5032/J XXVII. GP

Eingelangt am 20.01.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Petra Bayr, Genossinnen und Genossen

an die Bundesministerin für Frauen und Integration im Bundeskanzleramt

betreffend Silvesternacht 2020 – Integrations- und Jugendarbeit in Favoriten

 

In der Silvesternacht 2020 ist es im 10. Wiener Gemeindebezirk zu Ausschreitungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gekommen. Die Jugendlichen – die meisten von ihnen keine Favoritner*innen – haben sich laut Medienberichten in den verpflichtenden Deutschkursen des Integrationsfonds kennengelernt und sich ebendort für die Silvesternacht verabredet.

Favoriten ist mit rund 207.000 Einwohner*innen der bevölkerungsreichste Stadtteil Wiens und damit größer als Linz. Favoriten hat jedoch weniger mittlere und höhere Schulen als Linz. Laut dem statistischen Jahrbuch zu Migration und Integration 2020 beenden gut 11% der fremdsprachigen Burschen ihre Ausbildung ohne Pflichtschulabschluss. Das Schulentwicklungsprogramm (SCHEP) der Bundesregierung empfiehlt einen Abbau von räumlichen Disparitäten im österreichischen Schulsystem durch eine weitere Verdichtung und Ergänzung des Bildungsangebots, um ein möglichst gleichwertiges Schulangebot insbesondere in der Sekundarstufe II zu gewährleisten.

Zugang zu qualitätsvoller Bildung und wirksamer Jugendarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Förderung eines guten und friedvollen Zusammenlebens im Bezirk. Im aktuellen Regierungsprogramm findet sich hierzu der „Fokus: Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft: Begegnungen schaffen.“

Den Deutschkursen des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), denen eine wichtige Rolle in Bezug auf Bildung, Integration und Förderung des Zusammenlebens zukommt, wird in zwei Gutachten aus dem Jahr 2020 ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt (siehe unten). Die Prüfungen des ÖIF sind durch die Association of Language Testers in Europe (ALTE) nicht akkreditiert.

Gute Integrationsarbeit braucht in jeder Gesellschaft Orte, um Begegnungen zu ermöglichen. Sie braucht Investitionen in Bildung und Weiterbildung. Und sie braucht eine hochwertige und gute Infrastruktur an zielgruppenadäquaten Deutschkursen, damit soziale Teilhabe für alle möglich ist. Dafür brennen die Pädagog*innen in Favoriten und dafür braucht der Bezirk auch die nötige finanzielle und politische Unterstützung von Bundesministerien.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE

 

1.       Welche Projekte förderte das Bundeskanzleramt in den Jahren 2015 bis 2020, deren Zielgruppe Jugendliche und junge Männer mit Migrations- bzw. Fluchterfahrung in Favoriten sind? Bitte um Darstellung nach folgenden Kriterien:

a)       Welche Ziele und Indikatoren zur Erfolgsmessung liegen den Projekten zugrunde?

b)      Welche Projekte wurden bereits abgeschlossen?

c)       Welche Projekte werden derzeit durchgeführt?

d)      Welche Projekte sind in der aktuellen Gesetzgebungsperiode noch geplant?

e)      Welcher Zeitrahmen ist jeweils für die Projekte veranschlagt?

f)        Nach welchen Kriterien und mit welchen Methoden wurden die Teilnehmer*innen ausgewählt?

g)       Für wie viele war die Teilnahme nicht möglich und warum wurden sie abgewiesen?

h)      Wie ist der Ablauf der Evaluierung der Projekte?

i)        Welches Budget wurde bzw. wird für diese Projekte zur Verfügung gestellt?

 

2.       Welche Tätigkeiten unternimmt das Integrationsministerium bzw. der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) in Favoriten um auf die Integrationsangebote aufmerksam zu machen?

 

3.       Auf welche Weise setzen Sie sich für ein schnelles Vorantreiben der im SCHEP geplanten vier Schulsanierungs-, Schulerweiterungs- bzw. Schulneubauprojekte von mittleren und höheren Schulen in Favoriten beim Bildungsminister ein, die einen wesentlichen Beitrag zu einem guten Zusammenleben im Bezirk und für die Bildung seiner Schüler*innen darstellen würden?

 

4.       Welche Schritte zur Umsetzung des oben zitierten Punktes des Regierungsprogramms haben Sie bisher gesetzt und mit welchen Erfolgen? Wenn Sie noch nicht damit begonnen haben, warum nicht?

 

5.       Wie viele männliche und weibliche Personen unter 25 Jahren mit Migrationshintergrund aus Favoriten haben 2015 bis 2020 vom Integrationsministerium mitfinanzierte Deutschkurse besucht? Falls keine disaggregierte Daten nach Alter und Geschlecht vorliegen, wie viele Personen waren es insgesamt?

 

6.       Wie viele männliche und weibliche Personen unter 25 Jahren aus Favoriten haben 2015 bis 2020 vom Integrationsministerium mitfinanzierte Deutschkurse abgeschlossen? Falls keine disaggregierte Daten nach Alter und Geschlecht vorliegen, wie viele Personen waren es insgesamt?

