4986/J XXVII. GP

Eingelangt am 15.01.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Tragischer Tod einer psychisch kranken Frau im Zuge eines Polizeieinsatzes - Überfällige Reform des Unterbringungsrechts

 

Eine 67-Jährige ist am Dienstag den 5.1.2021 in Wien-Hietzing unter tragischen Umständen durch einen Schuss aus einer Polizeidienstwaffe getötet worden. Die Pensionistin soll zunächst ihre Heimhilfe bedroht haben. Beim folgenden Polizeieinsatz habe die Frau Beamte mit einem Messer in der Hand angegriffen. Die Polizisten setzen daraufhin einen Taser ein und gaben einen Schuss ab. Die Frau erlag noch im Rettungshubschrauber ihren Verletzungen.

Im Nachhinein wurde bekannt, dass die Frau "besachwaltet" (durch einen Erwachsenenschutzvertreter vertreten), durch vorangegangene Versuche einer Unterbringung amtsbekannt und psychisch erkrankt (paranoid schizophrener Formenkreis) war.

Der tragische Fall richtet die Aufmerksamkeit einmal mehr auf die Dysfunktionalität des österreichischen Unterbringungsrechts. 

Das Unterbringungsgesetz (UbG) regelt in Österreich die Unterbringung, das heißt die (in der Regel unfreiwillige) Aufnahme und Behandlung psychisch Kranker in einer Abteilung für Psychiatrie eines Krankenhauses oder einer Krankenanstalt für Psychiatrie, wo sie in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden.

Die Unterbringung psychisch kranker Personen steht stets unter der Voraussetzung akuter Eigen- oder Fremdgefährdung und kann entweder mit (§ 4) oder ohne Verlangen (§ 8) der betroffenen Person geschehen.

Eine umfassende Studie des Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie aus dem Jahr 2019 mit dem Titel "Zur Unterbringung psychisch kranker Menschen: Rechtsanwendung und Kooperationszusammenhänge", die im Auftrag des Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz, des Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz sowie des Bundesministerium für Inneres erstellt wurde weist einige statistische Besonderheiten auf. (Quelle: https://www.justiz.gv.at/file/2c94848a6af8ac42016c0953ff401b70.de.0/irks_ubg-studie_endbericht_04-2019_neu.pdf?forcedownload=true)

Seit Bestehen des UbG im Jahr 1996 stieg die Zahl der Unterbringungen in Summe stark an. Von 11268 (Unterbingungsrate pro 100.000 Einwohner = 142) im Jahr 1996 auf 25301 (288) im Jahr 2017.

In knapp der Hälfte der Zugänge (46%) sei die Polizei involviert, was die besondere Bedeutung der Exekutive für das Unterbringungswesen herausstreicht.

Das Unterbringungsrecht hängt integral mit der Debatte rund um die problematischen Zustände im Maßnahmenvollzug zusammen, wo die Zahlen von "geistig abnormen" RechtsbrecherInnen seit Jahren ebenfalls massiv ansteigen.

Im Oktober 2020 ließ die Justizministerin im Menschenrechtsausschuss des Nationalrates verlauten, dass die seit langem anstehende Reform des Maßnahmenvollzugs in zwei Teile gesplittet würde. Bis zum Jahresende soll zunächst einmal eine Novelle zum Unterbringungsgesetz vorliegen (https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2020/PK0980/).

Ein Begutachtungsentwurf für eine UbG-Novelle liegt bislang aber noch nicht vor.

Tragische Fälle wie der eingangs Genannte zeigen auf, dass das Unterbringungsrecht dringend reformbedürftig ist.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



1.    Liefen bzw. laufen weiterhin strafrechtliche Ermittlungen gegen die einschreitenden Polizeibeamt_innen?

a.    Wenn ja, seit wann gegen wie viele Beamte aufgrund welcher Tatsachen?

b.    Wenn ja, aufgrund welcher präzisen Strafnormen wird ermittelt?

c.    Wenn ja, zu welchen Einvernahmen kam es von wem aufgrund welches Sachverhaltes?

d.    Wenn ja, welche weiteren Ermittlungshandlungen wurden wann gesetzt?

