht gedeckt, und in einem ungeeigneten Flugzeug und von nicht für diesen Einsatz qualifizierten Soldaten durchgeführt wurde, eingeholt?
i.Wenn nein, warum nicht?
ii.Wenn ja, nach welchen Rechtsgrundsätzen wurde der Flug genehmigt? Bitte um Auflistung.
iii.Wenn ja, welche Rechtsmeinung äußert das Gutachten in Hinblick auf die Haftung des ÖBH im Problemfall?
c. Wurde für diesen im ursprünglichen Anforderungsrahmen nicht gedeckten Flug ein Kostenersatz vereinbart?
i.Wenn ja, wurden die vollen Kosten erstattet?
ii.Wenn nein, warum nicht?
6. Unterstützungseinsätze:
a. Unterstützungseinsätze sind von Assistenzeinsätzen zu unterscheiden und unterliegen dem Erlass „Unterstützungsleistungen durch das Österreichische Bundesheer“ aus dem November 2007 des BMLV. Unterstützungsleistungen können in Form von Leistungen im Rahmen der Ausbildung oder durch die Beistellungen von Heeresgut gegen den Ersatz der Kosten durchgeführt werden. Auch müssen sie einen beträchtlichen wehrpolitischen Nutzen mit sich bringen, wie zum Beispiel eine ergänzende Ausbildung.
i.Welchen wehrpolitischen Nutzen brachte der Unterstützungseinsatz für Supermärkte beim Verladen von Waren auf Lastwagen, oder der Einsatz bei der Post?
ii.War die Sektion I (Präsidiale, Personal, Recht) in die Entscheidungsfindung zu den oben genannten Unterstützungseinsätzen eingebunden?
1. Wenn ja, welche Rechtsauffassung wird seitens der Sektion I zu diesen Unterstützungseinsätzen vertreten?
2. Wenn nein, warum war Sektion I nicht eingebunden?
iii.Welche Einnahmen wurden in den letzten fünf Jahren durch diese Unterstützungseinsätze erlangt?
iv.Welche budgetären Auswirkungen haben diese Einnahmen?
1. Verbleiben diese Einnahmen im Regelbudget?
2. Müssen diese Einnahmen dem Finanzministerium überwiesen werden?
v.Kann Notwendigkeit, in der Ansicht des juridischen Dienstes des ÖBH, einen Unterstützungseinsatz auch in Abwesenheit des "wehrpolitischen Nutzens" rechtfertigen?
1. Wenn ja, bitte um Erläuterung dieser Rechtsmeinung.
7. Empfehlungen des Rechnungshofs:
a. Empfehlung: Das BMI und das BMLV sollten den Assistenzeinsatz zum Grenzmanagement einer gesamthaften, umfassenden Evaluierung der Wirkungen und des Nutzens im Verhältnis zu den eingesetzten Ressourcen unterziehen. Gegebenenfalls wären Art und Umfang des Assistenzeinsatzes anzupassen.
i.Hat das BMLV eine Untersuchung durchgeführt?
1. Wenn ja, bitte um Übermittlung des Ergebnisses.
2. Wenn nein, ist eine Untersuchung geplant?
a. Wenn nein, warum nicht?
b. Wenn ja, wann ist mit der Fertigstellung zu rechnen?
b. Empfehlung: Sicherheitspolizeiliche Assistenzeinsätze des Bundesheeres sollten künftig befristen sein.
i.Hat das BMLV diese Empfehlung implementiert?
1. Wenn nein, warum nicht?
2. Wenn ja, welche neuen Regeln wurden erstellt?
3. Wenn ja, welche Befristung wird für den bislang unbefristeten Grenzassistenzeinsatz gesetzt?
c. Empfehlung: BMLV und anfordernde Ministerien sollten die unabdingbare Notwendigkeit eines sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatzes des Bundesheeres bzw. einer allfälligen Verlängerung nachvollziehbar belegen.
i.Hat das BMLV diese Empfehlung implementiert und eine Evaluierung durchgeführt?
1. Wenn ja, bitte um Übermittlung des Ergebnisses.
2. Wenn nein, ist Implementierung geplant?
a. Wenn nein, warum nicht?
b. Wenn ja, wann ist mit der Fertigstellung zu rechnen?
d. Empfehlung: Das BMLV sollte bei der gesamthaften, umfassenden
Evaluierung des Assistenzeinsatzes auch die Auswirkungen des Einsatzes auf
die militärische Ausbildung
sowie auf die Aufbringung von Soldat_innen für den
Auslandseinsatz berücksichtigen.
i.Hat das BMLV diese Empfehlung implementiert und eine Evaluierung durchgeführt?
1. Wenn ja, bitte um Übermittlung des Ergebnisses.
2. Wenn nein, ist Implementierung geplant?
a. Wenn nein, warum nicht?
b. Wenn ja, wann ist mit der Fertigstellung zu rechnen?
e. Empfehlung: Das Bundesministerium für Landesverteidigung sollte eine Evaluierung der Unterstützungsleistungen durchführen.
i.Hat das BMLV diese Empfehlung implementiert und eine Evaluierung durchgeführt?
1. Wenn ja, bitte um Übermittlung des Ergebnisses.
2. Wenn nein, ist Implementierung geplant?
a. Wenn nein, warum nicht?
b. Wenn ja, wann ist mit der Fertigstellung zu rechnen?