 

7.       Wie viele männliche und weibliche Personen unter 25 Jahren aus Favoriten haben 2015 bis 2020 das Modul 1 der Integrationsvereinbarung absolviert? Falls keine disaggregierte Daten nach Alter und Geschlecht vorliegen, wie viele Personen waren es insgesamt?

 

8.       Wie viele männliche und weibliche Personen unter 25 Jahren aus Favoriten haben 2015 bis 2020 das Modul 2 der Integrationsvereinbarung absolviert? Falls keine disaggregierte Daten nach Alter und Geschlecht vorliegen, wie viele Personen waren es insgesamt?

 

9.       Wie viele männliche und weibliche Personen unter 25 Jahren aus Favoriten haben 2015 bis 2020 die Werte- und Orientierungskurse (§ 5 Integrationsgesetz) besucht? Falls keine disaggregierte Daten nach Alter und Geschlecht vorliegen, wie viele Personen waren es insgesamt?

 

10.   Wie evaluieren und verbessern Sie die Deutschkurse des Integrationsfonds?

 

a)       Welche Ziele und Indikatoren wenden Sie für die Wirksamkeit der Deutschkurse des Integrationsfonds an?

b)      Wird der Curriculumsentwicklungsprozess offengelegt? Wenn nein, warum nicht?

c)       Werden die Curricula im Hinblick auf ihren gesellschaftlich wünschenswerten Effekt hin überprüft, um einen Beitrag zu einem positiven Zukunftsszenario zu leisten? Wenn nein, warum nicht?

d)      Werden die ÖIF-Curricula Gegenstand intensiver soziolinguistischer, politikwissenschaftlicher und diskursanalytischer Forschung aus der kulturwissenschaftlichen Richtung des Faches DaF/DaZ? Wenn nein, warum nicht?

e)      Wird die Verknüpfung von sprachlichen Lernzielen und Testbeschreibungen mit Wertebeschreibungen zurückgenommen? Wenn nein, warum nicht?

f)        Wird das Curriculum transparent von einem Team aus Expert*innen in den Bereichen Zweitsprachaneignung und Zweitsprachendidaktik, denen dafür ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt wurde, erstellt? Wenn nein, warum nicht?

g)       Wird das Curriculum von Gutachter*innen aus Wissenschaft und Unterrichtspraxis validiert?

Wenn ja, bitte um namentliche Auflistung. Wenn nein, warum nicht?

h)      Wird das Curriculum auf der Basis einer Sprachbedarfserhebung erstellt? Wenn nein, warum nicht?

i)        Stehen im Zentrum des Curriculums didaktischen Prinzipien der Alltagsbezogenheit, der Teilnehmer*innen und Handlungs- und der Bedürfnisorientierung? Wenn nein, warum nicht? Und welche Prioritäten werden gesetzt?

j)        Wird die Teilnahme an den Sprachkursen in Zukunft auf Freiwilligkeit beruhen, wie auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) im Dezember 2019 die „Verknüpfung der Sozialhilfe mit Sprachkenntnissen“ als verfassungswidrig erklärt hat (VfGH 2019: online). Wenn nein, warum nicht?

k)       Wird eine Akkreditierung der Prüfungen des ÖIF durch die Association of Language Testers in Europe (ALTE) angestrebt? Wenn nein, warum nicht?

l)        Werden Vergleichsstudien und Benchmarks im DACH-Raum zur Evaluierung der Sprachkurse herangezogen? Wenn nein, warum nicht? Werden alternative Evaluierungen herangezogen?

m)    Welche best practice Beispiele ziehen Sie zur Hebung des effektiven Spracherwerbs heran wie etwa die online Sprachvermittlung in den Niederlanden oder ähnliche Projekte? Wenn Sie keine best practice Beispiele heranziehen, warum nicht?

n)      Wie hoch ist die Anzahl der unterrichtenden Personen mit deutscher Muttersprache? Ist hier geplant, den Spracherwerb vermehrt von muttersprachlichen Lehrenden zu unterstützen? Wenn nein, warum nicht?

 

 

Im Eingangstext zitierte Fachgutachten:

Fachgutachten für die Abteilung für Integration und Diversität (MA 17) der Stadt Wien zu den Qualitätsstandards in den Curricula für die österreichischen Integrationskurse Prof. Dr. Andrea Daase Bielefeld, 2020

https://www.wienweltoffen.at/wp-content/uploads/2020/10/Fachgutachten_Curricula_Integrationsfonds_Daase.pdf

Expertise zu den ÖIF-Curricula für die Erwachsenenbildung in Deutsch als Zweitsprache HS-Prof. Dr. phil. habil. Silvia Demmig, PH OÖ, Fachgebiet Deutsch als Zweitsprache, 2020

https://www.wienweltoffen.at/wp-content/uploads/2020/10/Fachgutachten_Curricula_Integrationsfonds_Demmig.pdf