2.    Wurde das Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossen?

a.    Wenn ja, wann mit welchem Ergebnis?

b.    Wenn nein, wann ist mit dessen Abschluss zu rechnen?

3.    Lag eine Notwehrsituation vor?

a.    Wenn ja, inwiefern?

b.    Wenn nein, inwiefern nicht?

4.    Handelten die Beamt_innen im Rahmen der gerechtfertigten Notwehr oder liegt ein Notwehrexzess vor?

a.    Wenn ja, inwiefern?

b.    Wenn nein, inwiefern nicht?

5.    Wurde von der Einleitung eines Ermittlungsverfahren gem 35c StAG abgesehen oder das Verfahren anderweitig eingestellt?

a.    Wenn ja, wann mit welcher präzisen rechtlichen Begründung und aufgrund welcher staatsanwaltlichen Beweiswürdigung?

6.    Liegt bereits ein Vorhabensbericht vor?

a.    Wenn ja, von wann und mit welchem präzisen Inhalt?

7.    Liegt bereits eine Stellungnahme der OStA vor?

a.    Wenn ja, von wann und  mit welchem präzisen Inhalt?

8.    Wurden seitens des Ministerium oder der OStA in der Causa Weisungen erteilt?

a.    Wenn ja, welche von wem jeweils wann?

9.    Hat das Justizministerium Kenntnis von Bestrebungen, die im Zuge des Polizeieinsatzes tragisch zu Tode gekommen Frau einer Unterbringung zuzuführen?

a.    Wenn ja, welche von wem wann?

10. Wie viele Personen wurden in den Jahren 2018, 2019, 2020 jeweils in Summe untergebracht?

11. Wie viele Personen wurden in den Jahren 2018, 2019, 2020 jeweils auf eigenes Verlangen gem. § 4 UbG untergebracht?

12. Wie viele Personen wurden in den Jahren 2018, 2019, 2020 jeweils ohne Verlangen gem. § 8 UbG gerichtlich untergebracht?

13. Wie lange waren die in diesen Jahren gem. § 8 UbG untergebrachten Personen im Durchschnitt untergebracht?

14. In wie vielen Fällen haben gem. § 8 Untergebrachte während der Unterbringung die psychiatrischen Stationen ohne Genehmigung bzw. Kenntnis der behandelnden Ärzt_innen verlassen?

a.    Bei wie vielen Personen war dies der Fall und wie lange waren diese jeweils abgängig?

15. Wie viele Personen wurden in den Jahren 2018, 2019 und 2020 trotz Einweisung durch die/den Amtsärztin/arzt nicht in der psychiatrischen Station aufgenommen bzw. unmittelbar (am selben Tag oder am nächsten Tag) wieder aus der Psychiatrie entlassen?

16. In wie vielen Fällen gelangte das Gericht in einem Verfahren nach § 20 UbG zum Ergebnis, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Unterbringung nicht vorliegen?

17. Welche Schlüsse und Erkenntnisse zog Ihr Ministerium aus der Studie des IKRS aus dem Jahr 2017?

18. Wo sehen Sie die größten Schwächen des geltenden Unterbringungsrechts?

19. Welche Maßnahmen ergriffen Sie daher wann?

20. Welche Maßnahmen planen Sie daher, wann zu ergreifen?

21. Welche konkreten legistischen oder organisatorischen Maßnahmen planen Sie im Bereich des Unterbringungsrechts?

22. Wann ist mit der seit 2019 angekündigten Reform des Unterbringungsrechts zu rechnen?

23. Wann soll der im Herbst 2020 angekündigte Begutachtungsentwurf zur Reform des Unterbringungsrechts veröffentlicht werden?

24. Welche Eckpunkte soll diese Reform umfassen?

25. Welche konkreten Verbesserungen sollen damit einhergehen?

26. Wurde folgende Empfehlung der "Brunnenmarkt"-Sonderkommission mittlerweile (teilweise) umgesetzt: "Verbesserung der Informationsflüsse zwischen den beteiligten Institutionen, etwa durch Änderungen im § 39a Unterbringungsgesetz, um eine effiziente und rasche Reaktion auf auftretende psychische Erkrankungen, verbunden mit Selbst- und/oder Fremdgefährlichkeit zu ermöglichen" (https://www.justiz.gv.at/home/service/publikationen/abschlussbericht-der-sonderkommission-brunnenmarkt~2c94848b5d5575b3015d64f867650ff4.de.html)?

a.    Wenn ja, inwiefern?

b.    Wenn nein, warum nicht?

27. Wurde folgende Empfehlung der "Brunnenmarkt"-Sonderkommission mittlerweile (teilweise) umgesetzt: "Verbesserung der Informationsflüsse zwischen den beteiligten Institutionen, etwa durch Änderungen im § 39a Unterbringungsgesetz, um eine effiziente und rasche Reaktion auf auftretende psychische Erkrankungen, verbunden mit Selbst- und/oder Fremdgefährlichkeit zu ermöglichen"?

a.    Wenn ja, inwiefern?

b.    Wenn nein, warum nicht?

28. Wurde folgende Empfehlung der "Brunnenmarkt"-Sonderkommission mittlerweile (teilweise) umgesetzt: "Flächendeckende Schulung der Polizeibeamten über das Erkennen psychischer Auffälligkeit, weil sie als erste über das Vorliegen einer möglichen Selbst- oder Fremdgefährdung entscheiden. Polizisten auf die Möglichkeiten der Vernetzung mit (psycho)sozialen Einrichtungen hinweisen"?

a.    Wenn ja, inwiefern?

b.    Wenn nein, warum nicht?

29. Wurde folgende Empfehlung der "Brunnenmarkt"-Sonderkommission mittlerweile (teilweise) umgesetzt: "Fachlich fundierte und im Umfang adäquate psychiatrischer Ausbildung des polizeiamtsärztlichen Dienstes in Wien und anderen Großstädten einrichten und Lösungen für den ländlichen Raum suchen"?

a.    Wenn ja, inwiefern?

b.    Wenn nein, warum nicht?

30. Wurde folgende Empfehlung der "Brunnenmarkt"-Sonderkommission mittlerweile (teilweise) umgesetzt: "Fachlich fundierte und im Umfang adäquate psychiatrischer Ausbildung des polizeiamtsärztlichen Dienstes in Wien und anderen Großstädten einrichten und Lösungen für den ländlichen Raum suchen"?

a.    Wenn ja, inwiefern?

b.    Wenn nein, warum nicht?

31. Wurde folgende Empfehlung der "Brunnenmarkt"-Sonderkommission mittlerweile (teilweise) umgesetzt: "§ 39a Unterbringungsgesetz bedarf u.a. einer Überprüfung seiner zeitlichen Reichweite in die Vergangenheit. Notwendig ist eine Auseinandersetzung mit den Begriffen „Fremdgefährlichkeit“ und „Selbstgefährlichkeit“"?

a.    Wenn ja, inwiefern?

b.    Wenn nein, warum nicht?

32. Wurde folgende Empfehlung der "Brunnenmarkt"-Sonderkommission mittlerweile (teilweise) umgesetzt: "Untersuchung österreichweit zum Vollzug des Unterbringungsgesetzes über Fälle, in denen es zu einer Unterbringung gekommen ist und bei denen eine solche unterlassen wurde. Regelungen, die mit großer Rechtssicherheit bei Datenschutz und anderen Geheimhaltungspflichten den Anwendern ermöglichen, Informationen an bestimmte andere Institution weiterzugeben und sie mit diesen bei Vernetzungskonferenzen zu besprechen, und solche Konferenzen gesetzeskonform einzuberufen. Es muss klar geregelt sein, wer hier fallführend als Casemanager den Informationsaustausch und das Handeln initiiert und koordiniert und dafür die Verantwortung trägt. Gleiches gilt innerhalb von Institutionen"?

a.    Wenn ja, inwiefern?

b.    Wenn nein, warum nicht?